Читать книгу Savers - und es gibt sie doch - Rabea Blue - Страница 11

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Julius ging zu der Tür, öffnete sie und deutete auf die Mentoren, als wolle er sie präsentieren. Die Neuankömmlinge applaudierten während die Mentoren den Raum verließen. Dann waren sie mit Julius alleine. Aus einer Ecke des Raumes holte er einen Stuhl hervor und stellte ihn in die Mitte des Sandkreises.

Louis in der ersten Reihe meldete sich.

»Wo bekommen wir Papier und Stift, damit wir uns Notizen machen können?«, fragte er, als Julius auf ihn gedeutet hatte.

Der Älteste schüttelte mit dem Kopf. »Was ihr hier lernt, muss euch in Fleisch und Blut übergehen. Es gibt keine schriftlichen Prüfungen bei uns. Das Einzige was überprüft wird, ist, ob ihr das Gelernte in der Praxis umsetzen könnt. Keine Sorge, wir werden alles so oft wiederholen, wie es notwendig ist. Das Meiste im Unterricht zu Gefahrensituationen solltet ihr euch selbst herleiten können, beziehungsweise in Diskussionen erarbeiten.«

Louis wirkte enttäuscht, nickte jedoch zustimmend, allerdings schien er nicht zu wissen, was er ohne einen Stift in der Hand mit seinen Händen anfangen sollte.

»So, liebe Neuankömmlinge. Ihr alle wart schon einmal in einer brenzligen Situation. Einige von euch sind durch solch eine Situation hier gelandet. Denkt doch bitte einmal an solch einen Moment. Versucht euch zu erinnern, wie ihr euch damals gefühlt habt. Gab es Anzeichen dafür, dass es gefährlich werden könnte? War es eventuell sogar von euch beabsichtigt? Beispielsweise wenn ihr als Kind eine Mutprobe gemacht habt, dann wolltet ihr den Nervenkitzel. Dass es gefährlich ist, war euch egal, wahrscheinlich habt ihr erst Jahre später realisiert, dass ihr euch dabei den Hals hättet brechen können. Oder aber ihr wart in Gefahr, weil ihr euch in die Hände einer dritten Person begeben habt. Ein Beispiel dafür wäre ein Busfahrer, der übermüdet fährt und somit das Leben seiner Insassen, als auch von allen anderen Verkehrsteilnehmern riskiert. Bei vielen solcher Situationen sagen die Menschen nachher: ›Puh, das war knapp!‹, doch in Wirklichkeit waren wir Savers am Werk und konnten ein Unglück verhindern.

Denkt bitte einmal an die Situation, die ihr spontan als die gefährlichste eures Lebens einschätzen würdet. Ich möchte, dass ihr euch gleich pro Sitzreihe zusammensetzt – wenn ich das richtig sehe, haben wir dann jeweils ein bunt gemischtes Team verschiedener Altersklassen.

Teilt euren Gruppenmitgliedern die Gefahrensituation mit, die ihr gerade vor Augen habt. So bekommt ihr ein breites Spektrum an Beispielen geliefert, wann Savers im Einsatz sind. Im Anschluss trägt einer aus eurer Gruppe eine eurer gesammelten Gefahrensituationen vor und wir sehen uns an, wie der jeweilige Saver die Situation bewältigt hat.

Also, bitte setzt euch jetzt mit den anderen in eurer Sitzreihe zusammen und tauscht euch aus. Lasst jeden ausreden und versucht euch die Situationen der anderen vorzustellen.«

Während David noch rätselte, wie sie sich wohl die Arbeit der Savers an vergangenen Situationen ansehen würden, wurde es bereits unruhig im Saal und so suchte er schnell nach einer Situation seines Lebens, die leicht hätte schief gehen können. Als er fertig mit Überlegen war, sah er sich in seiner Sitzreihe um.

»Sollen wir uns irgendwo eine ruhige Ecke suchen?«, fragte er in die Runde.

Als hätte Julius diese Frage gehört, erhob er noch einmal die Stimme. »Ihr könnt euch auch nach draußen zurückziehen, wenn ihr möchtet. Ich gebe euch Bescheid, wenn die Zeit vorbei ist.«

Bis auf Davids und einer anderen Gruppe folgten alle diesem Vorschlag. David, Adrian und ihre Sitznachbarn versammelten sich auf einer Seite des Raumes und bildeten einen Kreis, verteilt über mehrere Sitzreihen, sodass sich alle sehen konnten. Dann fing einer nach dem anderen an zu erzählen, welche gefährliche Situation er oder sie erlebt hatte. Es begann ein Mann Anfang Vierzig namens Dan.

