Читать книгу Weg, einfach weg - Ralf J. Schwarz - Страница 10

Kapitel 8

Оглавление

Kaum war Volker May gegangen, spürte Ute van Geerden eine Art Erregung in ihrem Innern aufsteigen, ein Gefühl wie vor einem heraufziehenden Gewitter oder einer Prüfung, deren Ausgang noch vollkommen ungewiss war. Warum meldete sich Andreas nicht bei ihr. Normalerweise beunruhigte es sie nicht, wenn die Anrufe ihres Ehemanns ausblieben. Schon lange waren sie nicht mehr so eng wie früher. Aber beide waren der Meinung, eine gewisse Distanz zwischen ihnen, würde ihre Ehe erst erträglich machen. So stritten sie seltener und gingen sich meist aus dem Weg, wenn Spannungen zwischen ihnen auftraten.

Innerlich fluchte sie und wünschte den Kommissar zur Hölle. Mit seinem Gequatsche hatte er ihr Innerstes aufgewühlt und ihr ansonsten gefühlsgehemmtes Zusammengehörigkeitsgefühl ins Wanken gebracht. War Andreas in ihrer Nähe, war sie sich sicher dass sie ihn nicht brauchte, aber nun, da etwas passiert sein konnte, spürte sie die Unsicherheit wie ein dunkler Dämon in sich hochkriechen.

Nachdenklich saß sie auf dem Sofa und dachte über die Konsequenzen nach, die im Falle eines Unfalles oder eines Unglücks auf sie zukämen. Unsicher griff sie zum Telefon und wählte eine Nummer.

»Rechtsanwaltskanzlei Kesselring, Sie sprechen mit Robert Cavalli.« »Hallo Herr Cavalli, mein Name ist Ute van Geerden, ich möchte bitte mit Hartmut Kesselring sprechen.« »Tut mir leid, Herr Kesselring…« »Bitte, ich bin keine Klientin«, unterbrach sie ihn, »ich bin eine persönliche Bekannte von Hartmut und möchte jetzt mit ihm sprechen. Sollten Sie mich nicht verbinden, bin ich sicher, dass er sehr ungehalten sein wird. Also bitte!« Sekundenlang schwieg Cavalli und man konnte fast jeden seiner Gedankengänge hören. »Ich werde versuchen, Herrn Kesselring zu erreichen, bitte warten Sie!« Ein Knacken unterbrach die Leitung und eine eingängige, an Fahrstuhlmusik erinnernde Melodie ertönte.

Gute zwei Minuten musste Ute warten, bis Hartmuts Stimme erklang: »Hallo Ute, Du hast Robert ja ordentlich eingeheizt. Der arme Kerl war ganz verunsichert. Ich hatte ihm gesagt, dass ich nicht gestört werden will. Aber bei Dir ist das was anderes. Wie kann ich Dir helfen?« »Hallo Hartmut, tut mir leid dass ich Dich störe. Aber eben war ein Polizist bei mir und hat mir beunruhigendes mitgeteilt. Andreas´ Wagen wurde irgendwo in Sachsen im Wasser gefunden. Ich mache mir Sorgen, dass etwas passiert sein könnte. Hast Du Kontakt zu Andreas?« Stille trat am anderen Ende der Leitung ein. Nach einer kurzen Pause schien Hartmuts Stimme verändert: »Nein, ich habe seit Montagabend nichts von ihm gehört. Du weißt ja, wir haben uns in Wiesbaden getroffen. Er hat mir erzählt dass er am nächsten Morgen einen Termin hat, deshalb mach Dir keine Sorgen. Er meldet sich bestimmt in der nächsten Zeit. Du weißt doch wie er ist.« »Ja, das macht er ja eigentlich immer so. Aber das Gerede von dem Polizisten hat mich total durcheinander gebracht. Entschuldige dass ich dich gestört habe.« »Aber Ute, Du hast mich nicht gestört. Ich wollte nur mal kurz den Kopf frei bekommen. Außerdem freue ich mich, wenn Du anrufst. Wenn Du Dir solche Sorgen machst und Du reden willst, kann ich heute Abend bei Dir vorbeikommen. Dann können wir in Ruhe sprechen. Ich habe jetzt noch einen Klienten. Ute, ich brauche Dir jetzt nicht zu sagen, dass Du jederzeit bei mir und Karen willkommen bist.« Ute freute sich über dieses Angebot und beide verabredeten sich für den kommenden Abend.

