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2. Die Straflosigkeit der Beteiligung an der Selbsttötung

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Damit ist auch die Teilnahme an der Selbsttötung eines anderen (Beihilfe, aber auch Anstiftung) grundsätzlich straflos. Dies gilt auch dann, wenn der den Freitod des anderen Veranlassende oder Fördernde im Verhältnis zum Selbsttöter eine Lebensgarantenstellung innehat, denn auch in diesem Falle ist die Selbsttötung „tatbestandslos“, sodass eine Teilnahmemöglichkeit nicht besteht, und die „Freiheit“ des Selbsttöters schließt auch beim Bestehen einer Garantenstellung die Möglichkeit mittelbarer Täterschaft des anderen aus[47].

Ihre Grenze findet aber die Mitwirkung an fremder Selbsttötung dort, wo nicht mehr von einem „Freitod“, einer Eigenverantwortlichkeit des Selbsttöters gesprochen werden kann. Ist dies der Fall, so tritt in der Regel – bei Tatherrschaft des zur Tat drängenden Hintermannes – mittelbare Täterschaft ein, während Beihilfeakte ohne Tatherrschaft wie auch beim echten Freitod straflos bleiben (RG 70, 315). Selbstverständlich liegt keine straflose Selbsttötungsanstiftung, sondern Tötung vor, wenn ein Ahnungsloser veranlasst wird, die tödliche Starkstromleitung zu berühren, oder wenn der Hintermann die Selbsttötung unter den Voraussetzungen des § 35 erzwingt (OGH 2, 7). Auch wenn ein Schuldunfähiger oder ein Kind zur Selbsttötung überredet wird, ist mittelbare Täterschaft gegeben. Die Grenzen zwischen strafloser Teilnahme und strafbarer mittelbarer Täterschaft verschieben sich hierbei – entsprechend dem Täter hinter dem Täter beim Handeln des Werkzeugs im Grenzbereich der Entschuldigungsgründe – zuungunsten des Hintermannes[48]. Die moderne Suizidforschung zeigt einen hohen Anteil von Geisteskrankheit, Depressionen, Neurosen und Suchtkrankheiten als Ursachen von Selbsttötungen auf[49]. Mittelbare Täterschaft ist insbesondere gegeben, wenn der die Selbsttötung Veranlassende die psychologische Verzweiflungslage des Opfers selbst herbeigeführt hat (Welzel ZStW 58, 544) oder wenn er unter Hervorrufung eines Motivirrtums beim Selbsttöter (Vorspiegelung einer schweren Krankheit; Behauptung, dem anderen in den Tod folgen zu wollen) diesen zur Tat bestimmt[50]. Die seit einiger Zeit um sich greifende Ansicht, die die Grenzen zwischen mittelbarer Täterschaft und Teilnahme an der Selbsttötung nach den bei § 216 geltenden Anforderungen an die Einwilligung bestimmen will, dürfte dieser Auffassung nahekommen[51].

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Die Abgrenzung zwischen Beihilfe und Täterschaft erfolgt nach allgemeinen Regeln; eine nur materielle Mittäterschaft mit dem Lebensmüden reicht nicht aus[52].

Besondere Probleme bietet die einseitig fehlgeschlagene Doppelselbsttötung. An einer Problematik fehlt es natürlich, wenn jeder der beiden Todentschlossenen selbst und für sich allein die Bedingung zu seinem Tode setzt, mag auch der andere (z.B. durch Besorgung des Giftes) ihm dabei geholfen haben; in diesem Falle bewendet es bei den allgemeinen Regeln über die Straflosigkeit der Beihilfe zu fremdem Freitod. Anders, wenn der eine der Beteiligten auf Verlangen des anderen die Todesbedingungen gleichzeitig für beide setzt (z.B. durch Aufdrehen des Gashahnes) oder sie nacheinander eintreten lässt, wobei der Erfolg am Handelnden selbst ausbleibt: der die Ursache Setzende bleibt am Leben, weil er gegenüber dem Gas widerstandsfähiger war oder weil ihm nachträglich der Mut zur Tat entfällt.

