Читать книгу Südsternjahre - Die Australien-Saga Gesamtausgabe - Rebecca Maly - Страница 14

KAPITEL 5

Оглавление

Seit dem Vortag konnten sie Land sehen. Endlich Land! Florence hatte in der Nacht kaum geschlafen, so aufgeregt war sie. Auch Ernest war von Unruhe erfüllt, wie von einem Fieber. Er lief in der engen Kabine hin und her und überprüfte wieder und wieder, ob alle Gepäckstücke vollzählig und gut verschlossen waren.

Florence musste an die Worte ihrer Freundin Rosalie denken. Ja, er sah wirklich aus wie ein grauer Storch.

Mein grauer Storch, dachte sie schicksalsergeben, und er ist beinahe noch aufgeregter als ich.

In Perth sollten sie für die ersten Tage bei einer Familie untergebracht werden, die Ernest bei seiner letzten Reise kennengelernt hatte. Von dort aus würden sie Führer und Packtiere anheuern, mit denen es nach Norden ging, in eine Region, die so unwirtlich war, dass sie dort die besten Chancen hatten, echte Wilde kennenzulernen.

Ernest richtete sich auf, wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn und stieß einen tiefen Seufzer aus. „Ich denke, das ist alles.“

„Aber sicher, wir haben es doch so oft überprüft.“

Er hob den Kopf, doch sein fahriger Blick ging wie durch sie hindurch. „Du hast recht.“

Er nahm seine Jacke und seinen Hut und drängte sich an ihr vorbei auf die Tür der Kajüte zu. „Kommst du?“

„Aber wohin denn? Legen wir nicht gleich an?“

„Ja, bald. Und vorher möchte ich noch die restliche Ladung durchsehen.“

„Dürfen wir denn in den Frachtraum?“, fragte sie irritiert. Eigentlich hatte sie sich noch von Magnus Fredriksson und einigen anderen Passagieren verabschieden wollen. Wenn sie mit in den Frachtraum ginge, würde sie nicht mehr dazu kommen. „Aber ich wollte von Deck aus zusehen, wie wir im Hafen einlaufen, Perth anschauen …“

„Den Hafen wirst du nachher noch lange genug aus der Nähe sehen. Ich dachte, du wolltest Wissenschaftlerin sein?“, erwiderte er gereizt. „Wenn du deine Meinung inzwischen nicht geändert hast, sollte deine einzige Sorge jetzt deiner Ausrüstung gelten. Wenn etwas damit passiert oder, Gott bewahre, Teile verschwinden, können wir die Expedition gleich abbrechen.“

„Du hast ja recht.“

Ernest murmelte leise vor sich hin, während sie durch die engen Flure liefen. Bald erreichten sie einen schmucklosen Bereich des Schiffs. Aufwändige Messinglampen und polierte Geländer gab es hier nicht mehr. Stattdessen roch es nach Öl und ein wenig nach Kalfater. Eine schmale, spärlich beleuchtete Treppe führte durch mehrere Schotts und Absätze tief in den Bauch des Schiffes. Überall zweigten Gänge ab.

„Warst du schon einmal hier unten?“ Florence kam es vor, als würden die Wände näher und näher rücken.

„Natürlich! Meinst du, ich lasse unsere Kisten wochenlang unbeobachtet? Wasser könnte eindringen, und es gibt hier Ratten.“

Florence zuckte beim letzten Wort zusammen und lauschte ins Zwielicht. Bitte keine Ratten, dachte sie und versuchte, gegen das nervöse Kribbeln in ihrem Nacken anzukommen, aber nur, um noch im gleichen Moment wütend auf sich selbst zu werden. Angst vor kleinen Nagetieren? Und sie wollte eine Forscherin sein?

Wer weiß, vielleicht würde sie sogar welche essen müssen, wenn es hart auf hart kam. Mr Fredriksson hatte die erstaunlichsten Geschichten erzählt. So aßen die Wilden scheinbar alles von Ameisen über streunende Katzen bis hin zu Kängurus, Schlangen und dicken weißlichen Larven.

