Читать книгу Savers - und es gibt sie doch - Rabea Blue - Страница 6
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ОглавлениеMit diesen Worten legte er David eine Hand auf die Schulter und sofort begann der Nebel noch dichter zu werden, sodass man buchstäblich die eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen konnte. Ephraims Hand konnte er noch auf seiner Schulter spüren, doch bevor er sich dazu entschloss, ihn zu fragen, was es mit diesem dichten Nebel auf sich hatte, wurde die Sicht besser und sie standen vor einem großen Gebäude, dessen Vordach von vier Säulen gestützt wurde. Eine lange Treppe führte zu dem Eingangsportal hinauf und auf jeder zweiten Stufe standen dezent arrangierte Pflanzen in Blumentöpfen.
»Nun, das ist es – unser Ratshaus«, begann Ephraim zu erklären. »Euphoria wird von einem Ältestenrat bestehend aus zehn Mitgliedern überwacht und geleitet. Dies ist der Ort, an dem sie regelmäßig tagen und wo man täglich zumindest einige von ihnen antreffen kann, wenn man Probleme hat.«
Langsam stieg er die Stufen zu der hölzernen Flügeltür empor und bedeutete David mit einer Handbewegung, ihm zu folgen. Während Ephraim weiter erzählte, wandte er sich hin und wieder an David, um zu prüfen, ob er ihm noch hinterherlief.
»Im Idealfall wirst du diesen Ort kaum zu Gesicht zu bekommen, denn wenn du hier bist, bedeutet das meistens, dass etwas nicht so läuft wie vorgesehen oder dass du in Schwierigkeiten bist.«
»Was können das zum Beispiel für Schwierigkeiten sein?«, unterbrach ihn David und sah interessiert an dem Haus hinauf.
Ephraim überlegte kurz. »Beispielsweise wenn dein Schützling vor seiner Zeit gestorben ist, obwohl du ihn hättest retten können. Oder wenn du gegen eine der Regeln verstoßen hast, die von dem Ältestenrat aufgestellt wurden und deren Einhaltung rund um die Uhr überprüft wird. Aber es gibt auch weniger bedenkliche Anlässe, zum Beispiel wie bei uns gerade. Du bist hier, weil du ein Neuankömmling bist, und ich habe mit dir einen neuen Lehrling bekommen. Sie wollen vor Beginn der Ausbildung jedem von euch ein paar persönliche Worte mit auf den Weg geben.«
Mittlerweile hatten sie die Eingangstür erreicht und Ephraim hielt eine Seite der Flügeltür auf, damit David hindurchgehen konnte. Der Flur, der sich hinter der Tür zu beiden Seiten erstreckte, war wie ausgestorben. Ein langer, lichtdurchfluteter Gang, da die Außenwand mit vielen Fenstern bestückt war. Auf der anderen Seite gingen mehrere Türen ab. Einige Pflanzen standen zur Zierde in den Ecken und neben den Türen.
Geradeaus gelangte man in eine große Halle mit Deckenlicht, in der sich auf der rechten Seite ein breiter Empfangstresen aus Marmor befand. Hinter dem Tresen saß eine junge Frau, hell gekleidet und mit streng wirkender Frisur. Ephraim ging schnurstracks auf den Tresen zu, während David langsam hinterherlief und sich in der Halle umsah. An den äußeren Wänden wurde der Bereich von verzierten Marmorsäulen gestützt. Der Raum erstreckte sich über drei Stockwerke, die über eine im Vergleich zu dem Rest des Hauses schlicht wirkende Wendeltreppe im hinteren Bereich der Halle erreicht werden konnten. Von jedem dieser Stockwerke konnte man über eine Galerie, die einmal komplett um den Empfangsbereich herum ging, hinunterschauen. Hier sah David einige andere Savers, die wiederum ihn interessiert musterten.
Ephraim hatte in der Zwischenzeit mit der Empfangsdame gesprochen und kam auf David zu.
»Alles klar, wir können gleich rein gehen. Bitte folge mir«, sagte er und ging in Richtung Wendeltreppe.
