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Glaubenstaufe
ОглавлениеAlles Wasser hat ein perfektes Gedächtnis und versucht
immer wieder dorthin zurückzukehren, wo es war.
Toni Morrison
Ich wurde von meinem Vater getauft. Seine Gegenwart neben mir in dem hüfthohen Wasser des Taufbeckens war nur einer von vielen Vorteilen, die es mit sich brachte, wenn man einen Vater hat, der zwar ordiniert ist, aber kein Pastor und der so an meinem geistlichen Leben teilhaben kann, ohne es zu ruinieren. Die Erwartungen an die Tochter eines Bibelschullehrers sind viel geringer als an eine Pastorentochter, das kann ich euch sagen. Meistens ging es darum, dass mir in der Sonntagsschule freundlich angedeutet wurde, ich könnte doch ein paar meiner vielen Fragen an die eine Person in meinem Leben richten, die Althebräisch spricht und mir beim Frühstück bestimmt genau erklären könne, wie Gott es fertiggebracht hat, das Licht vor der Sonne zu erschaffen.
Deshalb glaubte ich meinem Vater meistenteils, wenn er mir versicherte, ich würde nicht in die Hölle kommen, wenn ich mit meiner Taufe wartete, bis ich beinahe 13 war. Meistenteils. Ich wusste, dass ich die Grenzen des „zurechnungsfähigen Alters“ strapazierte, also den Punkt, an dem Kinder nicht mehr gratis bei O’Charley’s essen dürfen oder in Abhängigkeit von der Rechtschaffenheit ihrer Eltern in den Himmel kommen, und ich wusste, dass manche Christen glauben, man müsse getauft sein, um errettet zu werden. Ein Klassenkamerad in der fünften Klasse hatte mir eine rasante Einführung in die Welt der unterschiedlichen Denominationen beschert. Man hatte mich darüber informiert, dass ich, obwohl ich Jesus schon im Kindergarten in mein Herz eingeladen hatte, trotzdem den Deal besiegeln und mich zügig taufen lassen müsste, bevor ein Autounfall oder ein Absturz von der großen Rutsche mich geradewegs zum Teufel befördern könnte.
„Mein Pastor sagt, man muss erst mit Wasser getauft werden, bevor man vom Heiligen Geist getauft werden kann“, erklärte mir der Junge wie ein Allgemeinmediziner, der einen zum Spezialisten verweist. Ein Allgemeinmediziner, der gerade am Klettergerüst hangelte, wohlgemerkt. „Du solltest dich wohl besser darum kümmern.“
„Na und? Mein Papa war auf dem theologischen Seminar, und er sagt, man muss nicht getauft sein, um in den Himmel zu kommen“, feuerte ich zurück.
(Ich sollte vielleicht erwähnen, dass ich eine christliche Grundschule besuchte, wo Sprüche wie „Die Hermeneutik von meinem Papa ist viel toller als wie die von deinem Papa“ anerkannter Schulhofschnack waren.)
Viele Kinder auf der Parkway Christian Academy gingen in die Pfingstgemeinde auf der anderen Straßenseite. Wenn nach Gebetsanliegen gefragt wurde, erzählten sie himmlische Geschichten von Dämonen, die sich nachts in ihre Kinderzimmer schlichen und das Licht anknipsten oder die Klospülung betätigten. Sie nahmen geistliche Kampfführung außerordentlich ernst und betrachteten meine Familie als sehr liberal, weil wir am Feiertag Satans Süßes oder Saures sammeln gingen. Mein Vater sagte, Dämonen seien in der Versuchungsbranche unterwegs und nicht in der Klospülliga. Aber seine Versicherungen hielten mich nicht davon ab, an manchen Abenden zitternd unter meiner Bettdecke zu liegen, wo ich mich nicht traute, die Augen zu öffnen und mich der zähen Präsenz zu stellen, die ich spüren konnte und von der ich wusste: Das muss einfach ein gefallener Engel sein, der nur darauf wartet, sich eines kleinen Mädchens zu bemächtigen, das an Halloween nach Süßigkeiten gefragt und sich nicht rechtzeitig um seine Taufe gekümmert hat. Als ich langsam in das zurechnungsfähige Alter kam, hatte ich ausreichend unterschiedliche Lehrmeinungen innerhalb der Kirche mitbekommen, sodass ich auf Nummer sicher gehen wollte. Deshalb arbeitete ich immer mehr Fragen in unsere theologischen Debatten am Abendbrottisch ein, in der Hoffnung, meine Eltern mochten einen Termin mit dem Pastor vereinbaren. Als ich erfuhr, dass manche Kinder getauft werden, bevor sie ihren ersten Zahn bekommen, war ich unglaublich neidisch.
