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1. Der Beginn des menschlichen Lebens

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Den Beginn des menschlichen Lebens setzt das Strafrecht mit gutem Grund früher an als das bürgerliche Recht; „Vollendung“ der Geburt nach § 1 BGB ist für das Strafrecht nicht erforderlich[9]. Dies ist dadurch gerechtfertigt, dass gerade der Geburtsakt, die Lösung des Kindes aus dem schützenden Mutterleibe, eine Phase erhöhter Gefahr für das Kind bedeutet, innerhalb deren der Schutz durch die Bestimmungen gegen den Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 ff., s.u. §§ 5–6) ganz unzureichend bleiben würde und durch die umfassenderen, insbesondere auch fahrlässige Erfolgsverursachung einschließenden Tötungstatbestände ersetzt werden muss.

Dass eine Vollendung der Geburt nicht erforderlich ist, um dem Kinde vollen Lebensschutz zu gewähren, folgt schon aus dem bis 1998 geltenden § 217 (Tötung in der Geburt)[10]. Der Begriff der Geburt und damit des menschlichen Lebens ist im Laufe der Entwicklung immer weiter vorverlagert worden. Die früheren Formeln „Einsetzen der Ausstoßungsversuche des Mutterleibes“ (RG 9, 131; 26, 178; BGH 10, 5) und „Anfang der im weiteren Verlauf zur Ausstoßung führenden Wehen“[11] waren allerdings zu unscharf. Im Einklang mit dem Schutzzweck der Auslegung und dem medizinischen Sprachgebrauch ist auf die („echten“) Eröffnungswehen abzustellen[12]; bei der Schnittentbindung ist die Öffnung des Uterus maßgeblich[13].

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Bei aller gebotenen Vorverlagerung des Beginns des menschlichen Lebens bleiben die Grenzen zwischen Tötung und Schwangerschaftsabbruch zu beachten. Pränatale Abtötungen der Leibesfrucht bleiben auch bei deren Lebensfähigkeit Schwangerschaftsabbruch. Die geringere Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs und die Straflosigkeit des fahrlässigen Schwangerschaftsabbruchs[14] können auch nicht in den Fällen übersprungen werden, in denen eine Einwirkung auf die Leibesfrucht erst nach deren Geburt und damit bei einem „Menschen“ zum Todeserfolg führt; dies würde der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers für eine geringere Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs und die Straflosigkeit des fahrlässigen Schwangerschaftsabbruchs widersprechen[15]. Auch das Ausweichen in eine Körperverletzung an der Mutter[16] ist unzulässig, sofern nicht eine toxische Einwirkung vorliegt (Hirsch JR 85, 339). Keine Straftat gegen das Leben und keine Körperverletzung gegenüber der Mutter (und damit bei Fahrlässigkeit straflos) ist auch die Verhinderung der Geburt, z.B. durch Verabfolgung wehenhemmender Mittel (BGH 31, 348) oder Unterlassung des Kaiserschnitts[17].

De lege ferenda wäre angesichts der modernen Entwicklung der Frühgeborenenrettung gewiss eine Abgrenzung nach der Lebensfähigkeit sinnvoller als die nach der Geburt[18]. Damit würde auch die Versuchung zum Spätschwangerschaftsabbruch (s.u. § 6 Rn. 38) beseitigt[19].

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Lebensfähigkeit des Neugeborenen ist nicht Voraussetzung des Lebensschutzes (RG 2, 404); es genügt, dass das Kind unabhängig vom Organismus der Mutter z.Z. der Tat noch lebt. „Mensch“ i.S. des Strafrechts ist daher auch die in Abtreibungsabsicht zur Welt gebrachte lebensunfähige, aber noch lebende Leibesfrucht (BGH 10, 5, 292; BGH ZfL 03, 83 m. Anm. Wiebe). Dies gilt auch für Missgeburten (Monstren), wenn diese wenigstens „Menschenantlitz tragen“, menschenähnlich sind[20]. Molen (krankhaft entartete Eier) scheiden in jedem Falle als Handlungsobjekt aus. Wegen der Funktion des Hirnstamms ist beim sog. Anenzephalus eine Gleichsetzung mit dem Hirntod (u. Rn. 12) unzulässig[21]. Ein Sterbenlassen wird jedoch hingenommen[22].

Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1

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