Читать книгу Savers - und es gibt sie doch - Rabea Blue - Страница 10
- 06 -
Оглавление»Herzlich willkommen in Euphoria«, sagte er mit fester Stimme, sodass jeder im Raum ihn klar und deutlich hören konnte. »Mein Name ist Julius und ich bin der Dekan dieser Akademie. Ihr habt mich alle bereits gesehen, denn ich bin Mitglied des Ältestenrats.«
David sah aus dem Augenwinkel, dass Sally sich in seine Richtung drehte. Sie deutete auf Julius und fuchtelte mit den Händen, während sie mit dem Mund stumme Worte formte, David konnte jedoch nicht von ihren Lippen ablesen, was sie ihm sagen wollte.
Sally drehte sich wieder um und sah, dass Julius sie mit hochgezogenen Augenbrauen ansah. Sie murmelte ein »Verzeihung« und setzte sich auf ihre Hände. David glaubte ein kurzes Schmunzeln auf Julius' Gesicht erkennen zu können, bevor er fortfuhr.
»Warum ihr hier seid, habt ihr mittlerweile schon erfahren und hattet bereits ein wenig Zeit darüber nachzudenken. Jeder geht anders mit dieser Veränderung um. Manche sind zutiefst schockiert über ihren Tod, andere irritiert die Tatsache, dass es Schutzengel gibt, und denken erst einmal darüber nach, was es sonst noch für überirdische Wesen geben mag.« Vereinzelt war Gekicher unter den Anwesenden zu hören.
»Jeden, dem das hier nicht geheuer ist, kann ich beruhigen: Es zwingt euch keiner, hierzubleiben. Wir würden uns natürlich sehr freuen, wenn wir euch halten könnten, aber einen Saver, der sich hier nicht wohl fühlt, auf Dauer zu sehr seinem irdischen Leben nachtrauert oder sich anderweitig nicht zu Hundert Prozent auf seine Arbeit konzentrieren kann, den können wir hier, hart gesagt, nicht gebrauchen.«
David ließ seinen Blick über die Sitzreihen schweifen. Es wirkte so, als hätten sich unter den Neuankömmlingen schon in dieser kurzen Zeit Gruppen gebildet. Es gab eine große Gruppe von Älteren, die nach Davids Schätzung die 60 schon deutlich überschritten hatten. Sie saßen im vorderen Drittel rechts von David und Adrian. Die meisten von ihnen waren wahrscheinlich eines natürlichen Todes gestorben, vermutete David. Viele von ihnen blickten aufmerksam zu Julius und wirkten sehr gelassen. Einige nickten bei Julius Worten.
Links hinter David saßen viele Neuankömmlinge, die mittleren Alters zu sein schienen. Sie wirkten nicht so sehr wie eine Einheit, wie es bei der älteren Generation der Fall war, jedoch hatten sich die meisten schon in Zweier- oder Dreiergruppen zusammengesetzt.
Zwischendrin saßen immer mal wieder, vereinzelt oder ebenfalls in kleinen Gruppen, Vertreter der jüngeren Generation.
»Hört euch diese Einführungsveranstaltung in aller Ruhe an, und entscheidet dann, ob ihr in Euphoria bleiben und euch zu einem Saver ausbilden lassen wollt, oder nicht. Wenn ihr kein Saver werden wollt, dann sprecht bitte eure Mentoren an, sie werden alles Weitere für euch in die Wege leiten.« Dabei deutete er in Richtung der Mentoren.
»Doch auch zu einem späteren Zeitpunkt eurer Ausbildung könnt ihr euch zum Gehen entschließen, auch wenn ihr bereits aktiver Saver seid. Gerade bei der älteren Generation kommt erfahrungsgemäß irgendwann der Zeitpunkt, an dem einfach in Frieden ruhen wollen – und dagegen ist auch absolut nichts einzuwenden. Habt keine Scheu vor dieser Entscheidung. Als Saver muss man immer mit voller Konzentration bei der Sache sein. Wenn dies nicht der Fall ist, seid bitte so fair und hört von selbst auf. Rausschmeißen können wir in der Regel keinen.«
Einige Mentoren versuchten Blickkontakt zu ihren Lehrlingen aufzunehmen. Davids Blick traf den von Ephraim und er warf ihm ein zufriedenes Lächeln zu.
Nun trat Julius hinter dem Rednerpult hervor und schritt in die Mitte des Sandplatzes.
