Читать книгу Die Braut sieht rot - Rebecca Michéle - Страница 4
EINS
ОглавлениеCornwall, Juni 2001
Das Erste, was sie sah, war ein großes Bukett dunkelroter Baccararosen.
»Wie wunderschön!« Sie rutschte vom Barhocker und ging dem attraktiven Mann mit dem Rosenstrauß entgegen.
»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, mein Schatz!«
Mit dem freien Arm umarmte er sie. Zärtlich küssten sie sich. Dann blickte er sich um und winkte einem der Ober.
»Sind Sie bitte so freundlich und bringen uns eine Vase?«
»Selbstverständlich, und Ihr Tisch ist jetzt auch bereit.« Der Kellner geleitete sie zu einem Zweiertisch im Erker mit bodentiefen Fenstern, dann eilte er dienstbeflissen davon, um die Vase zu holen.
Gentlemanlike rückte er ihr den Stuhl zurecht und wartete, bis sie Platz genommen hatte, bevor auch er sich setzte.
»Du verwöhnst mich«, sagte sie, einen feuchten Schimmer in den Augen. »Die Rosen waren bestimmt sehr teuer, dann das Abendessen in einem der besten Restaurants in Cornwall …«
»Es ist dein Geburtstag«, entgegnete er schlicht, nahm ihre Hand und drückte sie sanft. »Es tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen. Zwischen Carland Cross und Chiverton Cross ist ein LKW liegengeblieben. Der Verkehr staute sich auf mehrere Meilen.«
»Wie immer.« Sie seufzte. »Es wird Zeit, dass dieses Nadelöhr der A 30 endlich ausgebaut wird.«
»Habe ich dir schon gesagt, wie wunderschön du aussiehst?« Er zwinkerte ihr zu. »Das Kleid steht dir ausgezeichnet.«
»Ach, das ist alt.« Sie errötete wie ein Teenager, dabei war heute ihr einunddreißigster Geburtstag. Komplimente hörte jede Frau gern.
Der Ober brachte die Speisekarten und fragte nach den Getränkewünschen.
»Bringen Sie uns bitte eine Flasche Champagner«, sagte der Mann. »Den besten, den Sie haben.«
Sie runzelte die Stirn. »Wir müssen beide Auto fahren …«
»Der Abend ist noch jung«, wiegelte er ab.
Aus der kleinen, exquisiten Speisekarte wählten sie ein Fünf-Gänge-Menü für zwei Personen: Shrimps-Cocktail an Salatgarnitur, Hummersuppe, pochierten Lachs an Weinschaumcreme mit jungen Kartoffeln, Nougat-Schokoladen-Trifle, zum Abschluss gesalzene Biskuits, kornischen Käse und Kaffee.
Sie aßen langsam, genossen jeden Bissen. Durch das Fenster warf die Dämmerung ein sanftes, rosafarbenes Licht auf ihre Gesichter. Das Restaurant lag auf einer Anhöhe über St Ives, der Blick aus dem Fenster schweifte über die weite Bucht bis zu den langen Sandstränden von Hayle. Die letzten Sonnenstrahlen blitzten auf den kleinen Wellen, die sanft auf den weißen Sandstrand des Porthmeor Beach trafen. Der Tag war warm und sonnig gewesen, immer noch tummelten sich zahlreiche Surfer in den Wellen.
»Ich bekomme keinen Bissen mehr hinunter«, sagte sie, als nach dem letzten Gang der Kaffee serviert wurde. »So köstlich habe ich noch nie gegessen.« Sie sah ihn liebevoll an. »Ich danke dir für diesen wundervollen Abend.«
Aus der Innentasche seines perlgrauen Jacketts nahm er eine kleine Schachtel aus dunkelblauem Samt und schob sie über das blütenweiße Tischtuch ihr zu. »Ich habe noch ein Geschenk für dich.«
»Noch eines?« Sie schüttelte den Kopf. »Die wundervollen Rosen, das exzellente Essen und die Zeit mit dir heute Abend – das sind mehr als genug Geschenke. Es ist der schönste Geburtstag, den ich je gefeiert habe.«
»Mach es auf, bitte!«
Zögernd nahm sie das Schächtelchen. Der Deckel sprang auf. Auf blauem Samt schimmerte ein Entouragering. Weißgold mit einem ovalen Smaragd, gefasst in glitzernde Brillanten.
»Oh!« Ihre Augen weiteten sich. »Das kann ich doch nicht annehmen.«
Er griff nach ihrer Hand, sah sie ernst an und fragte: »Möchtest du meine Frau werden?« Sie schluckte, unfähig, etwas zu sagen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hatte nicht geglaubt, dass er diese Frage jemals stellen würde. »Ich weiß, die letzten Monate waren nicht einfach für dich«, fuhr er fort. »Es tut mir leid, dass ich dich so lange im Unklaren gelassen habe. Nun aber habe ich meine Entscheidung getroffen.«
»Bist du dir sicher?« Zweifelnd sah sie ihn an. Sie mochte zwar Romantik, war aber Realistin genug, sich nicht in Wunschträume zu verlieren, mochten sie noch so wundervoll sein. »Ich meine, hast du …?«
Er nickte. »Es ist alles geklärt, es ist nur eine Frage der Zeit. In ein paar Monaten, spätestens in einem Jahr werden wir heiraten können.« Zärtlich nahm er ihre Hand und steckte das Schmuckstück an ihren rechten Ringfinger. »Betrachte dich ab sofort als verlobt.«
Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und wünschte sich, diesen Moment einfangen und für immer festhalten zu können.
