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KAPITEL 3

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Sechs Wochen später, vor der afrikanischen Westküste

Liebste Freundin,

wie ich Dir versprochen habe, lasse ich Dich an meiner Reise teilhaben, auch wenn bislang nicht viel passiert ist. Seit unserem Aufbruch haben wir ruhige See und guten Wind. Die Schifffahrt bekommt mir gut – wenn es nur nicht so schrecklich langweilig wäre.

Ernest verkriecht sich in seinen Aufzeichnungen und schreibt unentwegt an seinem Buch. Ich glaube, er merkt gar nicht, dass wir uns nur zu den Mahlzeiten sehen und manchmal nicht einmal das.

Ich habe nicht erwartet, dass er mich mit Aufmerksamkeiten überhäuft. Schließlich sind wir kein verliebtes Paar in den Flitterwochen, sondern zwei Menschen, die ein Komplott geschmiedet haben, um sich gegenseitig zu helfen. Entdeckerseelen auf dem Weg in die Freiheit. Nur dass Ernest schon einmal in Australien war und seine Forschung minutiös planen kann, während ich mich fühle, als würde ich treiben. Ich lese viel, aber ich kann mir kaum vorstellen, wie es dort ist.

Die Sammlung in Cambridge war dürftig, und die in Oxford habe ich nie gesehen, dafür war nicht genug Zeit.

Aber was klage ich Dir mein Leid, ich Dummerchen, wo doch Du diejenige bist, die leidet. Es ist sehr betrüblich, dass Du jetzt nicht hier sein kannst. Mit Dir wäre es sicherlich lustiger. Auf See würde es Dir gefallen.

Die Matrosen kommen aus aller Herren Länder, und so manch einen würde ich gerne ausfragen. Leider sind sie überaus ungehobelt und würden mein Interesse an ihnen falsch verstehen.

Also blicke ich auf das schier endlose Meer hinaus, träume vor mich hin und hoffe, dass ich nicht aus einer Laune heraus den langweiligsten Mann geheiratet habe, den es im ganzen Königreich gibt.

Dieser Brief wird Dich vermutlich erst in einigen Monaten erreichen. Ich übersende Dir eine Adresse, sobald wir wissen, wo wir unsere Forschung betreiben werden, und verbleibe mit besten Grüßen

Deine Florence

Sie legte ihren Füllfederhalter zur Seite und blies über das Blatt Papier. Die Tinte trocknete schnell. Florence betrachtete den allerersten Brief, den sie ihrer Freundin geschrieben hatte, mit leiser Wehmut. Sie würde ihn im nächsten Hafen, den sie zum Auffrischen der Vorräte anlaufen würden, aufgeben lassen.

Der Zweifel nagte an ihr. Ob es richtig gewesen war, ihr Leben in die Hände eines nahezu Fremden zu legen? Bislang hatte Ernest all seine Versprechen gehalten.

Florence faltete den Brief zusammen, verstaute ihn in ihrem ledergebundenen Reisejournal und stand auf. Sie hatte im kleinen Speisesaal des Schiffes gesessen, wo es ihr mehr zusagte als in der engen Kabine bei Ernest.

Gemächlich machte sie sich auf den Weg an Deck. Es war wunderbar still und roch nach salziger See. Schon seit Tagen schwiegen die Dampfmaschinen. Der stete Wind reichte aus, um das Schiff zügig voranzubringen.

Florence setzte sich in den Schatten eines Schornsteins, das Journal auf dem Schoß. Ernest hatte es ihr geschenkt, zusammen mit drei weiteren, noch unbenutzten Exemplaren sowie einem Füllfederhalter modernster Fertigung. Damit sie ihre Reise und ihre Forschungsarbeit dokumentieren konnte. Er nahm sie als Wissenschaftlerin ernst, das hatte ihr schon bei ihrer ersten Begegnung imponiert. Wenige Männer waren wie er.

Florence sah mehreren Möwen nach, wie sie einsam über den Wellen dahinzogen und doch gemeinsam in eine Richtung flogen. Vielleicht würde es mit Ernest und ihr ebenso sein. Und das war immer noch mehr, als sie sich je erträumt hatte. Jeder für sich allein und doch nicht einsam.

