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Einleitung

1.

Die Skepsis des Papstes gegenüber der konkreten Verfasstheit der deutschen katholischen Kirche war bei seinem Deutschlandbesuch im Herbst 2011 mit Händen zu greifen. Und dennoch spricht vieles dafür, dass jene staatskirchenrechtlichen Regelungen noch eine gute Weile halten werden, die es der deutschen und auch der österreichischen katholischen Kirche erlauben, ein weltkirchlich fast einmalig gut ausgebautes, flächendeckendes und sehr professionelles System kirchlicher Präsenz zu etablieren und zu finanzieren. Der Rettungsschirm staatlicher Protektion hält noch und er wird aller Voraussicht nach auch noch einige Zeit halten, trotz offenkundig schwindender Anteile der christlichen Kirchen am religiösen Markt.

Unter spätmodernen Marktbedingungen wird Religion keine Privatsache, sondern bleibt eine öffentliche Angelegenheit. Die christlichen Kirchen besetzen weiterhin den öffentlichen Raum mit ihren Zeichen und Symbolen, wenn sie ihn auch nicht mehr beherrschen und die Interpretation ihrer eigenen Zeichen nicht mehr steuern können. Gleichzeitig beginnen aufsteigende Immigrantenreligionen ihre Existenz in der Öffentlichkeit durch demonstrativ hochreligiöse Privatpersonen zu markieren und religiöse Bauten außerhalb der Hinterhöfe zu errichten.

Es spricht vorerst wenig dafür, dass es sich die staatlichen Autoritäten politisch erlauben können, das Christentum und seine Kirchen rechtlich massiv zu deprivilegieren. Wohl ist mit der Aufnahme neuer Religionsgemeinschaften in den Kreis der Bevorzugten zu rechnen, schließlich unterstützen auch die christlichen Kirchen aus guten theologischen Gründen die rechtliche und institutionelle Gleichstellung etwa des Islam; es sind eher rechtspopulistische Politiker, die den Kirchen vorwerfen, interreligiös zu nachgiebig zu sein. Weder in Deutschland noch in Österreich droht aber der staatliche Schutzschirm über den christlichen Kirchen einzuklappen.

Es ist daher erst einmal damit zu rechnen, dass jene Charakteristika, welche für die deutsche und modifiziert auch österreichische Kirche1 typisch sind, noch einige Zeit gelten werden: ein starker und relativ eigenständiger Laienkatholizismus, ein hoher Professionalitätsgrad und eine gesellschaftlich tief verflochtene kirchliche Handlungsstruktur. Und dennoch ist das Gespür des Papstes schon richtig und die Zukunft der deutschen und österreichischen katholischen Kirche tatsächlich prekär, also gefährdet und in unsicherer Abhängigkeit.

Denn jene Sozialform der katholischen Kirche, wie sie sich nach dem Konzil von Trient (1545–1563) in Reaktion auf den beginnenden Reichweitenverlust kirchlicher Pastoralmacht gebildet hatte, zerfließt in den Kontexten einer spätmodernen Gesellschaft. In ihr wird Religion zunehmend nicht mehr nach den Mustern von exklusiver Mitgliedschaft, lebenslanger Gefolgschaft und umfassender religiöser Biografiemacht organisiert, wie es für »Kirchen« typisch war, sondern, wie vieles andere auch, tendenziell marktförmig. Und das bedeutet: Wir erleben den Beginn einer »liquid church« (P. Ward).

2.

Die hier vorgelegten Analysen gehen davon aus, dass die Zukunft der katholischen Kirche in unseren Breiten unter diesen Bedingungen nicht primär von der Verfügbarkeit diverser Ressourcen abhängt,2 auch nicht von ihrer konkreten Organisationsform vor Ort, sondern von der Gestaltung zentraler, für die katholische Kirche typischer Kontraste. Ihre herkömmliche, aus früheren Phasen der Kirchengeschichte stammende Formatierung wird zunehmend problematisch für die Plausibilisierung des Glaubens.

