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Man sprach nur über Opas Streiche

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Viel mehr über ihn weiß ich nicht. Er war schon sehr hinfällig, als ich gerade mal zu denken anfing. Noch einmal entlockte ich ihm ein herzliches Lachen, als ich ihn »Opa Bornsteibein« anredete. Ein einziges Foto zeigt mich mit ihm zusammen vor dem Kaufmannsladen meines großen Bruders beim Geschäfte machen. Das konnte er und das bereitete ihm Vergnügen, und wenn er einen anderen dabei über den Tisch zog, dann nicht aus Geldgier, sondern eher, ums dem mal zu zeigen.


Zeitgenössisches Flugblatt: Die fünf durch Hoelz niedergebrannten Villen in Falkenstein. April 1920

Großvater Max war in Falkenstein zu Lebzeiten eine fast ebenso bekannte Persönlichkeit wie sein Vornamensvetter Hoelz. Und er war auch nicht weniger populär. Er galt als Ulknudel, die viel Schabernack auf Kosten anderer betrieb, den Schaden aber meist in großzügiger Weise wieder gutmachte. Kein Heimatforscher hat darüber geschrieben, nichts Gedrucktes ist zu finden. Aber als ich mich in den Achtzigerjahren zum ersten Male in Falkenstein auf die Suche nach Spuren von Max Bornstein machte, vermochten sich einige sehr alte Leute noch an dies und das zu erinnern. Die Stammtisch- und Skatbrüder konnten sich ihre Zusammenkünfte ohne ihn nicht vorstellen. Noch Jahrzehnte nach seinem Ausscheiden, so erzählte man mir, sagte man bei ihnen statt des üblichen Skatwortes »Die Hose runter« nur »ToT«, eine Abkürzung des Jiddischen »Toches offn Tisch«. Das hatten sie bei Max gelernt. Dann und wann nippte er wohl auch ein wenig am Glase. Meine Mutter sang gern das Lied vom »Bummelpetrus«. Ob sie da an ihn dachte, weiß ich nicht. Als Opas Lieblingslied, das er in der für ihre Stille bekannten Falkensteiner Nacht manchmal zum Entsetzen braver Bürger in voller Lautstärke zu intonieren pflegte, nannte sie jenes von der »tollen Bolle«: »Und dann schleich ich still und leise immer an der Wand lang, immer an der Wand lang, heimwärts von der Bummelreise, immer an der Wand, an der Wand entlang.«


Opa Max (ganz rechts) mit alten Freunden beim Skat

Nein, ein Vorbild war er nicht. Hätte es damals einen Stadtschreiber gegeben, Großvaters Streiche hätten ihm reichlich Stoff geboten. Es ist anzunehmen, dass sich die Reporter der Klatschpostillen, die gab es damals noch nicht und schon gar nicht in Falkenstein, oft an seine Fersen geheftet hätten. So sind wir auf Ortsgeflüster angewiesen, das ich noch durch die wohl eher geschönten Erzählungen meiner Mutter ergänzen kann. Da nichts mehr zu beweisen ist, muss man auf allzu detaillierte Schilderungen verzichten. Es gab in Falkenstein einen jüdischen Gemischtwarenladen, der einem als knausrig geltenden Freund oder Verwandten gehörte. Als der einmal in Chemnitz war und ihn seine nicht übermäßig fachkundige Gattin Selma im Laden vertrat, stattete Großvater dem Geschäft wie von ungefähr einen Besuch ab. Er sah sich dieses und jenes an und fragte dann beiläufig nach dem dunkelgrünen Inhalt eines kleinen Fässchens. Was das wohl sei, wollte er wissen. Weiß der Teufel, antwortete Selma. Koscher sieht es nicht aus, wie Schmierseife. »Na, dann gib mir mal für’n Groschen.« Selma verkaufte ihm eine ganze Schüssel voll. Unterwegs traf Opa ein paar Stammtischbrüder und schickte sie auch zu ihr. Im Nu war das Fass leer. Stolz berichtete Selma dem heimkehrenden Gatten über ihren Geschäftserfolg. Doch dessen Begeisterung hielt sich in Grenzen. Das »grüne Zeug« war nämlich Kaviar.

