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KAPITEL 6

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Nach dem ersten Schrecken konnte sich Florence jedoch ganz gut auf den herzlichen Empfang einlassen, den die Familie ihnen bereitete.

Die Farm bestand aus mehreren ineinander verschachtelten Gebäuden, die allesamt aus Findlingen sowie wenigen roten Ziegeln errichtet worden waren. Die steingedeckten Dächer wurden von drei riesigen Karribäumen beschattet, deren mächtige Stämme sich unten fast berührten. Angeblich waren die Bäume schon lange dagewesen, bevor die Familie Marten zwei Generationen zuvor beschlossen hatte, unter ihren Zweigen eine Farm zu errichten. Nun sorgten die dunkelgrünen Blätter für ein angenehmes Klima. Nach der Fahrt durch das aufgeheizte Land bekam Florence im Inneren des Hauses sogar eine leichte Gänsehaut.

Die Hausherrin wies Ernest und ihr ein Gästezimmer zu. Endlich konnte sich Florence frischmachen und ihr angesengtes Kleid ausziehen. In feierlicher Stimmung streifte sie nun zum ersten Mal eines ihrer Expeditionskleider aus schlichtem, reißfestem Leinen über. Bis auf eine dünne dunkelgrüne Samtborte an Rocksaum und Ärmeln war es cremefarben. Die Unterröcke ließ sie auf Anraten der Hausherrin gleich im Koffer.

Die Frau des Hauses war eine laute, aber herzensgute Person. Meistens lachte sie, und wenn sie es mal nicht tat, trieb sie ihre beiden Töchter und die Küchenhilfe gut gelaunt zur Eile an. Für die Gäste sollte alles perfekt sein.

Jeder schien darauf erpicht, ihnen das bestmögliche Willkommen zu bereiten.

Ernest war mit dem Hausherrn, einem beleibten Mittfünfziger, dessen Hände aussahen, als könne er damit Eisen biegen, in den Salon gegangen.

Florence war hin- und hergerissen. Daheim in Cambridge wäre sie nun zu den Frauen geeilt und hätte ihnen geholfen.

Das schien auch Mrs Marten von ihr zu erwarten, entweder das oder sich von den Strapazen der Reise auszuruhen.

Florence verließ das Gästezimmer, das im Seitentrakt des Anwesens lag, und zog die Tür leise hinter sich zu. Durch zwei Fenster im Flur drang gleißende Helligkeit. Draußen zogen Rinder wie dunkle Schemen vorbei.

An den Wänden hingen Gemälde von besonders wohlgeratenen Tieren. Auf einer Plakette darunter waren Namen und Jahreszahl vermerkt. Florence lief langsam den Flur hinab und strich mit der rechten Hand über eine hübsche Kirschbaumvitrine. Die Martens hatten es sich wirklich schön eingerichtet, und das mitten im Nirgendwo.

Plötzlich ließ lautes Gelächter sie aufhorchen. Ernest und Mr Marten unterhielten sich angeregt im Salon. Und auf einmal hegte sie keinen Zweifel mehr, wo sie in diesem Augenblick hingehörte.

Ich bin zwar Ernests Frau, aber vor allem bin ich Wissenschaftlerin und genau deshalb hergekommen, sagte sie sich energisch. Ihr schlechtes Gewissen den anderen Frauen gegenüber rückte vollends in den Hintergrund, als sie die Tür zum Salon aufstieß.

Ihre Schultern gespannt, das Kinn ein wenig vorgereckt, betrat sie das Reich der Männer.

Ernest und Mr Marten saßen, zwischen sich ein Tischchen mit gefüllten Gläsern, jeder in einem Ohrensessel und rauchten. Sie hatten lebhaft diskutiert, bis Florence hereingekommen war. Soeben war es um Packtiere gegangen, die Marten versprach, binnen kürzester Zeit besorgen zu können.

Nun schwiegen die Männer und sahen zu ihr hin. Ernest zog die Brauen zusammen, bis sich auf seiner Stirn eine hohe Falte bildete, Marten sog schmatzend an seiner Pfeife.

Das Schweigen der Männer war regelrecht greifbar. Florence meinte es wie eine unsichtbare Hand spüren zu können, die sie aus dem Raum hinausdrängen wollte.

