Читать книгу Werd ich noch jung sein, wenn ich älter bin - Reiner Schöne - Страница 13

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Miles Davis und die Eintagsfliegen

Die Aula der Schule war gerammelt voll; das lag nicht an uns, das lag am Datum. Rosenmontag. Die Goethestadt Weimar war nicht gerade berühmt dafür, eine Karnevalshochburg zu sein, aber die Faschingsfeste der Hochschule für Architektur, der Nachfolgeinstitution des legendären Bauhauses, diese Fêten waren berühmt und berüchtigt zwischen Ostsee und Thüringer Wald.

Also war’s nicht verwunderlich, dass an diesem Rosenmontag auch die Schiller-Oberschule aus den Nähten platzte. Ich war in der neunten Klasse, fast vier Jahre noch bis zum Abi und hatte ein paar Rock’n’Roll-begeisterte Klassenkameraden überredet, eine Band zu gründen. »Gründen«? Wir wollten nur an diesem einen Abend spielen, an eine Musikerkarriere dachte niemand, ergo hatten wir den passenden Namen gefunden, »Die Eintagsfliegen«.

Ich hatte mir ein paar Texte aus den Fingern gesaugt, die an Kühnheit und Frechheit damals Ihresgleichen suchten. Kabarettistisch, politisch; auch die Lehrer kriegten ihr Fett weg. Welcher Lehrer mit welcher Lehrerin ins Bett stieg, und lauter so schöne Sachen eben. Als Melodien hatten wir uns gängige Popsongs rausgesucht; noch heute denke ich, wenn ich (was selten genug vorkommt) Harry Belafontes »Bananaboat Song« höre an den folgenreichen Auftritt weiland. Es war in der Tat der Start meines späteren Musikerlebens.

Der Kasus Knacktus war allerdings, keiner von uns konnte ein Instrument spielen. Damit wir wenigstens irgendwelche Akkorde, irgendwelche Harmonien unter den Gesängen hatten, nahmen wir einen Kumpel aus der Zehnten in die Band. Der konnte eine Gitarre richtig halten und drei oder vier Akkorde greifen. Und mein Freund Bob spielte zwar die Mondscheinsonate auf dem Klavier, aber was hätte uns das helfen können!? Also setzte sich Bob ans Schlagzeug, und das ging einigermaßen. Das Wort Groove konnten wir damals noch nicht mal buchstabieren.

Ich hatte irgendwann mal gehört, dass man ein Waschbrett zum Musikmachen verwenden könnte. Von Skiffle Music hatten wir noch nicht gehört; dass man sich ein paar Fingerhüte aufstecken und damit rhythmisch auf den Rillen kratzen musste – das war uns fremd. Wir hatten schlichtweg keine Ahnung – aber wir waren innovativ und kreativ und heiß. Wir nagelten zwei Waschbretter auf Besenstiele und kloppten mit der flachen Hand drauf.

Ein Novize am Schlagzeug, ein Gitarrero, der den Ton angab und zwei Waschbrettklopfer, das war meine erste Band. Das waren »Die Eintagsfliegen«.

Wir wurden angekündigt, kamen auf die Bühne und starteten mit einem furiosen Werk der jungen Rockgeschichte. »Rock Around The Clock« von Bill Haley and the Comets. Das war die Hymne der Rock’n’Roll-Generation. Noch heute krieg ich dieselbe Gänsehaut wie damals, wenn der Mann mit der Schmalzlocke die ersten Töne intoniert: »One two three o’clock, four o’clock rock…« Und Englisch konnte auch keiner, man sang irgendwelche Laute, die so ähnlich klangen, wie bei Bill Haley, das genügte.

Aber der Clou waren unsre zwei Saxophone. Aus Pappe. Rote Karnevalströten, in die wir mit voller Power reinröhrten. Das war rohe Energie, das war ehrlich, das war Punk. Prä-Punk.

»Rock Around The Clock« war also der erste Song unseres ersten Auftritts. Was dann kam, war unerwartet. Ein ohrenbetäubener Lärm brach aus. Johlen, Pfeifen, Trampeln, mir fiel das Gesicht runter. Neu im Showbusiness wie ich war, dachte ich, Scheiße, die pfeifen uns aus. Es dauerte ein paar lange Sekunden, bis wir alle begriffen, wir hatten die Aula in unsrer Hand. Sie feierten uns!


Mein Bruder Wolfgang brachte mir die ersten Griffe auf der Gitarre bei.

