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Katharina von Kürthen Der erste Arbeitstag Januar
ОглавлениеDer erste Arbeitstag ist immer der Schlimmste. Alles ist neu. In keiner Geste, in keiner Handlung, nirgends kann man sich auf Routine verlassen. Jeder Geruch, jeder Blick, jede Bewegung ist neu und ungewohnt.
Nicht, dass ich damals mit ersten Arbeitstagen wirklich viel Erfahrung hatte?! Nein. Nach neun Jahren weitestgehender Abstinenz vom Arbeitsleben kann ich wirklich nicht ernsthaft von einem großen Erfahrungsschatz sprechen. Aber das macht das Neue und Ungewohnte noch neuer und ungewohnter.
Herzlichen Dank, Frau von Kürthen, dass Sie uns das Interview gewähren. Sie sind ja eigentlich dafür bekannt, dass Sie Ihre Familie und Privatsphäre ganz besonders schützen. Daher ist es für mich ganz ...
.... Ich will wirklich nicht so tun, als ob ich Ihnen das Interview gerne gäbe. Aber Sie und Ihre Zeitung lassen mir ja keine andere Wahl.
Ach, das kann man so aber auch nicht sagen ...
... Doch, das kann man genau – so - sagen.
Nichts für ungut. Aber dass mein Mann und Sven Mühe, aus ihrer Sicht heraus, nicht besonders gut auf mich zu sprechen sind, das ist doch klar.
Auch wenn ich nicht sonderlich eitel und rechthaberisch bin, aber ich habe wirklich keine Lust mich und meine Familie in der Öffentlichkeit demontieren zu lassen.
Und das nur, weil ich eine Frau bin.
Würden Sie über einen Mann schreiben, dann gäbe es diese Story erst gar nicht.
„Was für ein arrogantes Arschloch!“
Ach, das glaube ich doch.
Ach, das glauben Sie doch?
Dann sagen Sie mir mal, warum Sie über meine Kollegen, die ein ausschweifendes Sexualleben haben, die ihre Frauen ohne Reue betrügen und gleichzeitig eine Hammerkariere hinlegen keine so propagandistische Reportage schreiben.
Aber das tun wir doch.
Ja sicher! Süffisant und mit einem Augenzwinkern. „Der alte Schwerenöter ...,, sie ist ja 20, 30 Jahre jünger. Aber er sieht ja auch noch gut aus, für sein Alter ...“ Bei Männern ist das alles normal.
Nein! Ich bin davon überzeugt, dass meine Geschichte nur so hochgekocht wird, weil ich eine Frau bin. Weil auch Sie davon ausgehen, dass einer Frau eine solche Rolle in der Gesellschaft nicht zusteht.
Aber Frau von Kürthen ....
..... Ich gebe zu, dass die Situation suboptimal gelaufen ist und das es ein weitaus erfreulicheres Enden unserer Liebesgeschichte hätte geben können. Unbestritten.
Aber noch einmal. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn wir Frauen nicht permanent in die Rollen der Mutter, der Ehe- und Hausfrau gedrängt würden, die ihre Karrieren ausschließlich neben dem Haushalt und den ehelichen Pflichten anzusiedeln haben, dann wäre es wahrscheinlich auch nicht zu diesen Extremen und letztlich zu diesem bitteren Ende gekommen.
Ich sehe nicht ein, warum ich mich dafür schämen sollte, dass ich es in der Rolle des „Heimchen am Herd“ nicht mehr ausgehalten habe und dass ich das Gefühl hatte zu ersticken.
Mein Mann lebte sich beruflich aus und fand alles „supi“ zu Hause, wo ihm der Hintern nachgetragen wurde.
Ich will David gegenüber nicht unfair sein. Ich habe es über eine lange Zeit geliebt, für die Familie da zu sein, sie zu umsorgen, das Familienleben zu genießen und all das. Aber ich bin und bleibe eine Künstlerin. Das konnte auf Dauer nicht gut gehen. Ich wäre auf kurz oder lang daran zerbrochen.
Ich will das aber gar nicht nur auf mich beziehen und darauf, dass ich Künstlerin bin. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn wir Frauen einen anderen gesellschaftlichen Stand hätten und wir uns nicht permanent als Rabenmütter fühlen müssten, nur weil wir neben der Familie auch noch Träume haben, nur weil wir auch neben der Familie unserer Karriere weiter nachgehen wollen, dann hätte alles anders kommen können.
Nichts gegen David, aber natürlich ging er davon aus, dass ich zu Hause bleibe und er sich mit der Galerie verwirklichen kann.