Ihre erste und eigentlich auch einzige richtige Verabredung war ihr noch in Erinnerung, als sei es erst gestern gewesen.

Ernest hatte sie am Tag nach dem Fest mit einer Kutsche zu Hause abgeholt.

Florence‘ Mutter bestand darauf, dass die Küchenmagd als Anstandsdame mitfuhr, und so waren sie zu dritt aufgebrochen. Schon nach wenigen Straßen lud Ernest sie ein, neben ihm auf dem Kutschbock Platz zu nehmen. Die Magd protestierte zwar kurz, doch das spornte Florence umso mehr an, sich zu ihm zu setzen.

Sie waren aufs Land hinausgefahren, zu einer alten Mühle mit morschen Flügeln, und hatten dort auf einer üppigen Wiese gepicknickt.

Inmitten von Klatschmohn und sich wiegenden Margeriten erzählte ihr Ernest von seinen Reiseplänen nach Australien.

Fasziniert und gleichsam enttäuscht lauschte Florence ihm. Sie würde diesen bemerkenswerten Mann also in wenigen Wochen wieder ziehen lassen müssen. Der Nachmittag flog nur so dahin. Sie diskutierten und fachsimpelten, bis die Magd sie schließlich zum Aufbruch mahnte.

Ernests Erzählungen hatten sie neugierig gemacht, und so war sie schon am frühen Morgen aufgebrochen, um sich in der Sammlung des Instituts nach Fundstücken des südlichen Kontinents umzusehen.

Florence liebte die schier endlosen Gänge mit ihren hohen Schränken und Vitrinen. Ganz gleich, welche Schublade oder Tür sie auch öffnete, überall warteten kulturelle oder biologische Welten darauf, entdeckt zu werden.

Um diese Uhrzeit war sie noch allein im Magazin.

Es roch nach Staub, Formalin und altem Leder, kaum wahrnehmbar auch ein wenig nach Verwesung. Das waren die Präparate, die nicht ganz so gut konserviert worden waren. Florence lief an Schränken vorbei, deren schmale Schubladen Hunderte von exotischen Vögeln bargen. Ein Balg reihte sich an den anderen. Viele von ihnen waren einfach mit Stroh oder Spänen ausgestopft worden, andere über flache Hölzer gespannt und ließen kaum noch die ursprüngliche Form des Vogels erkennen.

Hier hatte Florence schon viele Stunden verbracht, um die Arten zu identifizieren, aus denen die Amazonasindianer ihre Schmuckgegenstände und Kronen fertigten. Aber heute trieb es sie weiter.

Australien und Polynesien stand auf einem verwitterten Schild. Endlich. Im Licht, das durch ein schmales, hohes Fenster hereinfiel, tanzten winzige Partikel.

Florence wollte die Welt kennenlernen, die Ernest Furbish so sehr faszinierte.

Zuerst nahm sie sich die Vitrinen vor, in denen es allerdings nur Tiere zu sehen gab, wenn auch interessante. Zahlreiche Schlangen fristeten ihr Dasein post mortem in alkoholgefüllten Gläsern. Ihre ausgeblichenen Körper wirkten wächsern, die Augen waren weißlich und blind.

In großen Schubfächern lagen Felle von Kängurus, Tiere, die sie nur von Abbildungen kannte. Die kleineren waren überraschend weich und fühlten sich an wie geschorenes Kaninchenfell. Florence ließ ihre Finger hindurchgleiten und zog sie gleich wieder zurück, als ihr zwischen den Haaren Insektenlarven entgegenrutschten.

Hastig schrieb sie sich die Nummer des Schranks auf. Sie würde ihn später beim Archivar melden, damit etwas gegen das Ungeziefer unternommen werden konnte.

Der nächste Schrank enthielt eine Knochensammlung. Es waren vor allem Schädel. Wieder Kängurus, mehrere Dutzend, von fingerlangen Exemplaren bis zu solchen, die von der Größe her auch zu jungen Rindern gepasst hätten.

Davon musste es viele Arten geben.