Dann kamen die Songs mit den gemeinen Texten, es war ein Volksfest; schöner kann man sich seinen ersten Gig nicht wünschen. Die Folgen an den nächsten Tagen allerdings waren lächerlich: die Lehrer reagierten sauer, besonders der Direktor; ich kriegte im Zwischenzeugnis eine Vier in Betragen; sowas Albernes wie »Betragen« gabs tatsächlich weiland in der Braunkohlezeit. Aber wir wurden dann auch wochenlang gefragt, wann wir unseren nächsten Auftritt hätten. Wir hatten plötzlich Fans. Also nix da mit »Eintags«-Fliegen.

Der nächste Gig kam, mein Bruder war im Publikum, und ich kriegte einen brüderlich-kreativen Anschiss. »Du siehst sowas von beschissen aus auf der Bühne,« sagte er, »so linkisch am Mikrofon. Mal steckst du die Hände in die Taschen, dann versteckst du sie hinter’m Rücken.« Inzwischen hatte ich das Stehwaschbrett stehen lassen wo’s hingehörte; weit weg von der Bühne, ich war nur noch Sänger. »Du brauchst ‘ne Gitarre, damit du was in der Hand hast; wir kaufen jetzt eine Gitarre.«

Wir legten unsere paar Mark zusammen und kauften im Musikhaus Kendel eine Schlaggitarre, schwarz-rot. Ein heißes Teil. Mein Bruder spielte allerlei Instrumente, auch Gitarre, aber er war die meiste Zeit weit weg von zu Hause. Wer sollte mir das denn jetzt beibringen?

Im »Thüringer Hof« nebenan spielte dreimal in der Woche eine Coverband. Was anderes gabs damals eh nicht. Eine Tanzmugge. Wenn ich abends vor’m Einschlafen dem Gitarristen lauschte, war ich immer ganz begeistert, also engagierte ich ihn als Privatlehrer. Er kam, packte drei Kilo Noten aus und wollte anfangen, wie sich’s gehörte.

»Warte mal,« sagte ich, »wir haben am Rosenmontag den nächsten Auftritt, dann muss ich spielen können.«

»Aha,« sagte der Meister, »das ist in weniger als einem halben Jahr, dann packen wir eben die Noten wieder ein, und ich bringe dir bei, wie du Akkorde schrubben kannst.« Kein Mensch kann in einem halben Jahr irgendein Instrument richtig lernen. Ich brach mir die Finger ab, kriegte wunde Fingerspitzen, übte Barrégriffe, ich hatte Schmerzen in allen Muskeln meiner Hände, selbst die Schultern taten weh vom verkrampften Sitzen; ich übte täglich und blieb dann mit meinen Minimalkenntnissen jahrelang stehen. Bis irgendwann der Knoten riss und ich mir im Laufe der Jahre selbst beibrachte, den Blues so zu spielen, wie ich’s heute kann.

Doch vorher hatte ich mir erst mal beigebracht, Banjo zu spielen. Die »Eintagsfliegen« waren gestorben und ich hatte mit meinem Bruder ein neues Orchester, die »Skiffle Tramps«. Diesmal mit einem richtigen Waschbrettspieler, einem Kistenbass, zwei Gitarren, und ich selber schrubbte das Banjo. Der erste große Gig im FDGB-Klubhaus »Wilhelm Pieck« vor einem wieder vor Begeisterung johlenden Publikum hatte Folgen. Wir wurden verboten. Zu westlich. Als ob wir in der Lage gewesen wären, die kulturellen Werte in Ulbrichts Reich zu versauen. Junge, Junge, war die Partei humorlos damals.

Ich musste allerdings sowieso eine Pause einlegen; ich hatte die ganze Faschingswoche über versucht, wie Louis Armstrong zu klingen, was mir meine Stimmbänder übel nahmen. Ich hustete Blut.


Die Anfänge der Oldtime Jazz Band Weimar.

Eines Tages in den frühen Sixties ging ich am Studentenclub in Weimar vorbei und hörte Klänge, die mich total elektrisierten. Inzwischen hatte ich meine Begeisterung für den englischen Revival-Jazz entdeckt; für Bands wie die von Chris Barber, Ken Colyer und für Mr. Acker Bilk’s Paramount Jazzband. Was da aus dem Klub kam, war aufregender Dixieland. Ich machte die Tür auf und sah den Architekten-Jazzern bei der Probe zu.

Eine Woche später war ich in der Band, und die »Old Time Jazzband Weimar« ward geboren. Ich war vom Jazzvirus infiziert, ich las alles, was man in der DDR kriegen konnte über Jazz; da gab’s eigentlich nix, das kam alles aus dem Westen. Irgendwie kam ich in einen privilegierten Kreis von Jazzfans, die aus dem Westen Platten geschickt kriegten. Ich hatte bald eine kleine Schatzkammer davon, nicht nur Dixieland, inzwischen war ich bei Charlie Parker angelangt, bei Dizzy Gillespie, bei John Coltrane und Miles Davis (Aha!). Da ich aber nicht spielen konnte wie die Cool- und Bopgrößen und schon gar nicht singen wie Ella Fitzgerald, musste ich meiner Begeisterung anderweitig ein Forum suchen; ich hielt Jazzvorträge. Mit meinen Westplatten. In dem einen oder anderen Klub der Intelligenz.