Noch einen letzten Blick warf David hinauf, um sich das Deckenlicht zu betrachten. Es war ein riesiges, kuppelförmiges Fenster, in dem kleine Figuren eingraviert zu sein schienen. Doch für David war es unmöglich, sie von seiner Position aus genauer zu erkennen. Schließlich folgte er seinem Mentor die Treppe hinauf.
Als sie oben angelangt waren, standen sie vor einer massiven Holztür mit detaillierten Schnitzereien. Ephraim drehte sich zu David um und betrachtete ihn eingehend.
»Wenn du dort hinein gehst, dann versuche am besten ganz locker zu sein. Aber du wirkst sehr gefasst für einen Neuankömmling, dem man eben gesagt hat, dass er gestorben ist und es Schutzengel gibt - das ist eine gute Voraussetzung. Mach' dir einfach nicht zu viele Gedanken darüber, was die Ältesten mit ihren Fragen an dich bezwecken wollen.«
Ungläubig schaute David Ephraim an. »Du gehst nicht mit rein?«
Ephraim schüttelte mit dem Kopf. »Nein, da muss jeder Neuankömmling alleine durch.«
Dann schob er ihn Richtung Tür, klopfte kurz aber heftig an und öffnete sie, sodass David hindurchgehen konnte.
Nach dem Eintreten blieb David sofort stehen. Er hörte die Tür hinter sich ins Schloss fallen, dann war alles still. Der Raum, in dem er sich befand, war langgestreckt und wirkte dunkel. Von der Eingangstür aus führte ein roter Teppich durch das Zimmer, bis hin zu einem Absatz, zu dem zwei Stufen hinauf führten. Auf dem Absatz standen an der Wand zehn pompös wirkende Stühle mit hoher Rückenlehne aufgereiht, auf dem jeweils eine Person saß – der Ältestenrat.
Langsam setzte sich David in Richtung des Rates in Bewegung. Einer der mittig sitzenden Ältesten fiel besonders auf, da er eine blaue Schärpe trug. David blickte die Reihe entlang und ließ seinen Blick auf jedem Mitglied des Rates kurz ruhen. Es waren sieben Männer und drei Frauen unterschiedlichen Alters. Zwei der Männer waren Zwillinge, sie waren beide gleich groß und trugen eine Brille mit dicken Gläsern. Alle Ältesten sahen David interessiert entgegen.
Während er näher kam, stand der Mann mit der Schärpe langsam auf und strich seinen weißen Umhang glatt. Dann breitete er die Arme aus und begann mit lauter Stimme zu sprechen.
»David, herzlich Willkommen in Euphoria. Mein Name ist Jakob und ich bin der Vorsitzende dieses Ältestenrates. Dein Mentor Ephraim hat dir sicher schon einige grundlegende Fragen beantwortet. Bevor wir mit dem offiziellen Teil anfangen möchte ich dich fragen: Gibt es irgendetwas, das wir dir zu Beginn erklären können?«
Mittlerweile war David vor dem Rat der Ältesten angekommen und blieb stehen. Er ließ den Blick über alle zehn Mitglieder schweifen und sah dann Jakob in die Augen. Sie waren braun und hatten einen gütigen Ausdruck.
»Ja. Habt ihr mich ausgewählt?«, fragte David.
Jakob lächelte. »Allerdings. Die Auswahl der Neuankömmlinge ist unsere Aufgabe. Wir betrachten das Leben und Ableben jedes Kandidaten und diskutieren das Für und Wider einer Aufnahme. Bei dir waren wir uns jedoch einig, da du schon auf Erden viel Verantwortung übernommen hast und ehrenamtlicher Helfer im Tierheim warst. Du musst wissen, dass es auch Savers gibt, die sich nur mit solchen Sachen beschäftigen: Der Beobachtung der Menschen zur besseren Vorbereitung der Kandidaten. Natürlich können die jeweiligen Savers selbst am besten Auskunft über verstorbene Schützlinge geben, aber...«
»Was ist mit den anderen, die bei dem Unfall beteiligt waren? Was ist mit meiner Freundin Cathy?«, unterbrach David Jakobs Ausführungen. Eine dürr wirkende Frau mit sehr kurzen Haaren sog scharf die Luft ein und blickte empört zu Jakob. Andere hingegen betrachteten David mit einem leichten Lächeln oder sahen ihn lediglich analysierend an. Offenbar wurde Jakob nicht oft unterbrochen – schon gar nicht von einem Neuankömmling.