Unsere Gemeinde glaubte an die Bibel, also praktizierten wir die Taufe durch Untertauchen. Glaubenstaufe nannten wir das. Hätten wir im 16. Jahrhundert in der Schweiz gelebt, wären wir für diese Überzeugung umgebracht, symbolisch ertränkt oder vielleicht auch verbrannt worden von anderen Protestanten, die die „Wiedertaufe“ der radikalen Reformer als Ketzerei betrachteten (Fun Fact: In den auf die Reformation folgenden Jahrzehnten wurden mehr Christen von anderen Christen in den Märtyrertod geschickt als im Römischen Reich6). Wäre ich in eine orthodoxe Familie hineingeboren worden, hätte man mich als Kleinkind dreimal nacheinander untergetaucht – erst im Namen des Vaters, dann im Namen des Sohnes und dann noch einmal im Namen des Heiligen Geistes –, bevor man mich, verwirrt und spuckend, in die Arme eines Paten gelegt hätte. Wäre meine Familie katholisch, hätte ich ein weiches, weißes Taufkleid getragen, und ein Priester hätte mir Weihwasser über meine Babyglatze gegossen, um die Befleckung der Ursünde abzuwaschen. Wären wir Mormonen gewesen, hätten zwei Zeugen an den Seiten des Taufbeckens gestanden, um sicherzugehen, dass auch wirklich mein ganzer Körper untergetaucht wurde. Wären wir Presbyterianer, hätten ein paar Spritzer gereicht, die meinen Platz in der Bundesfamilie symbolisierten. Während es Meinungsverschiedenheiten bezüglich der richtigen Form der Taufe noch und nöcher gibt, ziehen es Christen heutzutage glücklicherweise immerhin vor, sich gegenseitig nur mit bösen Blicken zu bedenken anstatt mit dem Scheiterhaufen.
Ich glaube, das spielt alles gar keine so große Rolle. Das Wort Glaubenstaufe scheint mir sowieso eine Fehlbezeichnung zu sein, weil der Begriff weit mehr Willenskraft suggeriert, als die meisten von uns unter diesen Umständen aufbringen. Ob du als Baby, das sich in den Armen eines nervösen Priesters windet, nass gemacht wirst oder als Erwachsener, der von einem Erweckungsprediger untergetaucht wird, du tust es jedenfalls in den Händen derer, die dich zuerst zum Glauben führten, den Menschen, die dich Jesus vorgestellt haben – oder dich ihm vorstellen werden. „In der Taufe“, schreibt Will Willimon, „ist der Empfänger der Taufe genau das – ein Empfänger. Man kann sich schlecht selbst taufen. Sie wird an dir und für dich ausgeführt.“7 Es geht um eine Adoption, nicht um ein Vorstellungsgespräch.