Dabei war doch von Anfang an klar, dass ich Regisseurin werden wollte. Schon am ersten Abend, als wir uns auf meiner Abschiedsparty zum ersten Mal trafen, erzählte ich ihm von meinem Stipendium im „August Wilson Theatre“.
Mein Gott war ich aufgeregt. Ein halbes Jahr New York. Mitten auf dem Broadway! Abgefahren!
Und er?
David war beleidigt, weil ich nicht bei ihm bleiben wollte. Er wollte mich nicht einmal küssen. Oh Mann.
Dabei war doch alles schon abgedreht und aufregend genug an diesem Abend.
Die Party war in der Wohnung meines Ex Freundes, der mich die ganze Zeit belauerte und um mich herum schwirrte. Er war so eifersüchtig auf David und meine Reise nach New York, dass ich froh war, dass David so hartnäckig an mir dran blieb. So konnte ich mir Robert schön vom Hals halten.
David war wirklich ein außergewöhnlicher und attraktiver Mann, in seinem schwarzen Anzug und seiner doch schon gesetzten Art. Die anderen waren ja eher Bubis gegen ihn. David war da schon ein anderes Kaliber.
Und trotzdem. Er zickte total rum und ... Ach was weiß ich. Später, als ich dann in New York war, da klappte es ja ganz gut.
Ich hatte, ehrlich gesagt, überhaupt nicht damit gerechnet, dass er sich in dieser Zeit melden würde.
Aber, das fand ich dann irgendwie schon aufregend, dass er sich da so reingehängt hat und am Ball geblieben ist. Anders währe es wahrscheinlich gar nicht gut gegangen mit uns. Ich war innerlich so weit weg und so in meinem Element, dass ich ihn, ohne seine Hartnäckigkeit, ganz sicher schnell vergessen hätte. Dazu war es am bei August Wilson viel zu spannend.
Wenn es so spannend war, warum sind Sie dann zurück-gekommen. Oder kamen Sie wegen ihrem Mann zurück?
Nein, sicherlich nicht. Nein, das Stipendium war abgelaufen und ich hatte keinen finanziellen Background, um in den USA zu bleiben. Außerdem wollte ich mein Studium in Deutschland zu Ende bringen.
Waren Sie denn verliebt in David?
Ach ... ich weiß nicht. Eigentlich nicht, jedenfalls nicht zwingend.
Aber ich war noch nie so richtig zwingend verliebt, daher viel mir das wahrscheinlich gar nicht auf.
Nein, es war ganz schön. Auch, dass er sich um mich so bemühte, das war wirklich neu für mich. Das kannte ich bis dahin überhaupt nicht.
Robert war so ein reicher, verwöhnter Junge, der es gewohnt war, dass man sich um ihn bemühte und nicht umgekehrt.
Und David war so ganz nah, so verliebt und warm, das war ich nicht gewohnt, wie gesagt. Und dann wurde ich ja auch schon schwanger. Das war eine echte Katastrophe. (lacht)
Eine Katastrophe? Das hört man selten bei Müttern.
Ach Sie, mit ihrem eingestaubten, glorifizierenden Mutterbild, das im letzten Jahrhundert geprägt wurde.
Bei Ihnen müssen Mütter alles toll finden, wenn es um Kinder geht. Das weichgezeichnete Muttersein. Mein Gott. Aber ich war gerade mal 24 Jahre alt und mitten im Studium. Da gab es anderes, was man unbedingt toll fand. Dazu gehört Mutter werden nicht unbedingt.
Aber als Georg dann da war, fand ich alles perfekt. Ich war gerade fertig geworden mit dem Studium und hatte das Gefühl, das ich mir eine Pause gut gönnen konnte.
Und irgendwie war es ja auch wirklich großartig.
Wir zogen in unser Haus und ich lernte viele neue Leute kennen, die mit Theater gar nichts zu tun hatten und einfach nur nett waren.
So gesehen habe ich die Zeit wirklich genossen. Ich hatte keinerlei berufliche Verantwortung, jede Menge Zeit und genügend Geld, um mir ein angenehmes Leben zu bereiten.
Alle um mich herum lebten so. Alle meine Freundinnen gingen nicht arbeiten, sondern lebten mehr oder weniger gelangweilt mit ihren Kindern in den Tag hinein. Alle tranken den ganzen Tag Latte macchiato oder Prosecco.
Das hört sich vielleicht abwertend an. Es ist aber gar nicht so gemeint. Eine Weile kann man ohne weiteres so leben.
Und dann kam Fritz und brachte mir noch mal einen neuen Sinn in mein Leben.
