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3. Bauen und Wohnen

Während in vielen Großstädten die Immobilien immer knapper werden, beherrscht in Einbeck ein ganz anderes Problem die Debatte: Leerstand. Große Aufmerksamkeit bekommen vor allem die ungenutzten Fachwerkhäuser im Stadtzentrum. Kontrovers diskutieren Kommunalpolitiker, Unternehmer und Verwaltung über die Ursachen und Konsequenzen des Leerstands. Gleichzeitig steht die Stadt vor der Frage, wie viel Neubau sie sich künftig noch leisten will und wie altengerechter Wohnraum entstehen kann. Aber der Reihe nach.

Die Grundüberlegung ist simpel: Weniger Menschen brauchen weniger Wohnraum, sodass Einbeck unter dem Strich eher abreißen als bauen müsste. Ein Gefühl für die Herausforderung vermittelt ein Wohnraumkonzept der Verwaltung von 2017:

• Bis 2030 sinkt die Zahl der Privathaushalte demnach von rund 15.600 (2016) auf etwas mehr als 14.500. Bis 2035 setzt sich der Rückgang bis auf 13.900 Haushalte fort.

• Der Rückgang betrifft alle Haushaltsgrößen – von einer bis fünf Personen.

• Bis 2030 ergibt sich in der quantitativen Betrachtung ein Überhang von jeweils mehreren hundert Wohnungen in Mietshäusern (rechnerisch 275 Wohneinheiten) und im Wohneigentum (rechnerisch 457 Wohneinheiten) gegenüber 2016. Ersatzbedarf ist bereits berücksichtigt.

Es geht hier nicht um die exakten Zahlen, die sich über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrzehnt kaum präzise vorhersagen lassen. Wichtig und verlässlich ist die Grundaussage: Hunderte Einbecker Wohnungen werden mittelfristig nicht mehr gebraucht.

Der erwartete Überhang trifft auf den schon vorhandenen Leerstand – und der ist in der historischen Altstadt besonders konzentriert. Bei einer Erhebung im Auftrag der Stadt zählte ein Leipziger Planungsbüro 51 Leerstände und 140 Teil-Leerstände allein innerhalb der alten Stadtbefestigung. Fast 30 Prozent aller Hauptgebäude waren betroffen.

Hübsch dekoriert - die Sch(l)aufenster

Gerade im Stadtkern ist der Leerstand von Wohnungen kaum vom Leerstand in Geschäftsräumen zu trennen – nicht selten findet sich beides im selben Haus. Im Vergleich zum Wohnungsmarkt ist der Einfluss der Bevölkerungsentwicklung auf die Nutzung von Gewerbeimmobilien weniger klar. Die Ursachen für Leerstand sind komplexer. Sie reichen von der wachsenden Konkurrenz durch Online-Händler bis zu Größe und Zuschnitt verfügbarer Räume. Es ist jedoch plausibel, dass auch die sinkende Zahl potenzieller Kunden den Einzelhandelsstandort belastet und damit zum Leerstand beiträgt.

Seit mehreren Jahren bemüht sich die Bürgerinitiative Sch(l)aufenster, Auslagen ungenutzter Geschäfte zu dekorieren und damit das Stadtbild zu verbessern. Die Idee: Künstler, Vereine, Sammler oder Schulen können die Fenster kostenlos gestalten und sich darin präsentieren. Gleichzeitig wird die Innenstadt ansehnlicher und interessanter für Einheimische und Touristen.

In den Fenstern finden potenzielle Mieter zudem die Telefonnummer der Bürgerinitiative, die bei Interesse den Kontakt zu Hauseigentümern herstellt. Die Sch(l)aufenster-Initiative gilt lokal wie überregional als Erfolg.

