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Chubby Bunny

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Es muss wunderbar sein, 17 zu sein und alles zu wissen.

– Arthur C. Clarke

Am Tag nach dem Amoklauf auf der Columbine Highschool bin ich zur Schule gegangen, obwohl die meisten meiner Klassenkameraden zu Hause blieben.

„Es ist die perfekte Gelegenheit, Zeugnis abzulegen“, sagte ich meiner Mutter auf dem Weg zum Bus, schon halb aus der Tür. „Alle haben Angst.“

Die Rhea County Highschool in Dayton, Tennessee, ist genau 2121 Kilometer von der Columbine Highschool entfernt, wo tags zuvor, am 20. April 1999, Eric Harris und Dylan Klebold zwei Sturmgewehre, 99 Sprengkörper und zwei Schrotflinten unter ihren schwarzen Trenchcoats hervorzogen, um ein Dutzend ihrer Mitschüler und einen Lehrer umzubringen, bevor sie sich selbst töteten. Ich hatte in den Nachrichten gehört, manche der Opfer seien gefragt worden, ob sie an Gott glaubten. Während also das erste bläuliche Morgenlicht durchs Busfenster fiel, betete ich, Gott möge mir im Falle eines befürchteten Trittbrettfahrerszenarios, das an jenem Morgen so vielen Eltern, Schülern und Lehrern Sorgen machte, die Stärke verleihen, zu meinem Glauben zu stehen.

Als Oberstufenschülerin und Präsidentin des Bibelclubs hielt ich es für meine Pflicht, die Erweckungsbewegung anzuführen, die von der Tragödie unter den Schülerinnen und Schülern der Highschools im ganzen Land ausgelöst werden würde, wie ich ganz sicher glaubte. Ich bereitete mich innerlich auf eine Erweckung vor, seitdem wir zwei Jahre nach meiner Taufe nach Tennessee gezogen waren. Ein Plan, der jedoch nicht unwesentlich von der Tatsache erschwert wurde, dass sich beinahe jeder in Dayton ohnehin schon als Christ bezeichnete (immerhin war die Stadt Schauplatz des berühmten Scopes-Affenprozesses, bei dem ein 1925 verabschiedetes Gesetz angewandt wurde, welches verbot, Theorien zu lehren, die der biblischen Schöpfungslehre widersprechen). Vor jedem Footballspiel wurde gebetet, auf jeder Messehalle prangten Bibelverse. McDonald’s und Hardee’s veranstalteten jeden zweiten Donnerstag ein Gospelliedersingen für die etwas reiferen Mitbürger, und später wurde auf dem Rasen des Gerichtsgebäudes eine Bronzestatue von William Jennings Bryan, einem legendären Verteidiger des Fundamentalismus, aufgestellt. Bei „See you at the Pole“, einer jährlich stattfindenden Veranstaltung am Flaggenmast der Schule, bei der wir vor Schulbeginn beteten, in der Bibel lasen und sangen, mussten wir zwei große Kreise bilden, weil so viele kamen, um sich zu Jesus zu bekennen. Die Erweckung war lange vor mir im Tennessee Valley angekommen und hatte sich dort niedergelassen wie ein Nebel.

Dennoch war ich jeden Tag, wenn ich zur Schule ging, wildentschlossen, die Christen dort zu evangelikalen Christen zu machen und sie für Gott in Brand zu stecken. Morgens brachte ich mich mit Musik von DC Talk und Audio Adrenaline in Stimmung. Ich schrieb „Gott ist wunderbar“ mit Edding auf rotes Klebeband und klebte es wie einen Autoaufkleber auf meinen JanSport-Rucksack. Ich war immer auf der Suche nach Möglichkeiten, Gespräche über Freitagsfootballspiele in Diskussionen über den Sühnetod Christi umzulenken. Mit meinem Laborpartner debattierte ich über die Evolution. Und am Tag nach dem Amoklauf in Columbine fand ich mich im Wettstreit mit Julie Andrews und den anderen Darstellern von „Meine Lieder – meine Träume“ wieder (ich hätte wissen müssen, dass wir den ganzen Tag nur Filme schauen würden), als ich der Cheerleaderin zwei Plätze vor mir zuzischte: „Weißt du, wo du die Ewigkeit verbringen wirst, wenn du heute sterben würdest?“ Wäre ich nicht so ganz und gar aufrichtig, so wahrhaftig dem ewigen Wohlergehen meiner Mitmenschen hingegeben gewesen, ich hätte den Blick verdient gehabt, den sie mir zuwarf. Aber größtenteils waren meine Klassenkameraden geduldig mit mir, sogar freundlich. Ein paar von ihnen, vor allem Jungs, von denen ich inzwischen annehme, dass sie hauptsächlich wegen meiner „Stolpersteine“ an mir interessiert waren, taten mir den Gefallen und kreuzten zwischen den Schulstunden an meinem Spind auf, um sich mit mir über die Vorteile des Glaubens zu unterhalten – und darüber, ob ich vorhatte, zum Schulball am Samstagabend zu kommen. Es gab genau zwei bekennende Atheisten in meiner Abschlussklasse, und ich freue mich, euch mitteilen zu können, dass ich einen von ihnen zum Glauben geführt habe.