Aber spätestens, als beide Kinder im Kindergarten waren, fiel mir die Decke auf den Kopf und ich hatte das Gefühl, wenn mich noch einmal eine meiner Freundinnen fragt, ob ich noch ein Proseccöchen möchte, dann drehe ich durch.
Also begann ich, mich zu bewerben.
Und wurden dann von Marcello Dias eingestellt.
Ja, ausgerechnet von Marcello. Meinem Idol. Wahnsinn.
Und dann ging es auch gleich los.
Schon drei Wochen später ließ ich mein gewohntes Leben, meinen Mann, meine Kinder, meine Umgebung und Freunde von einem Tag auf den anderen zurück.
Ich sprang, sozusagen, in ein neues Leben. In eine neue Stadt, in eine neue Wohnung, in einen neuen Job und das, ohne darüber wirklich lange nachgedacht zu haben, ob dies richtig oder falsch war.
Verstehen Sie? Es war so klar für mich, so ungemein zweifelsfrei, dass ich das Assistenzangebot sofort zusagte. Und das, ohne abzuwägen, zu diskutieren oder zu hinterfragen.
Ich wollte so unbedingt an dieses Theater, dass eine andere Entscheidung niemals in Frage gekommen wäre.
Sie sagen das so, als wenn Sie sonst anders handeln oder gehandelt haben.
Das stimmt. Und deshalb war ich ja selber total von mir überrascht. Wie unvernünftig ich auf einmal sein konnte, wie irrational und spontan. Ich erkannte mich selber nicht mehr. –
Obwohl, das stimmt eigentlich gar nicht. In Wirklichkeit war ich immer so. Ich hatte das nur vergessen.
Doch zu dieser Zeit hatte mich das Muttersein so absorbiert, dass allein der Gedanke, ich würde für meine Kinder nur eine Wochenendmutter sein, völlig undenkbar war. Ich und meine Kinder!? Das war schon wie eins!
Und trotzdem nahmen Sie die Assistenz an.
Ja, mit allen Konsequenzen. Und daran erkannte ich, wie sehr ich mich in den Jahren zuvor unter Druck gesetzt hatte und wie sehr ich unter Druck gesetzt wurde. Ich hatte doch unbewusst ein völlig fremdbestimmtes Leben gelebt.
Ich möchte nicht, dass Sie das falsch verstehen. Ich war gerne Mutter und Ehefrau und bin es ja heute noch. Naja, Mutter zumindest. Aber es brodelte in mir, all die Jahre.
Und plötzlich glitt das alte Leben an mir ab und ich stand in meiner neuen Wohnung, die die Bezeichnung Wohnung ernsthaft nicht verdient hatte.
Wenn ich zu Hause aus dem Fester schaute, dann sah ich in den Garten und in den Wald, der sich direkt anschloss. Ich sah ins Grüne. Jetzt guckte ich aufs Graue. Eine schrecklich triste Häuserwand, die sich 10 m vor mir auftürmte.
Wie fühlten Sie sich?
Oh Gott. Sie werden lachen. Ich fühlte mich wie ein Teenager, die in ihre erste, eigene Wohnung zieht. Und das Erste, was ich machte: Ich zündete mir eine Zigarette an. (lacht laut) Ich? Eine Zigarette?!
Was für ein pubertärer Unsinn. Ich hatte im Studium schon mal geraucht, aber eigentlich war ich Nichtraucherin.
Doch kaum war David aus dem Haus gegangen, holte ich eine Packung Zigaretten aus meiner Handtasche, die ich mir heimlich auf der Raststätte kaufte, als David kurz zur Toilette ging.
Ich fühlte mich so frei, so emanzipiert. Ich war so stolz, dass ich endlich das tat, was ich schon immer wollte.
Ich fragte mich, ob man sich mit 32 Jahren, verheiratet, Mutter zweier Kinder im Alter von fünf und acht Jahren, wirklich so verhalten durfte und beantwortete die Frage augenblicklich mit: JA!
Und zum ersten Mal, seitdem ich die Entscheidung getroffen hatte, quälte mich kein schlechtes Gewissen.
Und dann begannen Sie eine Assistenz bei Marcello Diaz.
Ja und das war wirklich ein Abenteuer.
Kenne Sie Marcello Diaz?
Nur vom Namen her und von seinen Theater – Inszenierungen. Also die, die ich mir auf DVD besorgt hatte.
Da haben Sie als Assistent keine Chance auch nur die Hälfte von dem zu verstehen, was er sagt. Das ist so ein völliges Kauderwelsch, dass Sie denken: Da steige ich nie durch, was der will. Ein absolutes Sprachchaos.