Im Interview sagte Vorsitzender Hans-Jürgen Kettler im Frühjahr 2020: „Als wir anfingen, zählten wir rund 60 Leerstände, die Graufenster. Von diesen Fenstern sind 33 wieder in einer wirtschaftlichen Nutzung. Ein gutes Beispiel ist ein früherer Lebensmittelladen am Neuen Markt. Der stand lange leer, bis wir das Fenster mit einer Ausstellung des Bürgerspitals füllten. Heute mietet eine Versicherungsagentur die Räume. Andere Gebäude werden von Gastronomen, Fahrschulen oder politischen Parteien genutzt.“

Sanierungsstau im Fachwerk

Als Hemmnis für die Vermietung von Innenstadt-Immobilien gilt der Sanierungsstau, der sich über die Jahrzehnte in vielen Fachwerkhäusern gebildet hat. Nach Einschätzung von Insidern ist der Investitionsbedarf in vielen Gebäuden so hoch, dass er die finanziellen Möglichkeiten der Eigentümer übersteigt.

Auch das hohe Alter etlicher Hausbesitzer gilt als Problem. „Viele sanierungsbedürftige Immobilien gehören betagten Menschen, die nicht das Geld für notwendige Investitionen haben. Und wenn sie zur Bank gehen, dann bekommen sie als 80-Jähriger keinen Kredit mehr. Ganz davon abgesehen, dass sich sechsstellige Investitionen in diesem Alter kaum noch rechnen“, sagte Hans-Jürgen Kettler von der Sch(l)aufenster-Initiative.

Kontrovers diskutieren Stadtverwaltung, Politik und Geschäftsleute, inwieweit Denkmalschutz-Vorgaben zum Leerstand beitragen. Während Denkmalpfleger auf Kompromissbereitschaft und Fördermöglichkeiten verweisen, kritisieren Unternehmer kostspielige Auflagen.

Unstrittig ist, dass die fachgerechte Sanierung eines denkmalgeschützten Gebäudes sehr schnell sehr teuer werden kann. Joachim Mertens, Baudirektor der Stadtverwaltung, sagte: „Stellen wir uns ein großes Fachwerkhaus vor: 160 Quadratmeter im Erdgeschoss, 160 Quadratmeter darüber, dazu der Dachboden. Da ist man schnell im sechsstelligen Bereich.“

Ein Einzelhändler berichtete von geschätzten Sanierungskosten oberhalb der Millionengrenze für ein Fachwerkhaus im Stadtzentrum. Es geht dabei nicht um Einzelfälle. Allein 400 alte Bürgerhäuser vermarktet Einbeck touristisch. Insgesamt verfügt die Stadt mit ihren Ortschaften über rund 2.200 Baudenkmäler nach dem niedersächsischen Denkmalrecht.

Was also tun? 2020 diskutierte Einbeck etliche Ideen, wie dem Leerstand in der Altstadt beizukommen ist.

Nachfolgend fünf Beispiele:

Preisgünstiges Wohnen:

Die SPD-Fraktion forderte mehr Einsatz der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft EWG. Sie soll sich bei der Sanierung denkmalgeschützter Gebäude engagieren und bezahlbare Wohnungen schaffen.

„Stube statt Shopping“:

Unter diesem Motto verlangte Ratsherr Alexander Kloss (parteilos) einen Fördertopf zur Umwandlung von ungenutzten Geschäftsräumen in barrierearmen Wohnraum.

Bürgerbüro im Stadtkern:

FDP-Kandidat Claudius Weisensee schlug im Bürgermeisterwahlkampf vor, sämtliche öffentliche Dienstleistungen der Stadtverwaltung auch in der Innenstadt anzubieten und leer stehende Geschäftsräume für die Schaffung von Krippenplätzen zu nutzen.

Leerstandsmanagement:

Bürgermeisterin Sabine Michalek sprach sich dafür aus, über Fördermittel einen hauptberuflichen Leerstandsmanager zu finanzieren, „der zusammenbringt und Ideen vermittelt“.

Neue Sortimente:

Einbeck Marketing, eine gemeinsame Gesellschaft von Wirtschaft und Stadt, prüfte zusammen mit der Wirtschaftsförderung die Ansiedlung eines Unverpackt-Ladens. „Außergewöhnliche Sortimente machen eine Innenstadt lebensfähig, weil sie ein anderes Einkaufserlebnis bringen als der Online-Handel“, sagte Geschäftsführerin Anja Barlen-Herbig im Interview.