»Bei der Vorstellung eben habt ihr ja schon mitbekommen, dass ich Extremsportler und professioneller Stuntman war. Deswegen weiß ich gar nicht wo ich anfangen soll – mein ganzes Leben hat aus gefährlichen Situationen bestanden. Ich habe die meisten bewusst herbeigeführt, um nicht zu sagen geplant. Ständig war ich am Limit – Bungeespringen, Fallschirmspringen, Big Wave Surfing. Sogar schon als Jugendlicher habe ich solche Sachen gemacht wie mit dem Motorrad auf einen Abgrund zuzufahren und erst kurz vorher den Lenker umzureißen. Das war hin und wieder ganz schön knapp gewesen. Jetzt wo ich weiß, dass immer jemand dabei war, der auf mich aufgepasst hat, habe ich fast schon ein schlechtes Gewissen, dass ich meinen Saver so auf Trab gehalten habe«, lachte er. »Wenn ich an meine gefährlichste Aktion denke, dann war das mein letzter Sprung mit dem Wingsuit. Wer es nicht kennt, das ist ein Anzug, der so ähnlich aussieht wie das Fell von diesen Flughörnchen, die bestimmt jeder schon mal im Fernsehen gesehen hat. Zwischen den Beinen und zwischen Armen und Rumpf ist Stoff, und wenn man sich zum Beispiel von einem Hochhaus herunterstürzt, dann kann dieser Anzug die Fallgeschwindigkeit verringern. Wenn man es geschickt anstellt, fühlt man sich so, als würde man fliegen. Tja, und genau mit solch einem Anzug bin ich von einem Berg gesprungen. Die Aussicht war toll, es war ein unbeschreibliches Gefühl, dem Tal in rasendem Tempo entgegenzukommen – allerdings habe ich irgendwie das Lenken vernachlässigt oder es kam zu viel Wind von der Seite – ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, voran es lag. Auf jeden Fall bin ich auf eine Felsnadel zugesteuert und nur wenige Zentimeter daran vorbeigeflogen. Auch wenn ich den Nervenkitzel wollte, bei dieser Geschwindigkeit wäre ich nach einem Aufprall trotz Helm tot oder zumindest sehr schwer verletzt gewesen. Ich bin heil unten angekommen, doch danach habe ich nie wieder einen Sprung mit dem Wingsuit gewagt. Allerdings war das auch nur wenige Monate vor meiner Blutvergiftung, die mich schließlich hierher gebracht hat.«

So erzählte nach und nach jeder aus der Gruppe von seinen Erlebnissen. Schließlich waren nur noch drei Neuankömmlinge übrig: David, Adrian und ein junges Mädchen namens Jenny. Sie spielte mit ihren Zöpfen während sie von ihrer Gefahrensituation erzählte.

»Ich musste nicht lange überlegen, welche Situation für mich die gefährlichste war – ich bin nur vierzehn Jahre alt geworden und habe zum Glück nicht viel Auswahl an einschneidenden Ereignissen. Als ich zehn Jahre alt war, wurde ich von meiner Mutter zum Einkaufen geschickt. Auf dem Nachhauseweg nahm ich eine Abkürzung über ein verlassenes Grundstück, auf dem überall Reste von abgerissenen Häusern herumlagen. Auf einmal stand ein Hund vor mir. Er hatte kein Halsband und es war niemand in der Nähe, der sein Herrchen hätte sein können. In meiner Erinnerung war er riesig und er stand nur wenige Meter von mir entfernt und knurrte mich an. Erst versuchte ich ganz ruhig weiterzugehen, doch er griff mich an. Vor lauter Schreck ließ ich die Einkaufstasche fallen, schnappte mir einen Stock, der in der Nähe auf dem Boden lag, und schlug nach ihm. Dadurch wurde er noch wütender und er schlug seine Zähne in meinen Arm. Ich habe kein Gefühl dafür, wie lange diese Situation gedauert hat – mir kam es wie Stunden vor. Aber schließlich ließ er von mir ab, als ich anfing ihn auf den Kopf zu schlagen, und ich lief heulend und blutend nach Hause. Als meine Mum mir die Tür öffnete, wollte ich ihr sofort um den Hals fallen, doch sie schob mich von sich weg und fragte warum ich so dreckig sei und was mit dem Einkauf passiert sei. Als ich alles erklärt hatte, fuhr sie mich zwar sofort ins Krankenhaus, war aber weiterhin stinksauer auf mich, so als hätte ich mich mit Absicht von diesem wilden Hund beißen lassen. Ihr seht also – gleich zwei traumatische Erlebnisse für so ein kleines Mädchen. Diejenige, in der mein Schutzengel gute Arbeit geleistet hat, war allerdings die mit dem Hund«, zwinkerte sie in die Runde und deutete dann in Davids Richtung, dass er anfangen könne.