Ich sage Ihnen, mir schwirrte der Kopf, als er endlich nach zwei Stunden intensiver Probenarbeit übergangslos aufstand und hinausging.
„Was ist jetzt?“ Fragte ich Frau Sievers, die so was wie seine rechte Hand von Marcello war.
„Pause! Er geht jetzt, sich ausruhen.“
„Und wir?“
„Gehen Sie ruhig durch den Notausgang, gleich hier vorne, wenn sie rauchen möchten. Das geht schneller,“ sagte Frau Sievert und schaute kurz über ihre Lesebrille. Dabei hob sie nicht einmal den Kopf, sondern schaute nur kurz auf, wobei sich ihre Stirn in viele, tiefe Falten legte.
Auf dem Weg zum Notausgang ließ ich mich zu der Frage hinreißen, ob eine Botoxbehandlung bei Frau Sievert noch Sinn machen würde, oder ob man da schon vor Jahren hätte mit beginnen sollen?!
Frau Sievert ist gut 20 Jahre älter als ich.
Mein Gott, sehe ich mit Anfang 50 auch so aus? Und kommt dann auch eine Neue, die sich auf dem Weg zum Notausgang Gedanken darüber macht, ob sich die alte von Kürthen mal das Gesicht richten lassen sollte. Na ja, vielleicht raucht die Neue ja gar nicht.
Dennoch, ein unschöner Gedanke, der mich daran erinnerte, endlich Gesichtscreme zu kaufen.
Haben Sie denn den Schauspieler Sven Mühe noch an diesem Tag kennen gelernt oder erst später.
Nein, nein. Den habe ich gleich am ersten Tag kennen gelernt. Er spielte ja in der Produktion mit, bei der ich assistierte.
Den lernte ich gleich in der ersten Pause kennen, als ich wie angeordnet, rauchen ging.
Die Tür, mit der Aufschrift „Notausgang“ und einem phosphoreszierenden Flüchtling in Weiß auf grünem Hintergrund, ließ sich nur sehr schwer öffnen. Ich musste mich mit aller Kraft dagegen werfen, um das Eisenmonstrum zu öffnen.
Ein heftiger Schwall Sonne haute mich beinahe um. Sie glauben gar nicht, welche Wucht das Sonnenlicht hat, wenn man zwei Stunden lang in einem dunklen Raum sitzt und auf eine, mit Kunstlicht beleuchtete Bühne starrt. Das ist wirklich enorm. Ich denke manchmal drüber nach, ein Theaterstück nur mit Sonnenlicht zu inszenieren. Aber das führt jetzt wohl zu weit.
Die klare, wunderbar schneidende Winterluft war wie Balsam auf meiner trockenen Heizungshaut.
Ich hatte gerade den ersten Zug an meiner Zigarette genommen, und blies den blauen Rauch der Sonne entgegen, als mir völlig unerwartet diese bescheuerte Eisentür in den Rücken knallte.
Welcher Vollidiot war das denn?
„Entschuldigung“, hörte ich eine Männerstimme. Und diese Stimme gehörte Sven Mühe.
„Geschenkt!“ Sagte ich und versuchte wenigsten einigermaßen souverän zu wirken.
Was für eine saublöde Situation:
Als wenn so ein erster Arbeitstag nicht schon schlimm genug wäre. Ich lief permanent Gefahr, hysterisch zu werden.
Dabei hatte ich das unbedingte Bedürfnis, absolut sicher, taff und locker zu wirken.
Jedenfalls wollte ich nicht den Eindruck erwecken, das Döfchen aus der Provinz zu sein. Mir war es schon wichtig, als eine selbstbewusste Persönlichkeit wahrgenommen zu werden.
Und dann haut mir dieser Arsch von Mühe die Eisentür ins Kreuz. Mann!
Jetzt hieß es, sich spontan zu entscheiden. Was machst du?
Steckst du dir schnell eine Neue an um den Fauxpas zu überspielen?
Oder hebst du die alte Zigarette auf und läufst unweigerlich Gefahr, dass der erste Blick, den Sven Mühe von dir bekommt, dein Hintern ist?
Warum der erste Blick? Ich dachte, sie hätten schon die ganze Zeit geprobt?
Ganz einfach, weil Marcello Diaz mich niemandem vorgestellt hatte. Auch Frau Sievert hatte nicht dazu beigetragen, meinen Bekanntheitsgrad an diesem Theater zu steigern. Möglicherweise dachten sie, dass es sich nicht lohnt, da ich so und so nicht länger bei ihnen bleiben würde.