Zudem ist eine sogenannte „Taskforce Leerstand“ entstanden, die als selbst gestecktes Ziel Konzepte und Nutzungsideen entwickeln will. Zu den Akteuren gehören die Stadt Einbeck, Einbeck Marketing, die Sch(l)aufenster-Initiative und eine Stiftung, die Träger der Einbecker Mobilitätsaustellung PS.Speicher ist.

Positiv formuliert lässt sich festhalten: Das Problem ist erkannt – in die Debatte ist Bewegung gekommen. Gleichzeitig gilt allerdings: Zum Jahresende 2020 zeichnete sich in der Einbecker Politik noch kein Konsens über den richtigen Weg zu weniger Leerstand ab. Strittig war beispielsweise, welchen finanziellen Einsatz die Stadt leisten kann und wie sie das knappe Geld investieren soll. Wichtige Weichenstellungen standen daher aus.

Das Donut-Dilemma

Während in der Innenstadt etliche Flächen ungenutzt sind, interessieren sich viele Bauwillige bevorzugt für Neubau-Grundstücke am Stadtrand oder in den Ortschaften – ein Problem für die Stadtplaner. Sie befürchten einen wenig schmackhaften „Donut“ aus verfallenen Ortskernen und monotonen Neubaugebieten bei gleichzeitig hohen Kosten.

Baudirektor Joachim Mertens formulierte es 2019 so: „Ich warne vor Neubaugebieten in den kleinen Orten. Das ist heute verlockend und bringt Einnahmen. In 30 Jahren aber stehen wir vor großen Problemen. Wer heute ein Haus baut, ist dann im Rentenalter. Die Kinder werden in vielen Fällen anderswo leben – es droht Leerstand. Hinzu kommen die Kosten für die Unterhaltung der Infrastruktur: Straßen und Kanäle, die wir heute bauen, müssen in rund 30 Jahren saniert werden.“

Entsprechend dieser Sichtweise mahnt die Verwaltung, in den Dörfern bevorzugt Baulücken und Bestandsgebäude zu nutzen. Ende 2019 stimmte der Verwaltungsausschuss einem zweistufigen Verfahren zu, das diesem Prinzip Rechnung trägt und den Ball zu den Ortsvertretern spielte: Sie sollten zunächst mitteilen, ob in ihrem Dorf unbebaute Lücken oder leer stehende Häuser zur Verfügung stehen. Nur wenn dies nicht der Fall war, konnten sie auf zusätzliche Baugrundstücke hoffen.

Man hätte starken Protest erwarten können, denn die Neubaugebiete hatten zuvor wiederholt zu Streit geführt. Noch Ende 2018 hatte die SPD-Fraktion der Verwaltung vorgehalten, die Zukunft der Ortschaften infrage zu stellen. Mehrere Dörfer sahen und sehen Bedarf an Bauflächen. Mit dem neuen Verfahren wanderte die Beweislast zu ihnen: Sie müssen zeigen, dass die Ausweisung der Grundstücke notwendig ist.

Gemessen an dieser Ausgangslage gab es wenig wahrnehmbaren Widerstand. Im September 2020 berichtete die Verwaltung, rund die Hälfte der Ortsräte habe sich aktiv an dem Projekt beteiligt. Nur in sieben Ortschaften - Wenzen, Vardeilsen, Drüber, Edemissen, Holtensen, Hullersen und Opperhausen - gebe es Bedarf, ortspezifische Lösungen für Baumöglichkeiten zu entwickeln.

Auch in der Sitzung des zuständigen Stadtentwicklungsausschusses scheint es erstaunlich friedlich zugegangen zu sein. Die Vorlage zur „Entwicklung von Baumöglichkeiten in den Ortschaften“ wurde laut Ratsinformationssystem unverändert beschlossen. Nach einem Bericht der Einbecker Morgenpost lobten Vertreter von CDU und SPD übereinstimmend das neue Instrument.

