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1.3 Wortanalyse

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Lineare Segmentierung

Komplexe Wörter, d.h. Wörter, die aus zwei oder mehreren Morphemen bestehen, weisen eine interne Struktur auf und können in ihre einzelnen Morpheme zerlegt werden. Ein mögliches Verfahren hierzu wäre, die Morphemgrenzen innerhalb eines Wortes zu markieren, indem man die Morpheme voneinander trennt (z.B. Groß#stadt, Fuß#ball#feld, freund#lich, Sitz#ung#s#saal…). Ein solches Analyseverfahren, bei dem ein komplexes Wort von links nach rechts in seine einzelnen Morpheme zerlegt wird, deckt auf, wie viele bzw. welche Morpheme in einem Wort enthalten sind. Bei diesem Verfahren kann auch nach der Segmentierung der Status der einzelnen Morpheme bestimmt werden: z.B. Wurzel, Präfix, Suffix…

Interne Struktur komplexer Wörter

Allerdings reicht ein derartiges lineares Analyseverfahren nicht aus, um die interne Struktur komplexer Wörter adäquat transparent zu machen. Denn ein komplexes Wort besteht nicht nur aus einer bloßen Aneinanderreihung von Morphemen. Vielmehr enthalten komplexe Wörter Teilstrukturen, die sich erst durch eine hierarchische Analyse erfassen lassen. Dies ist der Fall bei Wörtern, die aus drei oder mehr Morphemen bestehen. So ist es intuitiv fassbar, dass sich das Kompositum Fußballfeld aus den zwei Teilstrukturen Fußball und Feld und nicht etwa aus Fuß und Ballfeld zusammensetzt. Das gilt ebenso für das Kompositum Kopfbahnhof, dessen Teilstrukturen Kopf und Bahnhof, nicht etwa Kopfbahn und Hof sind. Beim ersteren Kompositum bilden das erste und das zweite Morphem, Fuß + Ball, eine Teilstruktur, beim Letzteren sind es das zweite und dritte Morphem, Bahn + Hof, die zu einer Einheit zusammengefügt werden.

Klammerstruktur

Die interne Struktur von Fußballfeld und Kopfbahnhof kann durch ein lineares Analyseverfahren nicht adäquat erfasst werden. Denn in beiden Fällen ergibt sich durch ein solches Verfahren eine ähnliche Segmentierung (Fuß#ball#feld und Kopf#bahn#hof), obwohl diese zwei Komposita, wie oben dargelegt, intern unterschiedlich strukturiert sind. Vielmehr bedarf es einer nicht-linearen Vorgehensweise, um die interne Struktur aufzudecken. Dabei können Klammern verwendet werden, indem die beteiligten Morpheme in einem ersten Schritt einzeln eingeklammert werden ([Fuß] [ball] [feld] und [Kopf] [bahn] [hof]), bevor Gleiches für die zwei Morpheme, die gemeinsam eine Teilstruktur bilden, vorgenommen wird:

[[Fuß] [ball]] [feld] und [Kopf] [[bahn] [hof]]

Schließlich wird das Gesamtwort eingeklammert:

[[[Fuß] [ball]] [feld]] und [[Kopf] [[bahn] [hof]]]

Eine solche Darstellung ist zugegebenermaßen etwas unübersichtlich, da die interne Struktur der so analysierten Wörter nicht auf den ersten Blick ersichtlich wird. Daher wird gewöhnlich die interne Struktur komplexer Wörter als Baumdiagramm dargestellt. Gegenüber dem Klammerverfahren ist die Baumdiagramm-Darstellung viel übersichtlicher und macht das transparent, was durch die Wortanalyse transparent gemacht werden soll: den hierarchischen Aufbau komplexer Wörter.


Konstituentenanalyse

Ein solches Analyseverfahren wird unmittelbare Konstituentenanalyse genannt und geht im Grundsatz auf den amerikanischen Strukturalismus zurück. Bei der Analyse wird ein komplexer sprachlicher Ausdruck, in unserem Fall ein komplexes Wort, in seine einzelnen Bestandteile, die Konstituenten, segmentiert. Die so ermittelten Konstituenten werden mit der jeweiligen Wortkategorie versehen.


In unseren Wortbeispielen handelt es sich bei den jeweils drei Konstituenten der zwei Wörter um Substantive, daher das Kürzel N(omen). Im nächsten Analyseschritt werden zwei Konstituenten zu einer komplexeren Konstituente zusammengefügt. Im ersten Wortbeispiel sind es Fuß und Ball, im zweiten Bahn und Hof. Fußball und Bahnhof sind jeweils ein (N)omen. Schließlich wird die dritte Konstituente Feld bzw. Kopf mit der bereits gebildeten, komplexeren Konstituente Fußball bzw. Bahnhof zu einer noch komplexeren Konstituente verbunden. Auf der höchsten Ebene bilden wieder Fußballfeld und Kopfbahnhof je ein (N)omen. Durch die Analyse entstehen innerhalb eines Baudiagramms binäre Strukturen, die je zwei Konstituenten enthalten. Man spricht deshalb von unmittelbarer Konstituentenanalyse, weil zwei im Baumdiagramm tiefer stehende Konstituenten die Konstituenten sind, aus denen die eine Ebene höher stehende Konstituente unmittelbar gebildet ist. So sind Fußball und Feld bzw. Kopf und Bahnhof die zwei unmittelbaren Konstituenten von Fußballfeld bzw. Kopfbahnhof. Fuß und ball bzw. Bahn und Hof bilden wiederum die zwei unmittelbaren Konstituenten von Fußball bzw. Bahnhof.

