Читать книгу Das Labyrinth ist ohne Gnade - Rainer Wekwerth - Страница 11

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4.


Als Jeb die Treppe unter Deck hinabgestiegen war, hob Mary den Kopf an und lächelte etwas verlegen. »Ähm, Jenna? Ich muss aufs Klo.«

Jenna blickte in ihre geröteten Augen, die sie fast verschmitzt ansahen. Die Tränen darin waren kaum getrocknet und schon konnte Mary wieder ein wenig lachen. Jenna atmete auf. »Weißt du, wo eines ist?«

»Eigentlich draußen im Gang, neben den Kabinen, aber dort sind alle Türen verschlossen. Durch die Kombüse, auf der anderen Seite des Schiffes gibt es noch eins.«

Jenna nickte. »Ich komme mit.« Mary sah sie dankbar an und erhob sich. Jenna musste an eine alte Frau denken, als Mary vor ihr durch den Aufenthaltsraum schlurfte.

Die Kombüse, in der Jenna eben schon Wasser geholt hatte, war klein, blitzte aber im kalten Schein einer Neonlampe vor Sauberkeit. An Haken an den Wänden hingen Pfannen und Töpfe. Der Herd mit eingebautem Backofen strömte den Geruch von Kohl und Kartoffeln aus, als wäre dort noch gestern Abend gekocht worden. Jenna zog ein Schauer über den Rücken. Alles hier drin war praktisch und darauf bedacht, größtmögliche Funktionalität auf kleinstem Raum zu bieten.

Jenna folgte Mary, die in einen kurzen Gang getreten war, an dessen Ende eine Tür lag, die anscheinend zu der Toilette führte, von der sie gesprochen hat. Mary hob fragend die Augenbrauen.

»Nein, ich muss nicht. Ich warte hier auf dich.«

Mary öffnete wortlos die Tür und verschwand dahinter.

Von oben drang etwas Licht herunter, aber je tiefer Jeb in den Bauch des Schiffes hinabstieg, desto finsterer wurde es und desto spärlicher war die Beleuchtung. Schließlich sah er die Stufen vor seinen Füßen kaum mehr und schaltete die Sturmlampe ein. Geisterhaft zuckte der Lichtstrahl über die kahlen Stahlwände und wanderte schließlich zu einem Absatz, der aus einem Metallgitter bestand, der zu zwei Türen führte. Beide Türen waren beschriftet, links ging es zum Frachtraum, rechts lag der Maschinenraum. Jeb stellte sich vor die rechte Tür und horchte.

Nichts. Die Schiffsmaschinen liefen tatsächlich nicht, nicht einmal im Leerlauf. Jeb kramte in seiner Erinnerung, aber zu Schiffen fiel ihm nicht viel ein. Allerdings kam ihm der Gedanke, dass die Motoren laufen sollten, um Strom zu erzeugen, da sie es nicht taten, musste wohl ein Notstromaggregat eingesprungen sein, was wiederum bedeutete, irgendwann würde das Licht ausgehen.

Jeb legte sein Ohr an die Stahltür und lauschte, ob sich jemand dahinter befand, aber es war nichts zu hören. Vermutlich war die Tür zu massiv, um Geräusche durchzulassen … und doch: Irgendetwas an dieser Stille beunruhigte ihn, ohne dass er sagen konnte, was es war.

Eigentlich sollte er durch den Frachtraum gehen und den Zugang zur Steuerkanzel suchen, aber die rechte Stahltür zog ihn magisch an. Nur kurz einen Blick riskieren, nichts weiter.

Jeb überlegte, ob er klopfen oder rufen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn, als er die Klinke niederdrückte und die schwere Metalltür aufschob. Als er sie so weit geöffnet hatte, dass er hindurchgehen konnte, machte er einen Schritt nach vorn in die Dunkelheit und zögerte. Er ließ den Lichtstrahl der Sturmlampe nach vorn wandern und erschrak.

Vor ihm war nichts. Keine Etage, keine Ebene, keine Treppe und schon gar keine Schiffsmaschinen. Der gigantische Raum, der sich vor ihm ausbreitete, war vollkommen leer und sein Fuß schwebte über einem sieben Meter tiefen Abgrund.