Vier solcher Kontraste scheinen mir signifikant und sind daher Thema dieses Buches: jener von Priestern und Laien, der katholisch herkömmlich in Über- und Unterordnungskategorien formatiert ist; jener von Hauptamtlichen und »Ehrenamtlichen«, der gewöhnlich auf der Achse Kompetenz – Unterstützung praxiswirksam wird; der Kontrast von gelegentlichen Kirchennutzern (früher: »Fernstehende«, heute: »Kasualienfromme«) oder gar Ausgetretenen zu regelmäßigen Kirchgängern, der klassisch als Kontrast zwischen »wir« und »jenen«, wenn nicht sogar »drinnen« und »draußen« gefasst wird; und der Kontrast von Männern und Frauen, der in der katholischen Kirche nach wie vor asymmetrisch angelegt ist. Die Hauptverantwortung für die Gestaltung dieser Kontraste liegt dabei natürlich bei den jeweils Gestaltungsmächtigeren, also den Priestern, den Hauptamtlichen, bei jenen, die im institutionellen »Innen« der Kirche sich engagieren, und bei den Männern.

Es wird alles darauf ankommen, ob diese Differenzen kreativ werden im Sinne des pastoralen kirchlichen Auftrags oder nicht. Dabei wird es nicht so wichtig sein, was sich die Beteiligten selber dabei denken, als vielmehr, welche Erfahrungen sie machen und welche Erfahrungen andere mit ihnen machen. Denn von der Wahrheit dieser Erfahrungen kann sich niemand mehr in der Kirche auf Dauer durch irgendwelche Schutzmechanismen abkoppeln. Sollten diese Kontraste weiterhin und gar zunehmend als destruktiv und dysfunktional wahrgenommen werden, sehe ich keine gute Zukunft für die katholische Kirche, weder institutionell noch pastoral. Die Entscheidung ist offen.

3.

Dieses Buch erscheint fünfzig Jahre nach Beginn des II. Vatikanischen Konzils. Es versteht sich als kleiner pastoraltheologischer Beitrag zu diesem Jubiläum. Denn das II. Vatikanum ist nicht nur ein normatives Glaubenszeugnis der Vergangenheit, sondern auch ein aktivierbares Programm für die kirchliche Praxis, so auch gerade in seinem eigenen Selbstverständnis. Ich gehe dabei davon aus, dass das II. Vatikanum das Programm für die kreative Überschreitung alter Codes und für einen weiterführenden Umgang mit den entscheidenden Kontrasten innerhalb der katholischen Kirche enthält. Auf dieser Basis werden einige Vorschläge für die Weiterentwicklung der konkreten Sozialformen der katholischen Kirche vorgelegt.

4.

In der vorliegenden Publikation werden Analysen und Vorschläge zur Lage und Zukunft der katholischen Kirche in unseren Breiten gebündelt, die in den letzten Jahren an verschiedenen Stellen entwickelt und veröffentlicht wurden, und einem breiteren Publikum vorgelegt. Die Auseinandersetzung mit alternativen Analysen und Optionen wird in diesem Buch nur zurückhaltend geführt. Wer sich hierfür interessiert, der sei für die Grundlagenfragen auf die Publikation »Theologie im Risiko der Gegenwart«, Stuttgart 2010, und für pastorale Einzelprobleme auf »Orte und Prozesse. Studien zu den aktuellen Konstitutionsproblemen der deutschen katholischen Kirche« verwiesen; dieses Buch hoffe ich 2013 vorlegen zu können.

Wieder einmal habe ich Frau Ingrid Hable, meiner Mitarbeiterin am Grazer pastoraltheologischen Institut, sehr herzlich zu danken und auch Heribert Handwerk, dem Lektor des Echter Verlags. Die Zusammenarbeit mit ihnen gehört zu den wirklichen Freuden meines beruflichen Lebens.

Ich widme diese kleine Schrift jenen, die an der Basis der katholischen Kirche redlich und voller Engagement versuchen, in den Steppen des persönlichen wie kirchlichen Alltags ein Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes zu sein.

Rainer Bucher Graz, 12. Februar 2012

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