Die Gemeinde, die mich adoptierte, saß in den Südstaaten, war evangelikal und, folgerichtig, verrückt nach American Football. Unter der Trainerschaft von Gene Stallings rollte die Alabama Crimson Tide auf ihre zwölfte National Championship zu. Deswegen waren die traditionellen Kirchenbänke der Bible Chapel in Birmingham am Sonntagmorgen nach einem Spieltag voller rotweißer Haarbänder, Krawatten, Sportjacken und Blusen – die heiligen Gewänder der zweiten großen Religion Alabamas (oder der ersten – kommt darauf an, wen man fragt).8 Es gab ein paar wenige Auburn-Fans in der Gemeinde, aber die waren fast so schwer zu fassen wie Demokraten. Wir versammelten uns unter einer Gewölbedecke aus Sandkiefernholz und blickten, wie gute Protestanten eben, auf eine schwere, schmucklose Kanzel. Es waren die 80er, deswegen riechen meine frühen Erinnerungen an Jesus alle nach Haarspray.
Damals hatte ich noch keine Vorstellung von Evangelikalismus als einer relativ modernen Ausdrucksform des Christentums, deren Wurzeln im Pietismus des 18. Jahrhunderts und in den großen amerikanischen Erweckungsbewegungen liegen. Stattdessen verstand ich evangelikal als ein Adjektiv, das bedeutungsgleich war mit „echt“ oder „authentisch“. Es gab Christen, und dann gab es eben noch evangelikale Christen wie uns. Nur den Evangelikalen war das Heil gewiss. Alle anderen waren lauwarm und liefen Gefahr, aus Gottes Mund ausgespuckt zu werden. Unsere katholischen Nachbarn waren verdammt. 900 Meilen entfernt war mein zukünftiger Ehemann in Princeton, New Jersey, dabei, beim Pinewood Derby an der Montgomery Evangelical Free Church Pokale zu gewinnen. Er hat den Namen der Schule viele Jahre lang als „frei von Evangelikalen“ verstanden, wie bei „zuckerfreier Kaugummi“. Er erinnert sich daran, wie er einmal seine Mutter gefragt hat: „Aber sind die Evangelikalen denn nicht die Guten?“ Wie früh wir doch lernen, unsere Stämme zu identifizieren.
Unser Pastor in der Bible Chapel – Pastor George – stammte aus New Orleans und ließ das die Welt mit seinem donnernden Bayou-Dialekt und den gold-lila gestreiften Krawatten auch merken. Er war stämmig, verspielt und ein echter Erzähler, dessen Lieblingsillustrationen in seinen Predigten sich um Fische drehten, die entwischten, oder um Alligatoren, die ihn beinahe bei lebendigem Leibe gefressen hätten. Meine Mutter neckte ihn manchmal nach den Gottesdiensten, er sei so schlimm wie die Gideons, eine Gruppe Bibelverteiler, deren Geschichten über wundersame Ereignisse mit der Bibel sie nie ganz glaubte (etwa die, in der ein Hund seinem obdachlosen Herrchen eine zerfledderte Bibel brachte, bevor er in dessen Armen starb).
Bis auf ein paar Ausnahmen habe ich alle von Pastor Georges berühmten Predigten verpasst, weil meine kleine Schwester Amanda und ich normalerweise in den Kindergottesdienst geschickt wurden, wenn die Ankündigungen, die Lieder und der musikalische Part vorbei waren. Meine Mutter ist Sonntagsschullehrerin in dritter Generation und rigorose Verteidigerin altersgerechter Lehre, die nur wenig Toleranz für Leute aufbringt, die ihre Kinder im Gottesdienst behalten und auf dem Kirchenblättchen herumkritzeln lassen, während der Prediger lang und breit über das stellvertretende Sühneopfer schwadroniert. Weil sie als Kind gezwungen wurde, genau das zu tun – oft drei- bis viermal die Woche, in einer strengen unabhängigen Baptistengemeinde –, machte sie unserem Vater und jedem anderen, der danach fragte, klar, dass wir nur zweimal die Woche zur Kirche gingen: einmal am Sonntagmorgen und einmal am Mittwochabend. Wir waren Konservative, keine Gesetzlichen.
