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David von Kürthen Sprinter des Grauens Januar

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Wie war für Sie der Tag, an dem Ihre Frau von zu Hause auszog? Waren Sie mit dabei und Ihre Kinder? Wie haben die reagiert?

Ach meine Kinder, - unsere Kinder, haben es wirklich locker gesehen. Was sollten sie schon groß sagen. Die Entscheidung, dass ihre Mutter nun drei Monate nicht so viel zu Hause sein wird wie sonst und ich mich in dieser Zeit mehr um sie kümmere, war ja gefallen. Und wissen Sie, Kinder nehmen jede Entscheidung hin, wenn man sie nur klar kommuniziert. Die neue Situation ist für sie schon nach ein, zwei Tagen ein neuer Ist-Zustand. Man darf da nur nicht indifferent sein, sondern klar und eindeutig.

Und das waren Sie!?

Ja natürlich. Sehen Sie, Sie könnten ihre Kinder auch jeden Tag, gleich nach dem Ausstehen verhauen. Nach einer Weile würden sie sich wundern, wenn sie morgens keine Schläge bekommen würden. Wahrscheinlich würden sie das sogar als Liebesentzug deuten. Da gibt es eine Menge Studien drüber.

Manchmal wundert man sich schon, wenn Kinder aus bildungsfernen Haushalten ein unglaublicher Familienverbund besteht, und die Kinder ihre Eltern anhimmeln, obwohl sie jeden Tag verprügelt werden.

Haben Sie eigentlich Kinder?

Nein, nein, habe ich leider nicht.

Warum? Kinder sind das Wichtigste auf der Welt. Vergessen Sie die Karriere, vergessen Sie Geld. Kinder! Ich sag es Ihnen. Warum haben Sie keine. Können Sie Kinder nicht ausstehen oder sind Sie impotent?

Was? Nein, Unsinn. Aber vielleicht habe ich noch nicht die richtige Frau gefunden. Wer weiß.

Ja, wer weiß!

Ich dachte, ich hätte sie gefunden ...

Und dann endet es in einer solchen Katastrophe.

Ach ja. ... Sie wollten ja wissen, wie der Tag des Umzugs für mich war.

Furchtbar! Und so ambivalent wie der Tag meines Abiturs. Um ehrlich zu sein, hatte ich schon Tage vorher das Gefühl, als hätte mich jemand mit Watte ausgestopft. Unfähig zu kommunizieren und außer Stande über meine Gefühle zu sprechen. Und das, obwohl ich Katharina all meine Bedenken und Sorgen so gerne mitgeteilt hätte. Wie gerne hätte ich mit ihr über unsere Zukunft und meine Ängste gesprochen. Ich hatte so sehr das Bedürfnis sie liebevoll in die Arme zu nehmen.

Stattdessen fühlte ich mich, jedes Mal, wenn wir die Gelegenheit hatten, miteinander zu sprechen, wie gelähmt. Schrecklich. Als lege sich eine Kralle um meinen Hals, die mich langsam, qualvoll zu ersticken drohte und mich mehr und mehr auf Distanz zu ihr zwang. Und das trug sicherlich nicht dazu bei, die Situation zu entschärfen. Wenn Sie verstehen was ich meine.

Ich hatte immer gehofft, dass ich nicht einer dieser typischen Männer wäre, die nicht über ihre Gefühle sprechen können. Aber ich musste leider eingestehen, dass ich scheinbar doch genau zu dieser Gattung Mann gehörte. Allerdings nicht aus emotionalem Unvermögen, sondern eher aus einer gewissen Feigheit heraus, durch langwierige Diskussionen alles noch schlimmer zu machen.

Und wie gingen Sie dann mit der Situation um?

Ich versuchte meinen Alltag so gelassen wie möglich zu bewältigen. Ich ging meinen Job nach und machte viele Termine mit meinen Künstlern. Vor allem mit Magdalena Neuer, einer meiner liebsten Künstlerinnen.

Ach mit Magdalena Neuer haben Sie auch gearbeitet? Eine große Künstlerin und eine sehr attraktive Frau, wenn ich das bemerken darf.

