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2.2 Das Substantiv

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Mit der substantivischen Flexion wird das flexionsmorphologische Verhalten von Substantiven bezeichnet. An Substantive treten Flexive, die Kasus und/oder Numerus anzeigen. Da Substantive genusinvariabel sind, sind die „Formen eines [Substantiv]Paradigmas […] insgesamt entweder Maskulina, Feminina oder Neutra“ (Eisenberg 2004: 152).


Tabelle 4: Substantivparadigmen in den drei Genera

Eine Gemeinsamkeit, die die Paradigmen in Tabelle 4 zeigen, ist die Wiederholung der Wortformen: Für die acht Positionen des Paradigmas stehen bestenfalls vier morphologisch distinkte Formen zur Verfügung. Diesen Formenzusammenfall haben wir oben bereits als Synkretismus bezeichnet, der typisch für flektierende Sprachen wie das Deutsche ist. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass in allen drei Genera der Plural markiert wird: durch -e (Stifte), -er (Bretter) oder -en (Frauen). Dadurch ist am Substantiv selbst erkennbar, ob es sich hierbei um Singular oder Plural handelt. Bei der Mehrheit der Substantive trägt die Pluralform eine Markierung, die sie als solche kenntlich macht. Zur Markierung des Plurals bei Substantiven werden neben den Suffixen -e, -er und -en das Suffix -s (Autos) und der Umlaut verwendet. Dabei wird, wie bereits an früherer Stelle erwähnt, der Umlaut als alleinige Markierung (z.B. Läden) oder in Kombination mit den Suffixen -e (z.B. Hüte) und -er (z.B. Wälder) gebraucht. Bei einigen Substantiven ist die Pluralform identisch mit der Grundform. Dies betrifft zu einem großen Teil Maskulina und Neutra, deren Stamm auf -er, -el oder -en auslautet (Messer (Sg.) – Messer (Pl.), Zettel (Sg.) – Zettel (Pl.), Tropfen (Sg.) – Tropfen (Pl.)).

Während die Wortformen eines Substantivs hinsichtlich Numerus hinreichend ausdifferenziert sind, verhält es sich beim Kasus etwas anders. Im besten Fall liegt innerhalb eines Numerus eine einzige Kasusdifferenzierung vor. Im Singular des Maskulinums und Neutrums ist es die Genitivform, die als einzige eine Kasusmarkierung trägt und so von allen anderen Kasusformen des Singulars unterschieden wird (Stiftes, Kindes); im Plural ist es die Dativform (Stiften, Kindern). Im Paradigma des Femininums fehlt hingegen die Kasusdifferenzierung in den meisten Fällen vollkommen. Das Paradigma der Mehrheit der femininen Substantive enthält lediglich zwei morphologisch distinkte Formen: eine Singularform (z.B. Frau) und eine Pluralform (z.B. Frauen) jeweils für alle vier Kasus.

Kasusabbau vs. Numerusausbau

Dass am Substantiv die morphologische Differenzierung nach Numerus deutlich besser ausgeprägt ist als nach Kasus, ist das Ergebnis einer langen sprachhistorischen Entwicklung. Seit dem Indogermanischen, der ältesten Sprachstufe, auf die das Deutsche zurückgeführt kann, werden Kasusmarkierungen am Substantiv sukzessive abgebaut. Die Folge ist eine weitgehende Angleichung der Kasusformen im Paradigma des Substantivs. Die letzte Kasusmarkierung, die das deutsche Substantiv aufgegeben hat, ist das Suffix -e zur Anzeige des Dativs im Singular von Maskulina und Neutra (dem Mannedem Kinde). Dativformen mit dem Suffix -e begegnen uns im Gegenwartsdeutschen nur noch in festen Wendungen (z.B. im Grunde, im Falle). Die Anzeige von Kasus gehört also im Gegenwartsdeutschen nicht zur Hauptaufgabe des Substantivs. Dieser Trend setzt sich fort. Inzwischen sind auch Genitivformen des Singular Maskulinum und Neutrum betroffen. So tragen Eigennamen auch standardsprachlich kein Genitiv-s (z.B. Die Karriere des Jürgen Klinsmann). Auch bei eigennamenähnlichen Substantiven wird zunehmend auf das Genitiv-s verzichtet (z.B. des Barock, des Islam). Der stetige Kasusabbau am Substantiv ging mit der Verlagerung der Kasusmarkierung auf die sogenannten Substantivbegleiter einher. So wird der Kasus hauptsächlich am Artikelwort oder am Adjektiv und nur selten am Substantiv selbst markiert (z.B. mit dem guten Gewissen, mit gutem Gewissen). In der Forschungsliteratur wird in diesem Zusammenhang von „Kasusnivellierung“ am Substantiv gesprochen (Nübling 2006: 58).