Aber selbst als Kind lernt man recht schnell, dass Kirche nicht zu den im Schaukasten angegebenen Zeiten anfängt und aufhört. Nein, Kirche zog sich wie die letzte Schulstunde, während wir mit Dad im heißen Auto auf Mom warteten, die im Gemeindesaal noch Kontakte pflegte. Kirche begleitete uns in die in Gold getauchten Sonntagnachmittage unserer Kindheit, an denen Amanda und ich in unserer weißen Unterwäsche wie kleine Bräute durchs Haus tobten. Wenn die ganze Familie die Grippe hatte, klingelte die Kirche an der Tür und brachte Hähnchenauflauf vorbei. Manchmal rief sie noch nach Mitternacht an, um um Gebet zu bitten und zu weinen. Sie tratschte in der Abholzeit an der Schule und war freitagabends unser Babysitter. Sie neckte mich und zog mich an meinen Rattenschwänzen und lehrte mich singen. Die Kirche veranstaltete eine riesige Überraschungsparty zu Dads 40. Geburtstag und weihte mich vorher in das Geheimnis mit ein. Die Kirche kam viel öfter zu mir, als dass ich hinging, und darüber bin ich froh.
Angesichts des normalen Wochenrhythmus der Helds fühlte es sich komisch an, an einem frühen Sonntagabend zu unserem Taufgottesdienst in die lange, baumbesäumte Auffahrt der Bible Chapel einzubiegen. Amanda und ich saßen nervös angeschnallt auf der Rückbank unseres Chevy Caprice. Teilweise hatten wir meine Taufe auch deswegen hinausgeschoben, damit sie und ich am gleichen Tag getauft werden konnten. Ich betrachtete das als nur ein weiteres Beispiel für Amandas unheimliche Begabung, mir in Sachen Reife immer eine Nasenlänge voraus zu sein, obwohl ich drei Jahre älter bin als sie. Sie ist altklug, hat Grübchen, olivenfarbene Haut und tiefgründige, moosgrüne Augen, die bis heute sofort verraten, was ihr Herz bewegt – ob Freude oder Liebeskummer. So konnte Amanda auch dem verknöchertsten Kirchenältesten ein Lächeln entlocken. Sie war vertrauensvoll, leicht zu beeindrucken, leicht zu durchschauen und gut – der letzte Mensch auf der Welt, den man weinen sehen wollte.
Pastor George nannte Amanda „Miss AWANA“, weil sie bei den Treffen, in denen wir jeden Mittwochabend Bibelverse auswendig lernten, so hervorstach. AWANA stand dabei für Approved Workmen Are Not Ashamed (anerkannte Arbeiter schämen sich nicht) und war weit weniger sozialistisch gemeint, als es klingt. Vielmehr beinhaltete es den Erwerb von Auszeichnungen und Anstecknadeln für das erfolgreiche Aufsagen von Versen, die in unseren spiralgebundenen Broschüren abgedruckt waren. Die ganze Sache roch köstlich nach Zuckerkeksen und dem frisch laminierten Papier unserer Auswendiglernbücher, und Amanda trug den Duft jede Woche mit sich nach Hause, zusammen mit einem Arm voll Schleifen und Pokalen. Aber anstatt damit anzugeben, bot sie mir an, ihre Ausbeute mit mir zu teilen. Wenn sie merkte, dass ich mit leeren Händen nach Hause gekommen war, schob sie mir manchmal leise einen der Kronen-Anstecker aus Plastik in die Finger, die sie verdient hatte. Die sollten die Kronen symbolisieren, die wir einst im Himmel dafür bekommen würden, dass wir so viele Bibelverse auswendig gelernt hatten. Es machte mir Angst, wie sehr sie zu mir aufsah, wie sehr sie mir vertraute und zu mir hielt, selbst wenn ich es nicht verdiente. Ich war ihr eine gute große Schwester, bis ich in die Pubertät kam und es ihr in der darauffolgenden Krise übel nahm, wie mühelos sie geliebt wurde. Einmal, als ich meinte, sie wäre nicht ausreichend gerügt worden, nachdem wir uns zu Hause in irgendeinem Malheur wiedergefunden hatten, nannte ich sie Zimperliese und verspottete sie, indem ich hämisch das Lied „Holy, holy, holy“ sang. Das ist das Gemeinste, was ich je jemandem angetan habe. Überhaupt jemals. Sie hatte so ein zartes Gemüt, dass ich sofort wusste, dass ich etwas Wertvolles verletzt hatte, nur aus Spaß, und dass ich imstande war, Böseres zu vollbringen, als ich mir je vorgestellt hätte. Nicht einmal das Wasser der Taufe konnte diese Sünde wegwaschen, dessen war ich mir sicher.