Die zweite Geschichte könnte Tante Gustel (Levy-Korytowski) widerfahren sein, deren Geschäft ja schräg gegenüber dem Wohnhaus meines Großvaters auf der anderen Straßenseite lag. Sie pflegte ihr Kinderwagenangebot zum Ärger mancher Spaziergänger als eine Art Fahrzeugkolonne auf dem Fußweg auszustellen. Aus Sicherheitsgründen und da die Straße leicht abschüssig war, fesselte sie alle mit einem Strick aneinander, den sie an einem eigentlich für Hundeleinen bestimmten Haken am Schaufenster festknotete. Als Opa festgestellt hatte, dass sich Tante Gustel zum Mittagsschlaf niederlegte, schlich er sich – Max und Moritz in einer Person – mit einem Messer über die Straße, schnitt den ganzen Geleitzug ab und setzte ihn in Bewegung. Manche Passanten fanden Vergnügen daran, die mutterlosen Wagen noch ein Stück weiter zu schieben. Jedenfalls grämte sich Gustel fast wie die Witwe Bolte und hatte den Rest des Nachmittags zu tun, um die alte Ordnung wiederherzustellen. Den Täter hatte sie schnell ausgemacht und drohte mit einem Regenschirm vom Haus 30 in Richtung Haus 9. Aber die Strafe kam nicht wie bei Wilhelm Busch in alttestamentarischer Härte. Lange böse sein konnte dem Opa kein Mensch. Der lud sich gleich bei ihr zum Kaffee ein, erzählte ein paar Schnurren und gelobte »beim Wohle meiner Kinder, mögen sie 120 Jahre alt werden«, so etwas werde sich nie wiederholen.


Anzeige aus dem Falkensteiner Adressbuch, 1907

Wenig zart spielte er auch dem Schmied, der zu seinem Stammtisch gehörte, bei einem gemeinsamen Berlin-Ausflug mit. Für Falkensteiner war ein Besuch in Berlin etwas Großes, und Opa Max wollte dem wohl noch die Krone aufsetzen, als er sie ins Hotel »Adlon« führte, dieses stinkfeine Haus mit dem Duft der großen weiten Welt und dem etwas aufdringlicheren der Halbwelt. Man setzte sich dort an einen Tisch im riesigen Restaurant mit den glatten Marmorfliesen, bestaunte die mondäne Garderobe und das extravagante Auftreten der Hautevolee der Reichshauptstadt, nippte an Kaffee oder Bier und fühlte sich sehr unsicher in der fremden, unheimlichen Umgebung. Mein Opa tat so, als ob er einmal für kleine Jungs müsse, flüsterte aber heimlich dem Oberkellner etwas ins Ohr und legte ihm ein Geldstück in die Hand. Bald wurde über »Hausfunk«, dessen ehrfürchtig verfolgte Durchsagen bis dahin dem Herrn Rittmeister und wirklichen Geheimen Rat von Sternberg, dem Herrn Akademiepräsidenten Prof. Dr. von Stubenrauch und der Operettensängerin Fräulein Fritzi Massary galten, ausgerufen: »Der Herr Schmied aus Falkenstein möchte bitte sofort zu Hause anrufen. Das Schmiedefeuer ist ausgegangen.« Der aus seiner Anonymität Gerissene lief puterrot an, schlurfte, alle Blicke auf sich ziehend, erschrocken über die Fliesen in Richtung Rezeption und merkte den Schwindel erst am schallenden Gelächter der Mitgereisten, die inzwischen Mitverschwörer und froh waren, dass es sie diesmal nicht getroffen hatte.

Jüngst kam mir noch eine andere Episode zu Ohren. Onkel Max fuhr mit Schwager Julius im Zug nach Leipzig. Der hatte die Gewohnheit, im Coupé als Erstes die Schuhe auszuziehen und als Zweites einzuschlafen. Als er dieses Stadium erreicht hatte, nahm Opa einen der Schuhe und band ihn außen an die Abteiltür. Vor Leipzig weckte er Julius auftragsgemäß. Der suchte vergeblich nach dem fehlenden Schuh. Großvater wusste natürlich von nichts. Aber der Schwager reagierte auf nicht erwartete Art. Er nahm den verbliebenen Schuh, öffnete das Fenster, warf ihn hinaus und zürnte: »Dann brauche ich den auch nicht mehr.« Spätestens beim Aussteigen dürfte er das bitter bereut haben. Vielleicht hatte er wenigstens zwei Paar Socken an. Opa besaß nach eigener Aussage nur ein einziges und begründete das mit dem überzeugenden Argument: »Was brauche ich zwei Paar Socken, wenn ich nur ein Paar Füße habe.«

Opa Max tat auch viel Gutes. Seine Kinder hatten durch seine Großzügigkeit eine solide Pensionatsbildung und verdankten ihm den besten Start ins Leben. In den Erinnerungen der Alten, mit denen ich sprach, die es aber auch nur von ihren Eltern wussten, spielten erlassene Raten und geschenkte Schuhe eine Rolle, wurde er ein Wohltäter genannt. Aber wie das so ist, von seinen Streichen war zu Hause oft, davon aber nie die Rede.

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