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VI. Euthanasie/Sterbehilfe

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Schrifttum:

Baumgarten, The Right to Die?, 22000; Blaha u.a. (Hrsg.), Schutz des Lebens – Recht auf Tod, 1978; Bottke, Euthanasie und Sterbehilfe aus der Sicht des Juristen, Zschr. f. evang. Ethik 81, 105; Brenske, Tötungen aus eugenischen Gründen und aus Euthanasiegründen, JR 52, 275 und JR 53, 215; Buschendorf, Die strafrechtliche Problematik der Euthanasie und der Freigabe „lebensunwerten Lebens“ in: Die Euthanasie, hrsg. von F. Valentin, 1969, 43; Dahm, Ärztliche Entscheidung unter Reanimationsbedingungen aus rechtl. Sicht und „passive“ Euthanasie, Diss. Bochum 1978; Detering, Forum: § 216 StGB und die aktuelle Diskussion um die Sterbehilfe, JuS 83, 418; v. Dellinghausen, Sterbehilfe und Grenzen der Lebenserhaltungspflicht des Arztes, 1981; Dölling, Zulässigkeit und Grenzen der Sterbehilfe, MedR 87, 6; Ehrhardt, Euthanasie und Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens, 1965; Ehrhardt, Euthanasie, in Göppinger (Hrsg.), Arzt und Recht, 1966, 66; Engisch, Euthanasie und Vernichtung lebensunwerten Lebens, 1948; Engisch, Konflikte, Aporien und Paradoxien bei der rechtlichen Beurteilung der ärztlichen Sterbehilfe, FS Dreher 1977, 309; Engisch, Aufklärung und Sterbehilfe bei Krebs in rechtl. Sicht, FS Bockelmann 1979, 519; Eser, Lebenserhaltungspflicht und Behandlungsabbruch in rechtlicher Sicht, in: Auer/Menzel/Eser (Hrsg.), Zwischen Heilauftrag und Sterbehilfe, 1977, 75; Eser (Hrsg.), Suizid und Euthanasie als human- und sozialwissenschaftliches Problem, 1976; Eser/Koch (Hrsg.), Materialien zur Sterbehilfe, 1991; Geilen, Euthanasie und Selbstbestimmung, 1975; Goetzeler, Gedanken zum Problem der Euthanasie de lege ferenda et lata, SchwZStR 65, 403; Große/Vehne, Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), Euthanasie und Sterbehilfe – Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870, 2006; Hanack, Euthanasie in strafrechtlicher Sicht, Gynäkologie 82, 104 (Überarbeitung des Beitrags in Hiersche aaO); Herzberg, Sterbehilfe als gerechtfertigte Tötung im Notstand?, NJW 96, 3043; Hiersche (Hrsg.), Euthanasie, 1975; Helgerth, Strafrechtliche Beurteilung der Sterbehilfe durch den Arzt, JR 76, 45; Hirsch, Behandlungsabbruch und Sterbehilfe, FS Lackner 1987, 597; Kahlo, Sterbehilfe und Menschenwürde, FS Frisch, 2013, 711; Lang, Zum Aufsatz Brenske „Tötung aus eugenischen Gründen und aus Euthanasiegründen“, JR 53, 54; Langer, Rechtliche Aspekte der Sterbehilfe, in: Kruse/Wagner (Hrsg.), Sterbende brauchen Solidarität, 1986; Merkel, Früheuthanasie, 2001; Merkel, Aktive Sterbehilfe, FS Schroeder 2006, 297; Möllering, Schutz des Lebens – Recht auf Sterben, 1977; Muschke, Gesetzliche Regelung der Sterbehilfe?, Diss. Gießen 1988; Nagel, Passive Euthanasie, 2002; Nußbaum, The Right to Die (StrAbh. n.F. 128), 2000; Ostendorf, Das Recht zum Hungerstreik, 1983; Pohlmeier (Hrsg.), Selbstmordverhütung, 1978; Rickmann, Zur Wirksamkeit von Patiententestamenten im Strafrecht, 1987; Schroeder, Die rechtliche Beurteilung der Euthanasie, Der Allgemeinarzt 83, 1070; Schwerpunkte in der Geriatrie 4, hrsg. v. R. Schubert/A. Störmer, 1977; Sax, Zur rechtlichen Problematik der Sterbehilfe durch vorzeitigen Abbruch einer Intensivbehandlung, JR 75, 137; Simson, Euthanasie als Rechtsproblem, NJW 64, 1153; Simson, Ein Ja zur Sterbehilfe aus Barmherzigkeit, FS Schwinge 1973, 89; Steen, Grenzen des strafrechtlichen Lebensschutzes bei der Verwendung med.-techn. Hilfsmittel, Diss. Kiel 1977; Stratenwerth, Sterbehilfe, SchwZStR 95, 60; Trockel, Sterbehilfe im Wandel der Zeit, NJW 75, 1440; Wolfslast, Gedanken zur Sterbehilfe, Brauneck-Ehr. 473. S.a. vor Rn. 14.

