Читать книгу Geld, Krieg und Macht - Philippe Rogger - Страница 16

5 Der Lebkuchenkrieg in Zürich

Оглавление

Zürich überstand die Ereignisse im Sommer 1513 relativ unbeschadet. Im Gegensatz zu den anderen drei Städten gelang es der Zürcher Obrigkeit, die militärisch-diplomatischen Verwicklungen in Oberitalien durch ein hohes Mass an innenpolitischer Integrationsfähigkeit aufzufangen. Christian Dietrich verweist hierfür auf die gradlinige Zürcher Aussenpolitik sowie auf eine – im Gegensatz zu den anderen Orten – geglückte Rückkoppelung problematischer Entscheidungen an die Haltung der Untertanen mittels Ämteranfragen.225

Bereits 1512 ging der städtische Rat gegen Auswüchse im Soldgeschäft vor (Stapfer-Prozess)226 und schritt 1512/13 entschieden gegen die französische Interessenpolitik ein. «Vor ettwas tagen», teilten Bürgermeister und Rat am 21. März 1513 den anderen Orten mit, «ist in vnser stat vilerleÿ red vsgangen, wie die Franzosen sondrigen personen ettlich sunnen kronen ingeantwurt vnd denen befolhen habent, sollich kronen vnder personen vnsers kleinen vnd grossen rates ouch der gemeind vszu(o)teilen vnd da mit zu(o)erlangen, das zwuschent dem franckrichisten kung vnd vnser loblichen Eidgnosschaft ein frid vnd bericht gemacht vnd dadurch vnser Eidgnosschaft knecht in des kungs dienst vffbra(e)cht».227 Der Rat fasste deshalb den Beschluss, «so(e)llicher handlung nach zegond», und verlangte, dass «so(e)llich practicieren, gelt geben vnd ne(a)men abgestelt werde».228 Nach Meinung der Obrigkeit war nämlich «zu(o) besorgen, das es vnser loblichen Eidgnosschafft zu(o) mindrung vnser eren, lobs vnd harkomens traffenlich dienen vnd mercklichen grossen widerwillen, vffru(o)r vnd zweytre(a)cht werd stifften, dem aber wir vnnsersteils gern vor sin vnd halten welten».229 Ihre Tagherren wies die Stadt an, dass sie mit der französischen Gesandtschaft «weder essen, trincken, och kein vererung von Inen nemen noch gar keinerley gmeinsamy mit ihnen haben» sollten.230 Zürich lehnte im März 1513 eine Geleitserteilung für die französische Gesandtschaft ab231 und liess im Juli im Grossmünster ein Verbot der privaten Pensionen beschwören.232 Die von der Obrigkeit eingeleiteten Untersuchungen «vff die vnru(o)w ouch das nachgon des frantzösischen geltz vnd der hoptlutten halb» wurden mit viel Aufwand betrieben und förderten umfangreiches Beweismaterial zu Tage.233 Selbst der Landvogt im Thurgau wurde damit beauftragt, entsprechende Untersuchungen anzustellen.234 Die Anstrengungen Zürichs wurden von den mit Frankreich verfeindeten Mächten, etwa vom mailändischen Gesandten, wohlwollend zur Kenntnis genommen.235 Zu Beginn des Jahres 1513 schienen die anti-französischen Kreise in Zürich die Zügel der Politik fest in der Hand zu halten.236

Im zeitlichen Umfeld der Schlacht von Novara blieb es ruhig auf der Zürcher Landschaft. Lediglich im Zusammenhang mit dem Zug der Eidgenossen nach Dijon meldeten sich die Untertanen mit dem sogenannten «Anbringen» zu Wort.237 Dieser von einer Delegation vermutlich mündlich vorgebrachte, harmlose Frage- und Klagekatalog umfasste ganz unterschiedliche Themenbereiche, etwa die Berücksichtigung der Landschaft bei der Besetzung von Unterführerposten oder die Modalitäten bei Soldauszahlungen und Kriegsentschädigungen. Zudem forderten die Untertanen ein Pensionenverbot und verlangten, dass das Reislaufen jedem freistehen müsse. Das Dokument schliesst mit der pauschalen Forderung, dass das alte Herkommen der Gemeinden garantiert werden soll. Diese Garantie wurde den Untertanen in einem Antwortschreiben zugesagt, wobei auch die anderen Punkte zur allgemeinen Zufriedenheit geklärt werden konnten.238 Erst die politisch-militärische Konstellation in der Eidgenossenschaft nach der Schlacht von Marignano am 13./14. September 1515 führte zu massiven inneren Spannungen in Zürich. Gegen 10 000 Eidgenossen, nahezu die Hälfte der für diese Kampagne angeworbenen Knechte, hatten insgesamt vor den Toren Mailands ihr Leben gelassen.239 Auch in Zürich war der Blutzoll ungewohnt hoch: Während der Stadtstaat nach der Schlacht von Novara 69 Gefallene zu beklagen gehabt hatte, handelte es sich bei Marignano um rund 800 Tote.240 Die Schuldigen für dieses Gemetzel waren rasch gefunden. «Nachdem nun die Eydgnossen so ubel zu Marian verloren hattend und mencklich umb die synen truwret», so Stumpf, «da ward allermeyst die schuld des verlürsts uff die tütschen Franzoßen gelegt».241 Es gibt in diesem Zusammenhang Anzeichen dafür, dass bei der Eskalation des Konflikts in Zürich auch auswärtige Mächte ihre Hände im Spiel hatten.

