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2. Konsequenzen für die Kirche

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Das alles bedeutet nun, dass die katholische Kirche in unseren Breiten mit manifesten, nicht länger verdrängbaren Abstiegserfahrungen umgehen muss. Religion wird zunehmend weniger im kirchlichen Dispositiv vergesellschaftet, das Religion in Konzepten von Mitgliedschaft, Gefolgschaft und Macht organisierte und zudem davon ausging, dass sich die je individuelle Religiosität und die gemeinschaftlich gelebte, verfasste Religion, also Persönlichstes und Öffentlichstes, Intimstes und kirchliche Obrigkeit, wenn irgend möglich decken. Im Zuge der globalen Durchsetzung eines liberalen, kapitalistischen Gesellschaftssystems werden religiöse Praktiken in die Freiheit des Einzelnen gegeben und folgen damit vielen anderen, ehemals der Entscheidungsfreiheit des Individuums entzogenen Praktiken, etwa der Orts-, Kleidungs-, Berufsoder Partnerwahl.

Für die kirchliche Pastoralmacht markiert dies den definitiven Endpunkt eines einzigen Verlustwegs. Dieser führte vom Kosmos zur Kommunität und schließlich zum Körper. Die kosmisch codierte Interpretationsmacht des Christentums wird zuerst in Frage gestellt von Männern wie Galilei, Kopernikus und Kepler, der kirchliche Zugriff auf die (nicht-kirchliche) Kommunität ging mit dem bürgerlichen Gesellschaftsprojekt und somit im 19. Jahrhundert verloren, nachdem schon der Absolutismus des 18. Jahrhunderts sich zunehmend von kirchlichen Bestimmungshorizonten frei gemacht hatte. Zuletzt aber versuchte gerade die katholische Kirche, etwa über ihre Moralverkündigung, noch Einfluss auf den Körper zu nehmen, auf seine Praktiken und Techniken.10

Es herrscht aber auch nicht mehr das aufklärerische Dispositiv11 des Religiösen, das die Konsistenz religiöser Praxis und Inhalte vor der Vernunft anstrebte und von dieser Konsistenz her Religion beurteilte, manchmal auch verurteilte. Was herrscht, kann man vielleicht am ehesten als »autologisches Dispositiv« bezeichnen, als Organisation und Praxis von individueller Religion nach dem – durchaus nicht beliebigen und trivialen – individuellen biografischen Bedürfnis.12 Das folgt einer eigenen Logik, der Logik der prekären Lebensbewältigung auch mit Hilfe von Religion. Religion und eben auch Kirche werden damit aber unter ein individuelles Nutzenkalkül gestellt – und das gilt auch für praktizierende Katholiken und Katholikinnen.

Das trifft die katholische Kirche an einem zentralen Punkt ihrer neuzeitlichen Geschichte: ihrer institutionellen Lebensform. Diese institutionelle Lebensform ist gerade im katholischen Bereich mächtig und eindrucksvoll. Gegenwärtig aber muss die Kirche damit umgehen, dass mit ihr umgegangen wird und dass auch ihre stolze Institutionalität dies nicht verhindert. Bisweilen gilt gar: ganz im Gegenteil. Kirchliche Institutionen geraten damit unter den permanenten Zustimmungsvorbehalt ihrer eigenen Mitglieder. Es ist so nicht ganz ohne Logik, wenn mittlerweile die pastoral folgenreichste empirische Studie der letzten Jahre, die Sinus-Milieustudie13, von einem Marktforschungsinstitut, Sociovision, erstellt wurde und das lieferte, was man von einer Marktforschungsgesellschaft erwarten kann: einen Marktlagebericht. Und es ist auch nicht erstaunlich, dass gerade auf diesen Marktlagebericht innerkirchlich so sensibel reagiert wurde.

Schließlich schaut diese Marktlage für die katholische Kirche nicht sehr erfreulich aus. Sie ist offenbar nur noch in drei der hier definierten zehn Lebensstilmilieus halbwegs stabil verwurzelt, stößt in den anderen Milieus zunehmend auf Desinteresse oder gar Ablehnung, da man dort in ihr nicht zu finden glaubt, was man an Religion eventuell nachfragt. Die drei kirchlich affinen Milieus (die »bürgerliche Mitte«, die »Traditionsverwurzelten« und die »Konservativen«) sind zudem nicht sehr innovationsfreudig und keine gesellschaftlichen Trendsetter.

Nun gelingt es sicher vielen nicht-gemeindlichen Handlungsfeldern der Kirche, auch in anderen Milieus zumindest situativ und punktuell Fuß zu fassen: der Caritas etwa oder der Kategorialpastoral in Krankenhaus und Gefängnis oder auch dem Bildungssektor mit einer immer noch recht hohen Breitenabdeckung durch den Religionsunterricht. Dennoch wirkte der Sinus-Marktlagebericht in einer unter dem staatskirchenrechtlichen Rettungsschirm noch immer sehr gut lebenden Kirche zu Recht ernüchternd. Denn er beschreibt realistisch die teils drohende, teils bereits eingetretene kirchliche Kundendistanz. Es spricht freilich nicht unbedingt für die innerkirchlichen Kommunikationsverhältnisse, dass diese Milieukenntnisse nicht schon längst innerkirchlich durch die professionellen Erfahrungen des eigenen Personals bekannt wurden. Zumal dieses nicht nur analytische, sondern auch pastorale Milieukompetenz besitzt – zumindest dort, wo es seine Aufgabe erfüllt.

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