Читать книгу Einführung in die Morphologie des Deutschen - Ralf Vogel - Страница 9
1.2.1 Flexion
ОглавлениеDurch Flexion entstehen keine neuen Wörter, sondern nur grammatische Formen ein und desselben Wortes. Wenn beispielsweise das Wort Land flektiert wird, entstehen grammatische Formen, auch Flexionsformen genannt, wie Landes, Länder oder Ländern, die sich weder in ihrer Kernbedeutung noch in ihrer Wortart voneinander unterscheiden. Vielmehr bleibt die Bedeutung wie auch die Wortart, hier Substantiv, von den Veränderungen in der Wortgestalt selbst unberührt. Wenn ein Wort wie Land flektiert wird, wird es lediglich grammatisch modifiziert, indem die formale Änderung mit einem anderen Kasus (z.B. dem Genitiv in Landes), einem anderen Numerus (z.B. dem Plural wie in Länder) oder mit einem anderen Kasus und Numerus zugleich (z.B. dem Dativ und dem Plural wie in Ländern) ein hergeht.
Deutsch als flektierende Sprache
Nicht in allen Sprachen werden Wörter flektiert und nicht alle Wörter einer Sprache werden flektiert. So gibt es Sprachen, in denen jedes Wort über genau eine Form verfügt. Diese Sprachen, wie z.B. das Chinesische oder das Vietnamesische, haben keine Flexionsmorphologie und werden zu den sogenannten isolierenden Sprachen gezählt. Deutsch gilt hingegen als flektierende Sprache, d.h. eine Sprache, in der Wörter in Abhängigkeit von ihrer grammatischen Funktion unterschiedliche Gestalten haben können. Aber auch im Deutschen werden nicht alle Wörter flektiert. So wird im Deutschen auf der Grundlage des morphologischen Kriteriums der Flektierbarkeit zwischen flektierbaren und nicht-flektierbaren Wortarten unterschieden. Zur ersteren Gruppe werden Substantive, Artikelwörter, Pronomen, Adjektive und Verben gezählt. Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen, Subjunktionen sowie Partikeln werden der letzteren Gruppe zugerechnet.
Flektierbare Wortarten
Innerhalb der flektierbaren Wortarten lässt sich zwischen weiteren Untergruppen unterscheiden. Zunächst werden deklinierbare und konjugierbare Wortarten voneinander abgegrenzt. Zur ersteren Gruppe gehören Substantive, Artikelwörter, Pronomen und Adjektive, während Verben die einzige konjugierbare Wortart darstellen. Als Unterscheidungskriterium können dabei die Flexionskategorisierungen Kasus und Tempus gelten: Deklinierbare Wortarten flektieren nach Kasus, konjugierbare nach Tempus. Die deklinierbaren Wortarten werden weiter in solche, die ein festes Genus haben, und andere, deren Genus variabel ist, unterschieden. Zur ersteren Gruppe gehören Substantive, zur letzteren Artikelwörter, Pronomina und Adjektive. Substantive behalten immer ihr Genus, während Artikelwörter und Adjektive das Genus des Substantivs übernehmen, mit dem sie eine Substantivgruppe bilden. Pronomina treten im Genus der Substantivgruppe auf, für die sie stehen. Adjektive werden ihrerseits von Artikelwörtern und Pronomina durch ihre Steigerbarkeit (schön, schöner, am schönsten) abgegrenzt. Schließlich unterscheiden sich Pronomina von Artikelwörtern darin, dass Erstere stellvertretend für eine gesamte Substantivgruppe stehen, während Letztere lediglich als Begleiter eines Substantivs auftreten können.
Flexionskategorisierungen und -kategorien
Flektierbare Wörter, die in der Rede, d.h. in Sätzen bzw. Texten, gebraucht werden, sind immer flektiert, in dem Sinne, dass sie im Hinblick auf bestimmte grammatische Merkmale spezifiziert sind. Diese grammatischen Merkmale werden Flexionskategorisierungen genannt. Die deklinierbaren Wortarten werden nach den Flexionskategorisierungen Kasus, Numerus und Genus flektiert. Man spricht hier von Nominalflexion bzw. von nominalflektierten Wortarten. Flektierte Substantive, Adjektive, Artikelwörter oder Pronomina weisen immer eine bestimmte Ausprägung von Kasus, Numerus und Genus auf. Diese Ausprägungen werden Flexionskategorien genannt. So zerfällt die Flexionskategorisierung Kasus in die vier Flexionskategorien Nominativ, Akkusativ, Dativ und Genitiv, die Flexionskategorisierung Numerus in die zwei Flexionskategorien Singular und Plural und die Flexionskategorisierung Genus in die drei Flexionskategorien Maskulinum, Femininum und Neutrum.
