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ALPINES MULTIKULTI
ОглавлениеFolgt man antiken Geschichtsschreibern wie Strabon (63 v. Chr. bis 23 n. Chr.), dann waren die Camuni mit den „Raezikern“ verwandt, also mit den Rätern. Ihre Nachfahren leben heute in Trentino-Südtirol, Nord- und Osttirol, Venetien sowie in Gebieten des Schweizer Kantons Graubünden und in der Region rund um den Bodensee. Die Räter gehören zu den ältesten geschichtlich fassbaren Völkern im Alpenraum. „Allerdings steht gar nicht fest, ob sie überhaupt ein Volk waren“, schränkt der Historiker Eduard Gugenberger ein und ergänzt: „Vielleicht, so wird verschiedentlich gemutmaßt, handelt es sich bei ihnen bloß um einen ungeordneten Haufen unterschiedlicher älplerischer Gemeinschaften. Es ist schwer, sich ein klares Bild zu verschaffen. Antike Berichte über sie widersprechen einander ebenso grundlegend wie moderne wissenschaftliche Ausführungen.“
Bisher wurden im Alpenraum etwas mehr als 200 Wortfragmente entdeckt, die den antiken Rätern zugeschrieben werden. Sprachwissenschaftlich erforschte Personennamen und religiöse Begriffe lassen Ähnlichkeiten zur etruskischen Schrift erkennen. Eine Urverwandtschaft zwischen diesen Kulturen scheint wahrscheinlich. Schon um Christi Geburt bemerkt dazu Titus Livius, dass die Räter „verwilderte Etrusker“ gewesen seien, die „nichts vom Althergebrachten außer dem Klang ihrer Sprache, und den nicht unverfälscht, bewahrt haben“.
Etruskisch-camunische Inschrift
Die rätisch-etruskischen Gemeinsamkeiten zeigen wiederum Anklänge zu bisher rund 150 schriftlichen Felsgravuren im Camonica-Tal. Sie werden deshalb als „camunorätisch“ bezeichnet. Sucht man die zugehörige „Muttersprache“, wird es allerdings holprig. Die Glyphen erinnern an eine Variante des nordetruskischen Alphabets. Linguisten kombinieren daraus, dass die Camuni im letzten vorchristlichen Jahrtausend die Schrift von den Etruskern übernommen haben. Bewiesen ist das aber keineswegs. Ebenso rätselhaft bleiben die Inhalte der knappen Botschaften. Sprachforscher glauben, sie lesbar entziffert zu haben. Was das Geschriebene jedoch inhaltlich konkret bedeutet, weiß man nicht. Zu welcher Familie die camunische Sprache tatsächlich zu zählen ist, bleibt daher weiterhin ungewiss.
Camunisches Schrifträtsel auf einem Felsblock
Verblüffende Lebendigkeit: Zauberer, Priester oder ein mit Federn
geschmückter Tänzer?
Aus den vielen Details in der Felsbildkunst lässt sich aber nachvollziehen, dass die Camuni in enger Beziehung zu den Etruskern standen. Felszeichnungen, die Altertumsforscher als etruskische Dolche, Schilder und Helme identifizierten, belegen das einwandfrei. Woher allerdings die Etrusker kamen, wie ihr Volk und ihre Sprache um 800 v. Chr. entstanden sind, ist nicht weniger mysteriös als die „Gretchenfrage“ nach dem Ursprung oder der Überlagerung mit den Camuni. Die gängigste These zum Entstehen der etruskischen Kultur lautet: Einwanderer aus Kleinasien vermischten sich mit der Villanova-Kultur, die um 1000 v. Chr. im heutigen Gebiet der Toskana ansässig war.