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Eine neue Sichtweise
über spirituelle Gesetze
ОглавлениеIch wuchs in einer strengen calvinistischen Gemeinde auf. Ihre Lehren waren durchtränkt von der Vorstellung der grundsätzlichen menschlichen Sündigkeit. Jeden Sonntag wurde mir von der Kanzel heruntergepredigt, dass wir sündig geboren sind, zur Sünde neigen, von uns aus keiner guten Tat fähig sind. Das Leben ähnelte einem steilen Berg, der mit Seife bedeckt war und von einem Abgrund umgeben war, in dem sich die Haie tummelten (der Hölle). Die Menschen kletterten – oder schlitterten vielmehr – auf allen Vieren hinauf. Sie hielten sich an den kleinsten Vorsprüngen fest. Jeder Fortschritt war schmerzhaft langsam. Und dann – wusch! Jeden Sonntag ohne Gnade wurden wir wieder ein paar Meter nach unten gezogen. Am Montag ging dann die mühsame Klettertour wieder von vorne los.
Oben auf der Bergkuppe hockte eine äußerst strenge Persönlichkeit, die Vater Gottes genannt wurde und mit einem unbeschränkten Arsenal an Blitzen bewaffnet war, mit denen »Er« arme Sünder eifrig bewarf (und ich war davon überzeugt, dass ich zu den Schlimmsten gehörte). Er führte eine riesige und sehr beeindruckende schwarze Akte über mich, in der all meine Sünden sorgfältig notiert waren, nicht zu vergessen jeder einzelne Zuckerwürfel, den ich je als Kind aus der silbernen Zuckerdose gemopst hatte, um ihn in meinen Sonntagskaffee zu tunken. Ich war überzeugt, dass meine Schulden bei weitem die wenigen Guthaben überschritten, die ich hier und da vielleicht verdient hatte. Diese einschüchternde Gottheit hatte strenge Regeln aufgesetzt. Sie zu übertreten hatte bestimmte Strafen zur Folge, von denen die schrecklichste war, für alle Ewigkeiten an einem höllisch heißen Ort zu braten, der Hölle genannt wurde.
Viele Jahre später, nachdem ich meine Familie, mein Land, meine Kirche verlassen hatte, fand ich meinen eigenen spirituellen Weg. Es war eine Lehre, die auf der Vorstellung von allumfassenden und vollkommen zuverlässigen spirituellen Gesetzen der Harmonie basiert, die sich auf die Lösung eines jeden Problems auf jedem Gebiet anwenden lassen. Sie ist eine echte spirituelle Wissenschaft. Anders ausgedrückt: Sie geht davon aus, dass diese Gesetze streng und nachweisbar (wenn auch nicht unbedingt messbar und quantifizierbar) sind.
Der bedrohliche und humorlose Vater-Buchhalter machte immer mehr einem grenzenlos guten Prinzip der Harmonie Platz, das mit »weiblichen« und »männlichen« Attributen ausgestattet ist (ich setze die beiden Begriffe in Anführungszeichen, weil Attribute kein Geschlecht haben – ein Mann kann genauso zärtlich sein, wie eine Frau stark sein kann). Die höchste Eigenschaft dieses Prinzips ist bedingungslose Liebe, die zu keiner Bestrafung fähig ist. Der hebräische Prophet Habakuk beschreibt es im Buch, das seinen Namen trägt (1:13), deutlich: »Deine Augen sind rein, dass du Übles nicht sehen magst.« Grenzenlose Liebe, die reines Licht ist, ist nicht fähig, Dunkelheit zu erkennen, da das Dunkel in ihrer Gegenwart wieder zu seinem ursprünglichen Nichtsein wird. In diesem neuen Verständnis waren spirituelle Gesetze nicht mehr die geflochtenen Peitschen, die mich von den Sünden fernhalten sollten, und sie waren auch nicht die schuldeinflößenden Bestrafungen und Instrumente, die sie in der Religion meiner Jugendzeit gewesen waren. Spirituelle Gesetze wurden von mir plötzlich als grenzenlos zärtliche und feste Instrumente des Schutzes, der Führung und vor allem der Freiheit wahrgenommen und erlebt.
Für viele Menschen hat das Konzept spiritueller Gesetze einen negativen und unterdrückenden Beigeschmack (»Du sollst nicht …«). Es wird immer mit möglicher Bestrafung in Verbindung gebracht. Doch mein Eindruck ist, dass die Menschheit in einem allmählichen und individuellen Prozess lernt, dass die einzige Strafe, die wir erleben können, das selbst auferlegte Leid ist, das aus der Missachtung der spirituellen Gesetze folgt, die einzig und allein zum Zweck unseres Glücks und unserer Freiheit bestehen. Aus dieser Perspektive betrachtet, beziehen die spirituellen Gesetze Führung und Unterstützung mit ein. Sie helfen uns in Momenten der Schwäche oder Verwirrung. Sie sind die treusten und liebevollsten Begleiter unserer Weiterentwicklung; sie sind Sprungbretter, auf denen wir uns zu einer höheren Vision hinaufschwingen können.
Paradoxerweise stellt diese Vorstellung von spirituellen Gesetzen die höchste Freiheit dar. Sie fordert uns auf zu lernen, wie man ein erfüllteres Leben in Einklang mit der grundsätzlichen Struktur oder Form lebt, die das Universum und die Wirklichkeit lenkt.
Wir wollen uns nun diesen spirituellen Gesetzen zuwenden und sehen, wie sie uns bei der Handlung des Segnens lenken.