Beutelwolf stand auf einem weiteren Schädel, der lange Reißzähne zeigte. Gleich daneben drei Tasmanische Teufel.

Sie öffnete auch die linke Seite des Schranks und hielt kurz inne. Menschenschädel. Sie nahm einen heraus, drehte ihn vorsichtig und entdeckte im Hinterkopf ein Loch. Entweder hatte es der Präparator hineingebohrt, um den Schädel besser konservieren zu können, oder dieser Mensch war erschossen worden.

Dies waren also die Eingeborenen, die Darwin für das fehlende Glied hielt, die lange gesuchte Übergangsform zwischen dem Neandertaler und dem modernen Menschen.

Florence verstand wenig von Anatomie, aber dieser Schädel sah nicht aus wie diejenigen, die sie bisher gesehen hatte.

Vorsichtig stellte sie ihn wieder zurück und konnte danach dem Drang nicht widerstehen, sich die Hände an ihrer Schürze abzuwischen, die ihr Kleid vor Staub schützen sollte.

Seit ihr in ihrem Studium die ersten menschlichen Präparate begegnet waren, hatte sie sich vorgenommen, solche niemals von eigenen Forschungsreisen mitzubringen. Damals, zu Studienbeginn, hatte sie noch daran geglaubt, eines Tages wie Maria Sibylla Merian durch die Welt zu reisen und eine berühmte Forscherin zu werden.

Schließlich war es dieser eindrucksvollen Frau schon an der Wende zum achtzehnten Jahrhundert gelungen, die von Männern dominierte Forscherwelt von ihren Fähigkeiten zu überzeugen. Aber vermutlich waren ihr auch nicht durch die eigene Familie Steine in den Weg gelegt worden.

Florence schloss den Schrank mit den Schädeln. Wenn sie jetzt schon bei den menschlichen Präparaten angelangt war, dann konnte es bis zu den gesammelten Kulturgütern nicht mehr weit sein.

Riesige Schubladen gab es hier, dreißig Zentimeter hoch und beinahe zwei Meter lang. Das ließ sich gut an. Florence hoffte auf bemalte Schilde, Waffen, vielleicht sogar Zeremonialgewänder.

Als sie die oberste aufzog, wusste sie zuerst nicht, was sie vor sich hatte. Es war Leder, dunkelbraun, faltig und schlecht konserviert. Vielleicht ein Umhang? Sie klappte es auseinander. Auf dem Leder waren Erhebungen. Sie bildeten eine Linie und wanden sich an einem kreisrunden Etwas vorbei. Florence stutzte. Plötzlich klopfte ihr das Herz bis zum Hals.

Sie stolperte zurück. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen, und ihr war mit einem Schlag leicht übel.

Was dort vor ihr lag, war die gegerbte und konservierte Haut eines Menschen. Und was sie gerade berührt hatte, die Brustwarze eines Mannes!

Florence‘ Knie fühlten sich so weich an, als würden sie im nächsten Moment nachgeben. Mit beiden Händen stützte sie sich an der Vitrine hinter sich ab. Das kühle Glas unter ihren Fingern beruhigte ihren rasenden Puls ein wenig, und die Übelkeit flaute ab.

Vielleicht war sie doch nicht so mutig, wie sie es sich immer weiszumachen versuchte.

Ausgerechnet jetzt wurden auf dem Flur Schritte laut. In dem riesigen Lagerraum warfen die Wände Echos.

Wahrscheinlich bin ich kalkweiß, dachte sie. Wer auch immer dort kam, würde bestimmt überall herumerzählen, in welchem Zustand er Professor Niles‘ aufmüpfige Tochter vorgefunden hatte, und bald würde sie zum Gespött der Universität werden.

Der lebende Beweis, dass Frauen nicht zur Wissenschaft taugten. Am besten hätte sie die Schublade schnell zugeschoben und sich nichts anmerken lassen, doch dafür musste sie die gegerbte Menschenhaut erst wieder zusammenfalten und sicher verstauen, und dafür fühlte sie sich noch nicht bereit.

Die Schritte wurden lauter. Vielleicht hatte sie ja Glück und der Besucher ging einfach vorbei und beachtete sie gar nicht.