Unmittelbar nach der Niederlage in Marignano begannen die Friedensverhandlungen mit Frankreich in Genf. Doch anstatt den eidgenössischen Orten harte Friedensbedingungen zu diktieren, machte der siegreiche König dem unterlegenen Gegner – wohl mit Blick auf die eidgenössischen Söldnermärkte – grosszügige finanzielle und handelspolitische Angebote sowie weitgehende territoriale Zugeständnisse.242 Gleichzeitig verstärkte auch Maximilian I. seine Bemühungen um die Gunst der Eidgenossen, da er beabsichtigte, die Franzosen mit Hilfe eidgenössischer Söldner aus Mailand zu vertreiben. Aus diesem Grund schickte er seinen Rat Doktor Wilhelm von Reichenbach in die Eidgenossenschaft.243 Die gewünschte Allianz mit den Orten blieb jedoch aus. Möglicherweise veranlasste dieser Misserfolg die kaiserliche Diplomatie dazu, ihre Strategie zu ändern. An der Tagsatzung Mitte Dezember wurde der Vorwurf an die Adresse des Kaisers laut, sein Gesandter Reichenbach habe unter den Angehörigen von Zürich «etwas vffwysung gethan, das man vngezwifelt sye, sy sigent deß in sölich vnruw kommen.»244 Auch in Bern soll Reichenbach die Untertanen aufgewiegelt haben.245 Glaubt man dem Chronisten Schwinkhart, hätten dadurch die Friedensverhandlungen mit Frankreich torpediert werden sollen. Reichenbach, so Schwinkhart, «forcht der fryden wo(e)llte ein fürgang na(e)men vnd verschreyb deren von Zürych landtlüten, wie grosse betrugnus jn der Eydtgnoschaft wa(e)re, dardurch der künig jn Lompardy kommen wa(e)re vnd denen Eydtgnossen grossen schaden zu(o)gefüegt h(e)tte.»246 Auf diese Weise habe Reichenbach mit «denen worten vnd ander vil luginen» die Untertanen gegen die Obrigkeit aufgebracht.247 Sehr lebendig berichtet auch Bullinger von der negativen Stimmung gegen die pro-französischen Kreise: «Vnd alle die ÿe frantzo(e)sisch gewesen vnd vom ko(e)nig pensionen gehept, die wurdend gar ha(e)fftig gehassen vnd inen vil schuld dess verlursts ga(e)ben. Insonders schallt ÿederman die houptlüth […] vnd ward geredt, die Eÿdtgnossen werind von iren selbs lüthen verradten».248 Bereits wurden erste Namen angeblicher Verräter laut. Leute wie Caspar Bachli249 aus Zürich oder Albrecht vom Stein250 aus Bern hatten sich daraufhin wegen Kollaborations- und Korruptionsvorwürfen gerichtlich zu rechtfertigen. Die Verbreitung von Gerüchten und Anschuldigungen nahm dabei ein solches Ausmass an, dass sich die Tagsatzung gezwungen sah, unbegründete Verdächtigungen unter Strafe zu stellen.251