Na ja, ich habe einen von ihnen zur Jugendgruppe mitgebracht, Brian Ward hat ihn dann zum Glauben geführt. Brian Ward war Jugendpfarrer und so beliebt, dass Teenager aus dem ganzen Umkreis am Mittwochabend zu „The Planet“ in die Grace Bible Church kamen, um auf dem Boden zu sitzen und ihm zuzuhören, wie er Gitarre spielte und von Jesus erzählte. Brian reagierte allergisch auf Christinesisch, deshalb kam es ihm nie in den Sinn, von seinem „Weg mit dem Herrn“ zu sprechen oder warum er sich „berufen fühlte“, dies oder jenes zu tun, weil ihm etwas „aufs Herz gelegt“ wurde. Brian war ein Fan der Georgia Bulldogs, hatte einen schweren Atlanta-Akzent, trug ausgeblichene Baseballmützen und T-Shirts, sang wie Eddie Vedder, und hin und wieder rutschte ihm ein Schimpfwort heraus. Wir nahmen an, dass er häufig mit unseren Eltern aneinandergeriet, was seine geheimnisvolle Ausstrahlung nur verstärkte. Wenn wir Brian wegen seines lichter werdenden Haares neckten, erinnerte er uns an die merkwürdige Geschichte in der Bibel, in der Gott zwei Bärinnen schickte, um 42 Kinder zu zerreißen, die den Propheten Elisa wegen seiner Kahlköpfigkeit verspottet hatten. „Zwei Bärinnen“, sagte er. „Steht in der Bibel. Schaut ruhig nach.“

Es war Brians Idee, unsere Treffen am Mittwochabend „The Planet“ zu nennen und sie aus dem Gemeindegebäude in ein Ladenlokal in der Innenstadt zu verlegen, damit wir nicht das Gefühl hatten, wir würden zur Kirche gehen. Es war seine Idee, die Schüler in die Leitung, in die Band und in wichtige Entscheidungen, die die Zukunft der Gruppe betrafen, miteinzubeziehen. Er sah die gleichen Fernsehsendungen wie wir und lachte an den gleichen Stellen. Seine Frau, Carrie, war hübsch, süß und vernünftig, und ich kannte ihr kleines Haus am Fluss so gut wie das Zuhause meiner besten Freunde.

Brian schaffte es, die Kirche ansprechend zu gestalten, ohne auf die verzweifelten, angestrengten Strategien anderer Jugendpfarrer aus der Umgebung zurückzugreifen, die versuchten, das Christentum „für die Jugend relevant“ zu machen. Er wusste, dass man nicht ein Volleyballnetz spannen, christliche Rockmusik anschmeißen und dann erwarten kann, dass Sportskanonen und Bandnerds, Goths und Cheerleader, Hinterwäldler und FroKis ihre Unterschiedlichkeiten beiseitelassen und sich gegenseitig im Geiste Christi annehmen und genießen. Seine Abscheu für Jugendleiter, die verzweifelt genug waren, genau das zu versuchen, verbarg er nur gerade so. Stattdessen stattete er unseren Laden in der Innenstadt mit superbequemen Sesseln in einer Ecke aus, stellte einen Kicker in eine andere. In einem Nebenraum gab es Computerspiele, im hinteren Bereich eine riesige Bühne und Basketballkörbe sowie ein Volleyballnetz auf dem Parkplatz. Wir betrachteten es als Erfolg, ungefähr 70 Teenager drei Stunden pro Woche zur gleichen Zeit am gleichen Ort zusammenzubringen, mit oder ohne „Breakfast Club“-Momente. Brian hatte den Wunschzustand jedes ehemaligen, gegenwärtigen und zukünftigen Teenagers erreicht: Er war cool, ohne es zu versuchen. Wir himmelten ihn an.