Affixe in der Wortanalyse

Affixe werden in der Konstituentenanalyse formal gleich behandelt wie freie Morpheme. Beides wird als Konstituenten behandelt. So besteht beispielsweise das komplexe Wort Freundlichkeit aus drei Morphemen: der Wurzel Freund und den zwei Suffixen -lich und -keit. Die Konstituentenstruktur dieses Wortes sieht wie folgt aus:


Freundlich und -keit bilden die zwei unmittelbaren Konstituenten von Freundlichkeit und Freund und -lich die zwei unmittelbaren Konstituenten von freundlich. Affixe können im Baumdiagramm mit Px (=Präfix) oder Sx (=Suffix) gekennzeichnet werden. Funktional verhalten sich aber Derivationsaffixe in einem komplexen Wort ähnlich wie freie Morpheme. Betrachtet man die Bildung freundlich, kann Folgendes festgestellt werden: Freund ist ein Substantiv und -lich ein Affix; werden die zwei Konstituenten zu einer komplexen Bildung verbunden, entsteht das Adjektiv freundlich. Es stellt sich die Frage, worauf hier die Wortkategorie Adjektiv zurückgeführt werden kann. Auf diese Frage kann es nur die folgende Antwort geben: freundlich ist deshalb ein Adjektiv, weil mittels des Derivationssuffixes -lich Adjektive abgeleitet werden. Klar ist auch, dass die Wortkategorie Substantiv von Freundlichkeit auf das Suffix -keit zurückgeht. Darüber hinaus legt das Suffix -keit, wie die anderen substantivbildenden Suffixe auch, das Genus der Bildung fest: Alle Substantive, die das Suffix -keit enthalten, sind Feminina.

Affixe verhalten sich also wie freie Morpheme. In einem Kompositum wie Großstadt bestimmt die am weitesten rechts stehende Konstituente, i.e. Stadt, die Wortkategorie des Gesamtwortes. Die links stehende Konstituente groß bleibt hingegen in dieser Hinsicht ohne Einfluss: Großstadt ist ein feminines Substantiv, weil die zweite Konstituente Stadt ein feminines Substantiv ist. Ein ähnliches Verhalten ist auch in Derivationen mit Suffixen wie freundlich oder Freundlichkeit zu beobachten. Die am weitesten rechts stehende Konstituente, also -lich bzw. -keit, bestimmt die Wortkategorie des Gesamtwortes. Aufgrund dieser Parallele ist es sinnvoll, analog zu freien Morphemen auch Suffixe im Baumdiagramm mit einer Wortkategorie zu versehen. Allerdings muss aus der Notation auch der Unterschied zwischen freien Morphemen und Affixen hervorgehen. In der folgenden Darstellung ist die Konstituentenstruktur für Freundlichkeit mit der modifizierten Notation für die Affixe abgebildet:


Parallel zu freien Morphemen tragen die Suffixe -lich und -keit eine Kennzeichnung für ihre Wortkategorie: A(djektiv) bzw. N(omen). Um aber freie Adjektive bzw. Substantive von gebundenen Adjektiven bzw. Substantiven unterscheiden zu können, wird die Kennzeichnung zusätzlich mit einem hochgestellten af (=Affix) versehen. Dadurch wird der gebundene Status der Konstituente kenntlich gemacht. Diese Notation geht auf eine Annahme der Lexikalistischen Morphologie aus den 1970–80er Jahren zurück, dass Affixe genauso wie freie Morpheme mit ihren Eigenschaften im Lexikon vermerkt sind und dass der einzige Unterschied zwischen diesen zwei Morphemtypen in ihrem Status als freie bzw. gebundene Kategorien begründet liegt.

Fugenelemente in der Wortanalyse

Nicht selten finden sich in komplexen Wörtern neben den freien Morphemen und Affixen weitere Elemente, die aber keinen Morphemstatus haben, da sie weder Bedeutung im engen oder im weiten Sinne noch eine grammatische Funktion haben. Es handelt sich hierbei um sogenannte Fugenelemente, die an der Nahtstelle von zwei unmittelbaren Konstituenten auftreten (Bischofsring, Mauseloch…) und in der Wortbildung eine reine Verbindungsfunktion haben. Fugenelemente werden auch im Baumdiagramm dargestellt und erhalten wie die Morpheme einen eigenen Knoten:


Wie im Baudiagramm dargestellt, bildet das Fugenelement -e- zusammen mit der vorausgehenden Konstituente Maus die nächsthöhere Ebene. Diese Analyse impliziert, dass das Fugenelement enger zur vorausgehenden als zur nachfolgenden Konstituente gehört. Für diese Annahme spricht insbesondere die Beobachtung, dass Fugenelemente von der ersten Konstituente bestimmt werden. So verbindet sich ein Wort, wenn es als erste Konstituente eines Kompositums oder Derivatums auftritt, in der Regel immer mit demselben Fugenelement. So verbindet sich Arbeit immer mit dem Fugenelement -s- (z.B. arbeitslos, Arbeitsagentur, Arbeitsgericht), Liebe immer mit dem Fugenelement -es- (z.B. Liebeserklärung, Liebesbrief, Liebeskummer) und Hund immer mit dem Fugenelement -e- (z.B. hundemüde, Hundebesitzer, Hundeabtei). Welches Fugenelement zwischen den zwei unmittelbaren Konstituenten eines komplexes Wortes auftritt, wird also von der ersten Konstituente festgelegt, die zweite Konstituente hat hingegen keinen Einfluss darauf. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache, ist es plausibel, das Fugenelement zusammen mit der ersten unmittelbaren Konstituente zu einer höheren Konstituente zu verbinden.

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