Читать книгу Populismus leicht gemacht - Ralf Grabuschnig - Страница 12
Mit denen ist kein Staat zu machen
ОглавлениеLassen Sie mich Ihnen an der Stelle noch eine Weisheit bezüglich Feindbilder mitgeben: Der Staat sind Sie – und Ihre Feinde sind somit die Feinde des Staates. Diese an sich banale Tatsache, die schon im absolutistischen Frankreich von anno dazumal zutraf, hat von ihrem Wert bis heute nichts verloren. Andere politische Gruppen sind nicht nur Ihre „Mitbewerber“, wie das in demokratischen Ländern gerne dahingesäuselt wird. Mit ihnen ist kein Staat zu machen, sie müssen geradezu mit Gewalt ausgemerzt werden. oder Ihre Nation ist dem Untergang geweiht! Diese Argumentation kennen Sie vielleicht. Sie wird besonders gerne von Parteien benutzt, die schon lange allein herrschen. Aber auch als (noch) Außenstehender können Sie sich dieser Tricks bedienen und die (noch) regierende Partei als Feind brandmarken, von dem der Staat schnellstmöglich befreit werden muss. In irgendeiner Form haben fast alle großen Diktatoren der Vergangenheit diesen Trick angewandt, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Ein lehrreiches Beispiel können wir im Österreich der Zwischenkriegszeit finden. Wie auch anderswo in Europa war die politische Lage im damaligen Österreich eine angespannte. Mit Ende der Donaumonarchie fand sich das Land plötzlich als demokratische Republik wieder, ohne nennenswerte Erfahrung in dieser Regierungsform aufweisen zu können. Schnell bildeten sich in dieser Lage zwei politische Blöcke heraus, die sich die Wählerschaft in vollkommener gegenseitiger Ablehnung untereinander aufteilten und sich anschickten, den neuen Staat im Alleingang zu führen. Auf der einen Seite dieses Kampfes standen die Sozialisten mit ihrer breiten Unterstützung innerhalb der seit Kriegsende erstmals wahlberechtigten Arbeiterschaft. Auf der anderen Seite bildeten sich die Christlichsozialen heraus, die die konservativen Kräfte des Adels, des Bürgertums, des Militärs und der Bauernschaft bündelten. Daneben gab es zwar noch kleinere Parteien, etwa die Deutschnationalen, doch die beiden Großblöcke teilten sich die Mehrheit der Wähler. Nach anfänglichen (wohl nie allzu ernst gemeinten) Versuchen der Zusammenarbeit wurde schnell klar, wohin die Reise in diesem Staat gehen würde. Die „Roten“ setzten sich mit einer absoluten Mehrheit in der Hauptstadt Wien fest und dominierten dort schon bald die politische Szene. Der Rest des Landes wurde „schwarz“. Durch das demografische Übergewicht Wiens in der österreichischen Gesamtbevölkerung waren die Ergebnisse der beiden Blöcke bei landesweiten Wahlen dennoch recht ähnlich, und die Sozialisten waren auch landesweit eine ernstzunehmende Kraft. Da sich aber alle politischen Kräfte rechts der Mitte einig darin waren, ihnen keine politische Mitbestimmung zu gewähren, wurden sie isoliert und im Nationalrat zur Daueropposition gezwungen. Die Christlichsozialen (und in geringerem Ausmaß ihre nationalistischen Partner) wussten spätestens zu diesem Zeitpunkt: Der Staat, das waren jetzt sie. Und bald wurde es Zeit, sich den Feinden zuzuwenden.
