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Bekanntschaft mit Gisela, Gerlinde und Ingeborg
ОглавлениеWährend Hilde sich eine neue Windelhose in ihrem Zimmer angelegt hat, verpasst sie die Ankunft von Ingeborg und Gerlinde. Das ärgert sie. Sie vergisst alles um sich herum und lässt die gebrauchte Windelhose mitten im Raum liegen.
Hilde rast durch den Flur, um an den Tisch zu kommen. Es ist Mittagszeit und sie hofft, wenn sie jetzt schnell an den Tisch geht, so nichts mehr zu verpassen.
Mit der Dame in Grau würde sie vorsichtig umgehen müssen, sind Hildes Überlegungen. Sie löffelt ihre Suppe, ohne auch nur einen Blick von der Tür zu lassen. „Bald müssen die Neuen kommen.“ Hilde ist in innerer Aufruhr. Sie hatte bei einem kurzen Blick zurück, als die Neue aus dem Auto stieg und sich an den Kofferraum wagte, sofort erkannt, hier sei Vorsicht geboten. Die ist nicht von Pappe.
Hilde sitzt etwas bedrückt am Tisch. Die Neugier hat sie gepackt. Obwohl sie, nach der Suppe, auf ihr Mittagessen wartet und ihr Magen nach etwas Essbarem knurrt, rührt sie nichts mehr an. Als ihr der Teller mit dem Mittag- Essen gereicht wird, lässt sie die Speisen unberührt vor sich stehen.
Wie gebannt sieht sie auf eine Frau in einem gemusterten Kittel, die direkt mit Schwester Birgit auf ihren Tisch zukommt.
Was ihr auffällt, dass diese Neue unsicher ist.
Unter dem Kittel trägt sie einen Pullover, von dem nur die halben Ärmel zu sehen sind.
Hilde ärgert sich, dass sie auch diese Neue bei der Ankunft verpasst hat. Ein kurzer Gruß kommt von ihr, als sie sich zu ihr setzt. „Ich bin Gerlinde.“ Die nette Schwester zeigt ihr den Platz und lässt sie mit Hilde allein.
Hilde sieht sie an. Wie die wohl ist …? Scheint etwas verwirrt zu sein. Ihr fragender Blick geht in die Richtung der Schwester, die ihr die Suppe bringt. „Was ist los mit ihr?“, flüstert sie der Schwester ins Ohr. Aber die zuckt nur mit den Schultern und ist schon wieder auf dem Weg zur Küche.
Schwester Birgit, die Gerlinde an den Tisch gebracht hat, weiß scheinbar auch nicht, was mit der neuen Bewohnerin los ist. Gerlinde sagt nicht viel. Hilde beobachtet sie genau. Sie ist sich unsicher. Spreche ich sie an, oder lass ich sie erst mal in Ruhe?
Beim letzten Happen, den sich Gerlinde in den Mund steckt, fragt Hilde: „Welches Zimmer haben Sie?“
„Ich weiß es noch nicht“, antwortet Gerlinde. Sie scheint Hunger zu haben. Zu schnell hat sie den vollen Teller mit Nudeln und Gulasch gelehrt, hat doch alles aufgegessen und dann so hastig. Hilde gibt ihr ein Zeichen. Sie zeigt auf den Mund von Gerlinde, die aber begreift nicht, was Hilde ihr damit zu verstehen geben will.
„Gerlinde“, Hilde spricht sie jetzt direkt an, „Sie haben da etwas am Mund.“ Kleckse – die bis in die Haare gelandet sind. Die Soße vom Gulasch hat sich bis zum Kragen vom Kittel verteilt. Gerlinde reagiert, sagt aber nichts. Sie wischt sich mit ihrem Handrücken den Mund sauber.
Hilde wartet noch ein paar Minuten. Doch ihre Neugier ist groß, sie macht einen neuen Versuch Gerlinde in ein Gespräch zu verwickeln.
„Haben Sie schon ihre Möbel mitgebracht?“
„Ja, einige wenige, habe nur meinen Sessel und ein paar Bilder von früher mitgenommen.“ Gerlinde spricht leise, viel zu leise für Hilde.
Wie die nuschelt, kaum zu verstehen. „Ich habe alles da gelassen, ist zu groß für mein neues Zuhause, hat mein Sohn gesagt.“ Der Blick von Gerlinde sagt alles, sie ist traurig.
„Ja, ja, es dauert eine lange Zeit bis man hier angekommen ist.“ Hilde bemerkt, wie schwer es ihr fällt, darüber zu reden. Eigentlich will Hilde sie etwas aus ihrer Lethargie holen, ihr etwas Nettes sagen, will sie trösten, doch sie hat genau das Gegenteil erreicht.
Gerlinde in sich gesunken, sieht wie ein Häufchen Elend aus. Traurig blickt sie reaktionslos zu Hilde rüber. Hilde fragt nach Gerlindes Sohn.
„Der ist schon gegangen“, sagt die Schwester, die ihr helfen will aufzustehen.
„Kommen Sie, Gerlinde, ich bringe sie zu Ihrem Zimmer.“
Gerlinde sieht Hilde nur an und nickt ihr freundlich zu, reagiert aber nicht weiter. Hilde ist sehr aufgeregt, nur die roten Flecken in ihrem Gesicht verraten es. Lässt sich aber sonst nichts anmerken.
Vielleicht können wir ja Freunde werden, hofft Hilde insgeheim.
Sie sitzen sich gegenüber und sagen kein Wort mehr. Hilde versucht, weiter Blickkontakt aufzunehmen, es gelingt ihr nicht. Gerlinde schaut ins Leere.
Was hat sie nur für traurige Augen – und die Hände, was hat sie nur für Risse und Narben an den Händen? Sie betrachtet die Neue und bemerkt, wie sie immer fahriger wird.
Hilde ist außer sich, über das, was sie an Gerlindes Händen entdeckt.
Gerlinde bemerkt nicht, dass die Schwester noch immer auf sie wartet. Und so stupst sie den Neuankömmling leicht am Arm. Jetzt reagiert sie. Mit beiden Händen stützt sie sich an der Tischkante ab. Steht schwerfällig auf und lässt sich von Schwester Birgit helfen.
Während sie mit der Schwester am Arm zur Tür hinausgeht, entschließt sich Hilde, die vor Mitleid Tränen in den Augen hat, Gerlinde unterstützend zur Seite zu stehen.