„Es ist nicht mehr weit“, rief ihr Ernest über die Schulter zu, während er eine Lampe vom Haken nahm. Er hob sie so hoch, dass der Schein bis zu Florence fiel.

Sie hatten den Laderaum erreicht. Er kam ihr größer vor als das gesamte Schiff, doch das musste daran liegen, dass er nicht in kleine Abteile untergliedert war, sodass man den durchgehenden Bohlenboden erkennen konnte, auf dem sich Fässer und Kisten türmten. Die Fracht schien willkürlich und ohne erkennbare Ordnung wild zusammengewürfelt zu sein, doch dann bemerkte Florence die Ziffern und Buchstaben, die überall mit Kreide vermerkt waren.

Schließlich blieben sie vor einem Berg an Kisten und Packtaschen stehen, auf die jemand sorgfältig die Worte Furbish und Perth geschrieben hatte.

Ernest ließ den Schein der Lampe über die Gepäckstücke gleiten. Sie waren so vorbereitet, dass sie sowohl von Mulis transportiert werden konnten als auch von Trägern.

„Sind das Packsättel?“, fragte Florence erstaunt.

Ihr Ehemann nickte. „Ja, wir hatten beim letzten Mal Probleme, weil die Pferde wund und schließlich untauglich wurden. Dieses Mal habe ich vorher mit einem Oberst von der Kavallerie gesprochen. Er meinte, das Wichtigste seien richtige Sättel, damit könne ich mir viel Ärger ersparen. Wir müssen mit unseren Ressourcen sparsam umgehen. Ich will nicht wieder neue Pferde kaufen müssen.“

„Das hattest du mir gar nicht erzählt“, sagte Florence und ließ die Hand über die Sättel und Gestelle gleiten. Das Leder war gut gefettet, das Holz und die Riemen glänzten.

„Ich hätte nicht gedacht, dass dich so etwas interessiert.“

Florence richtete sich auf und suchte seinen Blick. „Ich interessiere mich für alles, Ernest. Für jedes Detail der Reise. Du hattest versprochen, dies würde genauso meine Expedition sein wie deine.“

Er stellte die Lampe ab. „Ich wollte dich nicht unnötig belasten.“

In diesem Moment hörte es sich an, als stieße das Schiff einen tiefen Seufzer aus, der in den Bohlen unter ihren Füßen noch nachbebte. Dann ging ein Ruck durch den Rumpf, und sie geriet ins Straucheln. Ernest fing sich mit einer Hand an der Ladung ab, die andere streckte er aus, um Florence‘ Fall zu verhindern.

Florence entfuhr ein kurzer Schrei, und schon hatte sie sich wieder gefangen. Ernest kniete vor ihr.

„Bei Gott, die Lampe!“, rief sie, doch da züngelten auch schon die ersten Flammen hoch.

Florence verschwendete keinen Augenblick. Sie kletterte über eine Kiste, trat die Lampe energisch vom Gepäck fort, hob ihren Rock und versuchte das Feuer auszutreten. Doch die Flammen schienen an ihren Stiefeln regelrecht festzukleben. Schwärzlicher Rauch stieg auf. Ihr Rock brannte.

Ernest stieß sie zur Seite und warf etwas über sie.

Florence merkte gar nicht, dass sie schrie. Es war dunkel, rauer Stoff kratzte über ihr Gesicht. Der Boden unter ihr zitterte. Nun versuchte Ernest, die Flammen auszutreten. Sie wusste, dass sie besser stillhalten sollte, doch die Panik vor dem Feuer war stärker. Sie zog die Beine an und wälzte sich von der Hitze weg, um den Flammen zu entfliehen. Ihr Herz pochte dabei wie ein Hammerwerk in ihrer Brust.

Ich bekomme keine Luft mehr.