Ja klar, jetzt ist sie eine große Nummer. Aber damals war sie noch ein Niemand, ein No-Name, wenn Sie wissen was ich meine. Ich habe sie groß gemacht und ihr den entscheidenden Rat gegeben, wie sie malen muss um erfolgreich zu sein. Vielleicht war ich sogar der Auslöser ihrer Karriere. Das sieht heute alles so strahlend aus. Aber so ist es mit den Künstlern. Sie lassen sich entdecken und fördern und ehe man sich versieht lassen sie einen fallen und stürmen mit wehenden Fahnen davon. Furchtbare Menschen, wenn Sie mich fragen. Allesamt Egomane.

Aber in der Tat gebe ich Ihnen Recht. Sie war so was von sexy. Und ich sage Ihnen eins: Ein Treffen mit ihr war immer etwas besonders. Nicht nur weil sie eine Augenweide war und ich ihren Anblick als berührenden Moment empfand. Sondern auch weil mich die Gespräche mit ihr immer wieder aufs Neue inspirierten und mir tiefe Einblicke in ihre Gedankenwelt verschaffte. Und die waren in der Regel äußerst sexuell angehaucht.

Vor allem machte ich natürlich auch mit ihr extrem gute Umsätze.

Mal vom Äußeren abgesehen, was machte die Neuer denn so einzigartig?

Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern, für die ich arbeitete, war es bei ihr absolut ehrlich. Verstehen Sie, ich konnte das immer mit einem guten Gewissen und reinem Herzen machen. Denn ihre Bilder berührten mich ganz tief im Inneren meiner Seele. Daher fiel es mir nicht schwer, in den höchsten Tönen von ihr und ihrer Kunst zu schwärmen. Auch wenn mir nachgesagt wurde, dass ich völlig schwanzgesteuert gewesen war. Aber das ist Quatsch.

Zu dieser Zeit hatten wir jedoch einige unschöne Differenzen. Es ging um den Verkauf ihrer Bilder an Familie Römer, einer steinreichen Dynastie des Geldadels. Eine Familie mit einem enormen Vermögen, hervorragen Einnahmequellen, einer Villa am Stadtrand, einem Ferienhaus in Monaco, in Rom und auf Sylt.

Vor allem aber zeichnete sich die Familie Römer durch einen, über Generationen gezüchteten Sachverstand für Kunst und Kommerz aus.

Was hatten Sie denn mit den Römers zu tun?

Sie wollten einige Gemälde von Magdalena in ihrer Sammlung aufnehmen. Jedoch nicht um ihnen im Wohnzimmer über dem Kamin einen angemessenen Platz zu gewähren sondern lediglich als Wertanlage. Denn natürlich spekulierte sie darauf, dass die Preise für Magdalenas Bilder weiterhin so rasant stiegen wie in den letzten Jahren, seitdem ich sie unter meine Fittiche genommen hatte. In spätestens zehn Jahren waren die Bilder ein kleines Vermögen wert. Da war ich mir sicher.

Das verrückte war ja, dass allein der Verkauf der Bilder, an diese renommierte Sammlerfamilie, dazu beitragen hätte, die zukünftigen Preise eines jeden Bildes von Magdalena, beträchtlich in die Höhe schnellen zu lassen.

Durch diesen Verkauf würden auch die Bilder, die in die Römersche Sammlung aufgenommen wurden, gleich nach dem Verkauf, in ihrem Wert steigen.

Für mich ein wundervolles Geschäft und die Grundlage meines Überlebens. Gerade in der Zeit in der durch Katharinas irrsinnige Karriereplanung eine unüberschaubare Doppelbelastung auf mich zukam. Denn nicht nur der Verkauf dieser Bilder brachte mir ein kleines Vermögen ein, sondern er war auch eine Art Altersvorsorge, denn ich hatte natürlich etliche Bilder von ihr zu einer Zeit gekauft, als diese für den Markt noch wertlos waren.

Wie war Frau Neuer? Was hatten Sie für ein Verhältnis zu ihr?