Selbst die Jungs aus der letzten Reihe liebten Brian, obwohl sie so taten, als sei das nicht der Fall, indem sie während der Anbetungszeiten die Hände in den Hosentaschen vergruben und während der Andacht am Teppichflor herumzupften. Brian ging mit ihnen fischen und bowlen, teilte Insider-Witze mit ihnen und nahm, viele Jahre später, ihre Trauungen vor. Bei der ganzen Zeit, die Brian darauf verwendete, den Jungs aus der letzten Reihe zu dienen, hätte man meinen können, dass sie vielleicht eines Tages näher an den vorderen Teil des Raumes heranrücken und sich beim Singen zu uns anderen gesellen würden, die wir für Gott brannten.

„Es ist nicht meine Aufgabe, Leute zu verändern“, sagte Brian, als ich ihm deswegen auf die Nerven ging. „Meine Aufgabe ist es nur, Leute zu lieben.“

Ich schloss daraus, dass er wohl eine Art Spiel auf Zeit spielte und sich in ihre Leben hineinarbeitete, bevor er sie für die große Erweckung rekrutierte. Es kam mir nie in den Sinn, dass es vielleicht Zeiten gab, in denen Brian mich auch einfach nur liebte.

Ich erinnere mich an recht wenig, was die Gemeinde außerhalb unserer Jugendgruppe angeht, außer dass ich an den Sonntagmorgen die Jungs aus der Jugendgruppe in ihren ordentlichen Hemden zu sehen bekam und sie mich in Röcken. (Zu dem Zeitpunkt hatte ich die Laura-Ingalls-Wilder-Sache fallen gelassen und Lippenstift aufgelegt.) Zusammen saßen wir in den letzten vier Reihen des Kirchenraums der Grace Bible Church – einem fensterlosen Gebäude mit Gewölbedecke, das von außen aussah wie ein Planetarium. Die Grace Bible Church war die größte konfessionslose Kirche der Stadt und gerade erst mit einem lebbaren Kompromiss und verheilenden Fleischwunden aus den Lobpreisschlachten der 90er hervorgegangen. Der sah so aus, dass unsere etwa 200 Mitglieder starke Gemeinde den einen Teil des Gottesdienstes aus einem Gesangbuch sang und den anderen von Tageslichtprojektor-Folien. Unser Pastor war ein alter Freund der Familie, der mit meinem Vater im Seminar gewesen war. Die beiden waren zusammen zur Musterung gegangen und erinnerten sich an das Ereignis wie zwei alte Kriegskameraden, obwohl keiner von beiden einberufen wurde. Pastor Doug war ein eher gelehrterer, exegetischerer Prediger als Pastor George – und zu allem Überfluss ein Fan der Baseballmannschaft der St. Louis Cardinals. Unsere Gemeindebriefe enthielten detaillierte Gliederungen seiner Predigten, deren Unterüberschriften häufig mit demselben Buchstaben anfingen: Gnade, Gerechtigkeit, Gehalt. Ich füllte jede Lücke aus und riet manchmal den nächsten Punkt (Gottesdienst!), während mir die Jungs aus der letzten Reihe durchgekaute Papierkügelchen ins Haar schossen.

Nicht viele Jugendliche gehen zur Jugendgruppe, um ihre Religiosität abzumildern, aber Brians beziehungsorientierter Stil trug dazu bei, dass mein Kreuzritterkomplex sich etwas mäßigte. Er sah, dass ich ein Händchen für Lehre und für Leitungsaufgaben hatte, und lud mich mehr als einmal dazu ein, die Andacht zu halten (ein unerhörtes Privileg für eine junge Frau in diesem Umfeld). Er überzeugte mich außerdem davon, die Super-Bowl-Party nicht durch einen Bekehrungsaufruf während der Halbzeit zu ruinieren und mich während all der holprigen Kleinbusfahrten zu Konzerten und Jugendfreizeiten – die mein Haar durcheinanderbrachten (die Fenster standen immer offen) und meine Gedanken von einem süßen Jungen zum nächsten springen ließen – zu entspannen und die Zeit mit meinen Freunden zu genießen.

Einer dieser Ausflüge brachte mich jedes Jahr nach Alabama zurück. Es ging um ein Wochenendgottesdienstprojekt im Camp Maxwell in Haleyville. Camp Maxwell beherbergte während des Sommers wenig privilegierte Jugendliche, lud im Frühjahr aber privilegierte Jugendliche aus dem ganzen Südosten ein, die dann für Jesus Beton gossen, Baumstümpfe ausgruben und Wasserleitungen beschädigten. Alle Mädchen kauften sich extra für diesen Anlass neue Latzhosen. Abends trafen wir uns in einem Versammlungsraum ohne Dach, um anzubeten, zu zittern und Feuer-und-Schwefel-Predigten von Männern zu lauschen, deren Theologie Brian dann auf der Heimfahrt sanft korrigierte.