Doch so leicht würde sie sich nicht vertreiben lassen. Auch wenn sich ihre Kehle wie zugeschnürt anfühlte, räusperte sie sich. „Ihr plant sicherlich unsere Expedition, und da wäre ich gerne anwesend.“

Ernest erhob sich und ging ihr entgegen.

Würde er sie jetzt rausschicken? War sein Versprechen nur auf Sand gebaut? Während der Überfahrt hatte sie an ihm zu zweifeln begonnen. Florence versuchte in seiner Miene zu lesen, doch sein Gesicht lag im Schatten.

„Dann komm“, sagte er und bot ihr seinen Arm. Sie hörte an seiner Stimme, dass er lächelte.

Als sie sich gesetzt hatte, musste sich Florence kritisch von Mr Marten mustern lassen. Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß, zuckte dann mit den Schultern und schlug seine erloschene Pfeife aus.

„Sie wollen also an der Seite Ihres Mannes bleiben, Mrs? Mit der Kutsche kommen Sie aber nicht viel weiter als bis nach Kookaburra Fields, und das ist nur eine halbe Tagesreise in diese Richtung.“ Er wies über seine rechte Schulter. „Wenn Sie möchten, sind Sie hier herzlich willkommen. Meine Töchter würden sich freuen, von einer echten Lady lernen zu können.“

„Ich bin weniger Lady, als Sie glauben, Mister“, erwiderte sie schnell und rang sich ein Lächeln ab.

„Können Sie reiten?“

„Nicht besonders gut. Ich habe vor unserer Abreise einige Unterrichtsstunden genommen, aber es blieb nicht viel Zeit.“

Ernest räusperte sich. „Meine Frau ist Völkerkundlerin, Robert. Ich habe sie in Cambridge kennengelernt, ihre Abhandlungen hatte ich aber bereits gelesen, bevor wir uns zum ersten Mal begegneten.“

Robert Marten riss die Augen auf. „Ist das wahr? Lassen sie jetzt etwa auch Weiber studieren? Lasst das bloß nicht meine Frau hören, sonst schickt sie unser schlaues Gretchen noch nach Übersee.“

Florence lachte, auch wenn ihr bei seinen Worten eigentlich nicht danach zumute war. „Sie können also Pferde und Packtiere für uns besorgen? Wir brauchen so einige. Mein Mann hat Ihnen sicherlich schon gesagt, dass wir viel Ausrüstung mitführen.“

„Ja, hat er. Länger als eine Woche wird es nicht dauern. Ich gehe davon aus, dass ich zumindest einen Teil der Pferde nach der Expedition zurückbekomme?“

Ernest nickte. „Wir werden gut mit ihnen umgehen. Aber Sie wissen selbst, welche Gefahren im Outback auf Mensch und Tier lauern.“

„Sicher, wir verlieren jedes Jahr mehrere Stück Vieh wegen Schlangenbissen.“

„Wie sieht es mit einem Führer aus? Jemand, der die Sprache der Eingeborenen spricht?“, wollte Florence wissen.

„Jeder Stamm hier hat einen eigenen Dialekt, außerdem ziehen sie ständig umher. Aber ich denke, auf der Nachbarfarm bei den van Asters gibt es einen Mischling, der Ihnen nützlich sein könnte. Er weiß sich auch halbwegs zu benehmen, säuft nicht und hält Abmachungen ein.“

***

Es war ganz und gar still. Kein Lüftchen regte sich, kein Vogel sang, nicht einmal das Zirpen von Heuschrecken war zu hören.

Jarli war allein mit dem Pochen seines Herzens und dem rasselnden Geräusch, das bei jedem Atemzug zu hören war und ihm Schmerzen brachte. Er wimmerte leise und rief nach seiner Mutter, obwohl er wusste, dass sie nicht kommen würde, denn sie war tot. Vielleicht sah ihr Geist, dass Jarli litt.

Auch Großvater Warragul kam nicht, an dessen Seite er die Traumpfade entlanggewandert war, um zu lernen, was jeder junge Mann wissen musste. Wo man Wasser fand, wie man am besten die großen Kängurus jagte und wo auch in der Trockenzeit noch saftige Wurzeln wuchsen. Großvater war nie von seiner Seite gewichen.

Jarli öffnete mühsam die Augen, deren Ränder krustig und verklebt waren, als hätte er nicht zum ersten Mal geweint. Es herrschte Zwielicht. Aber es war weder das Halblicht des Morgens noch das des Abends. Dies war anders.