Magdalena war, wie beinahe alle meine Künstler, ein Mensch ohne jeden Sinn für das Kaufmännische. Den benötigte sie ja auch nicht. Schließlich war ich dafür zuständig. Nur, leider war sie eine Frau, die nicht wusste, dass sie keine Ahnung vom Kaufmännischen hatte. Und so mischte sie sich permanent in die Verkaufsgespräche ein, was mich zur Weißglut bringen konnte.

„Ich mische mich doch auch nicht in deinen Malstil, Magdalena“, sagte ich immer zu ihr, „warum also lässt du mich nicht meine Arbeit machen und ich dich die deine?“

Aber ich glaube, sie hat nichts von alldem verstanden, was ich vorhatte. Ich sage Ihnen, das war mehr als nervig, denn sie widersprach mir ununterbrochen vehement. Irgendwann dämmerte ihr aber, dass die Preisminderung die wir für die Bilder vereinbaren wollten, nichts mit einem billigen Mengenrabatt für die Römer zu tun hatte. Vielmehr war sie eine hervorragende und nachhaltige Investition für ihre Zukunft.

Wir hatten uns, wie immer, in einem kleinen Café, ganz in der Nähe ihres Ateliers getroffen, da ich ehrlich gesagt nie genau wusste, wie ich mich verhalten würde, wenn wir uns alleine träfen, und ich mich nicht mit Blicken auf andere Menschen ablenken könnte. Ihre Ausstrahlung auf mich war so magisch, dass ich das Risiko eines Treffens, alleine in ihrem Atelier, nicht eingehen wollte.

Heute ärgerte ich mich, dass ich nicht wenigstens flirtend mit Magdalena angebändelt hatte. Denn möglicherweise wäre Katharina eifersüchtig geworden. Manchmal wirkt das ja Wunder. Vielleicht wäre uns diese schreckliche Fahrt in ihre neues Zuhause und möglicherweise diese ganze, grauenhafte und wie mir damals schien, unnütze Assistenz erspart geblieben.

In dem Zusammenhang fällt mir mein alter Freund Johan ein, der mir damals riet:

„Alter, geh in einen Puff und miete dir eine Nutte. Kostet heute echt nicht mehr viel. Danach geh nach Hause. Ungewaschen. Du wirst sehen. Allein der Geruch macht Katharina so eifersüchtig, dass der ganze Spuk ganz schnell ein Ende hat. Glaub mir.“

Johans Ideen waren, wie seine Bilder, voller Irrwitz und Kreativität. Seine Ratschläge eigneten sich jedoch nur für Maler, die unverheiratet und ohne Kinder durch das Leben gingen. Verheirateten Spießern wie mir, mit zwei Kindern und einem Eigenheim, konnte mit seinen Lebensweisheiten recht selten geholfen werden.

Allein die Vorstellung an Sex mit einer dieser abgehalfterten Prostituierten, in einem dieser runter-gekommenen Wohnwagen am Stadtrand, empfand ich als eine so grauenhafte Vorstellung, dass mir die zwei, drei Monate ohne Katharina schon gar nicht mehr so furchtbar vorkamen.

Aber sei es drum, ich tat mal wieder nichts von alledem und fuhr daher unserer neuen Zukunft entgegen, ohne auch nur annähernd zu wissen, wie es wirklich weiter gehen sollte.

Und wie fühlten Sie sich?

Ach, letztlich war ich froh, dass es endlich so weit war, dass mir nichts anderes mehr übrig blieb, als anzukommen. In der Realität, bei meinem Schmerz, bei dem Gefühl des ersten Abends allein. Das erste Frühstück ohne sie und die Arbeit in der Galerie und auf den Messen, mit den beiden Kindern im Schlepptau.

Alleinerziehender Vater! Donnerwetter, was für eine Vorstellung.

Und hatten Sie eine Ahnung, wie ...

...Nein, ich konnte es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen. Seit acht Jahren lebten wir gemeinsam in unserem Haus, uns ging es gut, wir waren uns vertraut, wir lebten ein ausgefülltes Leben. Katharina war eine einzigartige Mutter, eine tolle Freundin und eine wundervolle Geliebte. Auch wenn Letzteres eindeutig nicht oft genug auf unserer Agenda des Alltags stand. Aber immerhin, wir hatten den gleichen Humor und viele gemeinsamen Interessen.