Die Zürcher Obrigkeit zeigte sich ob dieser Konfliktverschärfung verunsichert. Am 27. November wandte sich die Stadt mit der Frage an ihre Landschaft, ob man dem Genfer Friedens- und Bündnisentwurf zustimmen solle.252 Diese Rücksprache mit den Untertanen führte jedoch nicht zu einer Beruhigung, sondern zu einer Zuspitzung des Konflikts. In dieser Situation musste die Anfrage bezüglich des französischen Angebotes, das «den Eidgenossen ihre italienischen Ansprüche geradezu ‹abzukaufen› versuchte, wie einen Beweis für die ungeheure Wirkung des französischen Geldes auf die verantwortlichen Obrigkeiten und Hauptleute wirken, wie eine Antwort auf die brennende Frage, ob bei der Schuld an der Niederlage Korruption im Spiel war.»253 Die Untertanen erteilten den fremden Herren und ihren Bündnisangeboten eine Absage und verlangten von der Obrigkeit, dass «si irs vatters lands, lut der punden, was die zu(o) gebent, wo(e)llent acht haben».254

Am 6. sowie am 8. Dezember erliess der Rat erste Haftbefehle und leitete Ermittlungen gegen verschiedene Vertreter der militärischen Führung in Marignano ein. Es handelte sich dabei um Rudolf und Heinrich Rahn, Onoffrius Setzstab, Hans Haldenstein, Cornel Schultheiss und Clewi Kienast. Ihnen wurde der widerrechtliche Empfang von Pensionen und militärische Fehlleistungen vorgeworfen. Setzstab war bereits zu einem früheren Zeitpunkt verhaftet worden, kam damals jedoch gegen Kaution frei und musste nun zum zweiten Mal inhaftiert werden. Schultheiss und die Gebrüder Rahn flohen indessen vorzeitig in die Nachbarkantone Luzern und Zug. Ihre Häuser wurden verschlossen.255 Diese geglückte Flucht der Gebrüder Rahn und von Schultheiss entfachte in der Landschaft ein «gemein geschrey» und befeuerte den Widerstand.256

Am 10. Dezember nahmen die gewaltsamen Proteste in Zürich ihren Anfang. An diesem Tag «lieff ein puwr am sew von Talwyl gon Horgen, fiel an die gloggen zu stürmen. Darmit gieng der sturm durch gantz Zürchpiet, deßwegen sich das folck uß allen gmeinden zu(o)samen rottet und sich für die statt Zürch schlu(o)g».257 An jenem Morgen eilte auch Jacob Jäckli, Untervogt von Küsnacht, hastig nach Zürich und überbrachte Bürgermeister Marx Röist die Nachricht, dass sich vor allem in den Seegemeinden die Untertanen sammeln würden. Röist, welcher sich gerade in der Frühmesse befand, verkannte jedoch den Ernst der Lage und stellte die nahende Gefahr vor Rat und Burgern in Abrede.258 Kurze Zeit später sah sich der Bürgermeister an der Seite des Altbürgermeisters Felix Schmid und des Konstanzer Bischofs, der sich zufällig in der Stadt aufgehalten hatte, 3000 bewaffneten Untertanen gegenüber, die sich vor der Stadt eingefunden hatten.259 Am offenstehenden Oberdorftor versuchten sie, die Aufständischen davon abzuhalten, in die Stadt einzudringen.260 Die Untertanen liessen sich jedoch nicht ohne Weiteres von ihrem Vorhaben abbringen. Das Angebot der Obrigkeit, eine unbewaffnete Delegation in die Stadt zu lassen, sofern die Jugendlichen261 und restlichen Untertanen heimgeschickt würden, wurde abgelehnt: «Dan nüt dan schrÿen sÿ bega(e)rind nüt dan das bloss ra(e)cht vnd das man die houptlüth vnd kronenfra(e)sser gfengklich anneme vnd sÿ thürerer dan vff den eÿdt froge».262 Die Obrigkeit sah sich gezwungen, den Rebellen Einlass in die Stadt zu gewähren. Der Untertanenprotest wurde ähnlich wie in Bern, Luzern und Solothurn von einem Teil der Zürcher Bürgerschaft unterstützt.263 Die Aufständischen zeigten sich entschlossen, «das bo(e)ß vom gu(o)tten thu(o)n».264 Sie betonten allerdings auch ihren Willen, «das bo(e)ß zu straffen mit recht und nit mit gwalt». Daraufhin liess man am 12. Dezember weitere Personen verhaften. Bei den Verhafteten handelte es sich vor allem um bekannte Hauptleute.265 In mehreren Schreiben betonte Zürich seine Absicht, die Unruhen aus eigener Kraft und ohne eidgenössische Intervention beizulegen.266