„Miss Niles?“

„Ja“, antwortete sie zögerlich. Sie kannte die Stimme, wusste sie aber nicht gleich zuzuordnen. Doch dann kam Ernest Furbish mit ausladenden Schritten vom Hauptgang um die Ecke gebogen, und Florence atmete erleichtert auf.

„Sie sind es.“

„Ich bin ins Institut gekommen, um mit Ihnen zu sprechen. Aber was tun Sie denn in dieser entlegenen Ecke?“, fragte er und begrüßte Florence.

„Ihre Erzählungen haben mich neugierig gemacht, und ich wollte mehr über Ihren roten Kontinent erfahren. Was ich fand, war das dort. Das ist barbarisch. Einem zivilisierten Volk wie unserem nicht angemessen.“

Furbish trat an die offene Schublade und zog die Stirn kraus. „Ja. Seit Darwin behauptet hat, dass die australischen Naturstämme das Bindeglied zwischen den frühen Menschen und uns sind, will jeder Sammler und jedes Museum humanoide Exponate.“

Florence sah ihm dabei zu, wie er die Menschenhaut mit so viel Respekt wie möglich zusammenlegte und die Schublade schloss. „Sie haben recht, es ist nicht richtig.“

„Haben Sie bei Ihrer letzten Reise …?“

Er hob abwehrend die Hand. „Nein, und das würde ich auch nicht. Wir haben einen alten Schädel mitgenommen, aber der war schon völlig von der Sonne ausgeblichen. Ich würde nicht zulassen, dass ein Wilder für meine Forschung getötet wird. Sie sind vielleicht nicht so weit entwickelt wie wir, aber es sind menschliche Wesen, auch wenn manch einer sie eher zu den Tieren zählt.“

Florence nickte. Es erleichterte sie, dass auch er diese Praxis ablehnte. Sehr sogar.

„Gibt es solche Exponate nicht aus Südamerika?“, fragte er.

„Bislang habe ich nur einige Schrumpfköpfe gesehen und vielleicht ein, zwei Masken, an denen auch einige Knochen befestigt waren.“

„Was haben Sie denn sehen wollen?“, lenkte er das Gespräch in eine andere Richtung.

„Kulturgegenstände. Keramiken, Kleidung, so etwas.“

Furbish ging einige Schränke weiter, und sie folgte ihm nur zu gerne, um die Toten hinter sich zu lassen. Nach und nach sahen sie sich Waffen, zumeist Keulen, und Sammelbehälter aus geflochtenen Pflanzenfasern an.

Jetzt war Florence in ihrem Element, sie betrachtete jedes Stück genau. Die Zeit flog nur so dahin.

Ehe sie sich dessen versah, waren sie am Ende dieses Teils der Sammlung angelangt, der offenbar sehr klein war und, abgesehen von den menschlichen Präparaten, nur zwei Schränke umfasste.

„Wie es scheint, konzentriert man sich hier eher auf die einmalige Tier- und Pflanzenwelt“, sagte Ernest Furbish, denn davon gab es noch Kisten, Körbe und weitere Fächer voll.

Er schob die letzte Schublade zu und sah sie an.

Florence fühlte sich noch ganz überwältigt von all den neuen Eindrücken.

Doch in Furbishs Haltung hatte sich von einem Moment auf den anderen etwas verändert, auch sein Blick war anders. Als mustere er sie mit der gleichen Neugier, die er sonst seinen Exponaten entgegenbrachte.

Und dann erinnerte sie sich wieder, dass sie einander nicht zufällig begegnet waren, sondern er nach ihr gesucht hatte.

„Warum wollten Sie mich eigentlich sprechen?“, fragte sie.

Er schluckte. Sie sah seinen Adamsapfel auf und ab hüpfen und seine Kiefermuskeln sich unter den glatt rasierten Wangen anspannen.

War er aufgeregt? Nervös etwa? Aber weshalb?

„Suchen wir uns vielleicht einen anderen Ort zum Reden?“, fragte er und lenkte ihren Blick auf die staubige, halbdunkle Enge zwischen den Magazinschränken.

