Читать книгу let IT be - Information war gestern - Rüdiger Hein - Страница 11
Haarsch Pängschen
ОглавлениеSting röhrt sein Stück „Desert Rose“ und vor Gep wanken 2000 Köpfe von rechts nach links und keiner kommt auf die Idee von links nach rechts zu wedeln. Erste Anzeichen in Geps Hirn, es genau umgekehrt machen zu wollen. Vergebens. Er ist schon angesteckt. Nicht etwa weil er dem Rhythmus nachgibt, sondern einem Gruppenzwang folgt: Er muss pinkeln.
Zwei Reihen vor ihm steht ein Mädel. Still. Sie scheint wirklich zuzuhören; ganz für sich und ohne Jodel-Zwang. Sie muss scheinbar nicht mal aufs Klo. Ihr Haar ist zu einem Zopf geflochten und irgendetwas Buntes zwängt die Haare ein. Nach dem Lied, so schwört er sich, geht er aufs Klo.
Das Lied ist um, Gep will wie 700 andere zum Container der 2 Leute fasst. Zwecklos, es jetzt zu versuchen; er geht dann mal lieber ein Bierchen schießen. Endlich am Bierstand angelangt steht er in 2. Reihe. Das Konzert läuft weiter und nach 4 Stücken ist er endlich an seinem vorigen Platz zurück. Gerade rechtzeitig zu „Roooooooooooooxanne“, aber der Becher ist halbleer... das Gedränge und Geschiebe hat ihn mindestens 0,2 Promille gekostet. Wenigstens erkennt er jetzt das Ding das die Haarpracht der Hübschen vor ihm zusammenhält: Eine Haarspange aus kleinen Peperoni: Rote, gelbe und grüne.
Beim Stück „Fields of Gold“ ist sein Bierbecher wieder voll, und nicht etwa weil es wie aus Eimern regnet, sondern weil Alle um ihn herum völlig starr nach vorne blicken und damit beschäftigt sind, beim Kopfwackeln eine gute Figur zu machen. Er ist inmitten einer Menschenmasse und wird nicht wahrgenommen. Er kann sich dadurch den Weg zum Klo sparen.
Das Konzert ist zu Ende und Gep sitzt in seinem Wagen auf dem 70 Kilometer kurzen Weg zurück über die Autobahn A44 – also ungefähr 3000 Lichtjahre von zu Hause entfernt, weil irgendein Bremser irgendwo vorne in zwei Lichtjahren Entfernung sein Parkticket nicht entwertet hat und seine Braut nun zurück zum Automaten schickt.
Am nächsten Morgen saß Gep im Wagen unterwegs zur Arbeit. Er grübelte, ob sein Berufswechsel das Richtige war. Der Wechsel in die IT war just for fun . Seine Zeit als Ingenieur hatte er zwar genossen, aber das Reisen machte ihn müde. Das Leben aus dem Koffer verdarb ihm immer mehr den Spaß an seiner Arbeit. Er wechselte die Branche, und kam dann, was das Reisen anging, vom Regen in die Traufe. Um nicht immer wieder aus dem Koffer leben zu müssen, dachte er, es könnte keine schlechte Idee sein, neue Vakanzen in der neuen Technologie mit seinen Ideen zu infiltrieren. Dieser neuen Branche sprach Gep nichts Neues zu. Er sah nur Altes in nebulösem Gewand.
Die Informations Technologie sollte eigentlich eine Form der Technologie sein, bei der man die Daten nicht im Koffer um die Welt fliegt. So dachte Gep jedenfalls. Aber er musste lernen, dass in dieser neuen Welt der Datenverkostung noch mehr gereist wurde als irgendwo anders. Reisekosten verschlangen oft die Hälfte des kompletten Projektbudgets und kosteten Zeit.
Den Grund für diese Reiseorgien erkannte er sehr früh. Die meisten seiner „Kollegen“ sahen in den Reisen eine Art Familien-Flucht, die der Arbeitgeber und damit die Aktionäre bezahlten – im Glauben daran diese Reisen seien notwendig. Manche nutzten diese kleinen Fluchten auch, um sich das Hirn frei zu vögeln. Gep hatte nichts dagegen. Er schwieg und machte sein Ding.
An diesem Morgen auf der Autobahn war es dunkel, nebelig und nass. Und es war auch noch Montag, 5 Uhr in der Früh und Gep war auf dem Weg zum Kunden. Er und sein Kollege Felix hatten ein Projekt im Ruhrgebiet das schon zu Beginn vor einigen Wochen beider Bauchgefühl strapazierte.
