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5. Individualisierung versus Vergemeinschaftung

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Auch die Verknüpfung der Gemeindeproblematik mit der Frage Vergemeinschaftung versus Individualisierung dürfte nicht weiterführend sein. Das zentrale ekklesiale Problem der Pianischen Epoche war strukturell die mangelnde Freiheit und inhaltlich die Unfähigkeit, eigene Gehalte außerhalb der Kirche als solche zu identifizieren. Das zentrale Problem der kirchlichen Gegenwart, zumindest in unseren Breiten, ist strukturell die Schwierigkeit von Gemeinschaft und material die Setzung der Differenz des Eigenen innerhalb des allgemein Religiösen.

War in der Pianischen Epoche die Gemeinschaft des Kirchlichen die Selbstverständlichkeit und die Freiheit das Unselbstverständliche, so ist heute die Freiheit vom Kirchlichen die Selbstverständlichkeit und die kirchliche Gemeinschaft das Unselbstverständliche. Die Alternative lautet also nicht: religiöser Individualismus versus gemeindliche Vergemeinschaftung. Denn die Freigabe zu religiöser Selbstbestimmung auch für Katholiken und Katholikinnen ist eine soziale Tatsache, im Übrigen eine erst einmal ausgesprochen erfreuliche. Es geht vielmehr darum, wie heute noch ekklesiale Sozialität möglich ist, und dies jenseits ihrer mehr oder weniger hilflosen Einforderung durch die Propagierung quasi-selbstverständlicher Sozialformen von Kirche.

Alfred Dubach hat zutreffend bemerkt, dass es überhaupt nichts nützt, die eigenen, prekär gewordenen Vergemeinschaftungsformen dadurch retten zu wollen, dass man passenderweise eine angebliche »Sehnsucht vieler Menschen nach Gemeinschaft« als »Zeichen der Zeit«28 identifiziert. Die »strukturelle Individualisierung moderner Gesellschaften«, so Dubach, werde von den kirchlichen Autoritäten »als beängstigend und bedrohlich erfahren«. Dies lasse die Kirchenleitungen in ihrer »Sorge um die eigene Institution« dann »nicht auf eine Kultivierung moderner Freiheitsambitionen setzen«, vielmehr solle über »dichte kohäsive Sozialbeziehungen … kollektive Identität mit den Überzeugungen der Kirche erreicht werden.«29 Auch das gemeindekirchliche Konzept folgt noch deutlich diesem Muster.

Vergemeinschaftungsformen scheinen heute sehr milieuspezifisch zu sein,30 und es gilt wohl eher der Satz, mit dem ein evangelischer Sammelband zum Problem beginnt: »Feste Zugehörigkeiten sind ungewöhnlich geworden. Sie werden vermisst, wenn sie fehlen; sie stören mehr oder weniger, wenn sie gegeben sind.«31 Die Grundfrage von Kirchenbildung unter spätmodernen Bedingungen ist eben nicht, wie viel Gemeinschaft gegen den Freiheitsdrang des Einzelnen noch gerettet werden kann, sondern: »Wie stiftet Freiheit ekklesiale Sozialität?«32

Die Alternative lautet daher nicht: religiöser Individualismus gegen gemeindliche Vergemeinschaftung, so als ob es diese an jenem vorbei heute noch gäbe. Es geht vielmehr um die unter diesen Bedingungen heute möglichen Vergemeinschaftungsformen von Kirche. Dass sich dabei wie »auf vielen Feldern des gesellschaftlichen Lebens … auch hinsichtlich der religiös-kirchlichen Praxis der Menschen Prozesse der Delokalisierung und der Relokalisierung zugleich beobachten«33 lassen, ist unbestritten, immer aber finden sie unter modernen Freiheitsbedingungen statt.

Das Christentum kennt von seinen Anfängen her die Spannung von konstitutiver Gemeinschaftlichkeit und unvertretbarer Individualität vor Gott. Koinobiten und Anachoreten, der zölibatäre Priester und die Familie als ekklesiola, Paulus in seinem unvertretbaren Damaskuserlebnis und die frühe judenchristliche Jerusalemer Gemeinde oder auch der Papst, der ex sese unfehlbare ex cathedra-Entscheidungen fällen kann, aber doch nur, wenn er den Glauben der Kirche auslegt: Das Christentum ist in der Spannung von Individualität und Gemeinschaftlichkeit situiert – und nicht an einem dieser Pole.

Der unübersehbaren Ambivalenz der Gemeindetheologie wird man nur mit einer dreifachen, in sich freilich zusammenhängenden Reaktionsstrategie entkommen. Zum einen mit der Anerkennung der religiösen Freiheit des Einzelnen als Konstitutionsbedingung, ja Konstitutionsprinzip von Kirche; zudem mit der konsequenten Anerkennung aller Vergemeinschaftungsformen, der alten und der neuen, der stabilen wie der flüchtigen, der kleinen wie der massenhaften, als grundsätzlich gleichrangige Realisationsorte der pastoralen Aufgabe von Kirche;34 sowie drittens in der Umsetzung der pastoralen Wende des Konzils und also seines pastoralen Prinzips35 auch in der pastoraltheologischen Reflexion kirchlicher Sozialformen.

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