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9. Dorothea

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Dorothea blieb länger als beabsichtigt bei Rahel. Sie sassen im Garten, unterhielten sich über Belanglosigkeiten wie die neuen E-Zigaretten – «die gibt es jetzt mit Geschmack, aber gesünder sind sie nicht, alles gelogen» – und über die Zustände in der grossen Welt und der kleinen Stadt. Dorothea, nun ganz im Element, zeterte über die grassierende Feigheit (mit anschaulichen Beispielen aus ihrem Bekanntenkreis) und verlor sich in ihrem Lieblingsthema: der schandhaften Stadtentwicklung.

Sie hatte in den 60er-Jahren Landschaftsarchitektur und Stadtentwicklung studiert und fühlte sich den hiesigen Stadtplanern meilenweit überlegen.

«Hätten diese Herren auf mich gehört, die Stadt wäre nicht zu einem Agglomerationsdesaster mit verklemmter Altstadt verkommen. Ich hätte das Potenzial genutzt.»

In Gesellschaft erzählte sie gerne, dass sie detaillierte Pläne präsentiert habe, nur sei sie als Frau mit Fachwissen unerwünscht gewesen. Wie eine Plage sei sie behandelt worden von den Männern mit ihrer gottgegebenen geglaubten Überlegenheit. Ideen von Frauen: bitte, gerne, aber nur im Bett. So sei das gewesen im Land der kalten Krieger.

Dabei hatte ihre Karriere vielversprechend begonnen: Nach ihrem Studium hatte sie sich mit der Restaurierung von historischen Park- und Gartenanlagen einen Namen gemacht. Zu ihren Kunden zählten sowohl Patrizierfamilien als auch Neureiche, die sich vorgeblich einen Lebenstraum erfüllten, tatsächlich jedoch bloss ihren sozialen Aufstieg mit alten Gemäuern zu verewigen suchten.

Den eigenen, adligen Stammbaum wusste Dorothea hierfür gut zu vermarkten – er verlieh ihr eine Aura von Autorität und altem Wissen, als wäre sie vor Hunderten von Jahren selbst in diesen Gärten gewandelt. Sie entstammte den von Landenbergs, einem einfachen Adelsgeschlecht aus der Gegend von Mannheim, das sich vor Generationen in die Berner Patrizierfamilien eingeheiratet hatte. Eine Verbindung, die sich zu beidseitigem Vorteil entwickelte, mit einer frühen Blütezeit, einem Niedergang bei der Abschaffung der Aristokratie und einem erneuten Aufschwung nach der Festigung der Demokratie.

«Eine von mir gestaltete Anlage spielt mit allen Sinnen», pflegte Dorothea ihren Kunden zu sagen. «Nur wenn sich die Elemente Erde, Wasser, Licht und Wärme darin wiederfinden, erwacht diese Lebendigkeit auch in den Menschen, die sich darin aufhalten. Ein gesunder Park wächst über Generationen; er bildet den Keim für künftige Lebensräume, für die Zeit nach dem Raubbau. Er ist ein Versprechen an eine gemeinsame Zukunft.»

Sara Z., verschwunden

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