An unserem Tauftag folgten wir unserer Mutter in den kahlen Nebenraum der Kirche, wo wir dünne Taufhemden über unsere T-Shirts und Jeansshorts zogen. Mir war unwohl wegen meiner Brüste. Meine „Stolpersteine“ wuchsen früh und reichlich, und jedes Mal, wenn ich merkte, dass ein Kind aus der Sonntagsschule sie anguckte, fühlte ich mich wie die Hure Babylon. (Ich habe erst nach dem College gelernt, die Züchtigkeitskultur zu dekonstruieren, und da war dann schon alles zu spät.) Nasse Kleider würden mir keinen Gefallen tun, so viel war mir klar. Zum Glück sollten wir vor dem Untertauchen sowieso die Arme vor der Brust verschränken, und Mama hatte mich mit einem Sport-BH, einem Unterhemd und einem dicken Baumwoll-T-Shirt ausgestattet. Sie bürstete mein schlaffes braunes Haar, das wie die Fäden eines Wischmopps unter einem künstlich aufgebauschten Pony herunterhing, und ich sah zu, wie ihre braunen Augen das Ekzem musterten, das auf meinen Armen ausbrach, meine vornübergebeugten Schultern und meine Zahnlücke. Ich weigerte mich, Make-up zu tragen, und das machte sie wahnsinnig, besonders an so einem Tag, an dem ein weißes Gewand jeden Hauch Farbe aus meinem blassen Gesicht verbannte. Amanda sah natürlich engelsgleich aus. Ihr Haar war gelockt und zu zwei asymmetrischen, hüpfenden Rattenschwänzen zusammengebunden – eine kleine Engelsgestalt neben einem verängstigten Gespenst mit Busen.
„Das Gute ist“, sagte Mom, deren Munterkeit sich von der nervösen Spannung deutlich abhob, „dass ich einen Fön eingepackt habe.“
Na, wenn das keine Erleichterung war.
Während mein Vater den Überblick über meine theologische Entwicklung behielt, blieb es meiner armen Mutter vorbehalten, mich durch die sozialen Nuancen des Kirchenlebens zu navigieren, eine Aufgabe, die ich ihr immens erschwerte, indem ich das Erstere sehr viel wichtiger nahm als das Letztere. Es ist eine Sache, einer Elfjährigen zu erklären, dass man nicht wissen kann, ob Anne Frank in den Himmel oder in die Hölle gekommen ist, und eine ganz andere Geschichte, ihr zu erklären, warum es vielleicht nicht so ganz angebracht war, die Frage vor lauter Gemeindefrauen bei einer Brautparty zu stellen. Aber so klang meine Art Small Talk eben. Hätte ich ein bisschen was vom Charme und der Schönheit meiner Mutter geerbt und die Tugend meiner Schwester geteilt, wäre ich vielleicht damit durchgekommen, aber stattdessen quälte ich mich durch die Fettnäpfe der religiösen Kultur der Südstaaten, wo von einem guten Christenmädchen erwartet wird, wenigstens ein Weilchen über das Wetter oder Football zu plaudern, bevor sie auf die ewige Verdammnis zu sprechen kommt. Als von Geburt an Introvertierte habe ich die Kunst des Umgarnens nie gemeistert. Obendrein widersetzte ich mich meiner Mutter ganz bewusst, indem ich mich weigerte, Lippenstift und Handtasche zu tragen oder mir Gedanken darum zu machen, was ich zum Gottesdienst anzog, weil ich ganz genau wusste, dass ihr diese Dinge wichtig waren. Ich betrachtete mich gerne als Wildfang (so wie meine Heldin Laura Ingalls Wilder), aber ohne das Interesse an Wettkampfsportarten oder Naturleben. Zum Glück hat meine Mutter eine Schwäche dafür, sich auf die Seite des Außenseiters zu stellen, und daher hatte ich nie Zweifel daran, dass sie auf meiner Seite war.