Dieser Kampf verlagerte sich binnen kurzem vom Parlament auf die Straße. In einem Land, in dem das Gewaltmonopol des Staates so gut wie nicht existierte, bildeten sich schnell die ersten rechten Milizen heraus, die auf den Straßen auf „Rote“ losgingen – die bedeutendste dieser Gruppen war die faschistische Heimwehr. Als Gegenmaßnahme gründeten die Sozialisten schließlich den Republikanischen Schutzbund. Man muss es wohl nicht erwähnen: Diese beiden paramilitärischen Gruppen gingen sich in den nächsten Jahren gehörig an die Gurgel, was die Zentralgewalt des Staates nicht nur einmal an den Rand des Untergangs brachte. Die Nähe zwischen Christlichsozialer Partei und den Heimwehren fluktuierte in dieser Zeit zwar, man arrangierte sich üblicherweise aber schnell. Denn auch wenn die Heimwehren im Gegensatz zu den eher traditionellen Christlichsozialen eine waschechte faschistische Bewegung darstellten, konnte man sich auf das gemeinsame Ziel einigen: Das große Feindbild, die Sozialisten, war mit allen Mitteln von der Macht fernzuhalten! Einen Höhepunkt erreichte das in den frühen Dreißigern. Zuerst war es die Heimwehr, die sich öffentlich vom Parlamentarismus abwandte und einen autoritären „Ständestaat“ forderte. Bald folgten ihr auch die sich rapide radikalisierenden Christlichsozialen unter Engelbert Dollfuß nach. Dieser neue Mann an der Spitze der Partei (wegen seiner wenig beeindruckenden Körpergröße von seinen Gegnern auch „Millimetternich“ genannt) brachte ohnehin einen wahren Zaubertrick zustande. Er schaffte es, die tief autoritäre Christlichsoziale Partei der Zwanzigerjahre noch weiter nach rechts zu rücken und dem Faschismus zu öffnen. Im Frühjahr 1933 war es dann soweit. Kanzler Dollfuß schaltete das Parlament aus und regierte den Staat von nun an offen autoritär. Neue Wahlen verbot er unter anderem mit der großartigen Begründung, dass das den Tourismus in Österreich einschränken könnte … In der Öffentlichkeit gab es außerhalb des sozialistischen Milieus trotzdem keine Aufschreie. Das Feindbilderschmieden der letzten Jahre hatte sich bezahlt gemacht, und von der Demokratie hielten die meisten ohnehin wenig. Das Parlament war für viele konservative Österreicher nicht mehr als das Sprachorgan der Sozialisten. Es zu schließen, war der einzig richtige Schritt.
Engelbert Dollfuß radikalisierte seine Regierung – getrieben vom fanatischen Feindbild der immer noch aktiven Sozialisten – nach Ende des Parlamentarismus stetig weiter, und am Schluss wurde sogar die Christlichsoziale Partei selbst aufgelöst, um in eine neue Staatspartei, die Vaterländische Front, überzugehen. Man gönnte sich bei der Gelegenheit sogar ein hippes neues Logo, das Kruckenkreuz. Ich bin nun zwar kein Anwalt, aber hätten es die Nazis versucht, hätten sie die Front wegen Markenrechtsverletzung drankriegen müssen, so ähnlich sah das Symbol dem Hakenkreuz. Um die endgültige Umwandlung in den „Ständestaat“ zu vollenden, musste Dollfuß nun nur noch die Sozialisten als politische Kraft ausschalten. Die Chance für einen zünftigen Frühjahrsputz ergab sich schließlich im Februar 1934. Da ging die Staatsführung daran, das Gewaltmonopol wiederherzustellen und die Waffenlager des Republikanischen Schutzbundes der Sozialisten auszuheben. Es fällt auf, dass die rechten Milizen und die Heimwehr kein Problem für dieses Monopol darzustellen schienen, obwohl sie mindestens auf genauso vielen Waffen saßen. Es kam, wie es vielleicht kommen musste, und die Militäraktion gegen den Schutzbund artete in einen dreitägigen Bürgerkrieg aus. Die Armee und die Heimwehren auf der einen und der Schutzbund auf der anderen Seite kämpften erbittert um die Gemeindebauten Österreichs, die sich in Festungen und Schlachtfelder verwandelten. Am Ende stand die totale Niederlage der hoffnungslos unterlegenen Sozialisten. Dem Aufbau des autoritären „Ständestaates“ stand nichts mehr im Weg. Na ja, außer vielleicht die Tatsache, dass Engelbert Dollfuß nur Monate darauf von Nationalsozialisten ermordet wurde. Aber was hätte er auch machen sollen? Man kann das Volk ja nicht verwirren. Ihnen zu erzählen, dass nun sowohl die Sozialisten ALS AUCH die Nazis Feinde des Staates waren, das war doch zu viel verlangt vom einfachen Bürger. Während die Sozialisten blutig zerschlagen wurden, konnten die Nazis in Österreich also in Ruhe weiterwerkeln. Erst nach der Ermordung Dollfuß’ zog sein Nachfolger Kurt Schuschnigg auch hier die Daumenschrauben an. Sein Regime endete trotzdem vier Jahre später im „Anschluss“. Die Führer des „Ständestaates“ Österreich sahen sich danach gemeinsam mit den von ihnen eingekerkerten Sozialisten im KZ wieder. Manchmal kennt die Geschichte ja doch Ironie.