Am 13. Dezember zeichnete sich zwischen Obrigkeit und Untertanen eine erste Annäherung ab. Auf Initiative Conrad Schufelbergers, «der puwren künig und reder», wie ihn Stumpf bezeichnet, 267 kam eine formale Verständigung zustande. Der Meier aus dem Grüningeramt forderte vom Rat einen schriftlichen «Anlass», welcher das Verfahren der gerichtlichen Verhandlungen regeln sollte und der vom Rat schliesslich zum Beschluss erhoben wurde. Die Konfliktparteien einigten sich auf gleichberechtigte Kompetenzen bei den Ermittlungen, eine paritätische Vertretung beider Parteien bei den Verhören, eine gegenseitige (schriftliche) Informationspflicht über die Ergebnisse der Verfahren und eine Aufteilung des verfallenen Besitzes der Verurteilten je zur Hälfte zwischen Stadt und Land.268

Das drängendste Problem der Obrigkeit war damit jedoch nicht gelöst. Solange Zürich besetzt blieb, war es den Räten nicht möglich, die Zügel in den Verhandlungen mit den Untertanen in die Hand zunehmen. Die politischen Behörden hatten der militärischen Übermacht der Untertanen nichts entgegenzusetzen. Auch für die übrigen Stadtbewohner stellten die 3000 Besatzer eine grosse Belastung dar, wobei insbesondere die Verpflegung der Rebellen hohe Kosten verursachte. So hatten «ir iung volck vnd ouch der allten ettlich allen bÿmenza(e)llten bÿ den kra(e)meren in der statt vffa(e)ssen, das sich ouch vff ein hüpsche sum kostens vflüff».269 Von dieser eigenmächtigen Verköstigung der Aufständischen mit Lebkuchen rührt auch der Name des Aufstandes. Die Situation der Bevölkerung war in der Tat prekär. Im Verlauf der Besetzung radikalisierte sich ein Teil der Aufständischen und fasste eine Plünderung der Stadt ins Auge. Sie versammelten sich auf dem Lindenhof, dem grossen Festplatz der Stadt, und verlangten, «man solte in der statt sackman machen und plündern».270 Dem Untervogt Jäckli gelang es jedoch, die drohende Katastrophe abzuwenden. Er appellierte an die Ehre der Aufständischen und erinnerte sie an ihre gegenüber der Obrigkeit eingegangenen Verpflichtungen (Eid, Bünde, Recht). Anschliessend fasste man den Beschluss, dass zwei Drittel der Untertanen wieder in ihre Dörfer zurückkehren sollten. 1000 Aufständische sollten in der Stadt bleiben und die Durchführung der anstehenden Verfahren überwachen.271 Der Umstand, dass es einem Untervogt gelang, in dieser heiklen Situation eine Beruhigung herbeizuführen und eine Plünderung zu verhindern, ist bezeichnend für die Ohnmacht der politischen Führung Zürichs.

Die Verhöre gegen die Inhaftierten begannen am 14. Dezember.272 Obschon der «Anlass» vorgesehen hatte, die Untersuchungskommission paritätisch zu besetzen, stellte der Rat zunächst sechs und die Landschaft nur vier Mitglieder. Diese Übervertretung des Rats vermag allerdings nicht über die tatsächlichen Machtverhältnisse zu Beginn der Verfahren gegen die Beschuldigten hinwegzutäuschen. So erkundigte sich der Rat bei den Untertanen, ob sie die bisherige Rechtspraxis des Folterverbots bei Aussagen unter Eid in den Prozessen beizubehalten gedachten. Diese zaghafte Anfrage lässt erahnen, dass die Ausgestaltung des Prozessverfahrens nicht beim Rat, sondern weitgehend in den Händen der Belagerer lag.273