Am ehesten glich es einer Höhle oder einer Laubhütte.

Er rieb sich die Augen, berührte die Wand neben sich. Sie fühlte sich an wie ausgetrocknete, lehmige Erde. Hart wie Stein, und doch konnte er mit den Nägeln Furchen hineinziehen.

Vielleicht hatten ihn Geister unter die Erde entführt, und jetzt würde er ihnen dienen müssen. Jarli begann zu zittern. Aus Angst und weil der Schmerz in seiner Brust kaum auszuhalten war.

Er betastete seinen Körper. Dort war Gewebe, Stoff. Weicher als der, den seine Tanten aus Pflanzenfasern herstellten. Es war um ihn gewickelt, schnürte ihn ein.

Verzweifelt begann Jarli daran zu reißen. Jemand hatte ihm einen Zauber auf den Leib gebunden. Womöglich saßen darin Käfer und Ameisen, die gerade ein Loch in seine Brust bissen, um sein Herz zu stehlen. Ja, so musste es sein.

Er riss und zerrte, riss und zerrte. Es tat weh, aber er machte trotzdem weiter. Obwohl er kaum die Arme heben konnte, da er so schwach war. Auf seiner Haut bildeten sich kalte Schweißperlen, zahlreich wie Morgentau, und jede Bewegung war anstrengender als die vorige.

Schließlich hatte er es geschafft, und er warf den Stoff von sich. Mit zittrigen Händen fuhr er über die schmerzende Stelle. Dort war es feucht. Er tat etwas davon auf seine Lippen und wusste schon von dem Geruch, dass es Blut war. Es drang aus einem Loch in seiner Haut. Es war zu spät, die Hexenkäfer hatten sich schon hineingefressen.

Jarli schluchzte.

Dann erinnerte er sich. Die blassen Männer hatten es getan. Sie hatten ihre Feuerstöcke auf ihn gerichtet und in ihrer fremden Sprache geschrien. Dann knallte es, und er fiel getroffen nach hinten. Fiel und fiel, tief in die Erde. Und nun war er hier.

Großvater Warragul war es nicht.

Jarli rollte sich auf die Seite und richtete sich mühsam auf. Er musste fort von hier, Großvater suchen. Wahrscheinlich würden die blassen Männer bald wiederkommen und noch ein Loch in ihn zaubern, und das würde er dann nicht mehr überleben.

Jarli kratzte etwas Lehmstaub vom Boden, spuckte darauf und schmierte die zähe Masse auf seine Verletzung. Das würde ein wenig helfen und verhindern, dass er Blutspuren hinterließ. Doch um fliehen zu können, musste er erst einmal aus dieser seltsamen Behausung hinaus.

Wackelig kam er auf die Beine.

Der Boden schien zu schwanken. Erschrocken stützte er sich an der Wand ab, bis es nach und nach besser wurde. Im Zwielicht, das durch einen Schlitz hereinfiel, tastete er sich langsam voran. Immer fester wurde sein Schritt.

Die Lehmwände endeten. Holz, eine glatte Holzfläche. Er ließ die Hände darüber gleiten. Von hier kam auch das Licht. Durch einen Schlitz konnte er hinaussehen. Draußen ging gerade die Sonne auf. Ganz zur Rechten entdeckte er eine der Behausungen, in der die Fremden lebten. Überall gab es kleinere und größere Erdhaufen.

Großvater hatte recht gehabt, sie führten sich auf wie verrückt gewordene Beutelratten, die ohne Sinn und Verstand Löcher gruben. Und das an einem heiligen Ort wie diesem, durch den die Wesen der Tjukurpa geschritten waren. Jarli lief es eisig den Rücken hinab. Die Wesen der Traumzeit würden zornig sein.

Das Holz vor ihm, so war ihm schnell klar, versperrte eine Art Öffnung. Vorsichtig tastete und rüttelte er daran. Es war nur an einem Punkt festgemacht. Ja, nun bewegte es sich.

Entschlossen warf sich Jarli mit der Schulter dagegen, und das Holz gab nach. Der heftige Zusammenstoß ließ ihn vor Schmerz in die Knie gehen, aber er rappelte sich sofort wieder auf und stolperte ins Freie.

Hunde begannen zu bellen. Diese Leute hatten Hunde? Oh nein!

