Читать книгу Savers - und es gibt sie doch - Rabea Blue - Страница 12
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ОглавлениеKaum hatte Julius den Raum verlassen, schwoll der Geräuschpegel in dem Raum an. Adrian zupfte David am Ärmel und deutete zum Ausgang. Kurz blickte David zu Sally, fing ihren Blick auf und gab ihr gestikulierend zu verstehen, dass sie sich draußen treffen würden.
David und Adrian kamen vor Sally aus dem Gebäude. Sie liefen ein paar Schritte in Richtung des Parks, durch den David und Ephraim am Tag zuvor gegangen waren. Als sie stehen blieben und sich umdrehten, sahen sie Sally bereits, wie sie sich durch die Menge der anderen Neuankömmlinge drängte, im Schlepptau ihre Sitznachbarn Adam, Violet und Edward.
»Hi Leute – ich möchte euch ein paar meiner Gruppenmitglieder vorstellen«, begann Sally und deutete dann der Reihe nach auf ihre Begleiter. »Das hier sind Violet, Adam und Edward. Werte Sitznachbarn: Das sind Adrian und mein Zwillingsbruder David. Und bevor ihr etwas sagt: Ja, für Zwillinge sehen wir uns gar nicht sehr ähnlich.« Dabei zwinkerte sie ihrem Bruder schelmisch zu.
Sie schüttelten sich die Hände, dann fragte David: »Habt ihr den ersten Schock über das alles hier schon überwunden? Nach der Stunde eben fühle ich mich ziemlich erschlagen, muss ich zugeben.«
Die anderen lachten und stimmten ihm zu. Adam schaute in die Runde. »Ehrlich gesagt hatte ich sehr gehofft, dass es eine Art Leben nach dem Tod gibt, vor allem nachdem ich erfahren habe, dass ich einen Hirntumor habe. Wenn man jeden Tag darüber nachdenkt, dass man sterben muss, denkt man sich ganz verrückte Sachen aus, wie und ob es für einen doch noch weitergehen könnte. Ein ähnliches Szenario wie dieses hier hatte ich mir auch ausgemalt, allerdings muss ich zugeben, dass es mir in Wirklichkeit sogar noch besser gefällt als in meiner Phantasie. Jetzt...«
»Das muss echt heftig sein, wenn man so am Dahinsiechen ist«, unterbrach ihn Edward. »Tut mir leid, Alter. Ich hatte wegen meiner vielen Aktivitäten kaum Zeit über solche Sachen nachzudenken. Aber ich finde es bisher ganz cool. Macht bestimmt Spaß, die Menschen von hier oben zu beobachten. Wer weiß, was man dabei über seine ehemaligen Mitmenschen erfährt«, kicherte er und sah die anderen erwartungsvoll an. Jedoch fiel niemand in sein Gelächter mit ein. Sally grinste Edward unsicher an, während Adrian mit irritiertem Blick die Augenbrauen hoch zog.
»Ist das dein Ernst?«, fragte er Edward vorwurfsvoll. »Du hast gehört, was Julius vorhin gesagt hat: Wenn man diese Aufgabe nicht ernst nimmt, ist man hier fehl am Platz. Als spaßige Angelegenheit sollte man Euphoria nicht ansehen!«
Abwehrend hob Edward die Hände. »Ist ja schon gut – so habe ich es nicht gemeint.« Er schüttelte kaum merklich den Kopf und sah sich auf der Wiese des Akademiegeländes um, während Adrian weitersprach.