Seine Nervosität war ansteckend. „Im Studierbereich vielleicht“, schlug Florence vor und übernahm auf seine Geste hin die Führung.

Es ging in einen helleren Bereich des Lagers. Die schier endlosen Schrankreihen blieben zurück und machten mehreren Lesetischen Platz.

Licht flutete aus hohen Fenstern hinein. Draußen bewegten sich Alleebäume im Wind und warfen hin und wieder Schattenflecken auf Tische und Stühle. Zu anderen Tageszeiten sah Florence hier oft die Insektenforscher sitzen. Sie nutzten den guten Lichteinfall, um ihre winzigen Studienobjekte zu untersuchen.

Zu dieser frühen Stunde war noch niemand hier, und der Ort atmete Einsamkeit. Noch ein Grund mehr, so früh herzukommen. Florence genoss die Ruhe. Merkwürdigerweise störte es sie nicht, dass Ernest Furbish sie begleitete, was für ihn sprach.

Florence führte ihn zu ihrem Lieblingsarbeitsplatz. Der breite Eichentisch lag direkt unter den Fenstern und war durch eine halbhohe Holzwand von den anderen abgeschirmt. Hier zeichnete sie oft Objekte ab.

„Wollen wir uns hier setzen?“

„Gerne.“ Er nahm ihr gegenüber Platz und rieb sich über die Stirn, als suche er nach Worten. In einer unbewussten Geste schob er sein Haar wieder über das große Muttermal auf der Schläfe.

Sicher ist er dafür als Kind oft gehänselt worden, überlegte Florence und stellte sich ihn als zarten, zurückhaltenden Jungen vor, der sich des Spotts der anderen nicht durch eine handfeste Prügelei erwehren konnte.

„Nur heraus damit“, sagte sie und wunderte sich dabei über ihre eigene Courage.

Er räusperte sich. „Sie sind mir bei unserer vergangenen Begegnung als sehr wissbegierig und zielstrebig in Erinnerung geblieben. Es gefällt mir, mit Ihnen zu diskutieren und Theorien durchzuspielen. Abgesehen davon sind Sie eine sehr attraktive Frau, Miss Niles.“

Florence‘ Herz machte einen Satz. Gebannt sah sie ihn an.

„Ich war vorhin bei Ihrem Vater“, fuhr er fort und musterte sie. „Es ist leider nicht so gelaufen, wie ich gehofft hatte.“

Sie wurde zornig, ohne zu wissen, worum es ging. „Manchmal glaube ich, dass er es genießt, mir Steine in den Weg zu legen.“

Furbish straffte die Schultern und atmete tief durch. „Er ist nun einmal Ihr Vater, und als unverheiratete Frau …“

„Hat er die Vormundschaft, ja.“

„Deshalb war ich auch zuerst bei ihm, bevor ich Ihnen falsche Hoffnungen mache. Wie Sie wissen, habe ich Finanziers gewinnen können, die eine mehrjährige Reise nach Australien unterstützen. Und ich habe genug Rücklagen für einen Assistenten.“ Sein Blick sprach Bände.

„Und da dachten Sie an mich?“ Florence war froh, dass sie bereits saß, sonst wäre sie womöglich nicht auf den Beinen geblieben. „Ich fühle mich wirklich sehr geehrt.“

„In den vergangenen Tagen habe ich sämtliche Publikationen von Ihnen gelesen, derer ich habhaft werden konnte. Ihre Arbeitsweise hat mich überzeugt.“

Die Art, wie er sie ansah, sprach allerdings davon, dass da vielleicht noch ein wenig mehr im Spiel war als nur ihre Arbeitsweise, wie sie geschmeichelt feststellte.

