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c) Schutzgut: Güter, die durch Normen des Straf-, Ordnungswidrigkeiten- oder Verwaltungsrechts geschützt sind
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Prinzipiell stellt jeder (drohende) Verstoß gegen Normen der Rechtsordnung eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar. Folgende Einschränkungen sind aber geboten: Sofern Rechtsgüter ausschließlich durch Normen des Privatrechts geschützt sind, ist die Polizei nur subsidiär unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 zuständig. Außerdem ist es nicht Sache der Polizei, bei jeder Verletzung einer Norm des öffentlichen Rechts einzuschreiten. Polizeirechtlich relevant sind lediglich Verstöße gegen die normativen Ge- oder Verbote des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts und des Verwaltungsrechts (VGH BW, NVwZ 1994, 1233, 1234).
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Schutz der Strafgesetze und Ordnungswidrigkeitentatbestände bedeutet vorbeugende Verhütung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (nicht zu verwechseln mit der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“, s. u. RN 46).
Beispiele: Untersagung der Nutzung von Räumen, in denen ein bordellartiger Betrieb unter Verstoß gegen § 180 a Abs. 1 Nr. 2 StGB oder gegen § 184 a StGB bzw. § 120 OWiG unterhalten wird (VGH BW, NVwZ-RR 1990, 413; VGH Kassel, NVwZ-RR 1993, 302, 303).
Beschlagnahme eines Transparentes, durch das eine ausländische diplomatische Vertretung beleidigt (§ 103 StGB) wird (BVerwGE 64, 55). Dagegen erfüllt das bloße Mitführen oder Hissen der Reichskriegsflagge weder den Straftatbestand des § 86 a StGB noch den des § 130 StGB. Ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit ist also nicht gegeben (OVG Münster, NJW 1994, 2909). Zum möglichen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung s. u. RN 39. Verbot der Hundehaltung wegen ständigen Bellens als Verstoß gegen § 117 OWiG (BVerwG, NVwZ 1993, 268).
Zur Frage, ob das Läuten von Kuhglocken den objektiven Tatbestand des § 117 OWiG erfüllt, vgl. VGH BW 1996, 232. Zur Strafbarkeit des Bettelns s. u. RN 37.
Die Kontaktaufnahme von Freiern zu Prostituierten im Sperrbezirk ist als solche kein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit, denn der Freier ist nach h. L. weder Beteiligter (§ 14 OWiG) noch Teilnehmer (§ 25 StGB) an der verbotenen Ausübung der Prostitution (§ 120 OWiG, § 184 d StGB), sondern strafloser „notwendiger Gehilfe“ (vgl. aber auch RN 35). Sprechen allerdings Freier auch unbeteiligte Frauen und Mädchen – in der irrigen Annahme, es handele sich um Prostituierte – auf die Erbringung von sexuellen Leistungen an, so erfüllen sie den Straftatbestand der Beleidigung (§ 185 StGB) und beeinträchtigen zudem die geschützte Ehre der Frauen – Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. VGH BW, VBlBW 2001, 142, 144).
Untersagung der unerlaubten Ausübung der Heilkunde als Abwehr weiterer drohender Verstöße gegen die strafbewehrte Vorschrift des § 5 Heilpraktikergesetz (VGH BW VBlBW 2007, 24, 25).
Wird beim Umgang mit Leichen gegen Vorschriften des Bestattungsgesetzes (z. B. §§ 25 ff.) verstoßen, so kann zum Schutz der öffentlichen Sicherheit eingeschritten werden (VGH BW, VBlBW 2006, 186, 187 f.).
Verbot der Veranstaltung eines „Hütchenspiels“ zur Verhütung der Begehung einer Straftat nach §§ 284, 263 StGB (VG Frankfurt, NVwZ 2003, 1407; 2008, 109); Verbot von Pokerveranstaltungen (VGH Kassel, NVwZ-RR 2009, 62; VG Hamburg, NVwZ-RR 2009, 63).
