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SPURENSUCHE MIT „SCHNEEBALLEFFEKT“

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Die Anfänge des 20. Jahrhunderts gelten als offizielle Entdeckerzeit. Einheimische machten auf die Vielfalt dargestellter Motive aufmerksam, die auf großen freigelegten Felsplatten sichtbar wurden.

Im Jahre 1909 prüfte der in Brescia lebende Schweizer Geograf Walter Läng die Fundplätze und entdeckte auf zwei Felsblöcken – „Massi di Cemmo“ genannt – weitere Ritzungen. Brieflich informierte er das „Nationalkomitee für Denkmalschutz“ von seinem bedeutenden Fund. Vergebens: Die Autoritäten zeigten kein Interesse und die Angelegenheit wurde vergessen. Als dann wenige Jahre später der Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo ermordet wurde, kam es zur Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien. Es folgte die Katastrophe des Ersten Weltkriegs (1914 – 1918). An eine systematische Untersuchung der archäologischen Schätze von Val Camonica war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu denken. Die Menschen hatten andere Sorgen.


Historisches Foto von Capo di Ponte

Ab 1929 blühte der Forschergeist wieder auf. Erste Felsbildstudien und Fachkongresse sorgten für mediale Aufmerksamkeit. Der Turiner Professor Giovanni Marro (1875 – 1952) lieferte dazu wertvolle Beiträge. Seine Pionierarbeit machte deutlich, dass man auf ein bisher unbekanntes Archiv der Menschheitsgeschichte gestoßen war. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs (1939 – 1945) wurde eine wissenschaftliche Aufarbeitung der spektakulären Funde erneut vereitelt. Abgesehen von zweifelhaften Althistorikern, die im Auftrag der Nationalsozialisten nach der „arischen Urheimat“ fahndeten, kümmerte sich niemand um die wundersame Bilderwelt des Val Camonica.

Erst Mitte der 1950er-Jahre überlegte das „Amt für Denkmalpflege von Altertümern und Kunstwerken“ der Lombardei, den ersten Nationalpark um die Hauptfundstelle Naquane zu errichten.

Mit dem 1964 gegründeten „Centro Camuno di Studi Preistorici“ (CCSP), initiiert von dem international renommierten Felskunstexperten Professor Emmanuel Anati, begann endlich die planmäßige Erfassung und Auswertung der Zeichnungen. Bis 1970 waren gerade mal 600 Plätze mit rund 25.000 Bildern bekannt. Fünf Jahre später zählte man bereits 130.000 prähistorische Figuren, und damit war klar, dass Val Camonica die bedeutendste und reichhaltigste in Europa bekannte Felskunstsammlung war. Inzwischen ist die Menge der mit freiem Auge nicht immer leicht zu erkennenden Zeichnungen auf rund 350.000 Bildwerke angewachsen. Viele liegen nur wenige Meter über dem Meeresspiegel, andere reichen vereinzelt bis ins Hochgebirge.

Allein in der Umgebung der Talmitte – rund um die Ortschaft Capo di Ponte mit den Nachbargemeinden Nadro, Cimbergo und Pasparado – gibt es an die 200.000 Gravuren. Ständig werden neue steinzeitliche Kunstwerke dem Erdboden entrissen. Teilweise lagen Fundstellen bereits frei, sind aber durch Verfall und Auflassung von Ackerland in den letzten Jahrzehnten wieder unter einer dicken Humusschicht begraben worden. Für manche Kunstwerke vielleicht besser so, denn es kommt immer wieder vor, dass Felsbilder dem Vandalismus zum Opfer fallen. Viele Ritzbilder, die in den 1930er-Jahren publiziert wurden, sind nicht mehr auffindbar. Wind und Witterung forderten ihren Tribut. Noch lange nicht sind alle gravierten Steinbuckel wissenschaftlich erfasst und dokumentiert.


1909 entdeckt: Graffiti-Felsen im Gebiet „Massi de Cemmo“



Eine der ältesten Darstellungen auf den gewaltigen Steintafeln zeigt einen Hirsch mit Halsband.

Hinzu kommt, dass vor allem im Nationalpark Naquane für Besucher Holzstege errichtet wurden, die zwar eine bequeme Besichtigung ermöglichen, aber viele Felsbilder uneinsehbar verdecken. Archäologen schätzen, dass im Val Camonica unter Moosen und Gestrüpp noch weitere Hunderttausende gezeichnete Strichmännchen und Ritzsymbole auf ihre Entdeckung warten!

Wo nahm alles seinen Anfang? Soweit bekannt, sind die ältesten Piktogramme im „Parco di Luine“, oberhalb von Darfo Boario Terme, erhalten. Sie sind rund 12.000 Jahre alt und stammen aus dem Paläolithikum, der Übergangszeit von der Alt- in die Mittelsteinzeit. Aus dieser Epoche sind im naturalistischen Stil vor allem Elche schemenhaft auf Felsen erkennbar. „Primitive Jäger“ sollen die Kunstwerke hinterlassen haben. Ein üppiges Tier mit dünnen Beinen, umgeben von konzentrischen Kreisen, fällt auf. Es ist auf einem großen Steinblock (im Park bezeichnet mit Nr. 6) abgebildet. Was überrascht: Der Vierbeiner scheint ein Halsband zu tragen. Ein seltener Bildbeleg für die frühe Domestizierung eiszeitlicher Wildtiere?

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