Читать книгу Passion Laufen - Rafael Fuchsgruber - Страница 30

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Wir kommen ins Flache. Die Temperaturen werden höher und es kommt der Sand. Obwohl wir die 30 °C-Marke selten knacken, ist jetzt meine Zeit. Der Alte schafft sich über die Tage bis auf Platz drei nach vorn. Das Tempo ist allerdings vollkommen unphilosophisch. Durch die Tatsache, dass die ersten vier Läufer alle in einer ähnlichen Liga unterwegs sind, wird gerannt, was das Zeug hält, und die Abstände bei den Etappen sind jetzt im kleinen Minutenbereich.

Das Leben, das Laufen und die Menschen ändern sich. Die Lauten vom Anfang werden von Kilometer zu Kilometer stiller und nachdenklicher, andere schließen sich in ganz kleinen Gruppen sehr eng zusammen. Wieder andere, die eher schüchtern sind, blühen über die Tage auf. Das Laufen wird zum Bestandteil des Lebens, und beim Gespräch am Lagerfeuer – laufen wir morgen 50 oder 60 km? – stehe ich nicht mehr auf, um das Roadbook zu konsultieren. Ist irgendwie egal. Es beginnt eine andere Zeitrechnung, in uns und um uns herum. Wir laufen schnell, aber alles andere wird langsamer. Eigentlich der ideale Lauf und Ort, um total abzuschalten. Wenn da nicht dieses sportlich so dicht beieinanderliegende Viererfeld an der Spitze wäre. Aber es bringt unerwartet viel Spaß, auf diese lange Distanz jeden Tag wieder von Neuem hart am Limit zu laufen. Die Strecke ist abwechslungsreich, bietet Sandpisten, gelegentlich Flussbetten (ohne Wasser) und wiederkehrende Traversen über kleine Hügelketten.

Es gibt aber auch die typischen langen, geraden, rotsandigen Tracks. Damit es nicht langweilig wird, stolpere ich am fünften Tag über einen Stein, und es haut mich gewaltig hin. Ich habe keine exakte Erinnerung, wie es passiert, da mir eine kleine Gehirnerschütterung anscheinend ein paar Sekunden gelöscht hat. Ich falle, bremse aber den Sturz mit dem Gesicht. Ich habe seltsamerweise keine Verletzungen an den Händen, was normal wäre, wenn man sich nach vorn abfängt. Wahrscheinlich ein altersbedingter Schwächeanfall, oder noch besser: Totalausfall. Ich liege plötzlich mit dem Gesicht in den Steinen. Philippe und Patrick sind kurz darauf zur Stelle. Ich blute, als hätte man mich frisch geschlachtet. Da mir die Suppe auch aus dem Mund tropft, werden Nase und Zähne genauer betrachtet. Die beiden begleiten mich bis zum nächsten Checkpoint. Dort wartet unser französischer Doc Bruno, der mich eingehend untersucht. Viel Blut, aber nix gebrochen. Alles wird getapet. Er tippt auf Gehirnerschütterung und will mich ein wenig dabehalten. Ich will aber weiter und versuche ihm klarzumachen, dass es mir gut geht. Wir einigen uns auf eine finale Testung – ich zähle auf Französisch von eins bis zehn. Bestanden! So geht das in der Wüste … bis ich außer Sichtweite bin und mich hinter dem nächsten Busch erst mal übergeben muss. Gehirnerschütterung. Bruno hat das grundsätzlich richtig entschieden. Im Zweifel auch mal für den Sportler – er war früher selbst aktiver Läufer. Bis zu Patrik und Philippe kann ich wieder aufschließen, und somit wurde auch dieser Tag nicht langweilig. Außer Blut und ein wenig Futter für die Schlangen war ja nix.

Die letzte Etappe mit fast 130 km endet am Uluru (Ayers Rock) und wird – wie erwähnt – legendär. Die Führenden starten einige Stunden nach dem Hauptfeld. Frank Reintjes, der das Rennen auch gewinnen wird, ist vorne weg, Philippe, Patrik, noch ein Philippe und ich laufen fast den ganzen Tag im Vierertrupp durch das Outback. Gegen Nachmittag löst sich das Feld auf. Philippe Richet gibt Gas, und ich konzentriere mich darauf, Patrick nicht aus den Augen zu verlieren. Philippe Manial geht ein wenig verloren. Wir überholen Frank, bei dem ich aber nicht bleiben kann, da ich folgen muss. Patrick ist ein sehr erfahrener Läufer mit mehreren Teilnahmen beim Badwater Ultra, und er ist ein Fuchs. Ich meine das liebevoll und mit großer Anerkennung. Er wartet bis zum Eintritt der Dunkelheit und zieht dann mächtig das Tempo an. Ich versuche dranzubleiben, habe allerdings einen Aspekt nicht bedacht – die Nacht. Als er hundert Meter Vorsprung rausgelaufen hat, kann ich ihn nicht mehr sehen. Tagsüber würde man vielleicht darüber lächeln und sich reinhängen. Da durfte der Fuchsgruber mal wieder was lernen. Sein Abstand wächst von Checkpoint zu Checkpoint. Ich muss mich mittlerweile mit einem Dingo auseinandersetzen, der mich in der Dunkelheit verfolgt. Dingos sind nicht ganz so putzig, wie man meint, vor allem nicht, wenn sie allein unterwegs sind. Oftmals handelt es sich dabei um kranke Tiere, die sich in ihrer Hungernot auch schon mal an einer Beute vergreifen, die eindeutig größer ist als sie. Einen deutschen Touristen haben sie kurze Zeit zuvor so zerlegt, dass er mehrere Wochen in Australien im Krankenhaus lag. Ein neunjähriger Junge starb sogar nach einem Angriff. Trotz meiner Wurfgeschosse in seine Richtung ist er beharrlich. Wir laufen mittlerweile auf der Straße, und ich versuche, dem weißen Randstreifen zu folgen. Obwohl dieser im Schein der Stirnlampe fett vor mir liegt, verliere ich diese Linie immer wieder aus den Augen. Dann heißt es: Augen schließen, Hirn wieder hochfahren, Augen öffnen – und da ist sie dann wieder, die weiße Linie. Das mache ich alle fünf Minuten oder lasse mich wahlweise von einem der riesigen Roadtrains erschrecken. Die sind über 50 m lang und etwa 100 km/h schnell. Schlagartig ist man wieder wach, wenn einem Stirnlampe und Hut wegfliegen.

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