»Gestern war ich wie betäubt als meine Mentorin mir alles erklärt hat. Ich hielt es zuerst für einen schlechten Scherz, dann für eine Verschwörung. Ihr könnt David fragen, er hat mich in diesem Zustand kennengelernt. Er war es schließlich, der mich etwas beruhigen konnte. Und eine Nacht drüber zu schlafen war das Beste, was mir passieren konnte. Heute Morgen war ich viel entspannter und mittlerweile habe ich keine Angst mehr, jemand könnte uns nur etwas vorspielen um ein dunkles Vorhaben zu vertuschen.«
»Ich kann mir das Ganze noch nicht richtig vorstellen«, warf Violet nun ein. »Ich bin erst vierzehn Jahre alt – ein Teenie. Ich habe gar nicht genug Lebenserfahrung, um über andere Menschen zu wachen und sie in gefährlichen Situationen zu beschützen. Wie das funktionieren soll, ist mir momentan noch ein Rätsel.«
»Ach, das wird schon«, versuchte Sally die Stimmung wieder aufzulockern. »Julius hat doch gesagt, der Stoff wird so lange durchgekaut, bis alle aus dem Ausbildungsjahrgang bereit sind. Und wenn wir mit Savers und älteren Neuankömmlingen zusammenarbeiten, dann wirst du die fehlende Lebenserfahrung ganz schnell aufgeholt haben – glaub' mir. Hier soll doch jeder jedem helfen, wenn ich das richtig verstanden habe.«
»Apropos«, ergriff nun David wieder das Wort. »Was waren die gefährlichsten Erlebnisse eures Lebens? Ich habe von einer Mutprobe im Ferienlager erzählt, als ich mit ein paar Jungs von einer Klippe in einen See gesprungen bin und dabei haarscharf einen unter Wasser liegenden Stein verfehlt habe.«
Sally betrachtete ihn mit vor Erstaunen geweitetem Mund. »Wie bitte? Wieso weiß ich denn nichts davon? Ich habe diese Situation erzählt, als ich einmal im Freibad unter der Rutsche durchtauchen wollte und dabei mit meinem Badeanzug an einer Kante hängengeblieben bin. Ich habe gepaddelt und gepaddelt, aber ich konnte mich nicht losreißen. Langsam ging mir die Luft aus – ich habe eine gefühlte Ewigkeit da unten gehangen. Keine Ahnung wie ich es geschafft habe, wieder aufzutauchen – ich denke mal, dafür war mein Saver verantwortlich. Aber das habe ich dir wenigstens erzählt, Bruderherz«, sagte sie mit anklagendem Ton. Dieser zuckte jedoch nur mit den Schultern und blickte abwartend auf Edward. Allerdings hatte Edward gar nicht mitbekommen, um was es mittlerweile ging. Abwesend stand er neben Sally und sah sich um.
»Edward?«, fragte David. »Was für eine Situation hast du eben im ersten Unterricht geschildert?«
Verwirrt riss Edward den Kopf herum und starrte David an. »Wie? Was? Ähm, entschuldigt mich bitte, ich habe da jemanden gesehen.« Mit diesen Worten verließ er den kleinen Kreis und ging lächelnd auf eine hübsche blonde Frau zu, die ebenfalls in Sallys Reihe gesessen hatte. Leicht verärgert blickten die anderem ihm hinterher.
»Naja«, sagte Adam schließlich. »Dann mach' ich mal weiter. Als ich ungefähr acht Jahre alt war, war ich mit meinen Eltern im Auto unterwegs, um meine kleine Schwester bei meinen Großeltern abzuholen. Meine Mutter war gerade mit meiner anderen Schwester schwanger. Wir standen an einer Ampel, es wurde grün, und mein Dad fuhr los. Kaum waren wir auf der Kreuzung, da hörten wir ein Quietschen und dann krachte ein Truck seitlich in unseren Kofferraum. Unser Auto wurde herumgeschleudert und gegen den Truck katapultiert, während er schlitternd zum Stehen kam. Ich bekam einen riesigen Schreck und weinte hysterisch, doch außer einem Schleudertrauma hatte keiner von uns dreien sich ernsthaft verletzt, auch meiner ungeborenen Schwester ist nichts zugestoßen. Im Nachhinein ist es schockierend, wie knapp das war. Ich saß auf der Rückbank - nur wenige Zentimeter weiter vorne und der Truck hätte mich erwischt. Unglaublich tolle Leistung von meinem Saver!« Anerkennend hob er den rechten Daumen und blickte verträumt zu Boden.
Violet berichtete von einem Turnunfall, bei dem sie als fünfjährige durch ein falsch eingestelltes Sprungbrett zu weit geflogen war und nach einem Salto über ein Pauschenpferd neben der Matte gelandet war, und zwar auf dem Nacken. Adrian erzählte von seinem Stapler-Unglück, und kaum dass er geendet hatte, kam auch schon Elaine, um ihn zu seiner ersten Praxisphase abzuholen. Adam und Violet sahen ihre jeweiligen Mentoren von weitem ebenfalls suchend über den Rasen laufen und gingen ihnen entgegen. So blieben nur noch David und Sally übrig.
