Читать книгу Gibt es einen gerechten Krieg? - Reinold Schmücker - Страница 6
Warum das Nachdenken über die Legitimität von Krieg wichtig ist
ОглавлениеDie Vorbehalte, auf die das Nachdenken über die Legitimität von Krieg bei vielen Menschen stößt, sind durch eine bloße Erläuterung der Frage natürlich noch nicht ausgeräumt. Auf drei Vorbehalte, die weit verbreitet sind, sei daher in diesem Abschnitt näher eingegangen. Wir können sie den Begünstigungsverdacht, den Apologieverdacht und den Nutzlosigkeitsverdacht nennen.
(1) Im Begünstigungsverdacht artikuliert sich der Argwohn, dass jedes Nachdenken über die Legitimität von Krieg ebenjenen denkbarer und damit auch wahrscheinlicher macht. Redet, wer nach der Legitimität von Krieg fragt, den Krieg nicht geradezu herbei? Trägt nicht, wer so fragt, zur Entstehung eines politischen Klimas bei, in dem Krieg nicht mehr schlechthin als Unrecht begriffen, sondern als ein unter Umständen eben doch moralisch erlaubtes Mittel der Auseinandersetzung aufgefasst wird? Und wird das nicht letztlich dazu führen, dass die Entscheidung zum Einsatz militärischer Mittel immer leichtfertiger und bedenkenloser getroffen werden wird?
Meines Erachtens ist das eine verständliche, aber unbegründete Sorge. Es lassen sich nämlich nur schwer empirische Belege dafür finden, dass die philosophische Reflexion über die Legitimität militärischer Mittel deren Einsatz gewissermaßen herbeigeredet hätte. Der breite Zweifel an der Legitimität beispielsweise des Vietnamkrieges hat vielmehr gezeigt, dass die öffentliche Erörterung von Maßstäben für die Legitimität des Einsatzes militärischer Mittel es den Regierenden erschweren kann, freiheitlich-demokratischen Gesellschaften jedweden Militäreinsatz als legitim zu ›verkaufen‹ – sosehr die häufig genug wiederholte Vorbringung einer Behauptung schon allein aus psychologischen Gründen Überzeugungen zu wecken und zu stabilisieren vermag.
Auch in der jüngeren Vergangenheit gibt es Beispiele dafür, dass das Nachdenken über den Krieg in freiheitlich-demokratischen Gesellschaften die Begründungslast für Militäreinsätze erhöht. So hat der Kosovokrieg der NATO 1999 in Europa eine kontroverse Debatte über die Möglichkeit und Zulässigkeit von militärischen Interventionen ausgelöst, die zumindest primär humanitären Zielen dienen; in einem Rückblick auf das Jahr 1999 bewertete sogar die deutsche Tagesschau die Intervention der NATO als verfehlt.8
Ein weiteres Beispiel bietet die Kritik an dem 2003 von den USA begonnenen Irakkrieg, die selbst unter dem Eindruck des scheinbar raschen militärischen Erfolgs auch in denjenigen europäischen Gesellschaften nicht verstummte, deren Regierungen sich, wie diejenigen Großbritanniens, Spaniens und Polens, für eine Beteiligung entschieden hatten.
(2) Ein ähnliches Bedenken spricht der Apologieverdacht aus: Läuft politische Philosophie, die sich kriegsethischen Fragen widmet, nicht Gefahr, Regierenden auch für illegitime Kriegshandlungen eine Rechtfertigung zu soufflieren, die es ihnen erspart, die wahren Motive ihres Handelns offenzulegen? Dient ethisches Räsonnement so nicht letztlich immer rechtfertigenden, apologetischen Zwecken?
Auch dieser Verdacht scheint mir nicht gegen die Erörterung von Maßstäben für die Legitimität des Einsatzes militärischer Mittel zu sprechen. Es trifft zwar zu, dass kriegführende Parteien sich häufig auf die Moral berufen, und es dürfte unstrittig sein, dass dies oft geschieht, ohne dass die Berufung auf die Moral begründet erschiene. Das spricht aber nicht dafür, auf die ethische Reflexion politischen Handelns gleich ganz zu verzichten – im Gegenteil. Denn ohne kriegsethische Reflexion ließen sich Fälle, in denen die Moral ohne zureichenden Grund zur Rechtfertigung von Kriegshandlungen in Anspruch genommen wird, gar nicht von solchen Fällen unterscheiden, in denen die Berufung einer kriegführenden Partei auf die Moral begründet erscheint. Ohne eine systematische Analyse der Triftigkeit der Argumente, die für die Legitimität von Kriegshandlungen ins Feld geführt werden, ließe sich deshalb die Berufung kriegführender Parteien auf die Moral in keinem Fall plausibel zurückweisen. Auch der Apologieverdacht vermag das Nachdenken über die Legitimität des Einsatzes militärischer Mittel deshalb nicht zu diskreditieren. In der Auseinandersetzung mit ihm zeigt sich vielmehr einmal mehr dessen Wichtigkeit.
(3) Der Nutzlosigkeitsverdacht bringt eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der moralischen Reflexion von Fragen zum Ausdruck, die das Handeln von Staaten betreffen. Wenn selbst der auch von Deutschland ratifizierte Briand-Kellogg-Pakt den Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen nicht verhindert hat, wenn also selbst geltendes Völkerrecht den Zweiten Weltkrieg nicht zu verhindern vermochte: Ist es dann nicht völlig naiv, anzunehmen, dass ein moralisches Urteil irgendeine positive Wirkung auf das Handeln von Staaten haben kann? Kommt es nicht auf der Ebene der Beziehungen zwischen Staaten allein auf den Ausgleich konfligierender Interessen, auf Konfliktmoderation und intelligentes Krisenmanagement an? Bedarf es dazu nicht des Rechts als eines unverzichtbaren Steuerungsinstruments und der Politik als der Kunst des klugen und angemessenen Einsatzes von Macht? Und ist dazu von moralischen Überlegungen nicht am allerwenigsten ein Beitrag zu erwarten?