Florence hatte einen Moment lang das Bewusstsein verloren. Als sie wach wurde, war es dunkel. Nirgends Flammenschein. Jemand drückte sie fest an sich. Ernests schmale Arme, sein fiebriger, schneller Atem, der über ihre Haut strich. Er küsste sie auf die Schläfe. „Bei Gott, Florence“, sagte er sanft. „Was machst du nur.“

„Was ist … meine Beine?“, stotterte sie, vor Schreck noch ganz zittrig.

Er half ihr, sich aufzusetzen, und zog ihren versengten Rocksaum hoch. Beide tasteten sie in der Dunkelheit über Stoff und Haut. An den Knöcheln waren ihre Strümpfe verbrannt, und die Haut dort schmerzte.

„Du hast noch einmal Glück gehabt. Tut es weh?“

Florence berührte die Stellen. „Kaum. Was ist passiert?“

„Das Schiff muss beim Anlegen gegen die Mole gestoßen sein. Ich hätte die Lampe niemals abstellen dürfen. Es ist meine Schuld, dass sie heruntergefallen ist.“ Er drückte Florence noch fester an sich. So nahe waren sie einander noch nie gekommen. In diesem Moment tat es gut, sich an ihn lehnen zu können.

„Versprich mir, dass du nie, nie wieder so leichtsinnig bist“, sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich will meine Frau nicht verlieren.“

„Versprochen. Ich wollte doch nur das Feuer löschen, die Ausrüstung …“

„Du bist wichtiger als die Ausrüstung, hörst du?“

Florence nickte. Sie hatte nicht nachgedacht. Eigentlich wusste sie, dass ihre Kleidung denkbar ungeeignet war, um damit einen Brand zu löschen. Jedes Jahr starben in England Hunderte Frauen, weil ihre weiten Röcke am Herd Feuer fingen. Noch viel mehr überlebten mit schrecklichen Wunden. Ihre eigene Großtante war an den Beinen von Narben gezeichnet. Florence hatte sie ein einziges Mal im Kindesalter gesehen und niemals wieder vergessen können.

„Hilf mir hoch, bitte.“ Der Schreck wollte nicht so schnell aus ihren Gliedern weichen.

Als sie aufrecht stand, waren ihre Beine noch immer ziemlich wacklig. Sie hielt sich an Ernests Arm fest und sah sich um. Es war dunkel, sehr dunkel, da sie nun keine Lampe mehr hatten. Nur von Weitem drang ein schwacher Lichtschein herüber.

In der Luft hing der Geruch von Petroleum und verbranntem Leinen.

Das Schiff lag ruhig, sie mussten wirklich angelegt haben. Keine Wellen mehr, kein Schaukeln. Wenn Florence still war, konnte sie die Rufe der Matrosen hören, das Geräusch von Seilen, das Ächzen von Holz, wenn das Schiff an die Mole stieß.

„Wir sind da“, sagte sie leise und strich ihren angesengten Rock glatt. Ihre Hände waren schweißfeucht. Ruß klebte an den Innenflächen.

„Komm, gib mir deine Hand, ich bin diesen Weg schon einige Male gegangen. Ich werde ihn hoffentlich auch im Dunkeln finden.“

Ernest ging voraus und leitete sie vorsichtig durch das Labyrinth aus Kisten und Fässern. Seine Hand in ihrer, wie seltsam sich das anfühlte. An seiner Reaktion bemerkte sie, dass ihm offenbar doch mehr an ihr lag. Auf der Reise hatte sie daran zu zweifeln begonnen.

In den Gängen warf ferner Lampenschein lange Schatten, die durch die schwachen Bewegungen des Schiffes zum Leben zu erwachen schienen. Als Kind hätte sie sich hier gefürchtet, und auch jetzt verspürte sie noch ein nervöses Kribbeln. Florence‘ Beine fühlten sich bleiern an, und ihr Atem ging, als dränge ihr Brustkorb gegen Gewichte.