»Also noch einmal«, fing Sally an. »Warum hast du mir nichts von dieser seltsamen Mutprobe an dem See erzählt? Das war vielleicht eine bescheuerte Idee, einfach von den Felsen zu springen!«
»Und genau deswegen habe ich es dir nicht erzählt«, entgegnete David. »Es war eine dämliche Idee und ich hätte mich von den anderen nicht so beeinflussen lassen dürfen. Ich wollte dir immer ein gutes Vorbild sein, und wenn du gehört hättest, dass ich einfach so in einen trüben See gesprungen bin, hättest du vielleicht beim nächsten Mal auch etwas total Hirnrissiges gemacht. Das habe ich zumindest vermutet und ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du dich in Lebensgefahr begeben könntest. Also habe ich es vor dir verheimlicht. Aber du kannst mir glauben, es war verdammt schwer, Sally. Ansonsten haben wir uns immer alles erzählt – es war wie eine Folter für mich, dir etwas verschweigen zu müssen.« Schuldbewusst blickte er auf den Boden.
Sally schnaubte. »Naja – jetzt ist es sowieso vorbei. Ach übrigens: Ich habe Cathy nicht bei den Neuankömmlingen gesehen. Du?«
»Nein, leider nicht. Vielleicht ist sie noch in den vorigen Ausbildungsjahrgang gerutscht, während wir noch ein paar Monate sozusagen geruht haben. Oder sie ist regional woanders eingesetzt. Dass sie nicht genommen wurde, kann ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen...«
»Ich mir auch nicht«, stimmte Sally zu. »Allerdings kann ich es mir bei Jake ganz gut vorstellen. Und ich bin auch sehr froh, dass ich ihn hier nicht gesehen habe. Auf dieses Wiedersehen hätte ich ganz und gar keine Lust!«
»Sal«, setzte David an. »Meinst du wir schaffen das? Es ist so viel Verantwortung. Wir haben dann das Leben eines Menschen in der Hand.«
»Aber sie haben uns doch aus einem guten Grund ausgewählt. Wenn sie es uns nicht zutrauen würden, dann hätten sie uns nicht nach Euphoria geholt. Meine Prophezeiung wurde von Julius aufgesagt, das wollte ich dir vorhin mit meinen Gesten im Hörsaal verdeutlichen. Er sagte ›Das Ende der Ausbildung wird für dich nicht einfach. Knie' dich rein und bleibe auf dem rechten Pfad, dann wird alles gut werden‹. Klingt so gar nicht nach mir, oder? Ich war immer eine gute Schülerin!«
»Schon, aber hier geht es mehr um die Praxis«, entgegnete David. »Das hört sich doch nicht schlecht an. Meine lautete ›Ich sehe Unruhe in deiner Zukunft. Deine Emotionen können dir zum Verhängnis werden. Halte dich von deiner Familie fern‹. Der erste Teil mit der Unruhe kann alles Mögliche bedeuten. Und ob ich mich von meiner Familie fernhalten sollte, kann ich immer noch selbst entscheiden, finde ich. Aber der Part mit meinen Emotionen macht mir ehrlich gesagt ein wenig zu schaffen. Ich mache mir auch Vorwürfe wegen dem Unfall-Abend. Auch wenn es Jake war, der die Kontrolle über sein Auto verloren hat, war ich doch viel zu emotional aufgeladen, als dass ich hätte Autofahren dürfen. Ich habe Cathy in Gefahr gebracht und alle anderen, die zu dieser Zeit am Verkehr teilgenommen haben.«
In seinen Augen sah Sally, dass ihr Bruder sehr sauer auf sich selbst war. Sanft packte sie ihn an beiden Armen und sah ihm fest in die Augen. »Und trotzdem wurdest du ausgewählt. Du warst nicht Schuld an dem Unfall. Und du warst nur so aufgebracht, weil du dir Sorgen um mich gemacht hast, stimmt's?« Sie ließ ihn los.
Dann hellte sich ihre Miene auf. »Ach übrigens, Violet steht auf dich. Sie hat mir gleich nach ein paar Minuten anvertraut, dass sie schon ein paar süße Typen entdeckt habe, und hat dann auf dich gezeigt.«
»Hast du deswegen bei deiner Vorstellung verschwiegen, dass wir Zwillinge sind?«, fragte David.