Der Kasusnivellierung steht die Numerusprofilierung gegenüber. Während Kasusmarkierungen am Substantiv stetig abgebaut werden, wird die morphologische Differenzierung zwischen dem Singular und dem Plural vorangetrieben. Die Stärkung des Numerus lässt sich u.a. an der Entwicklung des Umlauts als Pluralmarker illustrieren. So wurden im Alt- und Mittelhochdeutschen Substantive wie Lamm zunächst aus phonologischen Gründen auch im Dativ und Genitiv Singular umgelautet. Im Laufe der Sprachgeschichte entfiel der Umlaut bei den Singularformen dieser Substantive, während die Pluralformen ihn beibehielten. Der Umlaut wurde dann zu einem wichtigen morphologischen Mittel zur Anzeige des Plurals bei Substantiven (z.B. Laden – Läden, Garten – Gärten). Im Gegenwartsdeutschen ist der Umlaut zur Pluralmarkierung sehr produktiv. Insbesondere im südlichen deutschsprachigen Gebiet ist die Tendenz deutlich erkennbar, den Plural von Maskulina und Neutra, die kein Pluralsuffix tragen können, durch den Umlaut zu bilden (z.B. Wagen – Wägen, Pfosten – Pfösten). Feminina sind vom Umlaut als Pluralmarker so gut wie unberührt geblieben. Mütter und Tochter sind die bekanntesten Feminina, die den Umlaut angenommen haben und als Ausnahme gelten. Dass der Umlaut Maskulina und Neutra, aber keine Feminina erfasst hat, scheint daran zu liegen, dass Substantive der ersten zwei Genera deutlich häufiger als Feminina kein Pluralsuffix tragen und daher auf den Umlaut als einzige Pluralmarkierung angewiesen sind. So bleiben Maskulina und Neutra, die auf -er oder -el auslauten, im Plural suffixlos (Messer – Messer, Zettel – Zettel), während Feminina beim gleichen Auslaut das Pluralsuffix -n tragen (z.B. Schwester – Schwestern, Hantel – Hanteln).

die Relevanzhierarchie

Diese gegensätzlichen Tendenzen in der Entwicklung der Substantivflexion hängen damit zusammen, dass die semantische Relevanz von Kasus und Numerus für Substantive unterschiedlich zu werten ist. Während Numerus die Bedeutung eines Substantivs dahingehend modifiziert, dass dieses entweder auf ein oder mehrere Objekte referiert, beeinflusst Kasus ein Substantiv lediglich im Hinblick auf seine syntaktische Funktion und somit die Rolle des Referenten in einer Handlung, z.B. ob der Referent bei der Aktion des Schließens in das Kind schließt die Tür die Handlung ausführt (das Kind) oder die Handlung über sich ergehen lässt (die Tür). Die Markierung dieser unterschiedlichen Rollen in einer Handlung ist die Funktion von Kasus. Vor dem Hintergrund dieser Unterschiede gilt Numerus als für das Substantiv inhaltlich relevanter denn Kasus. Es wird angenommen, dass inhaltlich relevantere Kategorien eher morphologisch angezeigt werden und gegenüber dem Abbau resistenter sind als solche mit niedrigerer inhaltlicher Relevanz. Dieses Relevanzverhältnis spiegelt sich auch in der linearen Anordnung der Numerus- und Kasussuffixe wieder. Die Numerussuffixe nehmen im Substantiv die innere, die Kasussuffixe die äußere Position ein (z.B. Kind-er-n). Dass Kasusflexion durch Funktionswörter wie Artikelwörter (z.B. dem Mann) oder Präpositionen (z.B. die Werke Goethes vs. die Werke von Goethe) übernommen wird, ist auch weitaus üblicher als die Realisierung des Numerus durch Funktionswörter.

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