Bei der Verbflexion sind andere Flexionskategorisierungen relevant. Verben flektieren nach Person, Numerus, Tempus, Modus und Genus Verbi. Diese fünf Flexionskategorisierungen zerfallen in mehrere Flexionskategorien: Person in die 1., 2. und 3. Person, Numerus in Singular und Plural, Tempus in Präsens und Präteritum, Modus in Indikativ, Imperativ und Konjunktiv und Genus Verbi in Aktiv und Passiv.
Lexem vs. Wortform
Ist ein Wort flektiert, spricht man von einer Wortform oder Flexionsform. Jedes flektierbare Wort, das in einem Satz verwendet ist, ist eine Wortform, d.h. es weist ein Bündel von Flexionskategorien auf. So lassen sich für die flektierten Adjektive gutes, gute, gutem und guter in den Sätzen (1–4) vier verschiedene Bündel von Flexionskategorien bestimmen:
(1) Ein Lügner muss ein gutes Gedächtnis haben.
(2) Eine gute Alternative ist die Anreise mit dem Zug.
(3) Allen Absolventen konnte mit gutem Gewissen ein Zertifikat ausgehändigt werden.
(4) Nach guter Sitte sind ihm jetzt drei Wünsche frei.
Abhängig von ihrem konkreten Gebrauch im Satz weisen die vier Flexionsformen unterschiedliche Kombinationen von Flexionskategorien auf: gutes in (1) steht im Akkusativ Singular Neutrum, gute in (2) im Nominativ Singular Femininum, gutem in (3) im Dativ Singular Neutrum und guter in (4) im Dativ Singular Femininum.
Während eine Wortform immer ein Bündel von Flexionskategorien aufweist, ist ein Lexem im Hinblick auf seine Flexionseigenschaften unspezifiziert. Ein Lexem steht stellvertretend für alle Wortformen, die im konkreten Gebrauch vorkommen. So lassen sich die Wortformen gutes, gute, gutem und guter in (1–4) auf das Lexem GUT zurückführen. Das Lexem ist der Eintrag, den man für ein Wort im Wörterbuch findet. Für Adjektive und Substantive stellt die Grundform (z.B. GUT bzw. TISCH) das Lexem dar. Bei Verben entspricht das Lexem dem Infinitiv (z.B. SCHREIBEN).
Flexionsparadigmen
In den Referenzgrammatiken und Lehrbüchern werden die Wortformen eines Lexems in tabellenartigen Abbildungen, den so genannten Flexionsparadigmen, zusammengefasst. Das Flexionsparadigma enthält alle Wortformen des jeweiligen Lexems, und jede Wortform weist ein Bündel von für die betreffende Wortkategorie relevanten Flexionskategorien auf. Dabei variiert die Zahl der Positionen in einem Paradigma von Wortkategorie zu Wortkategorie.
Das Substantivparadigma enthält acht Positionen: vier Positionen für Kasus und zwei für Numerus.
Singular | Plural | |
Nominativ | Stift | Stifte |
Akkusativ | Stift | Stifte |
Dativ | Stift | Stiften |
Genitiv | Stiftes | Stifte |
Tabelle 1: Flexionsparadigma für STIFT
Synkretismus
Da das Substantiv die einzige nominalflektierte Wortkategorie mit festem Genus ist, gilt Genus nicht als Flexionskategorisierung des Substantivs. Vielmehr ist Genus eine inhärente Kategorisierung des Substantivs, d.h. sie wohnt ihm inne. Obwohl das Flexionsparadigma des Lexems STIFT acht Positionen aufweist, enthält es nur vier morphologisch distinkte Wortformen (Stift, Stiftes, Stifte und Stiften). So steht ein und dieselbe Wortform wie z.B. Stift für unterschiedliche Bündel von Flexionskategorien (Nominativ Singular, Akkusativ Singular und Dativ Singular). Ein solcher Zusammenfall von Formen unterschiedlicher Flexionskategorien wird Synkretismus genannt und ist charakteristisch für Flexionsparadigmen des Deutschen und anderer flektierender Sprachen.
Nominalflektierte Wortkategorien wie z.B. Artikelwörter haben umfangreichere Paradigmen, wie das Paradigma des demonstrativen Artikelwortes dies- zeigt.
Tabelle 2: Flexionsparadigma für das demonstrative Artikelwort
Das Paradigma des demonstrativen Artikelwortes dies- enthält deshalb doppelt so viele Positionen wie das Substantivparadigma, da Artikelwörter im Unterschied zu Substantiven ein variables Genus haben. Allerdings gibt es nur im Singular eine Differenzierung nach Genus. Im Plural fallen hingegen die drei Genera zusammen. Auch hier fällt der Synkretismus auf: Lediglich fünf morphologisch distinkte Formen (dieser, diese, dieses, diesem, diesen) verteilen sich auf 16 Positionen des Paradigmas.