Um halb elf Uhr verließen sie Arm in Arm das Restaurant. Im Westen zeigte sich immer noch ein Streifen Helligkeit. Im Juni waren die Nächte in Cornwall kurz. Er hatte seinen Wagen direkt neben ihrem geparkt. Als sie die Autoschlüssel aus der Handtasche holte, hielt er sie am Handgelenk fest.
»Wenn du möchtest, bleibe ich die ganze Nacht bei dir.«
»Wirklich?«
»Das Versteckspiel ist zu Ende«, antwortete er fest. »Lass uns deinen Wagen nehmen. Ich habe nur ein Glas Champagner getrunken und danach gut gegessen.«
»Wir könnten ein Taxi rufen.«
»Glaub mir, wenn ich nicht sicher wäre, würde ich das Risiko nicht eingehen. Besonders mit so einer kostbaren Fracht an meiner Seite.« Zärtlich küsste er sie auf die Stirn.
Sie kicherte und fühlte sich beschwipst. Nicht allein vom Champagner, sie war trunken vor Glück.
»Was ist mit deinem Wagen?«
»Den hole ich morgen. Entweder nehme ich mir ein Taxi, oder du fährst mich nach St Ives.«
»Ich fahre dich überall hin«, erwiderte sie. »Wenn es sein muss, auch ans Ende der Welt. Hauptsache, ich kann bei dir sein.«
Sie wohnte in dem Dorf Sennen, etwa zwanzig Meilen südwestlich von St Ives und in der Nähe von Land’s End, dem südwestlichsten Punkt der britischen Insel. Er nahm die längere, landschaftlich schönere Strecke über die B 3306. Die Straße war gewunden und schmal, an manchen Stellen nur für einen PKW befahrbar. Um diese späte Uhrzeit indes kamen ihnen nur wenige Autos entgegen, Linienbusse fuhren keine mehr.
Auf der Höhe des Dorfes Zennor deutete sie auf den gedrungenen, normannischen Kirchturm, der von zwei Scheinwerfern in ein sanftes Licht getaucht war.
»Können wir hier heiraten?«
»Warum ausgerechnet in Zennor?«
»Als Kind haben mich meine Eltern mal in die Kirche mitgenommen«, erklärte sie, »mir von der Legende der Meerjungfrau von Zennor erzählt und die Schnitzerei an der Kirchenbank gezeigt. Das hat mich fasziniert. Es ist zwar eine Sage mit einem tragischen Ausgang, zugleich aber auch die Geschichte einer immerwährenden Liebe.«
»Wie die unsere, nur dass diese gut enden wird. Wenn du es möchtest, heiraten wir in dieser Kirche.«
»Danke.«
Sie lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. Schemenhaft schälten sich die Überreste der Kamine der einstigen Bergwerke aus der Dunkelheit. Sie fuhren durch Morvah, Pendeen, vorbei an der Gevor Tin Mine, einer touristischen Sehenswürdigkeit der Gegend, durch Botallack mit seinen uralten, geduckten Cottages aus braunem Stein. Hier schien die Zeit stehengeblieben zu sein. In zweihundert Jahren hatte sich in diesem Dorf kaum etwas verändert. Anders in St Just, der größten Stadt der Gegend. Hier saßen Teenager rund um das steinerne Marktkreuz, vor dem örtlichen Pub, dem King’s Arms, waren alle Tische besetzt. Die milde Abendluft zog die Menschen nach draußen.
Als der Lichtkegel der Scheinwerfer auf die ersten Häuser von Sennen fiel, sagte sie: »Es ist ein so schöner Abend, und ich bin noch nicht müde. Sollen wir uns eine Zeitlang an den Strand von Sennen Cove setzen?«
Er lachte unbeschwert. »Dasselbe wollte ich auch gerade vorschlagen.«
Er setzte den Blinker und bog nach rechts ab. Die schmale Cove Road, gesäumt mit hohen, begrünten Trockensteinmauern, schlängelte sich zur Küste hinunter. Sie öffnete das Fenster der Beifahrerseite, kuschelte sich in den Sitz, schloss die Augen und sog die würzige Seeluft ein. Er nahm die erste Linkskurve.
»Zum Teufel aber auch …«
Sie schreckte hoch. »Was ist los?«
»Die Bremsen …« Er keuchte. »Verdammt!« Jetzt ging es steil nach unten, der Wagen nahm immer mehr Fahrt auf.
»Langsam!«, schrie sie. »Mach doch langsam!«
»Die Bremse reagiert nicht.«
Hektisch trat sein Fuß immer wieder auf das Pedal. Der Wagen wurde immer schneller. Er riss das Lenkrad nach rechts, um die nächste Kurve zu nehmen. Das Geäst der Hecken kratzte an der Karosserie, mit einem scheppernden Geräusch streifte das Heck die Mauer.
»Halt dich fest!«
Sie klammerte sich an den Sitz. Alles geschah so blitzschnell, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Das Meer lag jetzt unmittelbar vor ihnen. Nur noch getrennt durch den Gehweg und ein halbhohes Geländer aus Metall. Er versuchte, nach links zu lenken. Der Wagen war zu schnell, das Heck brach aus, schleuderte über den Gehweg und durchbrach das Geländer. Wie ein Pfeil schoss das Auto ins Wasser.
Sie umklammerte den Ring an ihrer Hand und wusste, dass die Stunden ihres Glücks unwiderruflich vorbei waren.