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Weniger ist mehr

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Vielleicht kennen Sie die Situation: Die Frau gegenüber in der U-Bahn hätte doch besser weniger Parfum aufgetragen. Oder denken Sie an das letzte Meeting zurück: Haben Sie sich auch gedacht, man hätte sich eine halbe Stunde sparen können, wäre man nicht abgeschweift und hätte die Besprechungspunkte besser auf den Punkt gebracht? Es ging Ihnen dabei vielleicht nicht nur um den Zeitfaktor, sondern auch darum, wie man mit weniger Worten einen Sachverhalt besser erklären sowie zielgerichteter und schneller auf den Punkt hätte bringen können.

In allen gestalterischen Situationen geht es schlicht darum: Weniger ist mehr. Es geht darum, Akzente zu setzen und mit weniger Elementen mehr zu bewirken. Ähnliches besagt in Werbung oder Produktdesign das K.I.S.S.-Prinzip: »Keep it simple, stupid«: Alles für den Nutzer so einfach wie möglich zu halten, verständlich zu machen. Nur wenn eine Werbung einfach funktioniert, man nicht über tausend Ecken denken muss, erreicht sie ihren Zweck. Genauso ist es bei einem Produkt: Niemand will Bedienungsanleitungen lesen, um z. B. ein Smartphone benutzen zu können.

Das K.I.S.S.-Prinzip kommt ursprünglich aus dem Projektmanagement und wird oft als »Keep it simple, stupid« ausgeschrieben. Es gibt aber auch die Varianten »Keep it super simple« und »Keep it simple and short«.

Der WeißraumWeniger ist also mehr, und einen großen Teil dazu beitragen kann in der Gestaltung der Weißraum. Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie wollen einkaufen gehen und stehen in einem Supermarkt, der alles anbietet, und das auf kleinstem Raum. Sie sind sofort überfordert und wissen nicht, wo Sie zuerst hinschauen sollen und wo es die besten Angebote gibt. Dabei möchten wir doch viel länger in einem Supermarkt verweilen, wenn er groß und luftig ist, wenn man das Gefühl hat, atmen zu können und man sich wohlfühlt. Genau das ist das Ziel einer guten Anzeige, aber auch einer Website oder einer App: Der Blick des Betrachters soll länger auf der Gestaltung verweilen, er soll sich mit ihr beschäftigen und wird durch sie beeinflusst.

Der typografische Weißraum ist z. B. die unbedruckte Fläche auf einer Seite. Er wird in der Gestaltung auch »Freiraum« oder »Leerraum« genannt.

Das ist das Verdienst des Weißraums und der Reduktion der Elemente in einer Gestaltung. Der Schweizer Typograf Jan Tschichold sagte dazu:

»Die Lungen eines guten Designs, das ist der Weißraum.«

Jan Tschichold, Typograf, Schriftgestalter, Lehrer, Fachbuchautor

Der Weißraum lässt die Gestaltung atmen, erweckt sie überhaupt erst zum Leben und lässt sie so wirken. Er ist ein wichtiger Bestandteil einer guten Gestaltung und bezieht sich sowohl auf die freie Fläche – beispielsweise in einer Anzeige – als auch auf die Abstände zwischen den Elementen wie Buchstaben oder Zeilen in einem Absatz. Mit weniger Elementen kann in einer Gestaltung Klarheit geschaffen werden, gibt es eine bessere Blickführung. Und auch ein Text, der mit einem höheren Zeilenabstand gesetzt ist, ist besser lesbar.



Abb. 1–16 Die Screenshots dieser zwei Beispiel-Webseiten veranschaulichen, was ansprechender wirkt: Die zu überladene Webseite links im Vergleich zur reduzierten und gut gestalteten rechts.

Die beiden oben gezeigten Webseiten bieten jeweils eine ähnliche Dienstleistung an. Zu welchem der beiden Anbieter würden Sie gehen?

Weißraum wirkt oft auch qualitativ hochwertiger. Präsentiert man Gegenstände mit ausreichend Weißraum, dann wirken diese oft sehr »edel«. Das muss nicht gleich heißen, dass der Hintergrund auch wirklich »weiß« ist, aber die Elemente auf der Seite sollten Luft zum Atmen haben. Auf diese Weise setzt man Akzente. Gute Beispiele finden Sie in der Bewerbung teurer Produkten wie Schmuck oder auch Elektronik. Apple etwa schafft es immer, seine Produkte hochwertig und edel wirken zu lassen, weil man dort ganz genau auf diesen freien Raum achtet.


Abb. 1–17 Die Anzeigen-Doppelseite von Apple für die Apple Watch: reduziert, elegant, zeitlos.

Das zieht sich durch alle Apple-Werbemittel hindurch: angefangen beim TV-Spot, über die reduziert gestalteten Anzeigen bis hin zum Verpackungsdesign. Und auch die Apple Stores bieten Luft zum Atmen, viel Freiraum und machen so Lust, zu verweilen. Das kann mitunter teuer werden, ist für Apple also erfolgversprechend.

Die ReduktionDie Werbung und damit Identifikation einer Firma beginnt aber schon mit der »einfachsten« und reduziertesten Gestaltung: mit dem Logo. Und auch hier gibt es viele Beispiele, bei denen mit weniger mehr bewirkt wird.

Jeder angehende Gestalter lernt, dass oft das Einfachste am schwierigsten zu gestalten ist. Das kennen wir alle: Es ist einfacher, etwas mit vielen Worten zu umschreiben, anstatt sich mit so wenigen Worten wie nötig möglichst einfach und genau auszudrücken. Voraussetzung dafür ist ein großes Verständnis für das, was man ausdrücken möchte. Nur wenn man etwas wirklich versteht, kann man es auf ein Minimum herunterbrechen.

Es gibt einige gute Beispiele für reduzierte, minimalistische Logos.

Kurt Weidemann, Typograf und Gestalter, hat es so umschrieben:

»Ein Logo ist dann gut, wenn man es mit dem großen Zeh in den Sand kratzen kann.«

Kurt Weidemann, Typograf und Gestalter

Eines der bekanntesten sehr reduzierten Logos ist wohl das von Nike, das auf Englisch Swoosh genannt wird. Es gibt unterschiedliche Entstehungsgeschichten zu diesem so einfachen Logo. Das ist in unserem Fall aber nicht von Bedeutung. Wichtig ist, dass es ein Logo ist, das auf allen Werbeartikeln funktioniert und mittlerweile so bekannt ist, dass diese einfache Form sofort mit diesem großen Unternehmen in Verbindung gebracht wird.


Abb. 1–18 Der Swoosh von Nike ist vom Flügel der gleichnamigen Siegesgöttin Nike abgeleitet.

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