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Der Vorsitzende

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Auch wenn seine Kammer am Tag des Geschehens weitestgehend geschlechtsneutral besetzt war, rechne ich alle wesentlichen Teile ihres Urteils und deren Begründung vor allen Dingen ihm zu. Ihm, dem Kammervorsitzenden. (Kennwort hier und im Folgenden: „Der Jurist“) Er hat das Urteil unterschrieben, also auch — so hoffe ich zumindest — aufmerksam durchgelesen. Und doch scheint ihm dabei der eine oder andere ziemlich schräge Entscheidungsgrund der Urteilsbegründung schlichtweg durch die Lappen gegangen zu sein:

Unter anderem hat er die Logik-Mängel des als Referenz herangezogenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz nicht nur übersehen, sondern sich diese stattdessen per Unterschrift ausdrücklich zueigen gemacht. Wieder geht es — wie zuvor auch bei den Gartenbäumen — um die Grundfrage, ob Netzbetreiber und Bundesnetzagentur unbeteiligte Anwohner auch vor vorübergehenden Grenzwertüberschreitungen schützen müssen oder stattdessen nur davor, dass sie dieser Gesundheitsgefahr nicht andauernd ausgesetzt sind. In ihren eigenen Wohnräumen zum Beispiel.

Rheinländer sind lustige Leute. Das weiß ich aus eigener, leidvoller Berufserfahrung. Und so lustig sind auch zwei der Begründungen, die das besagte OVG dafür ins Feld führt, dass die Sicherheitsabstände von Mobilfunk-Anlagen auch in Bereiche hineinreichen dürfen, in denen zu erwarten ist, dass dort Personen fröhlich umher wuseln könnten, ohne dass die für deren Sicherheit verantwortlichen Betreiber dies zu kontrollieren vermögen. Wobei letzteres nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers eigentlich die unbedingte Grundvoraussetzung für jede von der Bundesnetzagentur erteilte Betriebsgenehmigung sein sollte.

Ich zitiere das Gericht:

'Ausgeschlossen' ist dabei nicht im Sinne einer absoluten Unmöglichkeit zu verstehen. Angesichts der Möglichkeit, sich mittels technischer Hilfsmittel an nahezu jedem Ort länger aufzuhalten, würde ansonsten die 2. Alternative des § 2 Nr. 7 BEMFV weitgehend leerlaufen.“

Liebe Leserin, lieber Leser: Bitte versuchen Sie gar nicht erst zu verstehen, was das OVG Rheinland-Pfalz uns hiermit sagen will, schließlich ist Ihnen die „2. Alternative des § 2 Nr. 7“ der bundesdeutschen Genehmigungsverordnung BEMFV für stationäre, nicht-militärische Funkanlagen ja vollkommen unbekannt. Und ich beabsichtige hier auch keineswegs, Sie zur Expertin/zum Experten für die genehmigungstechnischen Geheimnisse des Mobilfunks auszubilden. Stattdessen lesen Sie bitte meine eigene Übertragung in allgemein verständliches Deutsch:

Stellen Sie sich vor, der Gefahrenbereich einer Mobilfunkanlage läge hundert Meter über Ihrem Grundstück. Gut hundert Meter, so hoch wäre der Antennenmast. Jetzt bräuchten Sie einen James-Bond-mäßigen Raketenrucksack, um da hineinzukommen. Und da es dem OVG nach solche Raketenrucksäcke anscheinend in jedem x-beliebigen, um die Ecke gelegenen Baumarkt zu kaufen gibt, dürfte es laut rechtsgültigem Richterspruch Ihnen als Anwohner(in) letztendlich auch egal sein, ob der auf Ihrem Nachbargrundstück stehende Antennenmast tatsächlich über hundert Meter oder in Wahrheit nur zehn Meter hoch ist und damit Ihr Hausdach kontaminiert oder — so die Schlussfolgerung der hiesigen Gerichtskammer — auch die Kronen Ihrer Gartenbäume, in die zum Beispiel Ihre Kinder mühelos hineinklettern könnten. Um sich dabei unfreiwillig einer über den gesetzlichen Grenzwerten liegenden Mobilfunk-Strahlung auszusetzen.