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Der Begriff der Euthanasie („schönes Sterben“) – in der Neuzeit erstmals 1623 von Bacon verwendet – ist in den Jahren des nationalsozialistischen Regimes nicht ohne Absicht seinem Inhalt entfremdet worden, indem die Propaganda für echte Sterbehilfe (so der Film „Ich klage an“) bestrebt war, auch die Vernichtung des sog. „lebensunwerten“ Lebens (s.u. VII) als „Euthanasie“ zu behandeln und damit ein Gebiet, dem das öffentliche Gewissen grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, mit einem Problem zu verquicken, dessen Beurteilung mindestens nicht einheitlich ist. In Wirklichkeit sind, wie heute allgemein anerkannt, beide Fragenkreise streng zu scheiden. Die Euthanasie besteht, in allgemeinster und strafrechtliche Wertung noch nicht vorwegnehmender Form ausgedrückt, darin, dass der Arzt einem mit Sicherheit und auf qualvolle Weise verlöschenden Leben „den Übergang über die Schwelle des Todes erleichtert“. Dagegen bestand die Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens in der Beseitigung infolge unheilbarer Geisteskrankheit als sozial unterwertig geltender Menschen. Im ersteren Falle kommt der Arzt dem ausdrücklichen oder erkennbaren Willen des Sterbenden als Helfer entgegen – im zweiten Falle setzte er sich über den Lebenswillen des „Lebensunwerten“ brutal hinweg. Seit einiger Zeit wird daher der Begriff Sterbehilfe bevorzugt. Bedenklich ist es jedoch, wenn in diesen Begriff die Tötung von Lebensmüden einbezogen wird[72].

Die Euthanasie/Sterbehilfe ist seit Längerem zu einem ausgesprochenen Modethema avanciert, das das Verlangen nach Betroffenheit und Interdisziplinarität (Rechtswissenschaft, Theologie, Medizin) befriedigt und daher im Tagungsbetrieb mit den entsprechenden Folgepublikationen floriert. Allerdings haben auch der Ausbau der Intensivmedizin sowie einige spektakuläre Fälle und schwer verständliche Urteile die Diskussion angeheizt. Im Schrifttum, das allenfalls noch für Sterbehilfespezialisten übersehbar ist, vermengen sich Feststellungen des geltenden Rechts und Rechtspolitik schwer trennbar, insbesondere bei den Themenstellungen des DJT (56. DJT 1986, 66. DJT 2006[73]) und den Alternativ-Entwürfen (AE Sterbehilfe 1986, AE Sterbebegleitung 2005, GA 05, 553).

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Bei voller Anerkennung des bei der Euthanasie waltenden ethisch reinen Motivs beim Arzt oder sonstigen Helfer darf das Wort von der „Erleichterung des Übergangs über die Schwelle des Todes“ nicht über die Realität des Tötungsverbotes und die Unbeachtlichkeit der Einwilligung des Sterbenden hinwegtäuschen. Dieses umfasst schon die Verkürzung eines – ohnehin zu Ende gehenden – Lebens[74] und damit auch die Abkürzung des Sterbens. Die Sterbehilfe kann sich daher in sehr verschiedenen Erscheinungsformen mit entsprechend verschiedener strafrechtlicher Bewertung äußern.