Plötzlich brach Jeb der Schweiß aus allen Poren. Schwindelgefühle packten ihn und die kalte Angst kehrte zurück, ließ seinen ganzen Körper erzittern. Er begann zu wanken. Krampfartig hielt er sich an der Türklinke der Stahltür fest, doch der Abgrund zu seinen Füßen drehte sich wie ein wild gewordener Wasserstrudel und verschwamm mit den Wänden. Die Lampe fiel aus seiner schlaff gewordenen Hand und knallte auf den Boden zu seinen Füßen. Sie rollte bis zur Kante vor dem Abgrund und blieb dann aber liegen. Ihr bleicher Lichtstrahl durchschnitt weiterhin die Finsternis.

Jeb brachte keinen Laut heraus. Er konnte sich nicht bewegen. Die Tiefe zog ihn magisch an, zog ihn zu sich. Jeb biss sich, so fest er konnte, auf die Lippen, dann ließ er sich nach hinten fallen. Sein Kopf schlug auf das Stahlgitter auf und er verlor das Bewusstsein.

Mary zog die Spülung, wandte sich um und betrachtete sich im Spiegel. Ihr Gesicht war noch blasser als gewöhnlich, regelrecht bleich, und das nach all der Hitze in der Ebene, Los Angeles und auf dem Wasser. Sie seufzte.

Sie öffnete den Wasserhahn und ließ kühles Wasser in ihre hohlen Hände fließen. Dann wusch sie sich das Gesicht, spülte die trockenen Spuren ihrer Tränen ab. Mary rieb sich über die Haut, bis ihr Gesicht eine leichte rötliche Färbung annahm. Sie fasste nach einem Stück Papier aus dem Handtuchspender und tupfte über ihr Gesicht. Ein letzter Blick, dann zog sie die Tür auf.

Sie schaute sich um, denn davor stand nicht wie erwartet Jenna. Niemand war da. Mary stutzte, beruhigte sich aber gleich darauf wieder. Jenna war bestimmt nur in den Aufenthaltsraum zurückgegangen, vielleicht weil sie Hunger bekommen hatte.

Mary schloss die Tür hinter sich und ging den Gang entlang zurück zur Kombüse.

Jenna war es leid zu warten. Seit Mary die Toilette betreten hatte, waren mindestens zehn Minuten vergangen. Sie wollte zurück in den Aufenthaltsraum und nachsehen, ob Jeb zurück war. Allzu lang war der Weg zur Steuerzentrale sicherlich nicht und so oder so würden sie nach Jebs Rückkehr mehr wissen. Ein leiser Hoffnungsschimmer hatte sich in ihr breitgemacht und die Ängste ein wenig zurückgedrängt. Hier an Bord waren sie sicher, versuchte sie, sich einzureden. Ganz anders als in einem schwankenden Ruderboot auf dem offenen Meer.

Plötzlich fiel Jenna der Stern ein. Sie und die anderen hatten ihn in der Aufregung über ihre Rettung ganz vergessen und auch auf dem Boot hatte sie nicht danach gesehen. Sicherlich hatte Jeb Ausschau gehalten, und als er nicht am Himmel erschien, nichts gesagt, um sie nicht zu beunruhigen. Jeb wollte immer alles mit sich allein ausmachen, das machte es manchmal schwer, an ihn heranzukommen.

Jenna hatte eine Idee. Es war weit nach Mitternacht und der Stern sollte längst am Himmel stehen. Falls Jeb noch nicht von seiner Suche zurückgekehrt war, würde sie mit Mary die Gelegenheit nutzen und an Deck nach dem Stern zu schauen.

Jenna klopfte gegen die Tür. Dumpf und hohl wanderte das Geräusch durch den Gang. »Mary?«

Nichts.

Sie klopfte erneut. »Mary, bist du so weit? Alles okay bei dir?«

Stille.

Jenna lauschte, aber hörte immer noch nichts. Kein leises Schluchzen, das ihr verriet, dass Mary vielleicht einen Zusammenbruch hatte. Nein, auf der anderen Seite der Tür herrschte Stille.

Ihr wird doch nichts passiert sein? Vielleicht ist sie ohnmächtig geworden.

Voller Sorge hämmerte Jenna nun gegen das Holz. »Mach bitte auf, Mary. Ich …«

Ihr letzter Schlag war so hart gewesen, dass die Tür aufschwang.

Mary hatte doch abgeschlossen? Ich habe deutlich gehört, wie der Riegel eingeschnappt ist.

Jenna machte vorsichtig einen Schritt in den Raum hinein.

Hier war niemand.

Der Toilettenraum war vollkommen leer.

Das Labyrinth ist ohne Gnade

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