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5. Das Schutzgut „öffentliche Ordnung“ a) Erläuterung des Begriffs

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Unter „öffentliche Ordnung“ versteht man die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben betrachtet wird. Diese Umschreibung enthält eine Fülle unbestimmter Rechtsbegriffe, die ihrerseits der Auslegung bedürfen. Hierbei ist zu beachten, dass der Begriff „öffentliche Ordnung“ auch in anderen Rechtsgebieten verwendet wird (z. B. Überschrift vor § 123 StGB, § 118 OWiG, Art. 36 AEUV), dort aber durchaus einen anderen Inhalt haben kann.

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Nur ein Verhalten in der Öffentlichkeit oder ein solches, das in die Öffentlichkeit ausstrahlt, ist beachtenswert. Vorkommnisse in der Privatsphäre gehen die Polizei also nichts an.

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Das Verhalten muss außerrechtliche Normen (ungeschriebene Regeln, Sozialnormen, gesellschaftliche Wertungen) berühren. Dieses ist das wesentliche Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Begriff „öffentliche Sicherheit“, weil dort nur Verstöße gegen die Rechtsordnung erfasst sind. Das reduziert den Anwendungsbereich des Begriffs „öffentliche Ordnung“ auf nahezu Null, da heutzutage fast alle Lebensbereiche rechtlich erfasst sind. Außerdem kann ein Verhalten, das sich als rechtmäßige (Grund-)Rechtsausübung darstellt, niemals ein Verstoß gegen außerrechtliche Normen sein.

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Außerrechtliche Normen müssen allgemein anerkannt sein, d. h. von einer klaren, deutlichen Mehrheit getragen werden. Ob eine solche vorliegt, kann regelmäßig nur aufgrund von – subjektiv gefärbten – „Erfahrungswerten“ beurteilt werden. Ob der Begriff „öffentliche Ordnung“ damit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot entspricht, muss bezweifelt werden. Erschwert wird die Feststellung einer Mehrheit noch dadurch, dass auf die jeweils geltenden außerrechtlichen Normen abzustellen ist, d. h. diese können sich im Laufe der Zeit ändern und auch – in gewissen Grenzen – lokal unterschiedlich sein. Diese zeitliche und eingeschränkte lokale Variabilität außerrechtlicher Normen ist ein weiterer Grund für den zunehmenden Bedeutungsrückgang dieses Tatbestandsmerkmals.

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Die Einhaltung der außerrechtlichen Norm muss eine unerlässliche Voraussetzung für ein gedeihliches Zusammenleben sein. Das bloße Anderssein oder das Leben außerhalb gewohnter Bahnen reichen also nicht aus, denn auch solche Verhaltensweisen sind durch die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG gedeckt. Erforderlich ist ein sozial abträgliches Verhalten, welches das menschliche Miteinander nicht unerheblich beeinträchtigt und Gegenmaßnahmen geradezu zwingend macht. Dass auch diese Umschreibung im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot nicht völlig befriedigt, liegt auf der Hand.

Polizeigesetz  für Baden-Württemberg

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