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1. Gibt es einen gerechten Krieg?

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Gibt es einen gerechten Krieg? Wer so fragt, muss mit Skepsis rechnen: Kann man sich einen größeren Gegensatz vorstellen als den zwischen Gerechtigkeit und Krieg? Verweist nicht der Begriff der Gerechtigkeit auf eine faire Verteilung von Gütern und Chancen und ein Miteinander gleichberechtigter Individuen? Bezeichnet er nicht das Gegenteil von Unrecht und Unterdrückung, Benachteiligung und Gewaltherrschaft? Ist Krieg nicht demgegenüber untrennbar verbunden mit der Entfesselung von Gewalt, mit unermesslichem Leid und dem Tod einer Vielzahl von Menschen? Ist er nicht eines der furchtbarsten Übel, das uns treffen kann? Und ist es deshalb nicht absurd, Gerechtigkeit und Krieg zusammenzudenken?

Wer diesen Verdacht hegt, der stelle sich die Gegenfrage: Lässt sich über Krieg wirklich sprechen, ohne dass man Fragen der Gerechtigkeit und der Moral berührt? War es moralisch falsch, dass Großbritannien und Frankreich am 3. September 1939 Deutschland den Krieg erklärten, um es an der Unterwerfung Polens zu hindern? Und wäre es nicht vielleicht moralisch richtig gewesen, wenn militärisch hinreichend potente Staaten 1915/16 den Völkermord an den Armeniern oder 1994 den Völkermord an der Tutsi-Minderheit in Ruanda durch ein militärisches Eingreifen gestoppt hätten? Erschöpft sich Gerechtigkeit tatsächlich in einer fairen, die Interessen aller gleichermaßen berücksichtigenden Verteilung von Gütern? Erfordert sie nicht vielmehr auch den Schutz von Leib und Leben eines jeden Menschen, ja, vielleicht sogar den seiner Habe, vor ungerechtfertigten Übergriffen? Und hat sie nicht auch eine Dimension, die die Bestrafung und Wiedergutmachung von Unrecht betrifft?

Wie immer man diese Fragen beantworten mag – eines zeigen sie ganz klar: Der Einsatz militärischer Mittel wirft Fragen der Gerechtigkeit auf. Die Philosophie denkt deshalb seit der Antike über die Legitimität von Krieg nach. Dabei hat sich, insbesondere seit dem späten Mittelalter, eine Tradition kriegsethischer Reflexion herausgebildet, die in englischsprachiger Literatur meist unbefangener als im Deutschen als just war theory, als ›Theorie des gerechten Krieges‹, bezeichnet wird.1

Das vorliegende Buch greift Einsichten auf, die in dieser Tradition des Nachdenkens über die Legitimität von Krieg gewonnen worden sind, und versucht, auf die Frage, die es im Titel stellt, eine Antwort zu geben, die der Furchtbarkeit eines jeden Krieges ebenso Rechnung trägt wie der Unvermeidlichkeit kriegsethischer Reflexion. Mir ist bewusst, dass das kein leichtes Unterfangen ist. Die Überzeugung, dass es keinen gerechten Krieg gibt, lässt sich jedoch nicht dadurch als richtig erweisen, dass man die Frage tabuisiert. Nicht die Diskreditierung der Frage scheint mir deshalb geboten zu sein, sondern die Suche nach einer überzeugenden Antwort und eine nüchterne Analyse der Konsequenzen, die sich daraus für eine Friedenspolitik ergeben, die nicht unrechtsblind ist. Beides setzt zuallererst eine Klärung voraus, was genau die Frage eigentlich erfragt und warum das Nachdenken über die Legitimität von Krieg wichtig ist. Davon wird in diesem Kapitel die Rede sein.

Gibt es einen gerechten Krieg?

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