An meinen Taufgottesdienst erinnere ich mich nicht besonders gut, außer daran, dass der Kirchenraum vom Baptisterium aus so ganz anders aussah. Als ob ich ihn durch ein Weitwinkelobjektiv betrachtete. Und ich erinnere mich daran, wie tröstlich es war, durch das lauwarme Wasser zu waten und dann dort meinen Vater vorzufinden. Vertraute Arme, die mich leiteten, vertraute Hände, die meine Nase zuhielten, eine vertraute Stimme, die etwas über den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist sagte, eine vertraute Kraft, die mich niederdrückte und mich wieder heraufzog, wie sonst, wenn er mich in seinen Armen herumwirbelte. Und ich erinnere mich daran, wie froh ich war, meine Mutter zu sehen, die mit offenen Armen darauf wartete, mich in ein Handtuch zu wickeln, und wie wir zusammen dabei zusahen, wie Amanda an der Reihe war und hineinwatete. Das Wasser schien so viel tiefer, es ging ihr bis zu den Schultern. Hinterher gab es einen kleinen Empfang, und jemand hatte daran gedacht, gefüllte Eier zu machen, weil sie wussten, dass ich das liebte.
Aber am meisten erinnere ich mich daran, wie ich mich fragte, warum ich mich jetzt nicht sauberer fühlte, warum ich mich nicht heiliger fühlte oder leichter oder Gott näher, wo ich doch wiedergeboren war … schon wieder. Ich fragte mich, ob meine pfingstkirchlichen Klassenkameraden recht hatten und ich eine zweite Taufe, eine Geistestaufe, brauchte oder ob ich nicht feierlich genug bei der Sache gewesen war oder mich nicht ausreichend auf meine Taufe vorbereitet hatte, damit sie auch wirkte. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht gelernt, dass man für gewöhnlich aus den großen Momenten – der Hochzeit, dem Buchvertrag, der Reise, dem Tod, der Geburt – als ganz genau dieselbe Person herauskommt, als die man hineingegangen ist, und dass die vielleicht seltsamste Überraschung des Lebens die ist, dass es immer wieder demselben alten Du geschieht.
