Читать книгу Passion Laufen - Rafael Fuchsgruber - Страница 24
ОглавлениеHast du Laster?
Nein! Aber ich liebe Desserts nach dem Essen und Schokolade überhaupt. Das könnte meine Schwäche sein.
Andere Dinge, die dich faszinieren?
Außer Laufen? Ich mag Maschinen, und da ich zehn Jahre als Lkw-Fahrer und danach 23 Jahre im Betonwerk gearbeitet habe, saß ich viel auf dem Bagger. Ich mag gern zügig Auto fahren – auch heute noch. Vor ungefähr zehn Jahren hatte ich einen Lancia Delta Integrale. Lancia hatte mit dem Wagen viele Jahre fast alle Rallyes auf der Welt gewonnen. Ein vierradgetriebenes kleines Ding mit knapp 200 PS. Das brachte viel Spaß beim Fahren in den Alpen. (Marco und Paolo grinsen sich an.) Ich bastele gern an meinem Equipment herum und mache mir Rucksäcke und Schuhe passend nach meinen Vorstellungen. Gerade früher gab es wenig gutes Equipment für Ultraläufe. Die Trailschuhe waren schwer wie Wanderstiefel, und Rucksäcke zum schnellen Laufen gab es kaum.
Ich habe Bilder gesehen, wo du mit scharfen Messern den Schaft der Schuhe kürzt. Geht es dir dabei um das Gewicht der Schuhe? Leichte Schuhe – schnelles Laufen?
So entscheidend sind ein paar Gramm mehr oder weniger nicht – entscheidend ist die Passform und der Halt im Schuh. Das ist meist der Grund für mich, am Schuh zu optimieren.
Stimmt die Geschichte, dass du oft irgendeinen Berg hochgelaufen bist, während deine Kollegen auf der Arbeit vom Betonwerk mit dem Bus dort hochgefahren sind? Es gibt Interviews im Film, in dem die Kollegen erzählen, dass du »etwas anders« warst.
Für viele war es unverständlich, was ich gemacht habe. Morgens vor der Arbeit erstmal zwei Stunden Laufen gehen, das kam ihnen verdächtig vor. Ich war auch nicht so der Gruppenmensch. Ich war ganz gern allein und habe z. B. mittags auch oft allein gegessen. Das war mir ganz recht so.
Du bist mit 53 Jahren in Rente gegangen.
Ja. Ich hatte schon lange genug gearbeitet, und es gab in Italien die Möglichkeit, zu diesem Zeitpunkt in Rente zu gehen. Eine sehr richtige Entscheidung für mich.
Glückwunsch! Nenn mir doch bitte mal eine Entscheidung, die du bereut hast.
Dass ich nicht früher zum Vegetarier wurde. Heute bedauere ich das ein wenig.
Wie kam es zu der Entscheidung, Vegetarier zu werden?
Ich war 37 Jahre alt, und es ging mit gesundheitlich nicht so gut. Ich suchte einen Homöopathen hier in unserer Region auf, und der empfahl mir, die Ernährung umzustellen und gänzlich auf Fleisch zu verzichten. Seitdem bin ich Vegetarier. Das »Kein-Fleisch-Essen« wurde über die Jahre zu einer Einstellungsfrage für mich und ist mir ein wichtiges Anliegen. Ich missioniere nicht, aber für mich persönlich ist es ein wichtiges Thema, auf das ich in meinem Buch Il miglior tempo ausführlich eingehe. Neben dem Nutzen für meine Gesundheit und Fitness geht es mir auch um das Leben und Wohlergehen der Tiere.
Du bist seit 20 Jahren ein äußerst erfolgreicher Läufer. Lass uns doch mal über dein Training sprechen. Wie sieht das aus?
Da gibt es keine großen Weisheiten. Alle guten Läufer auf der Welt sind immer sehr viel gelaufen. Ich mache nichts anderes als Laufen. Ich gehe jeden Morgen für 70 bis 90 Minuten raus. Es gibt für mich keine Alternative. Ich fahre nicht mit dem Rad, um zu trainieren. Ich schwimme nicht. Ich bin Läufer – ich laufe.