„Damit würde ein Traum in Erfüllung gehen!“

„Auch wenn die Reise nach Australien geht, und nicht in den Dschungel Südamerikas?“

Sie nickte schnell. „Ganz gleich. Solange es dort eine ursprüngliche Kultur zu erforschen gibt, bin ich bereit, mich in alles einzuarbeiten. Ich mache Abschriften, zeichne die Objekte, lege Fundkataloge an, ich habe Erfahrung als Assistentin, ich …“

Furbish hob abwehrend die Hände und lächelte. Doch sein Blick wurde schnell wieder ernst. „Es würde Strapazen bedeuten, lange Ritte, Fußmärsche. In Australien ist fast jedes Tier giftig, und es ist die meiste Zeit fürchterlich heiß.“

„Das schreckt mich nicht!“, wiegelte sie ab und meinte, ihren Puls in den Ohren rauschen zu hören. Sie fühlte sich euphorisch wie nach zu viel Tanz und Wein.

„Es gibt nur ein Problem. Ihr Vater gibt Sie nicht frei.“

„Wie bitte?“

Seine Worte waren wie Eiswasser. Nun konnte sie sich ganz genau vorstellen, wie das Gespräch verlaufen war. Womöglich hatte Vater Furbish ausgelacht, als der ihm die Bitte angetragen hatte.

Sie ballte die Hände zu Fäusten, bis ihre Nägel sich schmerzhaft in ihr Fleisch bohrten. Florence war so wütend, dass sie am liebsten laut geschrien hätte. Stattdessen nahm sie all ihre Beherrschung zusammen. „Was hat er gesagt?“, erkundigte sie sich leise.

„Er sagte, mein Vorschlag sei lächerlich. Ich solle doch einen seiner Studenten mitnehmen. Wenn ich Sie als Begleitung wolle, müsse ich Sie schon heiraten.“

Florence‘ Herz tat einen Satz und schien dann stehen zu bleiben. Ihr Vater war ein schrecklicher Mensch, das war ihr in diesem Moment ein für alle Mal klargeworden. Er wollte nicht, dass sie ihre Träume verfolgte.

Vielleicht, weil er sich in seiner altmodischen Ehre gekränkt fühlte, wenn eine Frau, und sei es auch seine Tochter, Forscherin wurde. Vielleicht, weil er es ihr übelnahm, dass sie kein Sohn geworden war.

Florence wollte nicht weinen, aber sie konnte es nicht verhindern.

Ernest Furbish tat nichts. Er sah sie einfach nur mitfühlend an und wartete, bis sie ihre Tränen getrocknet hatte.

„Was denken Sie?“, fragte er sanft.

„Dass es nicht richtig ist, nicht richtig!“, schniefte sie und schämte sich zugleich für ihr undamenhaftes Betragen.

„Und das wollen Sie einfach so hinnehmen?“

„Was soll ich denn tun?“, erwiderte sie.

Furbishs Mundwinkel zuckten nach oben. „Heiraten Sie mich.“

Florence schüttelte fassungslos den Kopf. „Machen Sie sich bitte nicht über mich lustig.“

„Ich meine es ernst. Heiraten Sie mich und reisen Sie mit mir nach Australien. Sie können sich Ihren Studien widmen und ich mich den meinen. Unterstützen wir einander gegenseitig.“

Er meinte es wirklich ernst. „Und die Ehe?“

„Meine Familie liegt mir seit Jahren in den Ohren, ich solle heiraten. Aber welche Frau würde sich schon für einen Mann wie mich entscheiden? Sie müsste ihr zivilisiertes Leben aufgeben, um mit mir zusammen zu sein, oder jahrelang auf ihren Ehemann verzichten und leben wie eine Witwe.“

„Das klingt in der Tat schwierig.“ Florence fühlte ihre Hoffnung zurückkehren. „Jeder Mann, der sich bislang für mich interessierte, hat erwartet, dass ich meine Arbeit an der Universität aufgebe.“

„Sehen Sie, das würde ich nie tun. Ich verehre Sie, Miss Niles, Sie sind eine beeindruckende Person. Ich hätte nie geglaubt, je eine Frau zu finden, aber mit Ihnen könnte ich leben …“, er zögerte nur einen Herzschlag lang, „und Sie sicher auch lieben. Aber wenn Sie nur zusagen wollen, um Ihren Traum zu verwirklichen, so bestehe ich nicht auf einen Vollzug der Ehe.“

Das klang zu unglaublich, um wahr zu sein. Florence sah ihn mit offen stehendem Mund an. Musterte ihn. Seine strahlenden Augen, die das unscheinbare Gesicht besonders machten, den schmalen Mund, den er nun in Erwartung ihrer Antwort fest zusammenpresste. Seine Hände, ungewöhnlich groß für einen schmalen Mann wie ihn, die ruhelos über die Maserungen des Tisches tasteten.