»Bevor es mit Erklärungen weitergeht, möchte ich gerne, dass sich jeder von euch kurz vorstellt, mit Name, Alter vor dem Tod und Interessen, die ihr auf der Erde hattet. So bekommen wir alle einen ersten Eindruck von euch und ihr könnt untereinander besser Kontakte knüpfen. In den meisten neuen Klassen bilden sich recht schnell Gruppen von Leuten mit gleichen Interessen, die später zusammen das im Unterricht Gelernte üben. Fangen wir doch am besten hier vorne links an«, sagte er und stellte sich vor einen älteren schwarzen Mann in der ersten Reihe.
Dieser drehte sich in seinem Stuhl kurz um und nickte grüßend in den Raum bevor er sich vorstellte. »Guten Morgen zusammen, ich heiße William, bin 71 Jahre alt gewesen, bevor ich an einem Herzinfarkt starb. Ich habe in der Nähe von Washington D.C. gelebt und war Zeit meines Lebens Versicherungsvertreter. Meine Frau und ich konnten keine Kinder bekommen, deswegen hatten wir mehrere Patenkinder in Afrika.« Als er geendet hatte, nickte er kurz seinem Sitznachbarn zu, um ihm zu bedeuten, dass er sich nun vorstellen könne. Auch diesmal war es ein alter Mann. Er stand auf, verbeugte sich leicht und stellte sich stehend vor. »Howard, freut mich euch kennenzulernen. Ich habe es bis in das hohe Alter von 95 Jahren geschafft und bin an einem Leberversagen gestorben. Ich weiß nicht, ob es anderen in meinem Alter auch so geht, aber hier fühle ich mich wieder wie Zwanzig. Wenn nur nicht die vielen Falten wären.« Dabei grinste er über das ganze Gesicht und aus der Ecke mit den alten Neuankömmlingen gab es Beifall.
So stellte sich nacheinander jeder kurz vor. Sally schien sich derweil sehr gut mit ihrer Sitznachbarin zu verstehen – Violet, wie sie sich kurz darauf vorstellte. Sie sah ein wenig aus wie eine Punkerin, hatte zerfetzte Hosen an, einen Nasenring und kinnlange, lila gefärbte Haare. Sie war erst fünfzehn Jahre alt und hatte scheinbar in schwierigen Verhältnissen gelebt, musste sich um ihre kleineren Geschwister kümmern.
Generell hatte David den Eindruck, dass er hier gerade eine soziale Elite kennenlernte, denn jeder hatte sich als Mensch verstärkt für andere eingesetzt. ›Aber so muss es wohl auch sein, wenn Schutzengel ausgesucht werden‹, überlegte David weiter.
Gerade war der Mann neben Sally an der Reihe. »Hallo, ich heiße Adam und bin mit dreiundzwanzig an einem Hirntumor gestorben. Ich hatte in den letzten beiden Monaten vor meinem Tod viel Zeit um über das Leben und seinen Sinn nachzudenken, umso mehr freue ich mich, dass ich hier die Chance habe, mich noch einmal nützlich zu machen.« Bei dem Wort ›nützlich‹ machte er mit den Fingern Anführungszeichen. »Mein Vater ist ebenfalls früh an einem Hirntumor gestorben, deswegen war ich als ältestes Kind der Mann im Haus und habe mich um meine beiden jüngeren Schwestern als auch um meine Mutter gekümmert, die mit dem Leben seit dem Tod meines Vaters nicht mehr zurechtgekommen ist.« Danach machte er eine Handbewegung in Richtung Sally, woraufhin sie nickte, aufstand, ein paar Schritte nach vorne ging, sich umdrehte und in die Runde winkte.
»Hi, ich bin Sally Summers aus Massachusetts und bin mit sechzehn Jahren bei einem Verkehrsunfall gestorben. Ich habe mich neben der Schule um meine Geschwister, meine Nachhilfe-Schülerin und die Cheerleader-Gruppe der Junior High gekümmert. Selbst war ich auch im Cheerleader-Team, so wie bei den Volleyballerinnen. Tja, das war es eigentlich auch schon«, sagte sie mit einem letzten breiten Grinsen und setzte sich wieder hin.
David wunderte sich ein wenig, dass Sally ihn nicht erwähnt hatte. Er beobachtete sie weiter und ihm fiel auf, dass sie und Violet einige Male zu ihm hoch sahen und dabei kicherten.
Schon auf der Erde war David nicht gut darin gewesen, sich Namen zu merken, und so war es auch hier in Euphoria noch. Nur wenige Personen blieben ihm in Gedächtnis. Da war der Kerl, der zu spät gekommen war. Er hieß Edward und war neunzehn Jahre alt. Danach zu urteilen, wie Sally und einige andere junge Frauen ihn ansahen, war er wohl ein typischer Mädchenschwarm. David fand ihn aus irgendeinem Grund jetzt schon nervig.