Ich frage Sie: Ist das nicht vollkommen logisch, gleiche Regeln für zehn Meter wie für hundert Meter hohe Antennenmasten? Und gleiche Regeln für Gartenbäume wie für Hausdächer? Oder sollten hier möglicherweise — wie ich selber stark vermute — Äpfel mit Birnen verglichen worden sein?

Zweites, noch hanebücheneres Zitat aus dem Referenzurteil des OVGs Rheinland-Pfalz vom 16.3.2010, Aktenzeichen 6 A 10813/09:

Zudem kann ein Anlagenbetreiber selbst in dem Bereich, in dem er über den Zutritt oder Aufenthalt von Personen bestimmen kann, das Eindringen Unbefugter nicht mit absoluter Sicherheit verhindern.“

Super: Der Anlagenbetreiber kann also selbst auf dem Grundstück, auf dem seine Mobilfunk-Antennen stehen, die Gefährdung von Personen nicht ausschließen, also darf er Sie (und/oder Ihre Kinder) selbstverständlich ebenfalls in Gefahr bringen. Was um Gottes Willen ist das für eine Logik?

Genau diese Frage habe ich dann auch einigermaßen erstaunt der Urheberin dieses inzwischen über zehn Jahre alten Urteils, dem eben erwähnten rheinland-pfälzischen Oberverwaltungsgericht, gestellt und — erwartungsgemäß — bis zum heutigen Tage keine Antwort erhalten. Jurist müsste man halt sein und nicht Mobilfunk-Anwohner oder -Anwohnerin: Dann, so scheint es jedenfalls, kann einem alles getrost am Allerwertesten vorbeigehen...

Da sich unser Herr „Christ“ (so nennen wir hier der Einfachheit halber mal unseren „Juristen“, denn auf B folgt der Buchstabe C) diese und noch andere Aussagen seiner Kammer, deren Logik-Gehalt ebenfalls gern etwas höher hätte ausfallen dürfen, durch die eigene Unterschrift in seiner Funktion als deren Vorsitzender ausdrücklich zueigen gemacht hat, können wir eines unserer gleich zu Anfang formulierten Vorurteile schon hier und jetzt dem Reich der Grimmschen und anderer Märchen zuordnen: Dass nämlich Männer angeblich von Aussagenlogik (so der wissenschaftliche Fachbegriff) mehr verstünden als Frauen.

Und tatsächlich wird genau dieses Vorurteil auch durch meine langjährige Berufserfahrung als Seminarleiter und technischer Berater widerlegt: Ich hatte dabei viel mit hochqualifizierten Ingenieuren zu tun, allesamt Top-Spezialisten auf ihrem jeweiligen Fachgebiet und fast ausschließlich männlichen Geschlechts. Dennoch waren sie einzeln oder als Gruppe nur in den seltensten Fällen in der Lage, komplexe Zusammenhänge logisch so zu strukturieren und Kontext-bezogen zu analysieren, dass sich daraus der Aufgabe angemessene Lösungsansätze für neu entstandene Problemfälle ableiten ließen. Warum ich das hier so sicher behaupten kann? Ganz einfach deshalb, weil sie sonst in der Mehrzahl aller Fälle meiner Schulungs- und Beratungsleistung überhaupt nicht bedurft hätten.

Nachdem wir nachgewiesen haben, dass der durchschnittliche Mann unter rein logischen Gesichtspunkten weder besser, noch schlechter argumentieren kann als eine Frau, räumen wir auch gleich noch mit einem weiteren genderbezogenen Vorurteil auf: Dass sich weibliche Führungskräfte nämlich angeblich stärker von ihren Gefühlen (ver)leiten lassen würden als ihre männlichen Kollegen. Um dies zu widerlegen, kommen wir erneut zurück auf Frau Anders und ihre Anwohner, Spaziergänger und Natur gleichermaßen irritierenden „Leuchtfeuertreppe“...

Weiblich, kompetent, FÜHRUNGSKRAFT

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