Einen Ehemann hatte sie sich immer anders ausgemalt. Eher wie die Kavaliere der Militärakademie, mit denen sie auf den Bällen so gerne tanzte. Aber tanzen konnte Ernest, das hatte er ihr bereits bewiesen.

„Nun sagen Sie doch etwas.“

„Ich kann meine eigenen Forschungen betreiben?“

Er nickte, seine Hände stellten die unruhigen Bewegungen ein.

„Ich kann nicht versprechen, dass ich in allen Bereichen Ihren Erwartungen entspreche“, sagte sie zögernd.

„Das heißt, Sie sagen Ja?“

„Ja.“ Es rutschte ihr einfach so heraus. Heiß und kalt brandete die Aufregung durch ihren Körper. Sie konnte kaum fassen, wozu sie sich soeben durchgerungen hatte. Aber Ernest Furbish hatte ihr gerade einfach so die Erfüllung ihrer Träume angeboten.

Er stand auf, ging um den Tisch herum und nahm ihre Hände. Seine waren ganz heiß, die Haut dennoch angenehm trocken.

Sie erhob sich ebenfalls, und er beugte seinen Kopf ganz nah an ihren. „Florence Niles, möchtest du mich heiraten und zu meiner Komplizin in geheimer Sache werden?“

Schon das klang nach Abenteuer. Sie fühlte sich wie berauscht, drückte seine Hände und ließ zu, dass er sie auf die Wange küsste.

Die folgenden Tage vergingen wie im Flug. Florence‘ Vater war entsetzt, dass der junge Galan seine im Spott gesprochenen Worte ernst genommen hatte. Und dass seine Tochter auch noch zugesagt hatte, versetzte ihn umso mehr in Erstaunen. Ihre Mutter war glücklich und stürzte sich in die Hochzeitsvorbereitungen wie eine Verdurstende auf das Wasser.

Nie hätte sie geglaubt, ihre Tochter noch unter die Haube zu bekommen.

Florence überließ ihr nur zu gerne alle Planungen. Es interessierte sie schlichtweg nicht. Für sie war es viel wichtiger, Vorbereitungen für ihre Expedition zu treffen, die nur einen Monat später beginnen würde.

Eine Woche nach ihrer Verlobung lernte sie Ernests Familie kennen. Erst da wurde ihr klar, dass auch er unter Druck gestanden hatte. Als einziger Sohn der Familie wurde von ihm erwartet, dass er heiratete und einen Erben produzierte.

Mrs Furbishs Aussage, sie hätten ihn ohne eine Ehe nicht wieder in die Fremde ziehen lassen und ihm die Unterstützung versagt, schien nur halb im Scherz dahingesagt.

Also waren sie wirklich zu Komplizen geworden.

Es ging um nichts Geringeres als die Freiheit. Ihre und auch die seine.

Ernest kümmerte sich wenig um die Hochzeitsvorbereitungen, er schlug nur hin und wieder Gäste vor, die sie vielleicht noch zur Unterstützung ihrer Forschungsreise gewinnen konnten. Florence stellte Listen mit Dingen auf, die sie meinte, für ihre Expedition zu benötigen, und überließ es ihrem Verlobten, alles zu arrangieren, während sie die glückliche zukünftige Braut mimte. Sie strahlte, aber das lag vor allem an ihren Reiseplänen.

Die Tage flogen nur so dahin.

Die Hochzeit war ein einziger Rausch aus Musik und Tanz, Gratulanten und zahlreichen Geschenken, die sie nicht brauchen würden. Die Aussteuer wurde eingelagert, und noch in der Hochzeitsnacht saßen sie gemeinsam über Landkarten und planten ihre Reiseroute.

Drei Tage später brachen sie auf.

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Südsternjahre - Die Australien-Saga Gesamtausgabe

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