Mit jedem Schritt wurde es heller. Schließlich blieben sie neben einer Lampe stehen, und Florence sah an sich herab. Der cremefarbene Rock war dahin und taugte allenfalls noch für Flickarbeiten.

„Ich habe wirklich Glück gehabt. Du hast mir vielleicht sogar das Leben gerettet, Ernest.“

Er nahm ihre Hände und sah ihr fest in die Augen. „Aber du hast die Ausrüstung vor den Flammen bewahrt, indem du die Lampe zur Seite getreten hast. Ich muss dir danken.“

Florence nickte und zog ihre Hände aus seinen. „Gehen wir hoch, vielleicht schaffe ich es noch, mir etwas anderes anzuziehen.“

Auf den Gängen herrschte das reinste Chaos. Jeder schien es nach der schier endlosen Zeit auf See eilig zu haben, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Als sie endlich ihre Kabine erreichten, war das Gepäck bereits abgeholt worden.

Gut, dass meine Mutter nicht sieht, wie ich von Bord gehe, dachte Florence. Nach einem letzten Blick in ihr winziges Übergangsquartier reihten sie sich in den Strom der Passagiere ein, die das Schiff verließen.

„Glaubst du, die Martens schicken jemanden, der uns abholt? Wissen sie, wann wir kommen?“

„Auf den Tag genau sicher nicht, aber die Reederei gibt ihnen vermutlich Bescheid. Spätestens, wenn unser Gepäck geliefert wird, werden sie es merken. Sonst nehmen wir eine Mietdroschke, keine Sorge.“

„Ich sorge mich nicht.“

Sie schoben sich im Gedränge über die Flure. Florence fühlte sich von dem Brandgeruch, der bei jeder Bewegung aus ihrer Kleidung stieg, regelrecht verfolgt.

Schließlich befanden sie sich in einer Menschentraube, in der es weder vor noch zurück ging. Sie hatten den unteren Absatz einer breiten Treppe erreicht, in deren Vorraum mehrere Flure mündeten. Noch mehr Menschen. Ellenbogen stießen gegen Ellenbogen, Leiber gegen Leiber. Die wenigsten davon, so schien es, waren gewaschen.

Hier mischten sich Reisende aller Klassen. Erst jetzt wurde Florence wirklich bewusst, mit wie vielen Menschen sie das Schiff geteilt hatten.

Das Stimmengewirr war ohrenbetäubend.

Viele Leute trugen ihr gesamtes Hab und Gut mit sich. Seesäcke und Koffer trugen zur Enge noch zusätzlich bei. Ein Mann riss sein Gepäck hoch, um es über andere hinwegzuheben, und hätte Florence beinahe am Kopf getroffen.

Ernest versuchte, so gut es ging, sie mit den Armen und seinem Körper vor Stößen zu bewahren. Sie war ihm sehr dankbar für seine Bemühungen, dennoch konnte er nicht verhindern, dass sie am Abend mindestens ein halbes Dutzend blauer Flecke haben würde.

Als Florence meinte, es keinen Moment länger auszuhalten, konnte sie endlich ein Stückchen blauen Himmel erkennen, der gleich einem Versprechen über den Köpfen der Menschen in der Türöffnung auftauchte.

Eine Brise trug Gerüche vom Land herein, die mit jedem Schritt intensiver wurden. Florence reckte den Kopf, wollte diesen fremden Kontinent vom ersten Moment an mit allen Sinnen kennenlernen.

Für immer wollte sie die erste Begegnung in ihrer Erinnerung festhalten. Doch wie schade, bis auf die salzige See und den fischigen Tanggeruch, der vermutlich aus dem Hafen stammte, wusste sie fast keinen der Düfte zu benennen.

Ernest wurde von einem drängelnden Passagier gegen sie gedrückt, und sein Gesicht war ihrem ganz nah.

„Was ist das für ein Duft?“, fragte sie ihn schnell.