Jarli rannte sofort los. Er orientierte sich an der aufgehenden Sonne und korrigierte die Richtung. Wenn er es zu den Eiern der Schildkröte schaffte, dann wüsste er den Weg. Zahlreiche Pfade liefen dort zusammen, er musste nur den richtigen auswählen und wäre bald wieder bei seiner Sippe. Er zweifelte nicht daran, dass Großvater dort auf ihn wartete und sie ihre gemeinsame Reise fortsetzen würden.

Jarli lief leichtfüßig dahin. Seine Schritte hinterließen fast keine Spuren im sandigen Grund. Vor ihm war ein Wombat gemächlich seines Weges gezogen. Eine Eidechse war über die kleine Freifläche zwischen zwei Sträuchern von links nach rechts geflitzt, und ein Skorpion hockte noch immer dort, blassgelb und träge von der Nachtkühle.

Er sprang über das giftige Tier hinweg und litt mit jedem zurückgelegten Stück mehr unter dem pochenden Schmerz in seiner Brust. Frisches Blut quoll hervor und spülte den Lehm davon. Jarli bückte sich, hob eine Hand voller feinem Sand auf und drückte ihn auf die nässende Stelle.

Die Hexerei der blassen Fremden hatte ihn sehr geschwächt. Früher war er einen halben Tag gelaufen und nicht müde geworden.

Nun fühlten sich seine Beine an, als wären sie doppelt so schwer, und taub noch dazu. Immer wieder blieb er an Sträuchern hängen, die ihre knorrigen Äste über den Pfad streckten.

Dann wurde es endlich felsiger.

Die Eier der Schildkröte waren nun nicht mehr weit. Er konnte schon die Asche des niedergebrannten Feuers riechen, das er und Großvater gelegt hatten. Wie der Alte geweissagt hatte, war der Grund feucht vom Regen. Er hatte also wirklich gewusst, dass es regnen würde, obwohl keine einzige Wolke am Himmel zu sehen gewesen war.

Jarli blieb stehen und sah zurück. Die Morgendämmerung goss gelbes Licht über das Land. Hinter den Behausungen und den Erdhaufen der Fremden wuchsen lange bläuliche Schatten. Bis auf zwei Hunde war dort kein Leben. Die Tiere bellten nicht mehr, sondern schnüffelten zwischen Grasflecken und Steinen. Ihre hoch erhobenen Ruten verrieten, dass sie jagten, doch nicht nach ihm.

Keuchend holte er tief Luft und setzte seinen Weg langsamer fort, zu mehr fehlte ihm einfach die Kraft. Vor ihm ragten nun die ersten Felsen auf. Aus der Nähe sahen sie Eiern nicht mehr ganz so ähnlich. Wie Schuppen platzten Schichten von morschem Gestein herunter.

Jarli zwängte sich durch einen engen Spalt, der sich zwischen zwei großen Felsbrocken aufgetan hatte, und hinterließ dabei auf dem vorderen eine lange Blutspur. Auch das noch. Er fluchte und lehnte sich mit dem Rücken gegen den nachtkühlen Stein. Jetzt brauchte er auch nicht mehr versuchen, keine Spuren zu hinterlassen.

Einen Moment lag schloss er die Augen. Noch nie war er ganz auf sich allein gestellt gewesen. Er hätte nicht geglaubt, dass es so schwer sein würde.

Allein.

Ein Kookaburra schrie, und es klang wie ein Lachen. Der Vogel lachte ihn aus. Nur recht so. Verspotte den Jungen, der sich vor der Welt fürchtet, dachte Jarli.

Energisch zwang er sich, die Augen wieder zu öffnen. Er drückte sich vom Fels ab und wäre beinahe gefallen. Seine Füße waren gegen etwas Weiches gestoßen. Jarli sank auf die Knie und streckte seine zitternde Hand aus, um das zerschlagene Gesicht zu berühren. Der weiße Bart war blutverklebt. Insekten krochen im aufgerissenen Mund umher.

„Warragul, Großvater“, flüsterte Jarli.

Der Alte würde ihm nie mehr antworten. Die Fremden hatten ihn erschlagen und einfach hier liegen lassen. Er musste schon seit Tagen tot sein. Warraguls Bauch war aufgedunsen, und an seinen Beinen hatten Dingos gefressen.

Über Jarlis Wangen rollten Tränen.

„Warragul, Großvater. Was soll ich jetzt nur tun?“

***

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