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DER LANGE WEG VOM ERLAUBNIS- ZUM ERMÖGLICHUNGSDISKURS Die Gemeindeleitungsproblematik im Kontext der Konstitutionsprobleme der katholischen Kirche in den entwickelten Gesellschaften Deutschlands und Österreichs 1 Die Fragestellungen
ОглавлениеMan kann die Frage nach einer in der katholischen Kirche heute möglichen Gemeindeleitung durch Laien in verschiedenster Weise kontextualisieren. Es wäre etwa möglich, sie diachron durch die Kirchengeschichte zurückzuverfolgen, in der bekanntlich die Einflussrechte der sogenannten „Laien“ auf allen Ebenen der Kirche sehr wandelbar waren, über lange Jahrhunderte jedenfalls sehr viel größer als heute,295 und für die neutestamentliche Zeit gar gesagt werden kann, dass, ich zitiere den Grazer Neutestamentler Christoph Heil, die „auf den galiläischen ‚Laien‘ Jesus von Nazareth zurückgehende Erneuerungsbewegung … in den ersten Generationen keine innergemeindliche Gegenüberstellung von ‚Klerikern‘ und ‚Laien‘ (kannte)“296. Marlis Gielen stellte zudem jüngst fest, dass
Frauen … in der ersten urchristlichen Generation funktionsidentisch mit Männern Aufgaben in der Gemeindeleitung wahr(nahmen), und zwar gleichermaßen im Bereich der Gemeindeorganisation wie im Bereich der vertiefenden Evangeliumsverkündigung297
und man im Neuen Testament vergeblich „nach einer Verbindung zwischen gemeindebezogenen Funktionsbegriffen und der Funktion des Vorsitzes bei der gemeindlichen Herrenmahlfeier“298 suche.
Man kann die Problematik natürlich auch auf die Erfahrungen mit dem c. 517 § 2 focussieren, der unter spezifischen Bedingungen erlaubt, Laien an der Ausübung der Hirtensorge („cura pastoralis“) einer Pfarrei zu beteiligen, und dann synchron durch die kirchlichen Weltregionen verfolgen, schließlich ist die katholische Kirche spätestens seit dem II. Vatikanum nicht nur realiter, sondern auch in ihrer konzeptionellen Selbstreflexion vom Eurozentrismus zur globalen Perspektive übergegangen, entdeckt sie dort ihre Katholizität nach innen und außen neu299 und reflektiert sie den Glauben erstmals im Horizont globaler Modernisierung.300
Hier soll demgegenüber das Thema zeitlich und örtlich eingerenzt werden: Es wird im Folgenden um Europa und speziell den deutschsprachigen Raum der Gegenwart gehen. Dabei soll die Gemeindeleitungsproblematik in drei Kontexten betrachtet werden, die neben dem kirchenrechtlichen für Kirchenbildungsprobleme einschlägig sein dürften.301 Ich werde von „außen nach innen“ vorgehen und die Gemeindeleitungsproblematik zuerst in einen religionssoziologischen, dann in einen pastoraltheologischen und schließlich in einen systematisch-theologischen Kontext gestellt wird.
Religionssoziologisch wird es um die Frage nach dem aktuellen Wandel in den Vergesellschaftungsprozessen von Religion in Europa gehen, einem Wandel, der gerade die katholische Kirche und ihre Sozialformen massiv umformatiert; pastoraltheologisch geht es um die Frage nach Konzeption und Realität der kirchlichen basisnahen Organisationsformen in den letzten Jahrzehnten, und systematisch-theologisch schließlich um die normative Selbstdefinition von Kirche, wie sie im II. Vatikanum vorliegt, welche normative Selbstreflexion das für unser Thema einschlägige Verhältnis von Laien und Klerikern grundlegend neu entwirft.
Alle drei Fragestellungen sind von manifesten Dialektiken und Spannungen durchzogen. Sie können hier nur in thetischer verkürzung erörtert werden. Zumal abschließend gezeigt werden soll, dass diese drei analytischen Kontextualisierungen der Gemeindeleitungsproblematik sich in einer gewissen Weise zu einem neuen Horizont zusammenschließen, von dem zu hoffen ist, dass er eine weiterführende Perspektive eröffnet.