Sally kicherte und nickte. »Ich wollte unbedingt ihren Blick sehen, wenn sie es herausbekommt. Wie findest du sie?«
David zog die Augenbrauen hoch. »Wie soll ich sie schon finden? Sie ist viel zu jung. Außerdem bin ich mit Cathy zusammen.«
»Na und – das hier ist ein neues Leben. Vielleicht ist Cathy gar nicht bei dem Unfall gestorben. Meinst du, sie sitzt jetzt wie eine Nonne zuhause und sucht sich keinen anderen Freund?«
Ärgerlich funkelte David seine Schwester an. »Wie kannst du es wagen? Cathy ist der loyalste Mensch, den es gibt.«
»Ja, aber du bist tot«, entgegnete Sally und sah ihm dabei fest in die Augen. »Wieso muss sie wegen einer Tennie-Liebe ihr ganzes Leben lang auf Männer verzichten?«
David wollte etwas entgegnen aber Sally hob die Hände, zum Zeichen dass es nun reichte.
»Aber schon gut, ich habe es nicht böse gemeint. Konzentriere dich lieber auf deine erste Praxisphase. Und noch einmal zu deinem Mentor: Er ist wirklich eine sehr imposante Erscheinung, um es mal so auszudrücken. Ich habe ihn vorhin beobachtet, während Julius gesprochen hat. Er wirkt so unglaublich gelassen und ausgeglichen. Hoffentlich gibt er auch mal Unterricht bei uns.«
David nickte. »Ja, ich glaube, ich habe es echt gut getroffen mit ihm. Vor allem bin ich gespannt, was er außer Erklären noch drauf hat, deswegen kann ich es kaum erwarten, bis es los geht...«
Wie aufs Stichwort traten Ephraim und Amanda aus dem Nebel am Rande des Rasens. Sie blickten sich suchend um, bis Amanda die Zwillinge entdeckten und Ephraim die Richtung zeigte. Langsam setzten sie sich in Bewegung und unterhielten sich dabei.
»Na dann mal los«, seufzte Sally und lächelte den beiden Mentoren entgegen. Mit träumerischem Blick plapperte sie vor sich hin. »Meinst du wir dürfen gleich schon selbst etwas machen? Hoffentlich ist es so spannend, wie ich es mir gerade vorstelle. Aber es kann ja nicht jeden Tag etwas passieren – das weiß man ja von seinem eigenen Leben. Zumindest würde ich sagen, dass mein Schutzengel nur hin und wieder etwas zu tun hatte.«
»Seid ihr bereit?«, rief Ephraim ihnen entgegen und strahlte. »Bei jedem meiner Lehrlinge erinnere ich mich immer wieder gerne an meine erste Praxisphase zurück.« Abwesend schaute er bei diesen Worten an ihnen vorbei. »Ich war richtig hibbelig. Naja wobei – ich war sowieso wegen den vielen neuen Eindrücken vollkommen aufgedreht. Ich glaube, mein Mentor hatte es damals nicht leicht mit mir. Und zwar war es Julius, bevor er seinen Posten im Ältestenrat annahm.« Er zwinkerte David und Sally zu. Dann wandte er sich an Amanda. »Sollen wir noch gemeinsam zum Sichten teleportieren?«, fragte er sie.
Die Zwillinge konnten mit dem Wort ›Sichten‹ nicht viel anfangen, Amanda jedoch nickte lächelnd.
»Na dann – auf geht’s!«, rief Ephraim und ging vor, wieder in Richtung Nebel, aus dem Amanda und er erst wenige Augenblicke zuvor erschienen waren.
»Wie hat dir der erste Unterricht gefallen?«, fragte Ephraim mit einem Seitenblick auf seinen Lehrling.
David nickte und blickte ihn ebenfalls an. »Die Aufgabe, die Julius uns gegeben hat, war sehr simpel, aber sie hat uns einen guten ersten Eindruck davon gegeben, in welchen Situationen Schutzengel zum Einsatz kommen. Sally und ich haben zu den Menschen gehört, die schon immer das Gefühl hatten, dass es jemanden gab, der auf uns aufgepasst hat. Jemanden, den man nicht sehen kann, der aber immer über uns wacht. Ich hoffe sehr, wir werden nach unserer Ausbildung unsere Sache auch so gut machen, wie ihr alle.«
Ephraim runzelte bei dieser Aussage leicht die Stirn, doch er ging nicht darauf ein, denn sie waren nun am Rande der Wiese angekommen.
»Es freut mich, dass du einen positiven ersten Eindruck von der Ausbildung hast.« Er legte David seine Hand auf die Schulter. »Jetzt kommen weitere neue Eindrücke auf euch zu, die es zu verarbeiten gibt«, sagte er, und der Nebel verdichtete sich.