„Eukalyptus, das ist der Geruch dieses Kontinents. Du wirst ihn in den nächsten Jahren nicht mehr aus der Nase bekommen und ihn den Rest deines Lebens nicht vergessen.“

„Danke“, sagte sie ehrfürchtig. „Euka-lyp-tus“, das war ein Name, der nach Zauber klang, wie ein märchenhafter Hexentrank.

Endlich. Endlich an Deck.

Hier wehte der Wind kräftiger und strich durch die Seile des Takelwerks wie durch Harfensaiten. Florence hörte diese ewige Melodie des Schiffes kaum noch, da sie ihre Reise für Wochen und Wochen begleitet hatte.

Dort unten lag der Hafen und dahinter die Stadt Perth, die Florence bislang nur aus Erzählungen und von einem einzigen Druck her kannte. Zahlreiche Schiffe, Jollen und Fischerboote teilten sich die Wasserfläche zwischen den hölzernen Stegen. Und über allem kreisten Möwen.

Lagerhäuser reihten sich am Ufer. Hölzerne Bretterbuden und überdachte Bereiche, in denen sich Fässer und weiße Ballen türmten, die wie Schafswolle aussahen.

Das neu eingetroffene Schiff aus Übersee wurde bereits erwartet. Der Fahrweg, der an der Kaimauer entlangführte, war von Kutschen, Reitern und Ochsengespannen verstopft, die auf Ladung hofften oder Passagiere erwarteten.

Tagelöhner standen rauchend und schwatzend beisammen. Ausgerüstet mit Rückentragen und Handkarren, hofften sie, einen kleinen Job zu ergattern, indem sie den Reisenden das Gepäck transportierten.

Für unsere Ausrüstung wird ein Karren nicht ausreichen, überlegte Florence und stellte sich immer wieder aufgeregt auf die Zehenspitzen.

Weiter hinten, außerhalb des regen Hafengeschehens, konnte sie prächtige Bürgerhäuser ausmachen. Viele hatten geweißte Steinfassaden, die das Sonnenlicht reflektierten und von Säulen geziert wurden. Nur auf die Hitze war sie nicht gefasst gewesen. Natürlich wusste sie aus Ernests Erzählungen, dass das Landesinnere einem Glutofen glich, in dem kaum ein Mensch lange überlebte, aber um diese Tageszeit – es war noch früher Morgen - hätte sie das nicht erwartet. Soeben begannen in einer nahen Kirche die Glocken zum Morgengebet zu läuten.

Florence stand im Schatten, dennoch meinte sie zu spüren, wie sich auf ihrem gesamten Körper Schweiß bildete.

Zum Glück war ihr Fächer nicht weit. Mit einer Drehung des Handgelenks schlug sie ihn auf und wedelte sich frische Luft ins Gesicht.

Als Ernest bemerkte, was sie tat, schenkte er ihr einen langen, nachdenklichen Blick.

„Was hast du denn?“

Er schüttelte kurz den Kopf. „Nichts.“

Florence ahnte, was er dachte. Ihm waren kurz Zweifel gekommen, ob sie die Richtige für diese Reise war. Wenn sie schon das Klima einer südlichen Küstenstadt nicht ertrug, wie sollte es dann weiter im Norden oder im Landesinneren werden?

Florence schob den Fächer zusammen und steckte ihn wieder ein. Sie hatte einen Entschluss gefasst. Vom ersten Tag an sollte sich ihr Körper an die Strapazen gewöhnen. Ernest würde schon sehen, dass seine Zweifel unberechtigt waren.

Ihre Anreise verlief zu ihrem Erstaunen ohne Zwischenfälle. Sie mussten nicht lange warten, bis sie einen Kutscher gefunden hatten, der sie und ihr kleines Reisegepäck zu ihren Gastgebern fuhr und sich später auch noch ihrer Forschungsausrüstung annehmen würde.