Der Blonde, der gleich zu Beginn in der ersten Reihe gesessen hatte, hieß Louis und war 26 Jahre alt. Auf der Erde war er wohl ein Außenseiter gewesen und auch hier schien er nicht den Kontakt zu anderen zu suchen.
Als David an der Reihe war, stand er auf und räusperte sich.
»Hi, ich bin David, meine Zwillingsschwester Sally habt ihr schon kennengelernt.« Er deutete in die erste Reihe, woraufhin Violet die Augen weit aufriss und Sally in die Seite knuffte. Diese kicherte leise vor sich hin. David fuhr unbeirrt fort.
»Ich bin ebenfalls sechzehn Jahre alt und habe nach der Schule viel Zeit im Tierheim verbracht. Anfangs nur, weil ich keinen Welpen haben durfte, allerdings trotzdem mit Hunden Zeit verbringen wollte. Später war ich fester ehrenamtlicher Helfer und habe viele Veranstaltungen organisiert, um Geld für das Tierheim zu sammeln. Ich habe es sehr ernst genommen, auf meine kleinen Geschwister aufzupassen, auch auf Sally, selbst wenn sie nur wenige Minuten jünger ist als ich. Zusammen mit meiner Freundin Cathy war ich auch bei Greenpeace aktiv, allerdings musste ich in der letzten Zeit viel für die Schule lernen und habe zudem noch das Amt des Schülersprechers unseres Jahrgangs übernommen. Gestorben bin ich bei dem gleichen Autounfall wie Sally. Zufälligerweise, denn wir waren in unterschiedlichen Autos und haben uns erst hier wieder getroffen.«
Bei diesen Worten ging ein Raunen durch den Saal. Als David sich setzte, bemerkte er dass einige zwischen ihm und Sally hin und hersahen.
Danach stellte sich Adrian vor. Er war zwanzig Jahre alt und hatte sich intensiv um seinen Großvater im Seniorenheim gekümmert.
Unter all den Neuankömmlingen war niemand dabei, der mit seinem Leben anzugeben versuchte. Selbst ein ehemaliger NBA-Star namens Sam, der anfangs etwas überheblich wirkte, hatte sein gesamtes Vermögen stets wohltätigen Zwecken gespendet.
Als der Letzte geendet hatte, ließ Julius seinen Blick noch einmal über alle Neuankömmlinge schweifen und ging dann zurück zu seinem Rednerpult.
»Na, da haben wir doch wieder einmal eine sehr bunte Mischung. Vielleicht ist es einigen bei den Vorstellungen aufgefallen, denn hin und wieder wurde der ehemalige Wohnort genannt: Ihr kommt alle aus dem Osten der Vereinigten Staaten. Euphoria teilt die Erde in Regionen auf. Euer Bereich ist Region dreizehn. Insgesamt gibt es mehr als 100 Regionen. Allerdings sprechen wir alle ein und dieselbe Sprache. Egal welche Sprache ihr auf der Erde gesprochen habt, hier in Euphoria verstehen sich alle Savers auf Anhieb – es gibt keine Sprachbarriere. Das ist wichtig, wenn beispielsweise einer von euch einmal mit einem Saver aus China zusammenarbeitet, denn wenn ihr euch nicht versteht, könnt ihr euch nicht gegenseitig unterstützen.«
Louis, der Mann aus der ersten Reihe, der neben dem attraktiven Edward saß, meldete sich.
»Ja, bitte?« Julius deutete auf ihn.
Louis räusperte sich und fragte dann: »Wo werden die Neuankömmlinge der übrigen Regionen unterrichtet?«
»Das ist eine gute Frage«, begann Julius und trat wieder hinter dem Pult hervor. Er redete nun mit ausladenden Armbewegungen.
»Das Akademiegelände ist riesig – viel größer als ihr von außen erwarten würdet. Im Prinzip sind es etliche verschiedene Akademie-Gebäude nebeneinander und es gibt mehrere Teleportations-Eingänge. Die Wiese, auf der ihr gelandet seid, wird von den englischsprachigen Regionen genutzt. Auch wenn Sprache hier keine Rolle spielt, mussten wir es irgendwie unterteilen und haben uns für diese Methode entschieden. Die verschiedenen Regionen dieses Eingangs, also zum Beispiel der Westen der USA, haben alle zeitversetzt ihre Einführungsveranstaltungen. Die Auswahl der Kandidaten, und somit auch der Start der Ausbildung, variiert von Region zu Region. Erst wenn wir pro Region genügend Neuankömmlinge ausgesucht haben, werden sie erweckt. Es kann also sein, dass einige von euch schon seit Wochen tot sind, andere aber erst seit ein paar Tagen.«
David fragte sich, wie lange er wohl schon tot war. Er wüsste gerne, wie es seiner Familie ging und wann er sie sehen könnte.