Hartmut legte den Hörer zurück auf die Gabel und schloss die Augen. Im Geiste ließ er die vergangenen Minuten wie einen Film Revue passieren. Noch immer sah er sich unsicher im Büro sitzen als die Stimme seines Sekretärs durch die Gegensprechanlage rauschte. Noch immer hörte er die Worte: »Eine Frau van Geerden möchte Sie sprechen. Sie sagt, dass es sehr wichtig ist und dass ich einen auf den Deckel bekomme wenn ich Sie nicht weiter verbinde. Sie sei eine Bekannte von Ihnen. Es tut mir leid, dass ich Sie deswegen störe. Aber die Frau ist sehr beharrlich.« Leise lachte er auf. So aufgeregt hatte er Cavalli noch nie erlebt. Dabei war Ute doch überhaupt nicht so schlimm. Immer nett und immer freundlich. Aber sie bekam stets was sie wollte. Da gab es keinen Zweifel. Ihre Bestimmtheit brachte sie immer ans Ziel.

Trotz des klimatisierten Büros war Hartmut der Schweiß auf die Stirn getreten. Er spürte, dass ihm seine Krawatte und der Kragen zu eng wurden. Den Inhalt des Gesprächs konnte er sich schon im Vorfeld denken, aber wie sollte er sich nun verhalten. Er möchte Ute nicht nur als Frau seines besten Freundes. Schon immer hatte er sie auch als Frau begehrt. Damals, als Andreas Ute kennenlernte, war er verrückt nach dieser Frau gewesen. Er hatte sich damals in sie verliebt und in gewissem Maße blieb dieser Zustand bis heute erhalten. Trotz seiner anhaltenden Liebe und seiner Heirat mit Karen begehrte er sie. Und nun sollte er sie anlügen. Das war ein grausamer Zug im Spiel des Lebens.

Schließlich riss ihn das Klingeln des Telefons aus seinen Gedanken. Auch jetzt, in seinen Gedanken, ließ ihn dieses Geräusch zusammenzucken. Er hob ab und begann zu reden, versuchte einige lockere Sprüche zu machen, davon, dass sein Sekretär total aufgeregt war und noch einige solcher üblichen Phrasen aus der Small-Talk-Kiste. Als sie jedoch zu sprechen anfing, zerriss es ihm beinahe das Herz. In ihrer Stimme schwang Unsicherheit und sicherlich auch ein Rest des Gefühls mit, dass beide damals zum Heiraten angeregt hatte. Er hatte Mitleid mit Ute. Die Frage ob er etwas von Andreas gehört hatte, brachte ihn schließlich total aus dem Konzept. Normalerweise war er gut in solchen Gesprächen in denen es nicht unbedingt um die ungeschönte Wahrheit ging. Als Anwalt wusste er die Wahrheit so zu verdrehen und zu beschönigen, dass sämtliche Ereignisse in einem anderen Licht erschienen. Hier aber waren alle seine sprachlichen Fertigkeiten auf ein Minimum geschrumpft, hatte er wieder das rednerische Niveau des Studenten, der sie damals als erster in dem Studententreffpunkt angesprochen hatte, erreicht. Unsicher, ob seine Lügen und Beschwichtigungen entdeckt würden, versuchte er Ute zu beruhigen. Letztendlich stammelte er einen, aus seiner Sicht, unzusammenhängenden Satz in dem er sich mehr oder weniger bei van Geerdens einlud. Zu seinem Erstaunen schien sich Ute über das Besuchsangebot zu freuen.

Aber wie sollte er sich weiter verhalten? War er nicht mitschuldig am Verschwinden ihres Mannes? Oder war er nur einfach ein Helfer und somit unschuldig. Er wusste über Schuld und Unschuld ein Urteil zu fällen, Einschätzungen, die er jeden Tag vornahm. Lud er sich nicht viel mehr Schuld auf, wenn er einen Klienten verteidigte, der selbst nach seinem Wissen schuldig war? War ein solches Verhalten, dass deutlich mehr im Widerspruch zu den Idealen stand die ihn dazu bewogen hatten, ein juristisches Studium zu beginnen. Im Interesse seiner Mandanten log er vor Gericht, verdrehte und verbog die Wahrheit ohne jeden Skrupel. Nie hatte er Gewissensbisse, einem Mörder wissentlich zur Freiheit zu verhelfen. Niemals hatte er sich deshalb als Helfer oder Mitbeteiligter an den Morden gesehen. Warum sollte er also sich selbst mit Andreas von Geerdens Verschwinden in Verbindung bringen?

Den ganzen Abend, selbst als die letzten Klienten in seinem Büro saßen, beschäftigte ihn diese Frage. Aber weitaus mehr lenkte ihn die Vorfreude auf die Verabredung, ja so konnte er das nennen, die Verabredung mit Ute ab. Karen hatte er angerufen und ihr unter größtem Bedauern erzählt, dass er noch ein wichtiges Geschäftsessen mit einem noch wichtigeren Mandanten habe. Sie war enttäuscht, versuchte aber, es ihn nicht merken zu lassen. Aber er spürte es deutlich.

Weg, einfach weg

Подняться наверх