Und jetzt so etwas. Ich konnte und wollte mich damit einfach nicht abfinden, dass Katharina drei Monate nicht zu Hause war. Nicht bei mir und nicht bei den Kindern. Das ging einfach nicht!

Und trotzdem taten Sie nichts dagegen!?

Ich sage nur Merkelsyndrom! Wenn Sie verstehen was ich meine.

Also hielt ich die Klappe und alles ging seinen Gang. Die Suche der Wohnung war unglaublich schnell vonstattengegangen. Katharina hatte sich nur einen Tag in ihrer neuen Kurzzeitwahlheimat aufgehalten. Danach war sie freudestrahlend, mit einem Mietvertrag und einem Haufen Handyfotos zurückgekommen. Ich sage Ihnen, was für ein Dreckloch!

Mir war schleierhaft, wer eine Wohnung für nur zwei oder drei Monate vermietete. Aber wie immer ließ ich es auf sich beruhen. Ich redete mir ein, dass man bei einer solch grauenhaften Behausung wohl als Vermieter keine übermäßig großen Ansprüche stellen konnte. Wahrscheinlich durfte er froh sein, nicht ausschließlich Hartz IV Empfänger und Asylbewerben beherbergen zu müssen.

Das hört sich ja schrecklich an.

Und dabei habe ich nicht übertrieben. Diese Wohnung war mit Abstand das Grauenhafteste, was ich je gesehen habe. Aber noch waren wir ja gar nicht da. Wir waren ja erst eine Stunde in unserem Leihsprinter unterwegs, vollgepackt bis zum Rand. Wir waren so lahm, dass wir nah an der Grenze eines Verkehrshindernisses waren und so laut, dass wir uns während der fünfstündigen Fahrt nicht und wenn dann nur schreiend unterhalten konnten.

Schon nach kürzester Zeit schmerzte mich mein Rücken so sehr, dass ich mich fragte, wie ich die verbleibenden vier Stunden hin und fünf Stunden allein zurück aushalten sollte.

So fuhren wir Kilometer um Kilometer und je mehr Strecke wir zurücklegten, umso unklarer wurde mir, wie wir das alles bewerkstelligen sollten: mit der Arbeit, mit den Kindern, dem Haushalt und vor allem mit den immens steigenden Kosten.

Ich nahm es als Wink des Schicksals, dass wir uns, auf Grund der Lautstärke unseres Autos, nicht unterhalten konnten. Ich glaube, ich hätte sonst meiner aufkeimenden Wut, gepaart mit einem gehörigen Schuss Panik, möglicherweise freien Lauf gelassen. Ich bin mir sicher, das wäre auf keinerlei Verständnis und wenig Gegenliebe gestoßen.

Sicherlich hätten wir uns gestritten, wären im Zorn auseinander gegangen und hätten dieser neuen Situation keinen guten Start bereitet.

So blieb ich äußerlich ruhig, geradezu gelassen, lauschte versonnen dem Dröhnen der instabilen Auspuffanlage und wartete auf irgendeine Reaktion von Katharina.

Sie schwieg jedoch beharrlich. Sie starrte auf den unter uns verschwindenden schwarzen Asphalt der Autobahn und auf die weißen Begrenzungsstriche, die, kaum waren sie verschwunden, wieder neu vor uns auftauchten, um dann sofort wieder unter dem Wagen zu verschwinden. Unaufhaltsam, wie in einem Hamsterlaufrad.

Und wie ging es Ihrer Frau?

Wenn ich ehrlich bin, ich weiß es nicht. Ich hoffe allerdings, dass es ihr wirklich schlecht ging.

Aber, wie gesagt, ich weiß es nicht. Sie war ganz und gar in sich gekehrt, die Füße auf das Armaturenbrett gestützt, das Kinn auf die Knie, die Ärmel des dicken Rollkragenpullovers über die Hände gezogen und um ihre Beine geschlungen. So saß sie die ganze Fahrt regungslos neben mir.