In erster Analyse kamen sie auf 18 Monate bis zum Projektabschluss. Die Führungsebene hatte wahrscheinlich die ersten Schließmuskeln im Gehörgang aufs Äußerste trainiert und setzte die Projektlaufzeit auf 3 Monate fest. Auf Geps Frage hin, warum sie dann eine Machbarkeitsanalyse machten, Budgets festlegen, Service Level Agreements aufnehmen und Projektpläne aufsetzten, folgen Floskeln der schieren Verzweiflung, Inkompetenz und heldenhafter Dummheit.
In Gedanken an diesen Realitätsverlust der Geschäftsleitung und deren Erfüllungsgehilfen versunken, erschrak er, als vor ihm im Nebel ein Wagen auf dem Standstreifen mit Warnblinker auftauchte. Eine Person gebückt in den Motorraum war schwach zu erkennen.
Es war irgendwie magisch, als er sofort vor dem Wagen anhielt, an der Person vorbeilief und ein Warndreieck 100 Meter weiter vorne, gegen die Fahrtrichtung aufstellte. Er wusste, dass bald der „Golf-Krieg“ auf der A44 losgehen würde und es lebensmüde war, auf dem Standstreifen zu stehen.
Zurück am Wagen wünschte ihm eine Frau einen guten Morgen. Er hatte in der Dunkelheit gar nicht mitbekommen, dass es sich um eine Frau handelte. Gemeinsam suchten sie dann die Gründe für das Versagen ihres Wagens. Ihr Mobiltelefon war unter den Sitz gerutscht und war so verkeilt, dass sie nicht einmal Hilfe rufen konnte.
Es stellte sich heraus, dass durch Marderfraß wichtige Zündleitungen angefressen waren und durch die Nebelfeuchte nichts mehr ging. Das Abschleppseil wurde ausgepackt, angehängt und der Wagen abgeschleppt; geradewegs durch die nächste Abfahrt zur nächsten Tankstelle die noch geschlossen war, aber die immerhin eine kleine Werkstatt besaß. Nach einigen Überlegungen entschlossen sie sich, in den Ort zu fahren und dort zu warten, bis die Werkstatt öffnen würde.
Auf einem Parkplatz angekommen, sahen sie Licht in einem dieser Steh-Cafés (das mit der dampfenden Bohne). Drinnen war allerdings nur die Reinigungsfrau die sie aber angesichts des Regens, der nun heftig wurde, hereinbat und einen Automatenkaffee anbot.
In guten Händen wissend, verabschiedete er sich von dem Pannenopfer, stieg in seinen Wagen und wollte losfahren. Der Wagen sprang nicht an. Er telefonierte sofort mit Felix, seinem deutschen Kollegen, der denselben Weg fahren würde. Er sollte ihn jetzt aufgabeln und mitnehmen; schließlich hatten sie beide an diesem Vormittag ein wichtiges Meeting.
Nach 90 Minuten Wartezeit kam Felix vorbei, sah die Frau, sah Gep, und wollte es nochmal mit Geps Wagen probieren. Er sprang sofort an. Gep entschuldigte sich und erklärte stammelnd, dass sein Wagen wirklich bis eben nicht mehr ansprang.
Auf die Frage, wie er denn dann mit dieser Begleitung dort gelandet sei, antwortete Gep: “Na, ich hab sie abgeschleppt.“
Der Kollege grinste und erwiderte nur: “Abgeschleppt. Aha.“ Es war ihr und Gep sehr peinlich.
Drei Wochen später, Gep war gerade joggen und kürzte seine Runde wegen heftigem Regen ab, um wieder nach Hause zu laufen, kam er an seiner Haustür an. Dort stand eine Frau die sich vergeblich an der Schelle bemühte. Er erkannte sie sofort. Es war das „Pannenopfer“ von jenem Morgen.
Sie hielt etwas Rundes unter einer Tüte auf der Hand und sagte: “Und wieder lassen Sie mich im Regen stehen – krieg ich wenigstens wieder `nen Kaffee?“
Sie wollte sich mit einem selbstgebackenen Kuchen für die Pannenhilfe bedanken – wie sie an seine Adresse gelangte, war Gep ein Rätsel. Sie gingen hinein und stellten beim Kuchenessen fest, dass sie schon seit 3 Jahren Nachbarn sind. Nur 2 Straßen trennten sie. Sie waren sich nie vorher begegnet.... So dachten sie.
Wochen vergingen und sie trafen sich öfter und öfter.
Irgendwann holte Gep sie ab. Sie schnallte sich an, warf dabei den Kopf zur Seite und er dachte sofort an Sting: Sie trug eine Haarspange; eine selbstgemachte Spange mit bunten Peperoni darauf.
Es stellte sich heraus, dass sie damals auf jenem Konzert von Sting war. „Ja. Isch liebe punte Haarsch Pängschen. Übrigens, Sie siezen mich – lassen Sie das!“, sagte sie und grinste dabei.
Den Rest malten sie sich dann aus – so wie es Liebespaare eben tun, und Gep nannte sie nun „Harsch Pängschen“.