Der Landauer war etwas in die Jahre gekommen, der Lack der Kutsche an manchen Stellen von Staub verkrustet. Das vorgespannte Pferd hingegen schien jung und gepflegt und begierig darauf, seine Arbeit zu tun.

Florence nahm auf einem abgewetzten Ledersitz Platz und genoss es, in Ruhe hinauszusehen. Der Fahrtwind trug Hitze und Staub zu ihnen hinein, aber das kümmerte sie nicht.

Die Stadt Perth war fremd und doch auf gewisse Weise vertraut. Die vielen britischen Siedler hatten ihr ein heimisches Aussehen verliehen. Die Schilder der Geschäfte waren in englischer Sprache beschriftet, die Mode der Bürger war wie daheim, auch wenn sie einige Jahre hinterherhinkte. Viele der einfacheren Frauen trugen helle Blusen aus dünnem Leinen und offenbar keine Unterröcke. Florence sehnte sich danach, auch ihre eigene Garderobe dem Klima anzupassen.

Als sie in die Außenbezirke kamen, wurden die Straßen schlechter. Die Kutsche rumpelte durch Schlaglöcher. Wenigstens kam der Wind nun von der Seite und trieb den rötlichen Staub davon, der Florence schon jetzt zwischen den Zähnen knirschte.

Da, die ersten Eingeborenen!

Doch was waren das für jämmerliche Gestalten, die dort vor einer Bretterbude hockten. Klein waren sie und dürr, die Gesichter zusammengeknautscht wie altes Leder. Einer lamentierte laut vor sich hin, während ein anderer eine Schnapsflasche im Arm hielt und auf den Fersen hockend vor- und zurückwippte.

Florence sah sich fragend nach Ernest um, doch der schaute gar nicht hinaus, sondern war über seine Notizen gebeugt und addierte Zahlenkolonnen.

Sie überlegte, ihn anzustoßen, doch da bogen sie schon in eine andere Straße ein und kamen an einem hübschen weißen Gebäude mit einer Kapelle vorbei. Im Zentrum des Innenhofs erhob sich ein riesiger Baum, der Stamm so dick, dass es selbst für mehrere Männer schwierig sein dürfte, ihn zu umspannen. Die Rinde schälte sich in Streifen ab, die zum Teil mehrere Meter lang waren. Der Duft ließ keinen Zweifel zu: Was sie vor sich hatte, war Eukalyptus.

Im Hof führten zwei Nonnen Aufsicht über eine ganze Schar kleiner, dunkelhäutiger Mädchen, die für Kinder ihres Alters beim Spielen ungewöhnlich still waren.

Florence fragte sich kurz, wo die Schweigsamkeit der Kinder wohl herrührte. Dann erinnerte sie sich wieder an die trinkenden Lumpengestalten, an denen sie Minuten zuvor vorbeigefahren waren. Wenn sie solche Menschen zu Eltern hatten, wunderte es sie nicht.

Sicherlich hatten die kleinen Mädchen schon einiges durchgemacht, bevor sie von den barmherzigen Schwestern aufgenommen worden waren.

Ich sollte dort anfangen, überlegte Florence. Sicherlich können mir die guten Nonnen einiges über die Wilden erzählen.

Schließlich lagen auch die ärmlichen Vororte mit ihren Holzhäusern und Schuppen hinter ihnen. Hier begann sie also, die Wildnis. In der flirrenden Hitze des voranschreitenden Vormittags wirkten das Gelb der sonnenverbrannten Gräser und das Rot der Erde wie vergossene und ineinandergelaufene Farbe. Weit und breit war kein Lebewesen zu entdecken, doch Florence konnte sich an dem Anblick nicht sattsehen.

Das Pferd wurde langsam müde und lief nun Schritt. Es mühte sich über immer sandiger werdende Wege, die in lang gestreckten Windungen bergauf und bergab führten. Durch die weich geformten Täler zogen sich ausgetrocknete Flussbetten entlang, an deren Ufern höheres Buschwerk und Bäume wuchsen. Das Grün ihrer Blätter sah in der verdorrten Landschaft unwirklich aus.