Die Ohnmacht des Rates in dieser Phase des Aufstands zeigt sich auch an anderer Stelle. Stumpf berichtet, dass die Hälfte der Räte den Ratssitzungen wegen selbsterklärter Befangenheit fernblieb. Selbst die Bürgermeister stahlen sich aus der Verantwortung und liessen die Sitzungen jeweils von Oberzunftmeister Rudolf Binder präsidieren.274 Die Regierungsfähigkeit des Gremiums war dadurch nicht gewährleistet. Am 15. Dezember berief Bürgermeister Röist den Grossen und Kleinen Rat «samentlich», und es wurde der Beschluss gefasst, dass man angesichts des schlechten Ratsbesuchs in Krisenzeiten «in diesen hendlen on alle wal sölle bi dem eid in den rat gebieten».275 Zwei Tage nachdem Röist einen Antrag von Uri, das einen Rechtstag gegen Onoffrius Setzstab begehrte, mit dem Rat behandelt hatte, trat er bereits wieder in den Ausstand. Diese Führungsschwäche der Obrigkeit verschlechterte deren Position, und die Belagerer setzten am 18. Dezember die faktische Parität in den Untersuchungskommissionen durch. Ausserdem forderten sie die Wiederholung bereits durchgeführter Zeugenverhöre, bei denen die Obrigkeit noch die Mehrheit (mit sechs Vertretern) gestellt hatte. Auch kam nun die Folter zur Anwendung.276 Onoffrius Setzstab wurden während des peinlichen Verhörs am Seil «by 400 pfundt schwer angehenckt», und die Richter «zugend in nackend uß, der meynung: ob er ettwaß by im verborgen hette, das in an vergicht der warheit hinderte.»277

Am 20. Dezember formierte sich innerhalb der Zürcher Führungsschicht erstmals Widerstand gegen das harte Vorgehen der Untertanen. Der Rat kritisierte die Anwendung der Folter bei eidlichen Aussagen sowie bei unzureichenden, nur durch «nebent reden» erhobenen Verdachtsmomenten.278 Der Rat verwies auf die Bestimmungen der Stadtsatzung und auf das alte Herkommen. Mit seiner Fürsprache für die inhaftierten Hauptleute Peter Füssli und Hans Ziegler, gegen die bislang keine konkreten Anschuldigungen vorlagen, drang er allerdings nicht durch. Auch entspann sich eine Diskussion über den Geltungsbereich der beschworenen Pensionenordnung. Streitpunkt war die Frage, ob die Annahme von Pensionen zuhanden der Stadtkasse ebenfalls gegen das Verbot verstosse.279 Bezüglich der Folter beriefen sich die Untertanen darauf, dass ihnen die Obrigkeit die Anwendung der Folter freigestellt hatte und sie daher keine Schuld an allfälligen Verletzungen des Stadtrechts treffe: Es «syg inen anfengklich nach glan also zu(o) fragen yetz in diser handlung, darvmb sy der statt recht kein abbruch thuyent».280 Zudem vertraten sie den Standpunkt, dass jeglicher Empfang fremden Geldes zum Ehrverlust führe. Wurde der Geldempfang aufgrund der Befragung am Seil eingestanden, war die Anwendung der Folter, so die Argumentation der Untertanen, rechtens.281 Die Abgeordneten der Untertanen standen offensichtlich unter einem erheblichen Erfolgsdruck. So ist der Grund für die unnachgiebige Haltung der Aufständischen unter anderem darin zu suchen, dass «sy besorgint, wo sy also sollint heimfaren vnd witers nit bringen, sy mugint die sach nit verantwurten vnd besorgind, es wurd witers vnd boßers darvß erston».282 Die Drohung an den Rat war unmissverständlich: Wenn sie mit einem aus ihrer Sicht unbefriedigenden Ergebnis in ihre Dörfer zurückkehren müssten, sei mit neuen Erhebungen zu rechnen. Der Rat stimmte daraufhin der Fortführung der Folterungen notgedrungen zu. Mit Blick auf die 1000 Aufständischen innerhalb der Stadtmauern blieb ihm keine andere Wahl.283

Für die bevorstehenden Feiertage wurde eine Gerichtspause anberaumt. Um an Weihnachten nicht mit leeren Händen in die Dörfer zurückkehren zu müssen, sollten am 24. Dezember die ersten Urteile gefällt werden.284 Die Urteilsfindung überliessen die Aufständischen nun allerdings gänzlich dem Rat. Das Strafmass fiel vergleichsweise mild aus. Onoffrius Setzstab, der Hauptangeklagte, verlor seine Ehre, hatte die empfangenen Kronen der Obrigkeit auszuhändigen und eine Busse von 200 Kronen zu entrichten. Dasselbe Urteil wurde auch über die Angeklagten Hans Haldenstein und Clewi Kienast ausgesprochen, während die übrigen Gefangenen gegen Urfehde und Bürgschaft freikamen. Die Fortführung der Prozesse wurde auf den 7. Januar 1516 angesetzt.285 Mit dieser Pause zeichnete sich eine Wende im Konflikt ab.