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1. Außerhalb der Grenzen des Tatbestandsmäßigen liegt die „eigentliche“ Sterbehilfe (früher „echte“ Euthanasie), die darin besteht, dass der Arzt, ohne das Leben des Sterbenden abzukürzen, schmerzlindernde und bewusstseinslähmende Mittel verwendet und dem Sterbenden dadurch das qualvolle bewusste Durchkämpfen-Müssen der Agonie erspart (näher dazu Ehrhardt aaO 18 ff.; Hanack aaO 104 f.). Hierzu ist der Arzt sogar verpflichtet; das Unterlassen wäre eine Körperverletzung (s.u. §§ 8 Rn. 23, 9 Rn. 4).

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2. Bei einer Sterbensabkürzung („aktive“ Sterbehilfe) wird eine Straflosigkeit überwiegend nur in den Fällen anerkannt, in denen der Arzt die gleichen Mittel anwendet und eine Lebensverkürzung als unbeabsichtigte, aber unvermeidbare Nebenwirkung in Kauf nimmt („indirekte“ Sterbehilfe)[75]. Die Straflosigkeit wird heute überwiegend auf das erlaubte Risiko gestützt[76]. Ist die Lebensverkürzung beabsichtigt („direkte“ Sterbehilfe), wird die Strafbarkeit des Arztes dagegen überwiegend bejaht (zuletzt BGH 37, 379; § 214a AE Sterbebegl.).

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Die überholte Zwecktheorie[77] oder die Konstruktion einer „Pflichtenkollision“[78] können in der Tat nicht über die nach § 34 erforderliche Güterabwägung hinwegführen[79]. Sofern jedoch dem durch sein unmittelbar bevorstehendes Ende geminderten Wert des Rechtsguts Leben (vgl. Schroeder NJW 74, 250) extreme Schmerzen und damit eine gravierende Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens gegenüberstehen, erscheint eine Rechtfertigung möglich[80].

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3. Nicht unter die „Sterbehilfe“ fällt die Beihilfe zur Selbsttötung (s.o. Rn. 20), neuerdings hochgestochen und die Problematik verdeckend „assistierter Suizid“ genannt[81]. Sie ist seit 2015 bei Geschäftsmäßigkeit strafbar (§ 217, s.o. Rn. 23).

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4. Problematisch ist schließlich die Frage, ob der Arzt verpflichtet ist, die dem verlöschenden Leben verbleibende kurze Spanne durch das Leben (und Leiden!) verlängernde Mittel auszudehnen, ob m.a.W. eine Tötung durch Unterlassung gegeben ist, wenn der Arzt von der Anwendung derartiger Mittel absieht („passive“ Sterbehilfe, besser: Unterlassung oder Begrenzung lebenserhaltender Maßnahmen). Wenn der Sterbevorgang bereits eingesetzt hat, ist dem Arzt der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen erlaubt (BGH 40, 260; das Sterbenlassen bleibt außerhalb des Tatbestandes; man kann dem Arzt die Rechtspflicht zur im Wettlauf mit dem Tode sinnlos gewordenen Lebensverlängerung nicht aufbürden[82]. Die Tatbestandsmäßigkeit der Unterlassung ist hier jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Patient ein entsprechendes Vorgehen des Arztes verlangt[83]. Umgekehrt ist eine lebensverlängernde Behandlung wegen des damit verbundenen Eingriffs in die körperliche Integrität (§ 223, s.u. § 8) unzulässig, wenn der Patient sie ablehnt[84] (§ 34 StGB kommt wegen der fehlenden Angemessenheit, S. 2, nicht zum Zuge).

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Als Unterlassen wurde wegen des sozialen Sinngehalts auch der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen, insbesondere das Abschalten eines Reanimationsgerätes und die Einstellung der Sondenernährung bei irreversibler Schädigung des Gehirns (aber vor Eintritt oder jedenfalls Nachweis des vollständigen Gehirntods, vgl. o. Rn. 12), angesehen[85].