Das war auch so ein peinlicher Anachronismus in der klassenlosen Gesellschaftsordnung des Arbeiter- und Bauernstaates, in der ich aufwuchs. »Klub der Intelligenz«. Aber da liefen Filme, die der Normalbürger nicht zu sehen bekam; ich glaube, das waren so kleine Nischen, die vom allgemeinen Staatsspieß verschont wurden.

Ich wurde immer kühner und traute mir alles zu, musikalisch. Der Drummer einer Weimarer Tanzkapelle war krank, und die Jungs hatten eine Mugge. Ich wurde gefragt, ob ich aushelfen könnte. Ich hatte noch nie am Schlagzeug gesessen, hütete mich aber, das bekannt zu geben. Ich dachte, so schwer kann das doch nicht sein.

Es war ein bäuerlicher Schwof irgendwo bei Weimar auf einem Dorf. Die Besetzung der Combo war denkwürdig: Trompete, Akkordeon, Klavier und ich am Schlagzeug. Kein Bass, keine Gitarre, wie sollte so ein Line-up grooven, bitte!?

Ich fiel den Muggern schon mal unangenehm auf, weil ich bat, mir beim Aufbau des Schlagzeugs zu helfen. Ich fummelte mit den Becken, der Hi-Hat und dem anderen Drum Kit rum wie eben einer, der keine Ahnung hatte von der Materie. Dann wurde eingezählt, und ich stolperte durch die erste Nummer. Die Bauern kamen aus dem Takt auf dem Tanzboden, und ich kriegte böse Blicke. Von den Bauern und von der Kapelle; ich wollte in ein Mauseloch kriechen. Ich hatte doch immer gut zuhört, ich hatte meine Platten studiert, wusste, wie Art Blakey trommelte und Max Roach. Theoretisch.

Es wurde eine denkwürdige Blamage über vier Stunden, und ich wundere mich heute noch, dass die Thüringer Landbevölkerung mich nicht verdroschen hat; hatte ich ihnen ihren Tanzabend doch gründlich versaut.

Und dann saß ich eines Tages im »Westcoast Jazzclub« auf dem Hollywood Boulevard und sah Miles Davis live und in Farbe. Am Tisch vor mir saß Bill Cosby, der damals »Tennisschläger und Kanonen« drehte und der späteren Generationen als Dr. Huxley in der Bill Cosby Show ein Begriff wurde. The Master von ,Birth of the Cool’ kam auf die Bühne, die Band spielte das Thema, Miles spielte sein Solo und verschwand. Die anderen spielten ihre Soli, Miles kam zurück auf die Bühne, spielte mit der Band das Thema, aus, Applaus. Das ging den ganzen Abend so. Kein Wort aus dem Munde des Meisters. Jedesmal dasselbe Strickmuster. Er spielte wie ein Gott, meistens mit dem Rücken zum Publikum und schwieg. Wenn er überhaupt auf der Bühne war.


Julian Cannonball Adderley (m.) und Nat Adderley (r.) ritzen Autogramme ein.- Monterey Jazzfestival 1969 (Foto: Ina Berneis)

Drei Wochen später sah ich ihn wieder. Nach dem Gig beim Open Air Jazzfestival in Monterey/California sprach ich ihn an und bat ihn, ein Autogramm in meine Gitarre zu ritzen. Er nahm die Gabel (!), die ich ihm gab, ritzte sein »Miles Davis« ein und flüsterte irgendwas.

»I’m sorry?« Ich hatte kein Wort verstanden. Er hatte eine derart heisere Stimme, man hätte eh nichts verstehen können.

Sein Autogramm war in schönster Gesellschaft. Vorher hatten sich das gesamte Modern Jazz Quartet und die Adderley Brothers auf meiner Gitarre verewigt, Julian Cannonball Adderley, der oft mit Miles Davis gespielt hatte und Brother Nat, der so schöne Weisen wie den »Worksong« geschrieben hatte.

Viele Jahre später, Ende der Achtziger, sah ich Miles wieder. Bei einer Vernissage seiner Bilder in Beverly Hills. Düstere Werke. Seine Musik hatte nie solche depressiven Gefühle bei mir geweckt. Seine Musik gibt mir eher Wärme, Ruhe, gute Gefühle.

Wann immer ich im Studio heute einer Trompeter aufnehme, sag ich immer: »Nimm dein Horn und spiel wie Miles Davis.«

11. Mai 2004

Werd ich noch jung sein, wenn ich älter bin

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