Dass in solchen Fällen das Strafbedürfnis minimal ist, steht außer Streit. Gleichwohl ist der Meinungsstand überaus kontrovers. Zu einem Freispruch des Überlebenden mangels eigenen Täterwillens – es liegt vielmehr Unterordnung unter den Willen des Opfers vor – würde allein die extrem subjektive Teilnahmetheorie führen. Merkwürdigerweise hält sich die Rechtsprechung – trotz Neubelebung dieser Theorie durch das Staschynskij-Urteil (BGH 18, 87 gegen BGH 8, 393) – bei ihrer Übertragung auf die Doppelselbsttötung sehr zurück: BGH 19, 135 und BGH MDR/D 66, 382 stellen auf die Tatherrschaft des Überlebenden ab, nähern sich damit der materiell-objektiven Theorie und strafen aus § 216. Das Schrifttum sucht nach Differenzierungsmaßstäben. Nach Dreher MDR 64, 337 soll der Überlebende als bloßer Selbsttötungsgehilfe straflos bleiben, wenn der andere Teil an der Tat aktiv mitgewirkt hat, andernfalls (bei Beschränkung auf Anstiftung zur Setzung der Todesursache) soll Haftung des Überlebenden nach § 216 eintreten. Andere wollen straflose Selbsttötungsbeihilfe des Überlebenden annehmen, wenn das Opfer nach Setzung der entscheidenden Ursache durch den Überlebenden (z.B. Aufdrehen des Gashahnes) noch freie Entscheidungsmöglichkeit über Tod und Leben gehabt hat[53]. Die Ausweichmöglichkeit nach der Handlung kann jedoch ebenso wenig beachtlich sein wie die vor oder während der Handlung. Bei nur technisch bedingter Auswahl des Handelnden (Betätigung des Gaspedals) scheidet jedoch eine Täterschaft aus (Schroeder ZStW 106, 579; Sinn SK § 216 13). Zu restriktiv und kaum beweisbar das Kriterium von Sinn SK § 212 13, § 216 11; Arzt/Weber/H/H § 3 40: Anwendbarkeit des § 216 nur, wenn das Opfer die Selbsttötung scheute.

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Die Straflosigkeit der Teilnahme an der Selbsttötung muss trotz des dort geltenden Einheitstäterbegriffs auch für eine fahrlässige Teilnahme gelten[54]. Für die Beteiligung an einer Selbstgefährdung (insbesondere durch Betäubungsmittelmissbrauch) hat dies erst nach einer Reihe zweifelhafter Entscheidungen BGH 32, 262 klargestellt[55]. Aber auch jetzt noch bejaht der BGH eine Haftung bei Garantenstellung (JR 79, 429 m. abl. Anm. Hirsch), sogar eine Garantenstellung durch die Beteiligung[56]. In zwei Fällen der täuschenden Veranlassung seiner Tötung durch einen Lebensmüden hat die Rechtsprechung fahrlässige Tötung durch das Werkzeug bejaht (BGH NStZ 03, 537, OLG Nürnberg JZ 03, 745[57]).

Die Mitwirkung von Ärzten an der Selbsttötung widerspricht zwar nicht mehr dem ärztlichen Ethos, ist aber immerhin „keine ärztliche Aufgabe“ (Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung von 2004 DÄBl. 108, S. A 346). Hiermit darf jedoch die Straffreiheit dieses Verhaltens nicht ausgehebelt werden[58].

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Der Unterstützung der Selbsttötung durch die Schweizer Organisationen Dignitas und Exit, nach der Kündigung ihrer Gebäude z.T. in Wohnwagen auf Parkplätzen[59], begegnete die Rechtsprechung zunächst durch eine Verurteilung wegen unzulässiger Überlassung von Betäubungsmitteln (BGH 46, 279).

Nach langen Kontroversen und mehreren Entwürfen (Schöch FS Kühl 585 ff.) wurde durch Gesetz vom 3.12.2015 die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe gestellt (§ 217 StGB). Diese Regelung ist gesetzestechnisch perfekt: strafbar ist die geschäftsmäßige Gewährung, Verschaffung oder Vermittlung einer Gelegenheit zur Selbsttötung. Die Regelung lässt keine Lücke; darunter fällt schon die Überlassung zur Selbsttötung geeigneter Tabletten. Ein Erfolg ist nicht erforderlich (BT-Drucks. 18/5373 S. 19); strafbar ist also nicht nur die vollendete, sondern schon die versuchte Beihilfe zur Selbsttötung. Die erforderliche „Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern“ kann kaum einschränkend wirken, da sie sich nicht auf die Selbsttötung zu beziehen braucht; hinsichtlich ihrer genügt bedingter Vorsatz (BT-Drucks. 18/5373 S. 19).

Die Regelung greift in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG ein; die Beschränkung dieses Grundrechts ist nicht verhältnismäßig[60]. Mehrere Verfassungsbeschwerden sind anhängig. Die Regelung verstößt auch gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK in der Auslegung durch den EGMR (NJW 02. 2851; 11, 3773; 13, 2953[61]).

Angesichts dieser uferlosen Weite erhält das Erfordernis der Geschäftsmäßigkeit wesentliche Bedeutung. Geschäftsmäßigkeit ist erst gegeben, wenn jemand beabsichtigt, die Suizidbeihilfe zu einem wiederkehrenden Bestandteil seiner wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit zu machen[62]. Dies ist nicht schon bei einer wiederholten Tat anzunehmen; angesichts der Weigerung vieler Ärzte zu entsprechenden Tätigkeiten ist mit der Konzentrierung entsprechender Hilfsersuchen bei zur Tat bereiten Personen zu rechnen. Der Gesetzgeber wollte eine „regelmäßig wiederkehrende oder serielle Unterstützung“, „regelmäßige Angebote“ und „eine Normalität suggerierende Angebote“ verhindern; straflos soll es bleiben, wenn „im Einzelfall nach sorgfältiger Überlegung und unter strikter Orientierung an der freiverantwortlich getroffenen Entscheidung zu einer Selbsttötung Beihilfe geleistet wird“[63].

Rechtsvergleichung in ZStW Bd. 128, 24 ff.

Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1

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