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4 Das Territorialprinzip und die Liturgie: Wo die Pfarrei Gott präsentiert
ОглавлениеWas bleibt dann aber der Pfarrei? Potentiell: alle Pastoral, die sie tun kann und gut tun kann. Also alles, was jenen Männern und Frauen, die sich in ihr versammeln, an Erschließung des Evangeliums aus dem Leben und des Lebens aus dem Evangelium möglich ist. Das kann an verschiedenen Orten ganz Verschiedenes sein – aber die Gläubigen vor Ort müssen es auch wirklich können. Dies könnte man die potentielle charismatische Omnipotenz der Gemeinde nennen: Was ihr geschenkt ist, soll sie verwirklichen – und auch verwirklichen dürfen. Aber was ihr nicht geschenkt ist, soll sie nicht machen müssen – mit zwei Ausnahmen, und beide sind gnadentheologisch begründet: Liturgie und Territorialpräsenz.
Soziologisch gesehen ist die Liturgie enorm pluralitätsfähig. Gerade als relativ normiertes und auch formalisiertes Geschehen, bei dem der individuelle Partizipationsgrad zwischen tiefster Teilhabe und diffuser „Abwesenheit in der Anwesenheit“ offen bleiben kann, hat die Liturgie die Chance, der zentrale Ort der Integration von Gemeinde im Angesicht Gottes zu werden. Damit ist aber auch schon der zweite, wichtigere Grund benannt: Die Liturgie ist der zentrale gnadentheologische Vollzug der Kirche, sie ist Ort der diskreten Öffnung der Menschen zueinander angesichts der unendlichen Offenheit Gottes für uns.
Zum anderen aber muss sich die Pfarrei als Angebotsstruktur des Evangeliums in der Fläche bewähren. Wieder legt dies die Dopplung von soziologischen Eigenschaften und gnadentheologischem Auftrag nahe. Denn als Angebotsstruktur präsentiert das Territorialprinzip eine einfache, überschaubare Organisationsstruktur, die identifizierbare Orte und damit erreichbare Nähe für Erst- oder Dauerkontakte zur Botschaft des Evangeliums angibt.
Theologisch kann das Territorialprinzip als ein Signal diakonischer Selbstanbietung der Kirche an und für alle verstanden werden. Es steht für die Ungeschuldetheit und Offenheit der Gnade Gottes an alle, wo immer sie leben und wer immer sie sind. Das Territorialprinzip zwingt die Kirche hinein in die Gesellschaft, zwingt Kirche, alle Menschen wahrzunehmen, sich mit ihren Sorgen und Nöten zu identifizieren, sie in sich aufzunehmen, ihnen gerecht zu werden. Das Territorialprinzip ist damit – ganz gegen den ersten Anschein – ein großer Anspruch.