Das Paradigma von Verben wird gewöhnlich so dargestellt, dass darin nur nach den zwei Flexionskategorisierungen Person und Numerus differenziert wird.
Singular | Plural | |
1. Person | mache | machen |
2. Person | machst | machet |
3. Person | macht | machen |
Tabelle 3: Flexionsparadigma von MACHEN (Ausschnitt)
Bei dem Flexionsparadigma in Tabelle 3 handelt es sich um das Paradigma des Verbs machen im Präsens, Indikativ, Aktiv. Für die weiteren Tempora, Modi und Genus Verbi können nach demselben Muster eigene Paradigmen aufgestellt werden.
Flexionsmittel: Affigierung
Das Flexionsmittel, von dem das Deutsche bevorzugt Gebrauch macht, ist die Affigierung. Flexionskategorien werden dadurch markiert, dass an den Wortstamm bzw. die Grundform ein Flexionsmorphem angehängt wird. In den allermeisten Fällen handelt es sich hierbei um Flexionssuffixe, d.h. Flexionsmorpheme, die ans Ende einer Wurzel oder eines Stammes angehängt werden. In der Nominalflexion werden sogar ausschließlich Suffixe zur Markierung von Flexionskategorien verwendet (z.B. Kind-er, Kind-er-n, schön-es, diesem), Präfixe kommen hingegen als Flexionsmittel in der Nominalflexion nicht vor. Ähnliches gilt auch für die Verbflexion, in der nahezu ausschließlich von der Suffigierung Gebrauch gemacht wird (z.B. machst, mach-te-st). Einzig die Partizip-II-Formen werden durch einen anderen Typ von Affixen gebildet, nämlich durch Zirkumfigierung: An einen Verbstamm, wie mach-, wird das Zirkumfix ge…tangehängt (ge-mach-t).
Flexionsmittel: Umlaut und Ablaut
Neben der Affigierung als gebräuchlichstem Flexionsmittel werden im Deutschen Flexionskategorien auch durch Stammveränderung angezeigt. Die Stammveränderung kann ihrerseits durch Umlaut oder Ablaut erfolgen. Die Nominalflexion kennt nur den Umlaut, die Verbflexion beides. In der Substantivflexion wird der Umlaut zur Anzeige von Plural eingesetzt. Dabei kann der Umlautallein (z.B. Laden vs. Läden) oder in Kombination mit einem Pluralsuffix auftreten (Wald vs. Wäld-er). In der Adjektivflexion wird bei der Steigerung der Umlaut immer mit dem Steigerungssuffix kombiniert, wenn das Adjektiv einen umlautfähigen Vokal enthält (klug – klüg-er – am klüg-sten).
Im Bereich der Verbflexion wird der Umlaut zur Markierung des Konjunktivs II bei den so genannten starken und unregelmäßigen Verben verwendet. Bei diesen Gruppen von Verben wird der Konjunktiv II dadurch gebildet, dass beim Vorliegen eines umlautfähigen Vokals die Präteritalform umgelautet wird (z.B. wir boten – wir böten, er brachte – er brächte). Durch den Ablaut werden Präterital- bzw. Partizip-II-Formen gebildet (z.B. sprechen – sprach – gesprochen). Beim Ablaut wird, anders als beim Umlaut, der Grundvokal im Verbstamm nicht nur durch den Umlaut modifiziert, sondern durch einen anderen Grundvokal ersetzt. Gelegentlich wird bei der Verbflexion der Ablaut mit Wechsel des Stammkonsonantismus kombiniert (z.B. ziehen – zog, gehen – ging).
Suppletion
Suppletion ist eine weitere Form von Flexion, die aber viel seltener auftritt als die Affigierung und die Stammveränderung durch Umlaut oder Ablaut. Suppletivformen weisen keine oder nur mittelbare morphologische Ähnlichkeit mit dem zugrunde liegenden Lexem auf. Suppletion tritt im Deutschen in der Verb- und Adjektivflexion auf. Wie es auch in vielen anderen europäischen Sprachen der Fall ist, handelt es sich bei den Präsens- und Präteritalformen des Verbs sein (z.B. bin, bist, ist… bzw. war, warst, waren…) um Suppletivformen. Suppletion im Flexionssystem des Deutschen begegnet uns auch im Bereich der Adjektivsteigerung, wo die Komparativ- und Superlativformen einen völlig anderen Stamm haben als die entsprechenden Grundformen des Adjektivs (viel – mehr – am meisten, gut – besser – am besten, gern – lieber – am liebsten).