»Wow, das ist wirklich eine sehr bunte Mischung hier«, begann er. »Gegen die meisten Geschichten wirkt mein Erlebnis fast schon einfach für meinen Saver, der damals für mich zuständig war. Es war in einem Feriencamp, in dem meine Zwillingsschwester und ich mit ungefähr dreizehn gewesen sind. Ich hatte mich mit ein paar Jungs angefreundet und als uns eines Tages langweilig war, schlichen wir uns von dem Gelände und entdeckten eine Felswand, von der aus man eine tolle Aussicht über die Umgebung und vor allem über den nahegelegenen See hatte. Man konnte sogar direkt von den Felsen hineinspringen, und das wollten wir in unserem jugendlichen Leichtsinn auch tun, sozusagen als Mutprobe. Doch so wirklich traute sich keiner von uns, den Anfang zu machen, also überwand ich mich letztendlich und sprang als Erster. Das Gefühl war toll, jedoch war das Eintauchen ein Schock. Es tat weniger weh, als ich erwartet hatte, doch ich tauchte direkt neben einem riesigen, im Wasser liegenden Felsbrocken ein. Vor Schreck stieß ich meine ganze Luft aus und kam hustend und keuchend an die Oberfläche. Die anderen johlten und applaudierten von oben, doch ich fing sofort an zu schreien, sie sollen nicht von der Klippe springen, dass es viel zu gefährlich sei, weil es unter Wasser Steine gebe, die man von oben nicht sehen könne. Und so konnte ich Schlimmeres verhindern. Nicht auszudenken was alles hätte passieren können, wenn ich nur wenige Zentimeter weiter nach rechts gesprungen wäre.« Mit leerem Blick hing er seinen Gedanken nach, während alle anderen ihn ansahen und sich die Situation vorzustellen versuchten.

Nach ein paar Sekunden räusperte sich Adrian verlegen.

»Tja, dann bin ich wohl der Letzte. Meine Gefahrensituation ereignete sich im Supermarkt, als ich gerade meinem Nebenjob nachging: Regale einräumen. An diesem Tag hatten sich viele Kollegen krank gemeldet, unter anderem auch unser Gabelstapler-Fahrer im Lager. Mein Chef sagte, ich solle mich mit dem Stapler vertraut machen, das könne schließlich nicht so schwer sein. Nach ein paar Versuchen ging es wirklich gut, und so fing ich an, die neu gelieferten Paletten durch das Lager zu fahren. Später habe ich erfahren, dass man genau darauf achten muss, wie schwer man etwas mit Waren belädt, doch in diesem Moment war ich so euphorisch, dass ich dieses Ding steuern konnte, dass ich über physikalische Gesetze kein bisschen nachdachte. Es kam, wie es kommen musste: Als ich eine Palette auf ein ohnehin überladenes Regal stellte, krachte es ein und es fielen etliche Waren auf mich herab. Die Karosserie des Gabelstaplers hat das Schlimmste verhindert und ich war bis auf ein paar Kratzer und blaue Flecken noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen. Doch es hätte auch böse enden können.«

Dann herrschte Schweigen. Alle blickten vor sich auf den Boden oder sahen in die Runde. Dann ergriff einer der älteren Neuankömmlinge das Wort: »Das sind durchweg spannende Erlebnisse. Für welche Situation sollen wir uns entscheiden, wenn Julius uns die zugehörige Savers-Aktion zeigen will?«

Wie auf Kommando öffnete sich die Flügeltür und Julius kam mit ein paar Neuankömmlingen der Gruppen hinein, die den Raum zum Diskutieren verlassen hatten. Schnell beschloss Davids Gruppe, dass sie Dans Geschichte nehmen würden. Als sie sich gerade auf ihre ursprünglichen Plätze setzten, kamen weitere der anderen Gruppen herein und wenig später waren alle wieder versammelt. Julius ergriff das Wort, während er seinen Stuhl aus dem Sandkreis herausnahm und an die Wand stellte.

