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Acht Meter Makart und eine Störung der Museumsordnung
ОглавлениеDas Wirken des österreichischen »Malerfürsten« Hans Makart, der zwar kein Rembrandt war, aber mit Rubens zumindest die Vorliebe für pralle weibliche Rundungen teilte, fällt zwar in jenen Zeitraum, doch es ist wohl eher ein Zufall, wenn ihm in einem so französisch geprägten Museum auch ein Platz eingeräumt wurde. Nur diesem Zufall ist es zu verdanken, dass das Orsay in meine Sammlung deutsch-jüdischer Plaudereien geriet. Und dieser Zufall führte auch dazu, dass ich die Museumsordnung mit einer Blitzlichtaufnahme und die Museumsruhe – soweit man davon bei einem ununterbrochenen Strom zehntausender Besucher sprechen kann – durch einen Aufschrei störte. Es geschah beim Anblick der »Abundantia«, wie ich inzwischen weiß die römische Göttin des Überflusses. Das ist ein Gemäldepaar von über acht Metern Länge: vier Meter »Die Gaben der Erde« und vier Meter »Die Gaben des Meeres«. Da rief ich zwar unoriginell, aber absolut spontan und lauthals: »Ja kann denn das wahr sein?« Unter den »Gaben des Meeres«, einer Gruppe üppiger Damen mit Kindern, Netzen und Meeresfrüchten, zu deren bräunlich getönten Farben als Blickfang der nackte Rücken einer der Fischerinnen kontrastiert, hatte ich in meiner Jugend so manche Mußestunde verbracht und mich in schlüpfrigen Träumen als Gespiele der wohl nicht nur Fische fangenden Schönen gefühlt. Das Bild über der Couch in unserer Stube war freilich kleiner, eine Kopie, nach Ansicht von Kunstkennern die beste, das Werk eines jüdisch-ungarischen Malers namens, wenn ich nicht irre, Boris Birnenbaum. Der Weg des Originals ist eine wahrhaft dramatische Geschichte, das Schicksal der Kopie nicht minder.
Im vornehmen Leipziger Musikviertel lebte ein schon altes, ehedem sehr wohlhabendes jüdisches Ehepaar namens Lewin, das sein Leben und sein Vermögen dafür angelegt hatte, kenntnisreich Werke der Malerei zu sammeln, die nun dicht an dicht alle Wände ihrer Wohnung bedeckten. Meine Mutter kannten die Lewins aus früheren Zeiten, als sie noch die Bornstein Hertha war. Sie gehörten wohl zu einem Zweig jener Familie Lewin, in die Rosa, jene Schwester meines Großvaters eingeheiratet hatte, die gemeinsam mit ihrem Mann Paul Lewin das Geschäft in Falkenstein übernahm.
Die Gaben des Meeres (Ausschnitt)
Ich kann mich nicht erinnern, dass wir mit den Lewins jemals Kontakt hatten, bis es zu jenem Besuch kam, der der erste und der letzte zugleich werden sollte. Als das Kunstsammlerehepaar 1943 die Aufforderung zum »Transport« erhielt, beschloss es, nicht auf den deutschen Tod im Auschwitzer Gas zu warten, sondern den Zeitpunkt vorzuverlegen und damit selbst zu bestimmen. Vorher wollten die beiden gern wenigstens ein paar der Kunstwerke vor dem Zugriff der Nazis bewahren. So fragten sie meine Mutter – in aller Vorsicht aus einer Telefonzelle –, ob sie nicht, es sei die letzte Gelegenheit vor ihrer Abreise, an diesem Abend einmal zu ihnen kommen könnte, um ein Geschenk entgegen zu nehmen.
Doch es hätte praktisch Selbstmord bedeuten können, wäre sie als Jüdin, die ohnehin nur dank ihres nichtjüdischen Mannes noch nicht den gleichen Weg vor sich hatte, der Einladung gefolgt. So einigte man sich schnell auf meinen älteren Bruder und mich. Uns als »Mischlingen« konnte nicht viel passieren. Lewins empfingen uns still, aber freundlich. Lange erzählten sie uns ganze Essays über den Lebensweg von wertvollen Bildern aus ihrem Besitz und machten uns auf deren Besonderheiten aufmerksam. Dass sie beschlossen hatten, ihrem Leben unmittelbar nach unserem Besuch ein Ende zu setzen, ließen sie uns weder merken noch wissen.
Ich hatte damals noch nie einen Kunstsammler gesehen oder gar besucht, selbst in ein Kunstmuseum hatte mich bis dahin niemand mitgenommen. Wer hätte es tun sollen und können? So stand ich wie betäubt vor der überwältigenden Fülle an Schönheit. Fast war es zu viel des Besten. Noch ein Bild hätte an den Wänden keinen Platz mehr gefunden. Welche Farben! Welche Figuren! Welche Allegorien! Ich war beeindruckt und ratlos zugleich. Mein praktischer veranlagter Bruder fragte, was nun aus diesem Schatz werden solle. Sie schwiegen bedrückt und schlugen uns vor, nein, baten uns, einige von ihnen ausgewählte Bilder mitzunehmen. Museumsstücke, nach denen gefahndet werden würde, kamen nicht in Frage. Aber einen postkartengroßen, farbenfroh ölgemalten Hahn in einem kostbaren goldenen Rahmen und zwei schöne Grafiken von Bäumen und Landschaften drückten sie uns in die Hand. Und auch die Makart-Kopie legten sie uns trotz deren Dimension ans Herz. Sie sei so wertvoll wie ein Original, da Makarts »Fischzug«, wie sie das Ölgemälde nannten, in München verschwunden sei und wahrscheinlich überhaupt nicht mehr existiere. Lewins umhüllten das Bild mit einem Leinentuch und gaben es uns. In der elterlichen Wohnung bekam es einen Ehrenplatz, doch Freude an ihm hatten wir nie, da natürlich die Nachricht vom Tode des Ehepaares eintraf, ehe das Bild über dem Liegemöbel hing.
Und als meine Mutter nach dem Kriege aus dem KZ Theresienstadt zurückgekehrt war, bezog sie – Vater war gestorben, der Bruder und ich arbeiteten in anderen Städten – bald eine Ein-Raum-Wohnung.