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1. Morphologie: Grundlegendes 1.1 Grundbegriffe der morphologischen Analyse

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Das Wort Morphologie ist eine Zusammensetzung aus den zwei griechischen Wörtern µορϕή morphé „Gestalt, Form“ und λόγος lógos „Wort, Lehre“ und wurde von Johann Wolfgang Goethe geprägt als „Bezeichnung der Lehre von Form und Struktur lebender Organismen“ (Bußmann 1990: 504). Seit dem 19. Jahrhundert bezeichnet ‚Morphologie‘ in der Linguistik jene Teildisziplin, die sich mit der Struktur von Wörtern befasst.

Morphem

Auch wenn die Morphologie oft als ‚Wortlehre‘ bezeichnet wird, ist nicht das Wort, sondern das Morphem die relevante sprachliche Einheit für diese linguistische Teildisziplin. Traditionell wird das Morphem als die kleinste sprachliche Einheit definiert, die eine Bedeutung oder eine grammatische Funktion hat. So besteht beispielsweise das Wort Haustür aus den zwei Morphemen Haus und Tür, die je eine Bedeutung haben. Auch das Wort schönes in ein schönes Bild weist zwei Morpheme auf: schön, das die Bedeutung trägt, und es, das die grammatische Funktion Nominativ Singular Neutrum anzeigt.

Morphemtypen

Grundsätzlich werden zwei Typen von Morphemen unterschieden: freie und gebundene Morpheme. Dieser Unterschied lässt sich an den Beispielwörtern Haustür und schönes zeigen. Im Wort Haustür sind zwei Morpheme enthalten: Haus und Tür, die auch frei vorkommen können. Das Wort schönes enthält auch zwei Morpheme. Im Unterschied zu schön ist aber das Morphem es in seinem Vorkommen dadurch eingeschränkt, dass es nicht allein, sondern nur in Verbindung mit einem freien Morphem auftreten kann. Daher die Bezeichnung gebundenes Morphem.

Wurzel vs. Affix

Freie Morpheme werden auch Wurzeln, gebundene Morpheme auch Affixe genannt. Wurzeln und Affixe unterscheiden sich nicht nur darin, dass Erstere frei vorkommen können, Letztere aber nicht. Vielmehr sind Affixe, was ihr Vorkommen angeht, in einem weiteren Punkt eingeschränkter als Wurzeln. Während Wurzeln jede Position im Wort einnehmen können, ist die Position von Affixen insofern fester, als sie entweder an den Anfang oder an das Ende einer Wurzel angehängt werden. So kann die Wurzel Tür sowohl als erste als auch als zweite Komponente von Wörtern vorkommen: Türschlüssel vs. Haustür. Die Position von Affixen wie ver- oder -ung ist hingegen festgelegt und invariabel: ver- wird immer an den Anfang, -ung stets an das Ende einer Wurzel angehängt: verkaufen vs. Prüfung.

Präfix, Suffix, Zirkumfix

Affixe werden aufgrund ebendieser Positionsfestigkeit in mehrere Typen unterteilt. Affixe, die an den Anfang einer Wurzel angehängt werden wie ver- in verkaufen, miss- in missverstehen oder be- wie in betragen, werden Präfixe genannt. Affixe, die ans Ende einer Wurzel treten wie -er in Spieler, -nis in Erlaubnis oder -ung in Prüfung, werden Suffixe genannt. Viel seltener als Präfixe und Suffixe kommen im Deutschen Zirkumfixe vor. Für Zirkumfixe findet sich auch die Bezeichnung diskontinuierliche Affixe, da sie von der Wurzel ‚unterbrochen werden‘. Zirkumfixe umrahmen eine Wurzel, indem der erste Teil des Affixes am Anfang, der zweite Teil am Ende der Wurzel erscheint. So wird im Deutschen das Partizip Perfekt regelmäßiger Verben wie z.B. machen gebildet, indem an den Anfang des Verbstammes ge- und an dessen Ende -t angehängt wird: gemacht. Da ge- und -t hier eine Funktion erfüllen, nämlich die Bildung des Partizip Perfekt, gelten sie nicht als zwei, sondern als ein Affix, nämlich als Zirkumfix.

Stamm und Basis

Zwei manchmal mit Wurzel synonym gebrauchte Begriffe sind Stamm und Basis. Die drei Termini meinen aber durchaus Verschiedenes. Eine Basis ist ganz allgemein in einem morphologischen Prozess, beispielsweise einer Affigierung, das Element, an das etwas angehängt wird. Das kann im einfachen Fall auch eine Wurzel sein. In dem Wort Fußball kann Ball als Basis verstanden werden, der die Wurzel Fuß vorangestellt wird. Fußball selbst dient aber wiederum als Basis für das Anhängen der Wurzel Tor in Fußballtor. Der Stamm ist die Form, an die Flexionsaffixe angehängt werden. Häufig ist der Stamm mit der Wurzel identisch. Das muss aber nicht so sein. Das Deutsche kannte in seiner frühen Periode Stammbildungsaffixe, die zwischen eine nominale Wurzel und die Flexionsaffixe eingesetzt wurde. So wurde das Wort lamb („Lamm“) in voralthochdeutscher Zeit mit dem Stammbildungsaffix -ir- gebildet. Der Genitiv Singular war zum Beispiel, nach Wegener (2005), lamb-ir-as, der Genitiv Plural lamb-ir-o. Das System der Stammbildungsaffixe wurde bereits im Althochdeutschen weitgehend abgebaut. Im hier beschriebenen Fall wurde das Affix unter anderem als Pluralflexiv regrammatikalisiert. In dem Verb eiern, das auf die Wurzel Ei zurückgeht, kann man das Affix -er- als Stammbildungssuffix sehen.