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5. Bei nicht erlangbarer Stellungnahme des Patienten hatte BGH 40, 257 in dem vieldiskutierten „Kemptener Fall“ einer irreversibel schwerst cerebralgeschädigten Patientin einen Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen auch schon vor Einsetzen des Sterbevorgangs bei Vorliegen eines tatsächlichen oder mutmaßlichen Einverständnisses oder nach allgemeinen Wertvorstellungen (Nähe zum Tod, Unwiederherstellbarkeit eines menschenwürdigen Lebens) zugelassen (aber zusätzlich eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts nach § 1904 BGB verlangt[86]).

Daraufhin „entdeckte“ das Zivilrecht die Sterbehilfe[87]. 2009 wurde in das BGB § 1901a eingefügt. Nach Abs. 1 kann der Patient für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit festlegen, dass er in bestimmte ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie ablehnt („Patientenverfügung“). Der gerichtlich bestellte Betreuer hat diesem Willen Geltung zu verschaffen oder den mutmaßlichen Willen aufgrund früherer mündlicher oder schriftlicher Äußerungen, ethischer oder religiöser Überzeugungen oder sonstiger persönlicher Wertvorstellungen des Betreuten festzustellen. Bei der Gefahr schwerer Folgen der Maßnahme ist eine Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen; diese ist jedoch wiederum nicht erforderlich, wenn zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt Einvernehmen besteht (§ 1904 BGB). Die gewonnene Entscheidung ist bindend, die Nichtbeachtung kann zu Strafbarkeit wegen Körperverletzung führen. Ein Behandlungsabbruch ohne die Voraussetzungen der §§ 1901a ff. BGB führt wegen des maßgeblichen Patientenwillens nicht zwingend zur Strafbarkeit[88].

2010 erweiterte der BGH das bisher nur für die passive Sterbehilfe anerkannte Recht auf Unterlassen weiterer Behandlung auf einen aktiven Behandlungsabbruch (BGH 55, 191[89]). Die naturalistische Unterscheidung sei unter normativen Gesichtspunkten nicht sachgerecht. Der Behandlungsabbruch sei durch Einwilligung gerechtfertigt, die sich aus dem aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 folgenden Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen ergebe. Dieses legitimiere die Abwehr gegen nicht gewollte Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und in den unbeeinflussten Fortgang des Lebens und Sterbens[90].

Diese Begründung erscheint allerdings mit § 216 StGB kaum vereinbar, der schon das ernstliche Verlangen nach einer Tötung für unbeachtlich erklärt. Andere wollen daher mit dem Zylinderhut der „teleologischen Reduktion“ des § 216 argumentieren[91].

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6. Bei schwer missgebildeten Neugeborenen, die demnächst einen qualvollen Tod zu erwarten haben, sind nach den unter Rn. 34, 36 entwickelten Grundsätzen ein Sterbenlassen und sogar eine aktive Abkürzung oder gar Tötung zur Verhinderung dieses Leids gerechtfertigt, sog. Früheuthanasie[92]. Hier ist aber besonders darauf zu achten, dass sich nicht eine Nichtrettung oder gar eine Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ einschleichen (s.u. VII).

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7. Die Unterlassung lebensverlängernder Maßnahmen wegen begrenzter Ressourcen der Intensivmedizin ist nach den Grundsätzen der Pflichtenkollision zu behandeln[93]. Ein bereits an die lebensverlängernden Geräte angeschlossener Patient darf nicht zugunsten eines Neuankömmlings abgehängt werden[94]. Allerdings kann der Grundsatz „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ nicht uneingeschränkt gelten; Differenzierungen nach der Lebenserwartung sind geboten.

Nach verschiedenen Vorläufern gelten jetzt die „Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung“ von 2011[95]. S.a. Die deutschen Bischöfe: Das Lebensrecht des Menschen und die Euthanasie, 1975.

Rechtsvergleichung bei Giesen JZ 90, 929; Muschke aaO 189 ff.; Eser/ Koch aaO; Nußbaum aaO; Baumgarten aaO; Wernstedt, Sterbehilfe in Europa, 2004; Lindemann ZStW Bd. 117, 208 (Niederlande). ZStW Bd. 128, 1ff. Weit. Nachw. bei Fischer Vor § 211 73.

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