Ich gehe mal davon aus, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte. Auf jeden Fall sah es so aus. Und das zu Recht. Denn was sie den Kindern und mir zumutete, das war schon nicht ohne.

Aber das sag ich Ihnen, ich hätte einen Teufel getan, um sie von ihren Gewissensbissen zu befreien. Sollte sie doch schmoren, an ihrem Verstand zweifeln und den Tag verfluchen, an dem sie diese Assistenz angenommen hatte.

Wenn sie jetzt einen Rückzieher gemacht hätte, dann hätte ich wirklich alle Hochachtung vor ihr gehabt. Dann hätte sie Größe beweisen, weil sie einen Fehler eingesehen und korrigieren hätte.

Sie tat es aber nichts der geleichen und ich wollte nichts sagen. Kurz vor ihrem Haus hätte ich am liebsten geheult vor Wut und Verzweiflung.

Aber ehrlich, wem hätte das etwas gebracht.

Wir hielten in einer grauen, trostlosen Straße, in deren Häusern, den Mülltonnen die vor den Häusern standen nach zu urteilen, mindestens 30 Mietparteien pro Haus wohnen mussten. Und obwohl diese Straße sicherlich die größte anzunehmende Dichte an furchtbaren 50er Jahre Mietshäuser aufwies, stach das Haus, vor dem wir standen aus der großen Masse negativ hervor. Wir schauten von unten auf die Häuserfront mit den vielen blinden Fenstern hinauf.

„Da oben ist es“, sagte sie mit heiserer Stimme.

„Schick!“

„Du bist gemein. Was andere konnte ich mir nicht leisten.“

Oh Mann, wie mich das nervte:

´Konnte ICH mir nicht leisten.´ Ich lache mich kaputt. Du kannst dir gar nichts leisten, meine Süße. Ich leiste das.

Sie berührte mich leise am Arm.

„Wollen wir?“

Ich lächelte tapfer. Ich nahm mir fest vor, keine verletzenden Kommentare abzugeben. Obwohl mir hunderte eingefallen wären.

Wie zur Strafe für meine unsolidarischen Gedanken musste ich alle IKEA Kisten ohne Aufzug in den vierten Stock dieses entsetzlichen Hauses schleppen.

Im Treppenhaus roch es nach Muff und Armut, der Putz blätterte unverhohlen von den Wänden und im Eingang stapelten sich die kostenlosen Werbeblättchen, die scheinbar vom Beginn der ersten Ausgabe 1982 hier lagen.

Diese Absteige war in der Tat Strafe genug für noch drei Assistenzen im Voraus. Und als mir dann noch ein echter Cowboy im Unterhemd, Trainingshose und zweifarbigen Stiefeln, mit Silberkappe an den Spitzen im Hausflur entgegen kam, taten mir all meine schlechten Gedanken ehrlich leid.

Katharina schien dies alles sehr gelassen zu nehmen. Mann, ich hatte sogar das Gefühl, dass sie sich geradezu kindisch freute, in dieses Loch zu ziehen.

Sie, die unser Haus, unseren Garten, unsere Nachbarn liebte, die mich mit ihrer neu gewonnenen Spießigkeit oft überrascht, fühlte sich hier scheinbar wohl.

Sie grüßte den Cowboy, der mit breiten, ausladenden Schritten wohl gerade Marlboro kaufen ging so herzlich, als würden sich die beiden schon seit Jahren kennen. Aber so war sie. Immer ein wenig wie ein Chamäleon.

Später, als der Sprinter leer und ich schweißüberströmt war, saßen wir noch eine gute Stunde in ihrer Küche auf den Kartons und rührten schweigend in unseren Aufgusskaffees. Eine grauenhafte Brühe. Aber sie beschrieb perfekt und präzise unsere Situation.

Kennen Sie Element of Crime?

Bitte? Die Band Element of Crime?