Die Beschlagnahme von Werkzeug, das gewerbsmäßig dazu benutzt wird, um Kilometerzähler in Kfz. zurückzustellen, dient dazu, eine zukünftige Beihilfe zu betrügerischen Handlungen zu verhindern (OVG Hamburg, DÖV 2004, 928).
Zum „wilden Plakatieren“ und Anbringen von Graffiti s. u. RN 39b.
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Ein Tätigwerden in Baden-Württemberg aufgrund des Polizeigesetzes kann auch zur vorbeugenden Verhütung von Straftaten im Ausland zulässig sein, z. B. wenn eine Straftat nach § 6 StGB droht, unabhängig davon, ob die Person Deutscher oder Ausländer ist oder eine Straftat eines Deutschen nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu erwarten ist, denn in beiden Fällen gilt hinsichtlich der im Ausland bevorstehenden Taten deutsches Strafrecht (vgl. OVG Koblenz, NVwZ 2002, 1528; KG, NVwZ 2002, 1537, 1539).
Beispiel: Eine Polizeibehörde erlässt eine Meldeauflage nach §§ 3, 1 Abs. 1 gegenüber einem Hooligan, der beabsichtigt, nach Frankreich zu reisen, um dort anlässlich eines Fußballspiels Gewalttaten (z. B. §§ 233 ff. StGB) zu begehen (vgl. BVerwG, NVwZ 2007, 1439). Zu Passbeschränkungen vgl. OVG Bremen, DÖV 2009, 86.
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Ein polizeiliches Einschreiten setzt lediglich die Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Norm aus dem Strafrecht oder Ordnungswidrigkeitenrecht voraus, nicht aber den subjektiven Tatbestand, ein Verschulden, evtl. erforderliche objektive Strafbarkeitsbedingungen (z. B. diplomatische Beziehungen in § 104 a StGB) und auch nicht das Vorliegen von Strafverfolgungsvoraussetzungen (z. B. Strafantrag, §§ 123, 185 ff. StGB).
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Die Tätigkeit zur vorbeugenden Verhütung von Straftaten darf nicht mit der Strafverfolgung aufgrund der Strafprozessordnung verwechselt werden. Erstere dient dazu, die Begehung von Straftaten zu verhindern, Letztere, eine begangene Straftat zu verfolgen und zu ahnden (Näheres s. u. RN 53 ff.). Polizeiliches Handeln dient – hinsichtlich einer Maßnahme – entweder dem einen oder dem anderen Zweck, nicht aber zugleich beiden gemeinsam. Dementsprechend sind die Rechtsgrundlagen entweder dem Polizeigesetz oder dem Strafverfahrensrecht zu entnehmen. Aber selbst dann, wenn bereits eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen wurde, bleibt evtl. noch Raum zur vorbeugenden Verhütung, etwa wenn es gilt, die weitere Begehung eines Dauerdeliktes zu verhindern oder dafür zu sorgen, dass ein strafbarer Versuch nicht vollendet wird.
Beispiel: Wird in einem Sperrgebiet der Prostitution nachgegangen, liegt zumindest eine vollendete Ordnungswidrigkeit nach § 120 Abs. 1 Nr. 1 OWiG vor. Dennoch kann die Polizei zusätzlich aufgrund des Polizeigesetzes zur vorbeugenden Verhütung einschreiten, nämlich zur Verhütung der weiteren Begehung dieser Dauerordnungswidrigkeit.
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Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit liegt auch dann vor, wenn die Verletzung von Ge- oder Verbotsnormen des Verwaltungsrechts droht. In aller Regel scheidet jedoch ein Einschreiten aufgrund des Polizeigesetzes aus, weil verwaltungsrechtliche Gesetze zumeist eigene spezielle Ermächtigungsgrundlagen enthalten (z. B. § 65 Abs. 1 LBO, § 15 Abs. 2 GewO, § 16 Abs. 1 IfSG). Nur wenn solche fehlen, bleibt Raum für die Anwendung der polizeilichen Generalklausel (konkretisierende Verfügung und dazu s. u. § 3, RN 4).