Wenn Martin Luther wieder eine seiner dunkleren Phasen durchmachte (was häufig geschah, der Kerl war ganz eindeutig bipolar veranlagt), soll er sich getröstet haben, indem er sich sagte: „Martin, bleib ruhig, du bist getauft.“ Ich vermute, sein Trost kam nicht daher, dass er sich den eigentlichen Moment der Taufe ins Gedächtnis rief oder sich auf die Taufe als eine Art zauberhaften Glücksbringer verließ, sondern daher, dass er sich daran erinnerte, wofür seine Taufe stand: für seine Identität als ein geliebtes Kind Gottes nämlich. Denn letzten Endes ist die Taufe eine Namensgebung. Als Jesus aus den Wassern des Jordans emporkam, erklärte eine Stimme vom Himmel herab: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“ Es fing nicht erst mit der Taufe an, dass Jesus geliebt wurde, noch wurde er mehr geliebt, als die Taufe zu einer Erinnerung geworden war. Die Taufe benannte ganz einfach die Wirklichkeit seiner Existenz und die Tatsache, dass er unendlich geliebt war. Meine Freundin Nadia formuliert es so: „Identität. Das ist immer Gottes erster Schritt.“9
Und so ist es auch bei uns. In der Taufe werden wir als geliebte Kinder Gottes identifiziert, und unsere Adoption in diese ausufernde, schöne, dysfunktionale Familie, die die Gemeinde Gottes ist, wird von denen gefeiert, die mit Fön und gefüllten Eiern am Ufer stehen. Daher steht das Taufbecken in aller Regel in der Nähe der Kirchentür. Der Mittelgang symbolisiert die Lebensreise des Christenmenschen zu Gott hin, eine Reise, die mit der Taufe beginnt.
Die gute Nachricht ist: Du bist ein geliebtes Kind Gottes. Die schlechte ist: Du kannst dir deine Geschwister nicht aussuchen. Nadia ist eine lutherische Pastorin, die in der fundamentalistischen Tradition der Gemeinde Christi aufgewachsen ist, die es, wie meine auch, Frauen verbietet, Pastorinnen zu werden. Als sie zur evangelisch-lutherischen Kirche übertrat, bat sie ihren lutherischen Mentor, sie zu taufen. Ihr Mentor lehnte weise ab und erinnerte sie daran, dass eine Handlung Gottes weder rückgängig gemacht noch wiederholt werden kann. Obwohl sie die Gesellschaft und die Verhaltensweisen ihrer ersten Gemeinde abgelegt hatte, konnte sie sie nicht aus ihrem geistlichen Stammbaum löschen. Sie waren immer noch ihre Familie.
Wie Nadia habe ich mit der evangelikalen Tradition gerungen, in der ich aufgewachsen bin. Oft plump. Zuweilen habe ich versucht, die Wasser meiner ersten Taufe aus den Kleidern zu wringen, sie aus meinem Haar zu schütteln, und in einer anderen Gemeinschaft um eine Wiederholung gebeten, wo sie Frauen ordinieren, die Demokraten wählen und an die Evolution glauben. Aber Jesus hatte diese seltsame Eigenschaft, normalen, verkorksten Leuten zu erlauben, ihn vorzustellen, und deswegen waren es normale, verkorkste Leute, die mir zuerst erzählten, dass ich ein geliebtes Gotteskind bin, die mich zuerst als eine Christin bezeichneten. Ich weiß nicht, wohin mich meine Glaubensgeschichte führen wird, aber sie wird immer an diesem Punkt beginnen. Das wird sich nie ändern.
Ich wurde von meinem Vater getauft. Und von meiner Mutter. Von Pastor George, von meinen Sonntagsschullehrerinnen, von meiner Schwester, von dem Gebrauchtwagenhändler, der zu Ostern immer eine Gospelvariante von „The Old Rugged Cross“ sang, von dem Jungen, der Popel in meine Haare schmierte, von dem kleinen Mädchen im Rollstuhl, das nicht sprechen konnte. Ich wurde von Alabama getauft, von Reaganomics, von den Evangelikalen, der Parkway Christian Academy und von der Bible Chapel. Ich wurde von Martin Luther King Jr. und George Wallace und Billy Graham getauft. Ich wurde von dem Schlag Mensch getauft, der Angelgeschichten in Predigten verwandelt und Rush Limbaugh hört und mich manchmal auf die falsche Art und Weise liebte. Ich wurde durch Wasser und durch Geist getauft und durch diese seltsame Ansammlung von Atomen und Genen und Erfahrungen, die Gott zusammengesetzt, an der er sich erfreut und die er in einem Akt absurder Gnade Geliebte genannt hat.