Zwischenzeitlich entfernte die Obrigkeit Zunftmeister Heinrich Winkler, welcher mit den Aufständischen kollaboriert haben soll, aus dem Rat.286 In den Augen von Stumpf war er «den puren das krefftigest liecht».287 Gleichzeitig initiierte die Obrigkeit einen juristischen Diskurs, der darauf abzielte, die Interpretation des geltenden Pensionenverbots der Untertanen zu demontieren. Ins Zentrum der Auseinandersetzung rückte dabei einmal mehr die Frage, ob der Bezug von Pensionen zuhanden der Stadtkasse – um die es in den Prozessen vorwiegend ging – im Widerspruch mit der geltenden Pensionenordnung stehe. Mit der grundsätzlichen Verneinung dieser Frage entzog der Rat dem Protest der Landleute das juristische Fundament und jegliche strafrechtliche Legitimität der ausgesprochenen Urteile. Man las den Untertanen nicht nur das 1513 von Stadt und Land beeidete Pensionenverbot vor, sondern verwies sie auch auf Artikel 14 der Waldmannschen Spruchbriefe, der besagt, «dz min herren mugint pensionen nemen in ir statt seckel on verhindert der vssern».288 Dieser Argumentation hatten die Untertanen nichts entgegenzusetzen. Nach einer kurzen Auszeit erklärte die Verhandlungsdelegation am 9. Januar kleinlaut, sie «syent ouch nit hye, dz sy begerint herren zesind».289

Beide Seiten waren nun daran interessiert, den Konflikt möglichst rasch beizulegen. Der zweifache Druck, unter dem die Verhandlungsdelegation der Landschaft stand, machte sich dabei jedoch erneut bemerkbar: Einerseits forderten die Aufständischen nach wie vor, «dz die vßgestellt werdint, so gellt genomen habint on erlouben».290 Andererseits verlangten sie, «dz min herrn in etlichen weg inen begegnint, damit wen sy heym komint, dz sy dagegen ouch etwas gu(o)ts erlangen mugint».291 Ganz ausgestanden war der Konflikt für die Obrigkeit aber noch nicht. Die Aufständischen hielten sich nach wie vor in der Stadt auf, und es zirkulierten aufrührerische Reden. So wurden Drohungen laut, «ein fur in die statt zestoßen vnd biderben luten villicht vber die buch zu(o) louffen».292 Davon liess sich der nunmehr wieder vollzählig tagende Rat allerdings nicht beeindrucken.293 Er begann am 9. und 10. Januar damit, die verurteilten Zürcher zu rehabilitieren (Ziegler, Füssli und Konrad Engelhard), obwohl dieses einseitige Vorgehen den Bestimmungen des «Anlasses» widersprach.294 Zudem erteilte die Obrigkeit Rudolf Rahn und Cornel Schultheiss die Erlaubnis, nach Zürich zurückzukehren.295 Am 11. Januar übergaben die offenkundig verunsicherten Untertanen dem Rat ihren Kompromissvorschlag zur Lösung des Konflikts. Sie verlangten den vereinbarten Anteil an den Bussengeldern zur Deckung ihrer angefallenen Kosten (1), die Amtsunfähigkeit der Verurteilten beziehungsweise noch zu Verurteilenden (2) und eine generelle Amnestie für die Untertanen (3).296 Die Obrigkeit stimmte dem Vorschlag zu und bezahlte den Untertanen 4500 Pfund (5000 hatten die Aufständischen verlangt).297 Am 12. Januar 1516 kam der sogenannte Mailänderbrief zustande, mit dem die Unruhen definitiv beigelegt wurden.298 Einzelne Klagen, die im Anschluss an die Einigung aufgebracht worden waren, stellten für diesen Ausgleich zwischen Obrigkeit und Untertanen keine ernsthafte Gefährdung dar.299 Die herrschenden Machtverhältnisse in Zürich wurden mit dem Mailänderbrief nicht infrage gestellt, und die Obrigkeit erholte sich rasch von den Aufständen. Bereits am 26. Januar schickte Winterthur, das mit Stein am Rhein den Mailänderbrief im Namen der Landschaft gesiegelt hatte, 300 seinen Anteil der Entschädigung an die Stadt zurück und erklärte, «dz si nie willens gewesen sÿent, vtzit wider min herrn zethu(o)nde».301 Zudem führten alle weiteren Prozesse zu Freisprüchen. Die Rehabilitation von Setzstab, Kienast und Haldenstein (post mortem) erfolgte zwei Jahre später (1517).302

Geld, Krieg und Macht

Подняться наверх