Sehen Sie, Marcello, die Sievers und ich trafen uns drei Stunden, bevor die ersten Proben begannen, auf der Bühne. Marcello erläuterte mir in großen Gesten und gewaltigen Worten die Idee seiner Inszenierung.
Ach du liebe Zeit, war ich ein Schäfchen. Ich war unglaublich beeindruckt und lauschte ihm mit den großen Augen eines kleinen Mädchens. Damals fand ich es schier ungläubig, dass es ein Mensch fertigbrachte, ein neunzigminütiges, komplexes und diffiziles Theaterstück mit wenigen, fulminanten Worten zu umreißen, und so Szene für Szene seine außergewöhnliche Sichtweise darzustellen.
Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass mein Herz raste, als er mich am Ende seiner Performance in den Arm nahm und leise sagte: „Du musst mir vertrauen. Folge mir. Du wirst eine ganz Große werden. Ich sehe dich. Tief im Inneren. You are the one!“
Wow!
Ja, das fand ich auch! Ich war überwältigt.
Dass er mindesten 70% meiner Ideen, die ich ihm einigen Monaten zuvor zugesandt habe, schlicht weg in sein Konzept der Inszenierung hatte einfließen lassen, war mir ehrlich gesagt völlig gleichgültig. Wichtig war, dass er mich sah, mich registrierte, mich schlicht und einfach fördern wollte. Das machte mich stolz und glücklich.
Dieser Monolog, allerdings, war das Einzige, für den Rest des Tages, dass an eine Konversation auch nur im Entferntesten erinnerte.
Danach verschwand ich im Dunkel. Verschluckt von einem Theatersaal mit mehr als 700 Sitzplätzen, die in der Regel bei jeder Aufführung ausverkauft waren. Der frenetische Applaus, der allabendlich hier zu hören war, hing noch wie eine Verheißung in jedem dieser rot gepolsterten Theatersesseln und machte mich unglaublich stolz hier sein zu dürfen.
Inmitten dieser „Hall of Success“, wie Marcello sein Theater bescheiden nannte, saßen wir drei an einem großen Regiepult, beleuchtet von zwei matten Schreibtischlampen und starrten auf die Bühne.
Und wie war der große Diaz bei den Proben?
(Sie lacht laut. Ein freundliches, herzhaftes Lachen) Furchtbar! Soll er aber immer noch sein, habe ich gehört. Ab und zu sagte er irgendetwas Kryptisches in das Mikrofon und verständigte so offensichtlich sich mit seinen Schauspielern. Wobei er seine Anweisungen und Ideen ausschließlich durch schlichtes, fragmentarisches Schweigen äußerte und die Akteure auf der oft Bühne dadurch, so schien es mir jedenfalls, zu Höchstleistungen brachte.
„Schau Marcello, schau! Was hältst du davon?“ Und dann legten sie los und spielten, als ging es um Leben und Tod.
Er kommentierte ihre Leistungen mit einem:
„Mh...“
„Ja, warum nicht?!“
Oder „ach weißt du ...“
Mir war völlig unklar, was die Armen auf der Bühne damit anfangen wollten. Aber wie gesagt, es spornte sie scheinbar ungeheuer an.
Urplötzlich riss es ihn dann aber doch hoch und er euphorisierte ins Mikrofon:
„Ja, phantastisch, ja, perfekt! Großartig ... Großartig. Ihr seid super. SUPER!!!!!!“
Und zu mir: „Hast du das? Hast du das? Ja Wahnsinn!“
Gott sei Dank hatte ich Frau Sievert.
Und wie ging es mit Sven Mühe weiter?
Auf den war ich total sauer. Mein Rücken schmerzte und mir schossen die Tränen in die Augen. Ich zündete schnell eine neue Zigarette an und wartete.
Und dann, nach einer Ewigkeit trat Sven Mühe aus dem Notausgang. Keine Ahnung, warum das so lange dauerte, bis er rauskam? Er blinzelte mir entgegen und sagte so etwas Dämliches wie:
„Oh, da geht aber die Sonne auf“, oder so ähnlich.
Und dann?
Ja, nichts und dann?! Wir rauchten und ich versuchte, irgendwie nicht wie die letzte Ische rüber zu kommen. Dann ging es weiter mit den Proben.
Kein verlieben?
Quatsch! Ich war doch verheiratet und hatte zwei kleine Kinder.
Nein, nein.
Sven sagte mir später zwar, dass er sich schon in diesem Moment in mich verliebt hatte. Aber ich nicht.
Das wäre doch echt blöd.
Ach, das kann man sehen, wie man will. Ich glaube schon an die Liebe auf den ersten Blick. Aber sei es drum. Ich danke Ihnen und freue mich schon auf den nächsten Termin.