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Deine Nachkommenschaft wird zahlreich sein wie die Sterne am Firmament

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Mit dieser Verheißung an Abraham (Genesis 15,5) vollendet sich seine Lebensgeschichte, die bis in sein hohes Alter von Kinderlosigkeit bedroht war, und darin spiegelt sich ein Verständnis von Leben, das einer evolutionären Betrachtungsweise sehr nahe kommt. Denn ob ein Dasein sinnerfüllt ist, zeigt sich in der Weitergabe des Lebens an Kinder und Kindeskinder. Eine individuelle Erwartung eines Lebens nach dem Tod ist dem Alten Testament wie dem ganzen Orient fremd, weshalb sich die Frage nach einem guten Tod relativiert. Der Tod ist eine biologische Notwendigkeit. Wer stirbt, wird nicht wieder lebendig, heißt es bei Ijob (14,14), und gegen den Tod lässt sich keine Beschwerde führen (Jesus Sirach 41,3–4): Alle Menschen müssen sterben. Als guten Tod kann man einen ansehen, der nach einem langen und erfüllten Leben eintritt, und so sterben Abraham, Isaak oder Ijob alt und lebenssatt. Dann werden die Menschen zu den Vätern versammelt, wo sie in einem düsteren Totenreich ein trostloses Schattendasein führen.

Im Gegensatz zu diesem Tod, der eintritt, wenn der Mensch satt an Tagen ist, was einer Spanne von siebzig oder achtzig Jahren (Psalm 90,10) entspricht, fürchtet man den unzeitigen Tod eines Kindes oder durch Krankheit, Gewalt, Krieg und Hungersnot, der das Leben unerfüllt abschneidet. Eine etwa daraus resultierende Kinderlosigkeit gehört zu den Schrecknissen eines vorzeitigen Todes. Von der Vorstellung eines guten Todes wird man im Alten Testament wohl absehen müssen; eher kann man von einem erfüllten Leben sprechen, wenn es in der Heimat und im Kreis der Familie geschieht, die dann auch für eine angemessene Bestattung sorgt. Der Tod an sich bleibt ein endgültiges und unwiderrufliches Geschehen. Man kann deshalb sagen, dass sich das Alte Testament in großer Nähe zu einer Interpretation gemäß der Evolution befindet. Wichtig ist der Fortbestand der Familie, der Sippe und des Volkes, weshalb die Zusage einer reichen Nachkommenschaft an Abraham mehrfach wiederholt wird (Genesis 22,17; 26,4).

Erst in nachexilischer Zeit und vor allem in der jüdischen Apokalyptik entwickelt sich die Vorstellung von einer Gottesgemeinschaft des Frommen auch jenseits der physischen Todesgrenze, auf die hier aber noch nicht eingegangen werden muss. Wichtig ist jedoch, dass die Anfänge einer Auferstehungshoffnung das Volk als Ganzes betreffen, wenn Gott das Volk heilt und neu belebt gleich dem Geschehen in der Natur: „… denn er wird hervorbrechen wie die schöne Morgenröte und wird zu uns kommen wie ein Regen, wie ein Spätregen, der das Land feuchtet.“ (Hosea 6,3) Ebenso bietet die berühmte Erzählung von der Erweckung der Totengebeine (Ezechiel 37,12) ein Bild für die Wiederherstellung des Volkes Israel und für den neuen Exodus aus dem babylonischen Exil: „Siehe, ich öffne eure Gräber und ich führe euch herauf aus euren Gräbern und ich bringe euch ins Land Israel.“ Das Individuum spielt noch keine Rolle, und eine eigentliche Auferstehungsvorstellung findet sich erst in der apokalyptischen Literatur der hellenistischen Zeit.

Die Vorstellung von einem guten Tod war im Alten Judentum nicht an die erhoffte Überwindung der Endlichkeit gebunden, sondern an die gelebte Fülle des Lebens und eine reiche Nachkommenschaft, womit deutlich wird, dass das evolutionäre Modell durchaus tragfähig sein konnte.

Vom guten Tod

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