Jakob hingegen behielt sein Lächeln bei und faltete die Hände.
»Über die Gründe, warum wir wen berufen oder nicht berufen, können wir mit dir leider nicht sprechen. Wie ich bereits sagte, alle Handlungen der Menschen werden überwacht und jeder Verstorbene wird diskutiert. Manchmal scheint unsere Entscheidung für Außenstehende unverständlich zu sein, doch es gibt immer einen sinnvollen Hintergrund.«
Davids Gedanken rasten mit einem Mal, auch wenn es ihm ein wenig unangenehm war, dass er den Ältesten unterbrochen hatte. Erst jetzt war ihm der Gedanke gekommen, dass auch Cathy und die Insassen des entgegenkommenden Wagens gestorben sein könnten. Wenn Cathy tot war, dann hätten die Ältesten sie ebenfalls auswählen müssen – sie war ein herzensguter Mensch gewesen, das hatte jeder in seinem Bekanntenkreis gesagt. Er malte sich gerade aus, wie es sein würde, wenn sie zusammen die Schutzengel-Ausbildung machen würden, als Jakob ihn aus seinen Gedanken riss.
»Dein Mentor kann dir später mehr über die Gründe einer Auswahl für Euphoria erzählen. Nun möchte ich dich erst einmal bitten, uns ein paar unserer Fragen zu beantworten.« Bei diesen Worten drehte Jakob sich um und ging zu seinem Stuhl zurück. Er setzte sich, strich erneut seinen Umhang glatt, und sah David erwartungsvoll an.
»Wie ist dein erster Eindruck von unserer Welt?«, fragte er.
David zögerte kurz, bevor er zum Sprechen ansetzte. »Ich denke ich habe es noch nicht wirklich realisiert. Die Erkenntnis wird bestimmt erst morgen kommen, oder sogar noch später. Auch die tiefgreifenderen Fragen werden eher nach und nach kommen. Momentan bin ich zwar traurig, dass ich gestorben bin und nicht mehr bei meiner Familie und meinen Freunden auf der Erde bin, gleichzeitig bin ich sehr gespannt auf eure Welt. Tief in mir hatte ich schon immer daran geglaubt, dass es Schutzengel gibt, es irgendwie sogar gehofft, dass jemand auf mich aufpasst. Dass ich jetzt selbst einer werden kann, ist zwar noch ein seltsamer Gedanke, aber ich lasse es auf mich zukommen und bin sehr gespannt auf die nächsten Tage.«
Die Mitglieder des Ältestenrates sahen ihn allesamt an, während er sprach. Jakob nickte langsam, als David geendet hatte.
»Das freut uns und ist eine gute Voraussetzung für deinen Start als Neuankömmling«, sagte er mit einem Lächeln. »Als nächstes erzähl' uns doch bitte, was du von einem Saver erwarten würdest. Ich meine auf der Erde, als du gehofft hattest, du hättest einen – was dachtest du da, macht dein Schutzengel den ganzen Tag?«
Wieder überlegte David kurz und blickte in die Runde, bevor er antwortete. »Naja, auch wenn es ein wenig komisch klingen mag: Ich dachte die Schutzengel sind unsichtbar und laufen die ganze Zeit neben uns her und werfen sich dazwischen, wenn eine Gefahr lauert oder so.« Nervös fuchtelte er mit den Händen. Es war schwierig, seine Gedanken auszudrücken. »Ich meine, auf der Erde denkt man sich ja immer erst im Nachhinein, nachdem man einen Unfall hatte oder knapp einem entkommen ist, dass man einen fleißigen Schutzengel haben muss. Aber so würde ich es beschreiben, ...« Doch den Rest seiner Vorstellung von Schutzengeln konnte er nicht ausführen, da er von einem Stöhnen unterbrochen wurde.