Ja! Die haben eine schöne Textzeile:

Rein gar nichts

Jetzt sitzen wir schon wieder hier, drei Schritte auseinander

Drei Finger hoch der Gin, das Glas im Gesicht

Und ich frag auch gar nicht, wie es dir geht

Was soll ich da noch fragen, ich weiß wie es steht

Und das ist noch rein, rein, rein, rein gar nichts

Ich weiß, du hast heut' ferngesehn, das ist weil du so zitterst

Dein Auto hat der Zahnarzt, und du hast Gold im Mund

Und dein Fahrrad fährt immer nur bergauf

Ich weiß, auch du lebst alleine, und auch dich frisst das auf

Und das ist noch rein, rein, rein, rein gar nichts

Dein Fuß hat grad mein Bein berührt, dein Zeh hat mich gekrault

Drei Finger hoch der Gin, das Glas im Gesicht

Und ich frag auch gar nicht, was du da machst

Komm 'rüber hier, ich kitzel dich, mal sehn ob du lachst

Und das ist noch rein, rein, rein, rein gar nichts

Ja, das stimmt, das passt ganz gut.

Ich hatte das Gefühl, als sei alles klamm in dieser Wohnung. Der Geruch von Schimmel stieg mir in die Nase, auch wenn offensichtlicher keine Schimmelpilze an den Wänden zu sehen waren.

40 Quadratmeter Elend. Mich schüttelte es.

Den Aufbau der Möbel überließ ich Katharina. Nicht aus Trotz, sondern weil ich für solcherlei Arbeiten seit jeher völlig unbegabt war. Katharina war auch bei uns zu Hause für das Möbelaufstellen und alle anderen praktischen Arbeiten zuständig.

Es blieb ungewöhnlich still, ohne Musik aus der Anlage, ohne Kinder aus dem Kinderzimmer und ohne das Dröhnen des Leihsprinters. Nur der Autolärm, der zwischen den Häuserfronten zum Himmel dröhnte, kam auch bei uns im 4. Stock gedämpft vorbei, bevor er sich mit den grauen Wolken des tiefhängenden Himmels vereinte.

Ich hielt es einfach nicht mehr aus, hier zu sitzen und mit Katharina zu plaudern. Es erinnerte mich zu sehr an unseren ersten Abschied, bevor sie nach Amerika flog. Ich fühlte mich ebenso zerrissen, traurig und wütend, nur dass ich heute wusste, was ich tatsächlich vermissen würde.

Ich stand auf und zog umständlich meine Jacke an. Ich wollte gehen und bleiben. Katharina schaute mich traurig an. Wir umarmten uns schweigend.

Wieder kam nichts von ihr. Keine Umkehr, keine Entschuldigung, nichts.

Ich riss mich endlich los, drückte mich durch das Treppenhaus, wie durch Feindesland und war heil froh, dass der Wagen vor dem Haus in der Zwischenzeit nicht gestohlen worden war. Aber wer klaut schon diesen Schrotthaufen?

Als ich losfuhr und die trostlose Gegend langsam hinter mir ließ, war ich ein wenig enttäuscht. Ich hatte gehofft, an den Straßenecken Männer um brennende Mülltonnen stehen zu sehen. Wissen Sie, wie in den amerikanischen Filmen. Die sich in bitterer Kälte zu wärmen versuchen. Es hätte zur Gegend und zu meiner Stimmung hervorragend gepasst.

Erst auf der Autobahn ließ ich meinen Tränen freien Lauf und schaffte es nur mit Mühen auf den nächsten Rastplatz.

Es zerriss mich und schüttelte mich. Ich schrie all meinen Schmerz, all meine Wut die Angst vor dem was nun kommen würde und den Zorn über meine Untätigkeit heraus. Wie konnte sie uns das antun? Wie konnte sie so egoistisch sein und mich und die Kinder so im Stich lassen? Warum war ich nicht stark genug ihr diese Assistenz zu verbieten?

Ich war außer mir vor Wut und Enttäuschung. Über sie und über mich.

Ich ließ mich gehen, weinte mich in einen Rausch, schrie immer wieder wie von Sinnen und hämmerte mit den Fäusten auf dem Armaturenbrett herum. Dann schlief ich erschöpft in dieser stinkenden Karre, auf der eiskalten Kunstledersitzbank ein.