Bei diesen Treffen lernte die Jugendgruppe der Grace Bible Church ihre Einzigartigkeit richtig schätzen. Jedes Jahr bewiesen wir sie erneut, indem wir den heißbegehrten Klospülkastenpreis mit nach Hause brachten. Der Klospülkastenpreis sah genauso aus, wie er sich anhört: Es war ein Klospülkasten, der auf einem Holzbrett angebracht war und derjenigen Jugendgruppe verliehen wurde, die das Wochenende über die meisten Punkte für Siege beim Sport, bei Spielen, bei Bibelquizzen und dem alles überragenden Talentwettbewerb ergattern konnte. Die meisten dieser Aktivitäten waren leichtes Spiel für uns, weil wir alle so grundverschieden waren. Wir konnten Musiker, Athleten, Bibelnerds und Theaterfreaks gleichermaßen vorweisen. In einem Jahr haben wir stehende Ovationen bekommen, weil wir eine Minivariante von Stomp aufführten, bei der Mitglieder der Drumline aus der Highschool auf leeren Mülltonnen herumtrommelten.

Unsere Schwäche war der Spielebereich. Jetzt muss man wissen, dass das Wort „Spiele“ im Kontext einer christlichen Jugendgruppe etwas völlig anderes meint als in jedem anderen Umfeld. Ich vermute, dass alleine in den späten 90ern die Spiele christlicher Jugendgruppen Millionen Ansteckungen am Pfeiffer’schen Drüsenfieber zu verantworten haben, ebenso tausende gebrochener Knochen, dutzende Fälle, in denen jemandem der Magen ausgepumpt werden musste, und zahllose Therapiestunden. Denn typischerweise ging es darum, unsichere, hormongeladene Teenager in so peinliche wie gefährliche Situationen wie möglich zu bringen. Meistens führte das unweigerlich dazu, dass jemand sich entweder erbrach oder eine Erektion bekam.

Es gab Vertrauensspiele und Stafetten, Hochgeschwindigkeitsvarianten von „Faules Ei“, der Reise nach Jerusalem, Völkerball und Red Rover, eine Art Kettenfangen, bei dem ein Mitspieler des einen Teams versuchen muss, die Kette des anderen Teams zu durchbrechen (aber nur bis das verboten wurde, weil ich glaube, dass wirklich Leute dabei gestorben sind). Wir haben Sardinen gespielt (man stopfe 25 Jugendliche eine Stunde lang in das gleiche, dunkle Versteck), Ansaugen-und-Weitergeben (im Kreis eine Kreditkarte weitergeben, indem man sie nur mit dem Mund ansaugt) und Two-Buck-Chuck (bei dem man zwei Dollar bekam, wenn man es schaffte, zwei Liter Milch zu trinken, ohne sich zu übergeben). Dann gab es da dieses Spiel, bei dem man mit dem Mund nach Snickers fischen musste, die in einer Kloschüssel voller Limonade schwammen, und das Spiel, wo man eine Banane essen musste, während man eine Feinstrumpfhose über dem Kopf hatte, und dann noch das, bei dem man seinem Partner Käseflips ins Gesicht werfen sollte – das über und über mit Rasierschaum bedeckt war. Ganz klar: ein immerwährender Zirkus purer Freude und Glückseligkeit für die Introvertierten unter uns.

Ich habe neulich mit ein paar meiner Leser auf Twitter Berichte aus dem Schlachtgetümmel unserer Jugendgruppen ausgetauscht, und ihre Geschichten waren mehr als unerquicklich:

„Ich habe gesehen, wie Leute Milchshakes tranken, die aus kompletten Happy Meals hergestellt wurden.“

„Ich habe mal gesehen, wie jemand einem anderen Erdnussbutter aus der Achselhöhle lecken musste.“

„Wir haben die kleinsten Mittelstufenschüler genommen und sie mit Gaffertape an die Wand geklebt. Das Team, dessen Mitglied am längsten kleben blieb, hat gewonnen.“

„,Klau-den-Speck‘ mit Vaseline und Wassermelone. Drei Teilnehmer mit Gehirnerschütterung und ein Jugendleiter mit herausgerissenem Brustwarzenpiercing.“

„Drei Worte: Volleyball bei Strobolicht.“

„Einmal musste ich eine Zwiebel wie einen Apfel essen. Warum, weiß ich nicht mehr.“14

Die Jugendgruppe der Grace Bible Church hatte das Glück, dass Brian unter einer schwachen Angststörung litt und deswegen Jugendgruppenspiele ebenso wenig leiden konnte wie wir. Daher wurden wir ihnen nur bei Veranstaltungen wie dem im Camp Maxwell ausgesetzt, wo wir schreckerstarrt zusahen, wie andere, sonst eigentlich völlig normale Teenager, versuchten, mit ihren Zähnen Kaugummis von den Sohlen ihrer Turnschuhe abzuziehen.