»Jede Rettungsaktion eines jeden Savers können wir rekonstruieren. Es ist nicht so, dass wir alles rund um die Uhr per Video aufzeichnen, aber in Euphoria ist es möglich, über Hologramme vergangene Situationen anzusehen.«

Er legte ein kleines rundes Gerät in die Mitte des Sandplatzes, drückte ein paar Knöpfe darauf und trat einen Schritt zurück. Kurz darauf erschien ein Hologramm, ein Bild von Julius auf der Erde. Er saß auf einer Kutsche und hatte die Zügel zweier Zugpferde in der Hand. Man konnte erkennen, dass die Kutsche dicht neben einer Steilwand entlangfuhr. Auf einmal zoomte das Bild heraus und riesige Gesteinsbrocken stürzten auf Julius und seine Kutsche herab. Dann erschien aus dem Nichts ein Saver mit silbernen Flügeln und flog pfeilschnell durch die Steine hindurch. Jeden, der auf Julius zu fallen drohte, rempelte der Saver im Fliegen an und nur so wurde Julius nicht getroffen. Er und seine Pferde kamen unverletzt am Ende der Steilwand an.

Als das Hologramm verschwand, trat Julius wieder an das Gerät heran und sah die Klasse an.

»Dies war eine meiner gefährlichsten Situationen, als ich noch auf der Erde weilte. Und mein Saver hat gute Arbeit geleistet. Wie ihr sehen konntet, hat er sich mit ganzer Kraft gegen die herabfallenden Steine geworfen, um zu verhindern, dass sie mich treffen. Diese Hologramme gehören zwar eigentlich eher in den Unterricht ›Rettungsmethoden‹, aber um euch einen besseren Einblick in die Welt der Schutzengel zu verschaffen, ist es für den ersten Tag recht hilfreich, wie ich finde.

Nun werde ich die einzelnen Arbeitsgruppen nacheinander aufrufen und dazu auffordern, eine der besprochenen Gefahrensituation vorzutragen. Anschließend sehen wir uns das entsprechende Hologramm an, bei dem der Saver die Situation entschärft hat. Beginnen wir doch dieses Mal hinten in der letzten Reihe.«

Aus jeder Gruppe erhob sich ein Neuankömmling, dessen Gefahrensituation vorher gemeinschaftlich bestimmt worden war. Er schilderte die Situation, woraufhin Julius etwas auf dem kleinen Gerät auf dem Sand einstellte. Nach der Erzählung erschien das dazugehörige Hologramm, bei dem die Klasse gebannt auf ihren Plätzen saß – mucksmäuschenstill. Die Vorstellung von Schutzengeln an sich war schon faszinierend gewesen, aber welche in Aktion zu sehen war überwältigend. David fühlte sich jedes Mal, wenn ein Hologramm endete, wie aus einem Traum gerissen.

Neben Dans Wingsuit-Sprung, bei dem sein Saver mit seinen Flügeln einen Seitenwind erzeugt hatte, der Dan genau um die benötigten Zentimeter seitlich abgebracht hatte, sahen sie einen Autounfall, bei dem die Savers-Frau sich im Auto vor ihren Schützling legte, sonst hätte er trotz Airbag schwere Schäden davongetragen. Außerdem war ein Mann dabei, der mal von einem Krokodil gebissen worden war, und nur weil sein Saver mit aller Kraft das Maul des Tieres versucht hat aufzuhalten, musste der Arm nicht amputiert werden. Die nervenaufreibendste Gefahrensituation jedoch war die einer ehemaligen Polizistin. Sie war bei einem Undercover-Einsatz aufgeflogen und die Verbrecher hatten sie übel zugerichtet und gefoltert. Da es erst der Beginn der Ausbildung war und viele Minderjährige unter den Neuankömmlingen waren, zeigte Julius hierbei nur ausgewählte Szenen dieses Vorfalls. Es wurde deutlich, dass meist nur kleine aber gezielte Eingriffe der Savers reichten, um eine Situation so zu verändern, dass nichts schlimmes passierte.

Als jede Reihe eine Situation vorgetragen hatte, schaltete Julius das Hologramm-Gerät wieder ab und steckte es in eine Tasche in seinem Umhang.

»Nun, das war eure erste Ausbildungs-Stunde. Vergesst nicht, welche Bandbreite an gefährlichen Situationen ihr soeben gehört und gesehen habt – später in den Unterrichts-Stunden ›Rettungsmethoden‹ werdet ihr euch oft daran erinnern.

Aber genug geredet – jetzt habt ihr erst einmal eine Weile Freizeit. In ungefähr einer Stunde werden eure Mentoren euch auf der Wiese vor dem Gebäude abholen und euch mit zu ihrem Alltag bei den Schützlingen nehmen. So lange könnt ihr euch auf dem Akademiegelände vollkommen frei bewegen. Viel Spaß bei eurer ersten Praxisphase und bis morgen«, grinste Julius, nahm ein paar Papiere von dem Rednerpult in die Hand und verließ den Raum, während die Neuankömmlinge höflich klatschten.

Savers - und es gibt sie doch

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