Nun musste sie einfach fragen.

„Ernest? Es stimmt doch, dass wir zur heißesten Jahreszeit angekommen sind?“

„Hmm?“, brummte er, sah von seinen Notizen auf und rieb sich die Augen. „Ja, das stimmt, es ist zwar noch sehr heiß, aber von jetzt an wird es nach und nach kühler. Ah, hier sind wir. Als ich zuletzt durch diese Gegend gereist bin, waren die Weiden grün und es blühten viele Blumen. In den Tälern war es sumpfig, und manche der Flüsse waren so stark angeschwollen, dass sie kaum zu passieren waren.“

„Kaum vorzustellen.“

„Dieses Land kennt nur Extreme. Wir sind im Übrigen fast schon da. Dies gehört alles schon zur Rinderfarm der Martens.“

Als hätte sie nur auf ihr Stichwort gewartet, verließ in diesem Moment eine große Herde den Schatten eines Wäldchens. Florence hatte magere Tiere erwartet, doch die Kühe und Kälber strotzten nur so vor Kraft. Unter dem glänzend braunen oder schwarzen Fell war keine einzige Rippe zu sehen.

Zwei Reiter, die die Herde zuvor getrieben hatten, bemerkten die Kutsche und galoppierten ihr entgegen.

„Das Empfangskomitee“, meinte Ernest zuversichtlich und verstaute seine Notizbücher.

Es waren raubeinige Männer, die dort angeprescht kamen.

Ihre breiten Hüte waren von Staub und Schweiß verfärbt und beschatteten hagere, bärtige Gesichter. Obwohl die beiden offensichtlich Europäer waren, hatten sie die braune Haut von Mischlingen. Männer wie sie schützten sich nicht vor der glühenden Sonne Australiens.

Ernest sprang in der Kutsche auf und winkte ihnen zu. „Brady, Pete!“

Die Reiter rissen an den Zügeln und brachten ihre Tiere zu einem plötzlichen Halt. Der Rappe des einen riss das Maul auf und rollte mit den Augen.

„Unser Wissenschaftler“, rief der linke Rinderhirte überrascht, „und er hat eine Lady dabei.“

„Und wir dachten schon, wir wären Sie für immer los“, feixte der andere.

Florence hatte größte Mühe, die Reiter zu verstehen. Sie sprachen zwar Englisch, doch es klang, als würden sie jedes einzelne Wort im Mund verdrehen und zerdrücken, bevor sie es aussprachen. Diesen Akzent kannte sie bereits von Magnus Fredriksson, doch ihn hatte sie verstehen können.

An den Schweden zu denken, gab ihr einen Stich ins Herz.

Es war nicht einmal Zeit geblieben, sich von ihm zu verabschieden. Und nun würde sie ihn nie wiedersehen, nie wieder die kostbaren Worte hören, die er ihr zugeflüstert hatte.

Vielleicht war es besser so. Solange sie seine Adresse nicht kannte, würde sie nicht den Fehler begehen, ihm zu schreiben und um ein Treffen zu bitten.

„Florence, Florence, so hör doch.“ Ernest holte sie mit einer plötzlichen Berührung aus ihren Gedanken.

„Was ist denn?“

„Die Martens wussten nichts von unserem Kommen. Offenbar ist mein Schreiben verloren gegangen.“

„Oh nein.“ Florence schluckte. Sie hatten so sehr auf die Hilfsbereitschaft der Familie gesetzt. Davon hing so viel ab.

„Nichts ist arrangiert. Wir stehen bei null.“

„Das wird schon werden, Mrs“, meinte einer der Rinderhirten tröstend, doch Florence konnte nur daran denken, wie viel Zeit sie verlieren würden, wenn sie jetzt erst Führer und Packtiere suchen mussten.

Südsternjahre - Die Australien-Saga Gesamtausgabe

Подняться наверх