An dem kühlen Abend, an dem sich unsere Geschichte zutrug, war das Spiel, das zwischen der Jugendgruppe der Grace Bible Church und dem Klospülkastenpreis stand, natürlich „Chubby Bunny“. Bei Chubby Bunny geht es darum, dass sich mehrere „Freiwillige“ so viele Marshmallows wie möglich in den Mund stopfen und versuchen, „Chubby Bunny“ zu sagen, ohne sich zu übergeben oder daran zu ersticken. Die Person, die das mit den meisten Marshmallows im Mund schafft, gewinnt.

Jetzt war es so, dass wir, die Jugendgruppe der Grace Bible Church, Chubby Bunny hassten. Wir waren zu cool für Chubby Bunny. Wir durchschauten die heimtückische List. Aber wir brauchten jemanden, der für uns Chubby Bunny spielte, wenn wir den Klospülkastenpreis gewinnen und die anderen Jugendgruppen ein für alle Mal auf ihre Plätze verweisen wollten.

Während die Wettbewerber ihre Delegierten unter Jubelrufen auf die Bühne schickten, saßen wir still in unseren fünf hölzernen Bankreihen und scharrten mit den Füßen in den Sägespänen.

„Wir brauchen einen Freiwilligen von der Grace Bible Church!“, rief jemand mit viel zu vielen Gummiarmbändern am Handgelenk ins Mikrofon.

Namen wurden geflüstert. Blicken wurde ausgewichen. Brian sah so verängstigt aus wie wir anderen auch.

Dann kam von ganz hinten eine ruhige, sichere Stimme.

„Ich mach’s.“

Wir drehten uns alle um.

Mike war ein Junge aus der letzten Reihe wie aus dem Bilderbuch. Er war groß und rothaarig, hatte ein freches Mundwerk und war ein echter Draufgänger, der sich seine Zeit so einteilte, dass er sie wahlweise beim Nachsitzen oder in der Notaufnahme verbrachte. Wenn Mike etwas nicht mochte, teilte er das mit, und Mike mochte weder die Gemeinde noch die Schule noch Camp Maxwell besonders. Aber er hatte ein sanftes Zwinkern in den Augen, und er hatte so einen schrägen, punktgenauen Witz, dass selbst wir Bibelnerds ihn mochten. Ich weiß, dass ich nicht das einzige Mädchen war, das es genoss, ihm ein Lächeln auf die trotzigen Lippen, über das sommersprossige Gesicht, das kantige Kinn und diese dicken Backen zu zaubern … Backen, die für Chubby Bunny wie geschaffen waren.

Ohne ein weiteres Wort marschierte Mike den Mittelgang hinunter und nahm seinen Platz zwischen einem Mädchen in ausgebeulten Latzhosen aus Birmingham und einem völlig verängstigten Junior-High-Schüler aus Huntsville ein. Sie zwangen ihn, einen Müllsack wie ein Schlabberlätzchen zu tragen. Er war unsere Katniss Everdeen, der Tribut, den wir zollen mussten. Unnötig zu sagen: In diesem Jahr gewannen wir den Klospülkastenpreis zum dritten Mal in Folge.

Und so kam es, dass ein Mädchen, das in der Bereitschaft, zu sterben, zur Schule ging, vor Begeisterung kreischte, während Mike-aus-der-letzten-Reihe sich im Ringen um den Klospülkastenpreis Marshmallows ins Gesicht schob. Ich schreibe jedes bisschen Sozialkompetenz in meinem Leben Brian Ward und meiner Zeit in der Jugendgruppe der Grace Bible Church zu. Zu einer Zeit, in der die meisten meiner Altersgenossen sich damit abmühten, herauszufinden, wer sie waren, wusste ich ganz genau, wer ich war: das Kirchenmädchen, das Mädchen, das immer einen Platz in ihrer Jugendgruppenfamilie hatte, das Mädchen, das für Gott in Flammen stand. Ich weiß nicht, ob ich den Wert dieser Gemeinschaft, dieses Zugehörigkeitsgefühls und des Wissens, dass ich geliebt bin, je richtig einschätzen kann.

Es kam mir nie in den Sinn, dass solch ein Feuer ausgelöscht werden könnte.

Es ist kompliziert

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