»Noch ein paar letzte Worte zu den Regionen: Wir verwenden zwar das gleiche Akademiegelände, allerdings gibt es mehrere Ältestenräte pro Eingang. So gibt es nicht nur uns für die englischsprachigen Neuankömmlinge, sondern auch einen für die lateinamerikanischen Neuankömmlinge, für die chinesischen, die russischen und so weiter.
Kommen wir zu den wichtigsten Basis-Informationen bezüglich eurer Ausbildung. Eine feste Zeit, wie lange es dauert, bis ihr fertig seid, gibt es nicht. Manche Klassen sind schneller, manche langsamer. Das kommt sehr darauf an, wie gut ihr zusammenarbeitet, denn das ist einer der wichtigsten Voraussetzungen: Teamwork. Normalerweise ist es so, dass sich sogenannte Arbeitsgruppen von zehn bis fünfzehn Neuankömmlingen zusammenfinden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Gruppen meist vom Alter her zusammenpassen, also beispielsweise eine Gruppe, in der nur Neuankömmlinge zwischen fünfzehn und zwanzig Jahren sind. Je nachdem, in welchen Fächern ihr gerade unterrichtet werdet, seid ihr auch wieder alle zusammen und werdet bei Übungen gemischt. Letzteres ist etwa der Fall, wenn es darum geht, dass die Jüngeren von der Lebenserfahrung der älteren Generation etwas lernen können.«
Nun wandte sich Julius um, ging zu der Tafel und begann mit einem Stift Wörter anzuschreiben.
»Die Fächer, in denen ihr unterrichtet werdet, sind: Einschätzung von Gefahrensituationen, Geschichte der Savers, Fliegen, Rettungsmethoden, Heilung, Fitness und Erdenkontakt. Außerdem werdet ihr ein paar Kurse in Physik bekommen, da es häufig notwendig ist, auf die Schnelle die ungefähre Geschwindigkeit oder eine Entfernung im Kopf auszurechnen. Die Geschichte der Savers ist ein reiner Frontalunterricht, bei dem ihr alle gemeinsam unterrichtet werdet. Einschätzung von Gefahrensituationen ist ein Fach, bei dem der Austausch zwischen den verschiedenen Generationen sehr hilfreich ist. Die ersten Stunden werden aus Vorträgen und Beispielen aus dem Leben bestehen, später werden wir euch pro Stunde mehrere Aufgaben geben und ihr bearbeitet diese in gemischten Gruppen. Die restlichen Fächer werden in kleineren Gruppen unterrichtet, weil man sich teilweise sehr auf euch konzentrieren muss. Eure Mentoren, sollten sie zwischen der Betreuung ihres Schützlings noch Zeit dazu haben, helfen hierbei aus.
Doch der wichtigste Teil ist die Praxis. Hierbei ist euer Mentor die Haupt-Person. Er nimmt euch mit, wenn er seinen Schützling beobachtet und bei Gefahren einschreitet. Im fortgeschrittenen Stadium eurer Ausbildung werdet ihr kleinere Rettungsaktionen selbst durchführen, während euer Mentor im Hintergrund zur Not einspringen kann.
Wenn ihr als Klasse bewiesen habt, dass ihr im Team arbeiten könnt und ihr die ersten Praxiserfahrungen gemacht habt, bekommt ihr euren eigenen Schützling. Das ist meistens ein kleines Kind, bei dem zwar viel zu tun ist, das aber zusätzlich durch seine Mitmenschen beschützt wird. Zum Beispiel die Mutter ist in der Regel immer zur Stelle und passt auf, dass das Kind nicht auf ein hohes Regal klettert, oder mit einer Gabel in der Steckdose bohrt. Trotzdem ist es anfangs sehr herausfordernd und ihr werdet jeden Tag viel neues lernen.
Ich werde jetzt eure Mentoren verabschieden, damit wir mit der ersten Stunde ›Einschätzung von Gefahrensituationen‹ beginnen können. Danach gibt es eine Pause, in der eure Mentoren wieder dazustoßen um euch zu eurer ersten Praxisphase abzuholen. Alles Weitere, zum Beispiel, welche Methoden es zur Beobachtung eines Schützlings gibt, werden sie euch dann erklären.«