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Die Methode Hitler: Was nicht passt, ist auch nie passiert

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Die wohl einfachste Methode, Ihre fade Kindheit zur fesselnden Erzählung aufzubauschen, ist das Ausblenden all jener biografischen Belanglosigkeiten, die nicht zu Ihrer angepeilten Geschichte passen. Das Paradebeispiel für die konsequente Umsetzung dieser Methode bietet uns sogleich der wohl brutalste europäische Diktator des letzten Jahrhunderts: Adolf Hitler. Seine Biografie ist ohnehin bemerkenswert – bemerkenswert darin, wie wenig bemerkenswert sie ist. Wenn sogar der todlangweilige Adolf Hitler es schaffte, aus seiner Herkunft eine Legende zu basteln, können Sie das schon lange. Geboren ist Hitler bekanntlich 1889 im oberösterreichischen Städtchen Braunau am Inn. Ein Ort, so langweilig, wie Hitlers frühe Lebensgeschichte. Sein Vater arbeitete an der deutsch-österreichischen Grenze für das Zollamt der k. u. k.-Monarchie, die Mutter war, wie damals üblich, Hausfrau. Üblich für diese Zeit sind auch ein paar andere Merkmale der Familie Hitler. So war Hitlers Vater 23 Jahre älter als seine Mutter, und – soweit wir das sagen können – waren die beiden auch entfernt verwandt. Aber gut, die Familie stammte ursprünglich auch aus dem niederösterreichischen Waldviertel, und da sieht es Gerüchten zufolge heute noch nicht viel anders aus. Üblich waren auch die innovativen väterlichen Erziehungsmethoden im Hause Hitler, die den jungen Adolf mit regelmäßigen Prügelportionen versorgten. Einmal soll sein Vater ihn sogar bewusstlos geschlagen haben. So weit, so gewöhnlich also.

Mit einem Umweg über Linz zog es Hitler in seinen Teenagerjahren schließlich nach Wien, wo er sich an der Kunstakademie bewarb, allerdings gleich zwei Mal durch die Aufnahmeprüfung rasselte. Er blieb die nächsten Jahre über trotzdem in der Hauptstadt und gab sich dabei auch immer wieder als Kunststudent aus. Über Wasser hielt er sich nach dem frühen Tod seiner Mutter und dem nicht ganz so frühen Tod seines Vaters (der stilecht an einem Glas Frühstückswein verendete) mit einer Waisenpension und regelmäßigen Finanzspritzen seiner Tante. Als diese Geldquelle irgendwann versiegte, sah sich der verkannte und chronisch erfolglose Hitler 1910 sogar gezwungen, in ein sogenanntes Männerheim zu ziehen, was im Prinzip nichts anderes war als ein Obdachlosenheim. In der Zeit begann er, Postkarten mit Ansichten Wiens zu malen und über einen Freund zu verkaufen. Wie viel Geld er damit verdiente, wissen wir nicht genau. Man kann sich aber vorstellen, dass er damit nicht unbedingt reich wurde. Irgendwann hatte Hitler genug. Im Jahr 1913 ließ er Wien für immer hinter sich und zog nach München. Warum er das tat, ist bis heute schwer zu sagen. Einerseits wollte er sicherlich seinem elenden Leben entkommen, wobei man sich schon fragen muss, was er als gescheiterter Künstler ohne sonstige nennenswerte Talente in München anders machen wollte. Gerüchten zufolge wollte er aber auch einfach dem Militärdienst in Österreich entkommen. Warum aber zog er dann ein Jahr später für Deutschland in den Ersten Weltkrieg – noch dazu illegal als Nichtstaatsbürger? So viel zu dem Teil von Hitlers Biografie, über den wir später nicht mehr viel hören werden.