Jeden Tag?
Du fragst wegen des Alters? Ja, jeden Tag – und am Wochenende einen langen Lauf zwischen fünf bis sieben Stunden. Wenn ich fit bin, mache ich alles in den Bergen. Das gilt auch für meine Lieblingsrunde am Wochenende: Die hat 53 Kilometer, und mit Rucksack und den vielen Höhenmetern bin ich dann knapp sieben Stunden unterwegs.
Wann ist Regeneration? Was machst du nach einem großen Rennen?
Laufen – jeden Tag.
Paolo klinkt sich kurz ein, um Marco ein wenig zu unterstützen – er erklärt mir das Ganze so: Marco laufe immer! So wie »immer« immer bedeutet. Selbst beim Marathon des Sables im Ziel nach 250 Kilometern sei das so. Am nächsten Morgen sieht man Marco vor dem Frühstück seine Laufrunde durch Zagora ziehen. Er reduziere sein Training geringfügig für die ersten vier Wochen nach dem Rennen – laufe aber weiter jeden Tag. Allerdings trainiere er insgesamt etwas weniger als vor zehn Jahren.
Ich denke spontan: Na Gott sei Dank!
Wenn du in ein Rennen gehst – läufst du nach einem Plan oder eher intuitiv?
Ich bin am Start nicht sonderlich schnell, sondern liege meist ein gutes Stück hinter den Spitzenläufern. Das ist kein System, das hat was mit meiner etwas geringeren Grundschnelligkeit zu tun. Allerdings kann ich durch die vielen Jahre an Wettkampferfahrung und Training diese Geschwindigkeit über sehr lange Phasen des Rennens halten. Meist ist es so, dass ich ab der Hälfte der Strecke beginne, Läufer einzusammeln. Ich kann durchaus sagen, dass mir das auch Motivation unterwegs gibt. Vor allem, wenn man vorher einige ziehen lassen musste. Wenn es ein gutes Rennen für mich wird, kann ich mich gerade bei Läufen in den Bergen somit auf dem letzten Drittel noch mal gut nach vorn arbeiten. Ansonsten habe ich außer meinem Tempo keinen Plan. Ich reagiere aber auf Einflüsse von außen wie Wetter und das Streckenprofil. Ich versuche, an den Steigungen nicht zu viel Kraft zu lassen und gehe (!) es entspannt an. Grundsätzlich ist mein Bestreben von Anfang an, ausreichend zu essen. Das kann ich bei sehr langen Läufen auch nur allen raten. Wenn du wartest, bis der Hunger kommt, ist das nicht mehr aufzuholen.
Wenn du die Laufveranstaltungen heute siehst und zehn oder 20 Jahre zurückdenkst – was fällt dir auf?
Es ist ein großes Geschäft geworden. Es ist schön, dass es viel mehr Rennen in der Welt gibt, und es ist gut, dass mehr Menschen laufen als früher. Aber der Kommerz steht leider bei vielen Veranstaltern im Vordergrund. Früher entstanden Rennen, weil Läufer den Mut und die Energie hatten, erste große Rennen zu konzipieren und durchzuführen. Alles war viel persönlicher. Die Freunde und Familien halfen mit, und vieles war auch nicht so perfekt wie heute. Was aber interessant ist und den Läufer fordert. Die Startgebühren sind auch enorm gestiegen – auf der anderen Seite hat der Spirit bei vielen Veranstaltungen gelitten. Aber wer nicht nur auf die bekannten Rennen schaut, findet kleine, feine Rennen. Man muss ein wenig suchen. Ein gutes Beispiel dafür ist vielleicht das Rennen in Bolivien.
Wenn du die Chance hättest, dich mit einem Menschen der Zeitgeschichte zu treffen und mit ihm zu sprechen – wer wäre das?