Sondertypen: Konfixe

Es gibt einen weiteren Typ von Morphemen, der sich teils wie Wurzeln, teils wie Affixe verhält. Beispiele hierfür sind bio- in Biomüll, geo- in geostrategisch, phil- in Philosemit oder -thek in Bibliothek. Solche Morpheme werden Konfixe genannt und sind vorwiegend aus dem Lateinischen oder Griechischen entlehnt. Mit den Wurzeln teilen Konfixe die Eigenschaft, eine eigene Bedeutung zu haben. Sie können aber nicht frei vorkommen und weisen in dieser Hinsicht ein ähnliches Verhalten wie Affixe auf. Im Vergleich zu Affixen ist ihre Position im Wort freier. So kann das Konfix phil sowohl als erste als auch als zweite Komponente eines Wortes vorkommen: Philosemit vs. Bibliophil.

Unikale Morpheme

Einen weiteren Sondertyp von Morphemen stellen die unikalen Morpheme dar. Wie die Bezeichnung unikal nahe legt, tritt ein unikales Morphem in einem einzigen Wort auf: Brom- in Brombeere, Heidel- in Heidelbeere, Schorn- in Schornstein, -(i)gall in Nachtigall. Unikale Morpheme und Konfixe unterscheiden sich voneinander in zweierlei Hinsicht. Zum einen haben Konfixe im Gegensatz zu unikalen Morphemen eine Bedeutung. Zum anderen können Erstere mit verschiedenen Wurzeln kombiniert werden, während das Vorkommen Letzterer auf ein einziges Wort beschränkt ist.

Nullmorphem

Gelegentlich wird ein Morphem auch dort angenommen, wo eigentlich keins da ist. Man spricht hier vom Nullmorphem. Ein Nullmorphem wird u.a. dann angesetzt, wenn aufgrund einer allgemeinen Tendenz bzw. Regularität in einer Sprache ein Morphem erwartet wird, aber aus verschiedenen Gründen nicht erscheint. Als Beispiel hierfür soll die Pluralbildung bei Substantiven im Deutschen dienen. In den meisten Fällen trägt die Pluralform eines Substantivs ein Suffix, das sie von der suffixlosen Singularform unterscheidet (FrauFrauen, Kind – Kinder, Auto – Autos, Berg – Berge). In einigen Fällen bleibt aber die Pluralform suffixlos und wird formal von der Singularform nicht unterschieden. Das betrifft u.a. Maskulina und Neutra, die auf er oder el auslauten (Meister (Sg.) – Meister (Pl.), Messer (Sg.) – Messer (Pl.), Zettel (Sg.) – Zettel (Pl.), Segel (Sg.) – Segel (Pl.)). Die Singular- und Pluralformen fallen also hier zusammen. Die Lücke, die das fehlende Pluralsuffix hinterlässt, wird durch das Nullmorphem ausgefüllt. Analog zu Pluralformen wie Frauen, Kinder, Autos und Berge wird angenommen, dass auch Pluralformen ohne Pluralsuffix ein Pluralmorphem enthalten, das aber weder hör- noch sichtbar ist: das Nullmorphem (=Ø). Das Nullmorphem besetzt genau die Position, in der auch das entsprechende reguläre Morphem im Wort sonst steht: Meister-Ø, Messer-Ø, Zettel-Ø, Segel-Ø…

Allomorphie

Wir haben weiter oben das Morphem als die kleinste sprachliche Einheit definiert, die eine Bedeutung oder eine grammatische Funktion hat. Oft wird dieselbe bedeutungs- bzw. funktionstragende Einheit durch lautlich unterschiedliche Formen repräsentiert, die Allomorphe genannt werden. So sind/halt/und/helt/Allomorphe desselben Morphems, nämlich des Verbstammes halt- in halten (ich halte aber du hältst). Ähnlich verhält es sich bei den Suffixen, die im Deutschen den Plural bei Substantiven markieren. Anders als Sprachen mit einheitlicher Pluralmarkierung wie z.B. das Türkische kennt das Deutsche mehrere Pluralsuffixe: -e (Stifte), -(e)n (Frauen, Hanteln), -er (Kinder), -s (Autos) und den Umlaut (Läden), wobei der Umlaut auch mit den Pluralsuffixen -e(Hüte) und -er(Wälder) kombiniert werden kann. Man spricht hier von Plural-Allomorphen, da diese verschiedenen Suffixe ein und dieselbe grammatische Kategorie anzeigen, nämlich den Plural.

Im Bereich der grammatischen Funktionen entspricht Allomorphie einer fehlenden 1-zu-1-Entsprechung zwischen Funktion und Form; d.h. zwischen der grammatischen Funktion selbst und der morphologischen Form, die diese markiert. Bei der Allomorphie geht diese fehlende 1-zu-1-Entsprechung in die Richtung, dass für eine Funktion mehrere Formen stehen.

Einführung in die Morphologie des Deutschen

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