Mein eigenes Schnarchen und das Klappern meiner Zähne weckten mich eineinhalb Stunden später aus einem traumlosen Schlaf wieder auf. Ein LKW stand neben mir und blies mit seiner Standheizung seine Abgase in mein Wageninneres.

Ich stieg aus und sah den LKW-Fahrer „Horst“ in seinem großzügigen, warmen Führerhaus hocken und fernsehen. Wahrscheinlich schaute er irgendeinen Porno. Dieses Arschloch. Ich hasste Horst. Ich hasste seinen LKW, ich hasste die Kälte, ich hasste diesen Rastplatz, hasste mich und hasste die Situation.

Nach meinem dritten Espresso in einer wohltemperierten aber völlig geschmacklos eingerichteten Raststätte kam ich langsam wieder zu mir. Auf meinem Handy waren vier Anrufe in Abwesenheit. Einmal die Nummer meiner Mutter, bei der ich Fritz und Georg untergebracht hatte, dreimal die von Katharina.

Natürlich war es mir schier unmöglich sie zurückzurufen. Wie sollte ich ihr erklären, dass ich keine 8 km weit gekommen war, in knapp zwei Stunden.

Also rief ich meine Mutter an, sprach mit meinen Jungens und versprach ihnen Morgen mit ihnen zusammen in irgendeinem Spaßbad schwimmen zu gehen.

„Papa wohnt denn Mama schön?“ Fritz brüllte in das Telefon, als wolle er die knapp 500 Kilometer mit bloßer Stimme überbrücken.

„Ja, ja, sie wohnt ganz toll. Du wirst es ja bald sehen, wenn wir sie besuchen fahren.“

„Morgen?“

„Nein Morgen wollen wir doch schwimmen gehen?!“

„Ach ja, hab ich vergessen.“

„Haben wir doch gerade erst ausgemacht, du Blödmann!“ rief Georg aus dem Hintergrund.

„Georg. Bitte!“ sagte meine Mutter, mit vorwurfsvollem Ton und dem Fingerzeig auf unser Versagen in der Erziehung. Ich legte auf.

Während der gesamten Fahrt grübelte ich darüber nach, wo die Schwimmsachen der Jungs sein könnten. Ich versuchte Radio zu hören, was gänzlich unmöglich war, da der schwache Radiolautsprecher nicht gegen den Lärm des Autos ankam. Dann versuchte ich gegen die aufsteigende Müdigkeit anzukämpfen, die sich immer wieder hinterhältig über meine Gedanken legte und mich blitzartig aufschrecken ließ.

Ich sang, drehte die Augen, klatschte mir mit der flachen Hand ins Gesicht und hielt den Kopf durch das Seitenfenster in die eisige Winternachtluft.

Mit Erfolg. Ich schlief widererwartend nicht ein.

Erst kurz vor der Ausfahrt rief ich eine völlig aufgelöste Katharina an.

Das ist aber nicht nett!

Pah, verdient hat sie es.

„David, was ist los mit dir, warum meldest du dich nicht? Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Willst du mich umbringen?“ Ha, ha, ha sie hatte sich wirklich Sorgen gemacht.

Ich beruhigte sie und erzählte von einem langen Spaziergang, den ich mir gegönnt hatte, und erwähnte den Teufelsritt, den ich für sie auf mich nahm.

Ich lachte alle ihre Sorgen weg und je mehr ich mit ihr sprach, je mehr glaubte ich mir, überlistete meine Bedenken und beruhigte mich selber.

Dann beendete ich das Gespräch und wünschte ihr von ganzem Herzen eine gute Nacht und einen tollen Start in ihrem neuen Job.

Kurz nach der Ausfahrt, sechs Kilometer von zu Hause, verabschiedete sich der Auspuff und blieb stumpf auf der Straße liegen. Ich parkte den röhrenden Wagen auf dem Seitenstreifen, rief ein Taxi und fuhr nach Hause, jedoch nicht ohne vorher eine Beule in diese Schrottkarre zu treten.

Oh Mann, ich sage Ihnen: Ich hasste dieses Auto.

Und scheinbar Ihre Frau. Vielen Dank. Bis nächste Woche dann.

Am Ende des Tages ...

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