Nach Kriegsende 1918 ist Adolf Hitler knapp dreißig Jahre alt, und erst jetzt wird er historisch greifbar. Sein gesamtes bisheriges Leben ist uns ja nur wegen seines späteren Aufstiegs bekannt, wenn auch nur zu Teilen. Und wenn es nach Adolf Hitler selbst gegangen wäre, hätte er über diese Zeit wahrscheinlich danach nie mehr gesprochen – sein Versagen in Wien hat ihm mit Sicherheit noch lange zugesetzt und war für einen selbsterklärten Herrenmenschen nun wirklich nicht angemessen. Aber eine Legende braucht man eben, das wusste auch der zukünftige „Führer“. Deshalb begann er schon früh, über seine Kindheit zu reden, diese bei der Gelegenheit aber gründlich zu schönen. Das Ziel dabei war einfach: Niemand sollte zu viel über seine wahre Herkunft erfahren. Hitler wollte die alleinige Kontrolle darüber behalten, was er über sich verriet und was davon stimmte. Er untersagte sogar seinem Halbbruder, sich öffentlich als solcher zu bekennen, um nur nichts über sich preiszugeben. Und das funktionierte auch wunderbar! Je weniger die Menschen über Hitler wussten, desto mehr verfielen sie (und mit ihnen die Medien) in den Zwanzigerjahren in Spekulationen, die seinen Mythos weiter befeuerten. Ein weiterer Grund für die Geheimnistuerei war wahrscheinlich auch, dass Hitler die leicht inzestuösen Verwicklungen in seiner Familie verheimlichen wollte. Wohl nicht jeder im Deutschen Reich hätte diese kulturelle Eigenheit der Waldviertler geschätzt. Später kamen aufgrund dieser jahrelangen Geheimniskrämerei sogar Gerüchte auf, einige von Hitlers Vorfahren seien Juden gewesen, was mit ziemlicher Sicherheit reine Erfindung war. So schizophren war dann nicht mal er.

Weder die Kindheit noch die Wiener Jahre spielten konsequenterweise eine große Rolle in der Erzählung, die der „Führer“ ab den Zwanzigerjahren für sich strickte. Dafür nahmen andere Teile seiner Biografie eine umso zentralere Stellung ein, insbesondere der Erste Weltkrieg. An diesem Krieg beteiligte sich Hitler als Meldegänger an der deutschen Westfront, und gegen Ende des Krieges – so behauptete er zumindest störrisch – wurde er auch Augenzeuge des Dolchstoßes, den die linken Aufständischen und Juden dem Deutschen Reich verpassten, während sein Heer auf dem Feld ungeschlagen blieb. Diese „Dolchstoßlegende“ hatte zwar keinerlei Wahrheitsgehalt, wurde in jener Zeit aber gern erzählt und noch viel lieber gehört. Und falls Ihnen das bekannt vorkommt, kann ich nur sagen: Das ist das gesamtstaatliche Äquivalent für eben jenes Kind, das nach seiner Niederlage das „Mensch ärgere dich nicht“-Spielbrett umwirft und die Partie für unentschieden erklärt. Die Deutschen waren noch nie gute Verlierer. Die Kriegszeit, der folgende Aufstieg in der NSDAP, der Putschversuch von 1923 – all das diente später als zentraler Bestandteil des Designs der Hitler-Biografie, wie nur er sie verbreiten durfte und sie auch in „Mein Kampf“ niederschrieb – und bei der Gelegenheit mit zahlreichen Halb- und Unwahrheiten ausschmückte. Über die Jahre und Jahrzehnte haben Hitler und der Propagandaapparat des Nazi-Regimes diese Geschichte immer weiter heroisiert. Hitler wurde im Nachhinein zum Tribun und Volkserlöser aufgebauscht, dessen Bedeutung für Deutschland schon in den Zwanzigerjahren allen klar gewesen sein musste. Nur über die Zeit vor 1914 verlor man wie schon angedeutet kaum ein Wort. Eine souveräne Art, mit der unliebsamen Vergangenheit umzugehen, und eine Taktik, die sich unter Herrschern aller Art auch heute noch größter Beliebtheit erfreut. Konsequent verdrängt Viktor Orbán das Studentenstipendium, das ihm in den späten Achtzigern von seinem heutigen Erzfeind George Soros gewährt wurde. Der ehemalige österreichische Vizekanzler und FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache versteckte Zeit seines politischen Lebens mehr oder weniger erfolgreich seine Jugendjahre im Umfeld von politisch fragwürdigen Gruppierungen. Der serbische Ministerpräsident Aleksandar Vučić verbirgt seine Zeit als Minister unter Slobodan Milošević, sein bulgarischer Kollege Bojko Borissow seine Karriere als Bodyguard des kommunistischen bulgarischen Machthabers Todor Schiwkow. Nein, das ist kein Witz.

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