Eindeutig mit Nicola Tesla. Er war ein großartiger Erfinder und Vordenker aus Kroatien, der bis 1943 in New York lebte. Er war der Erfinder der ersten Wechselstromgeneratoren. Seine Lebensgeschichte war ein ständiges Auf und Ab. Er setzte sich mit seinem Wechselstrom gegen Thomas Alva Edison durch, der die ersten Elektrizitätswerke in Amerika mit Gleichstrom gebaut hatte. Er verzichtete auf Lizenzzahlungen in Milliardenhöhe aus bestehenden Verträge zu seinen vielen Patenten im Bereich Wechselstrom, die ihn zu einem der reichsten Männer seiner Zeit gemacht hätten. Er wurde betrogen, aber er war mit ganzer Seele ein Erfinder und kein Geschäftsmann. Außerdem hatte er sich bereits mit neuen Themen beschäftigt: Tesla hatte die Vision einer Welt, in der alle Menschen unbegrenzt und kostenlos mit Energie versorgt werden. Stromnetze begriff er nur als Zwischenstufe auf dem Weg zu einem kabellosen System, das Informationen und Energie über den ganzen Erdball senden sollte. Ohne seine Erfindungen wäre die Industriealisierung nicht möglich gewesen.
Wie beendet man so ein Gespräch? Am besten gar nicht. Aber wir müssen uns mal bewegen. Wir gehen raus auf die Straße, um uns die Beine ein wenig zu vertreten. So lang sitzen ist für uns alle nix. Auf die Schnelle werden ein paar gestellte Fotos geschossen – als Modells taugen wir nicht – und genehmigen uns noch einen Espresso und einen Schokokuchen im nächsten Café. Es gibt eine sehr herzliche Verabschiedung – passend zu dem sehr herzlichen Nachmittag. Auf dem Heimflug fange ich direkt an, das Interview niederzuschreiben. Es ist mein erstes Interview überhaupt – und ich stelle fest, dass es nicht einfach ist. Viele Antworten oder weitere Informationen zu meinen Fragen waren gar nicht im gesprochenen Wort, sondern kamen oft per Blick oder einer Handbewegung. Manchmal ein Schulterzucken. So nach dem Motto: Bist doch selbst Läufer und weißt, wie das ist.
Tage später merke ich, wie dieses Gespräch mit Marco in mir immer noch massiv nachhallt. Dachte ich anfangs, ich fliege nach Mailand, um ein Interview für das Buch zu machen, stelle ich jetzt fest, dass nicht ich einen der größten Läufer aller Zeiten interviewt habe, sondern Marco mich an die Hand und ein Stück weit mitgenommen hat. Nicht mich als Autor, sondern den Menschen und den Läufer. Es ist diese totale Klarheit, die er dem Laufen gibt. Oftmals ist der Anfang einer Sache geprägt von Naivität – und somit Klarheit. Das ist bei Kindern im Spiel zu beobachten, und so ist es auch im Leben. Meiner Meinung nach ist das ebenso in den Anfangswerken von jungen Musikern zu finden. Beim Laufen funktioniert dieser Weg nicht, da Laufen zu Beginn anstrengend ist. Erst über die Jahre verliert sich diese Anstrengung, und es folgt die Zeit, in der man eine Art »Selbstläufer« wird. Es gibt die Themen der Rennen und Platzierungen, wenn man bei diesem Spiel mitmacht, aber wenn man Glück hat, gibt es auch die große Leidenschaft und Liebe für das Laufen. Über Liebe, Leidenschaft und das Laufen kann man endlos philosophieren und komplexe Systeme für viele Themenbereiche entwickeln. Aber es ist wie mit dem Leben: Man kann es auch in aller Klarheit einfach nur machen und genießen. Nicht, dass ich das schon beherrsche, aber für diese gelebte Klarheit zum Thema Laufen bedanke ich mich bei Marco Olmo.
Grazie!