Barrierefreiheit für alle

Verglichen mit Leerstand und Neubaugebieten genießt das seniorengerechte Bauen bisher wenig Aufmerksamkeit. Doch wer genauer hinsieht, bemerkt: Die Stadt verändert ihr Gesicht auch hier.

Zu den Treibern des Themas gehört der Seniorenrat, der die Interessen der Einbeckerinnen und Einbecker ab 60 Jahren vertritt. „Einer unserer vielen Schwerpunkte ist die Barrierefreiheit. Wir wollen Hindernisse abbauen, die die Menschen in ihrer Mobilität einschränken – das betrifft alle Generationen“, sagte Hein-Peter Balshüsemann, damals Vorsitzender des Seniorenrats, 2018 im Interview.

Nach eigener Wahrnehmung erzielt der Seniorenrat dabei Erfolge: „Rund um den Einbecker Marktplatz haben wir dazu beigetragen, dass Menschen mit Rollstuhl oder Rollator nicht mehr über Buckel-Pflaster fahren müssen. Und am Möncheplatz (Anm.: Ein Parkplatz in der Innenstadt) haben wir dafür gesorgt, dass der Parkscheinautomat mit dem Rollstuhl zugänglich ist“, so Balshüsemann.

In einem Barriere-Kataster haben zwei Vertreter des Seniorenrats die Zugänglichkeit öffentlicher Gebäude wie Schulen, Gemeinschaftshäuser oder Kapellen bewertet und diese Ergebnisse öffentlich gemacht. Seitdem ist detailliert und transparent nachvollziehbar, wo es Probleme gibt.

Kleine Wohnungen für Senioren

Im Tagesgeschäft der Einbecker Wohnungsbaugesellschaft (EWG) sind die Anforderungen der Barrierefreiheit ebenfalls angekommen. Im Interview nannte Geschäftsführerin Birgit Rosenbauer Beispiele wie ebenerdige Duschen und Wohnungen ohne Türschwellen. In Bestandsgebäuden der 50er und 60er-Jahre seien solche Veränderungen in einem gewissen Rahmen aber nicht immer vollständig umsetzbar. „Dann sprechen wir vom barrierearmen Wohnen.“

Mit Blick auf ältere Mieter hat die EWG in den vergangenen Jahren zwei seniorengerechte Wohnanlagen neu gebaut. Ein Objekt befindet sich in Zentrumsnähe mit kurzen Wegen zu Einkaufsmärkten, Ärzten und Apotheken. Die zweite Anlage mit geringeren Kaltmieten liegt in einem Wohnviertel. Das Haus ist für Senioren mit kleinen Wohnungen konzipiert, lässt sich bei Bedarf aber anpassen. „Falls wir langfristig doch mehr größere Wohnungen brauchen, dann können wir die Grundrisse mit relativ einfachen Mitteln verändern“, so Rosenbauer.

Alt werden in der WG

Diskutiert, aber bisher nicht umgesetzt wurde in Einbeck die Idee einer Senioren-Wohngemeinschaft. Die Initiative aus der CDU-Ratsfraktion sah die WG in einem sanierten Fachwerkhaus in der Altstadt vor. Dort sollte eine Gruppe älterer Menschen unter einem Dach leben und sich im Alltag unterstützen. „Zugleich gewinnen die Bewohner neue soziale Kontakte. Das ist besonders dann wichtig, wenn ein Partner stirbt und der andere allein zurückbleibt. Meist sind das die Frauen“, sagte Initiatorin Heidrun Hoffmann-Taufall im Interview.

Aus ihrer Sicht könnte eine Senioren-WG zugleich ein Beitrag sein, um Engpässen professioneller Pflegeanbieter entgegenzuwirken. „Die Zahl der Pflegebedürftigen wird so stark steigen, dass Altenheime und Pflegedienste ihre Kapazitäten gar nicht ausreichend erhöhen können. Das scheitert schon am fehlenden Personal. Wir brauchen deshalb eine weitere Säule, in der sich ehrenamtlicher Einsatz und professionelle Leistungen ergänzen“, sagte Hoffmann-Taufall.

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