In Fragen wie diesen, die dem Nutzlosigkeitsverdacht Ausdruck verleihen, artikuliert sich ein instrumentalistisches Missverständnis der Aufgabe von Ethik und politischer Philosophie. Die systematische, dem unparteilichen Standpunkt der Moral, dem sogenannten moral point of view, verpflichtete ethische Reflexion, die Aufgabe dieser philosophischen Disziplinen ist, kann zwar unter Umständen auch zu moralischem Handeln motivieren. Zunächst aber sucht sie – und zwar auch dann, wenn sie Fragen der internationalen Politik betrifft – zu ermitteln, welches Handeln moralische Intuitionen, die alle oder zumindest außerordentlich viele Menschen teilen, gebieten und welche Handlungsweisen ihnen zufolge unerlaubt sind. Die Annahme, sie wäre nur dann sinnvoll, wenn sie in der politischen Praxis unmittelbare Wirkung zu entfalten vermöchte, verkennt daher das primäre Ziel der philosophischen Suche nach überzeugenden Maßstäben, an denen sich unser moralisches Urteil orientieren und positives Recht gemessen werden kann.
Ethik und politische Philosophie sollten sich andererseits aber auch vor allzu großer Kleingläubigkeit hüten: Wäre die Moral in politischen Fragen tatsächlich so kraftlos und ohnmächtig, wie es jener politikwissenschaftliche »Realismus« glauben machen will, der mit nimmermüdem Eifer die »Vergeßt Kant!«9-Posaune bläst, dann ließe sich kaum erklären, warum selbst die rücksichtslosesten Diktatoren oft bestrebt sind, ihr Handeln moralisch zu rechtfertigen. Vielmehr scheint es, als habe Kant die »Huldigung, die jeder Staat dem [naturrechtlichen] Rechtsbegriffe (wenigstens den Worten nach) leistet«, mit Grund als Beweis dafür gewertet, »dass eine […] moralische Anlage im Menschen anzutreffen sei«.10 Und es spricht Bände (und zeigt, für wie ›gefährlich‹ ein Kriegsbefürworter die Theorie des gerechten Krieges zu halten vermag), dass der dem NS-Regime eng verbundene deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt 1938, ein Jahr vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen, die »Wendung« des Völkerrechts »zum diskriminierenden Kriegsbegriff« scharf attackiert – und zwar ausdrücklich mit Rücksicht auf »eine Frage von elementarster praktischer Bedeutung, nämlich die Frage der Neutralität in einem etwaigen künftigen Kriege«, und nicht ohne den Hinweis,
daß der erste beachtliche Versuch, der Unterscheidung von gerechtem und ungerechtem Krieg auf dem Wege über das Neutralitätsrecht praktische Wirkungen zu verschaffen, während des [Ersten] Weltkrieges gegen Deutschland von belgischer Seite unternommen worden ist.11
Argumente vermögen allerdings nicht im buchstäblichen Sinn zu zwingen. Das philosophische Nachdenken über Maßstäbe, an denen die Legitimität eines Krieges zu messen wäre, kann deshalb nicht schon als solches, gleichsam aus eigener Kraft, illegitime Kriege verhindern. Es wäre dazu selbst dann nicht in der Lage, wenn es stets zu einem konsensfähigen Ergebnis führen würde. Das Nachdenken über Maßstäbe, an denen sich die Legitimität eines Krieges messen lässt, kann jedoch einen Beitrag dazu leisten, dass die Entscheidung für den Einsatz militärischer Mittel für eine Regierung, die sie trifft, national und international mit einer angemessen hohen Begründungslast verbunden ist. Darüber hinaus ist es unverzichtbar für eine Weiterentwicklung des Völkerrechts, die nicht nur den Interessen einiger mächtiger Staaten Rechnung trägt. Denn wenn der Inhalt völkerrechtlicher Normen nicht allein von zufälligen Machtverhältnissen abhängen, sondern auch diskursiv gerechtfertigt werden können soll, dann bedarf es zur Gewinnung konsensfähiger völkerrechtlicher Grundsätze und Normen intensiver ethisch-moralischer Reflexion.
Im Übrigen trifft es zwar zu, dass ethische Überlegungen der Rechtfertigung politischer Entscheidungen dienen können. Wer politische Entscheidungen grundsätzlich für rechtfertigungsbedürftig erachtet, wird darin aber keinen Mangel der ethischen Reflexion erblicken. Tatsächlich wäre es absurd, auf die argumentative Prüfung der Legitimität des Einsatzes militärischer Mittel deshalb zu verzichten, weil ihr Resultat gegebenenfalls auch dazu verwendet werden kann, den Einsatz militärischer Mittel zu rechtfertigen. Durch den prinzipiellen Verzicht auf die ethische Erörterung der Legitimität militärischer Mittel begäbe man sich nämlich der Möglichkeit, die Entscheidung für einen bestimmten Krieg jenseits bloßer Klugheits- und Zweckmäßigkeitserwägungen aus moralischen Gründen zu kritisieren. Denn nur der, der sich darüber Rechenschaft zu geben vermag, unter welchen Bedingungen ein Krieg, wenn überhaupt, moralisch erlaubt ist, kann sich über die – von wem auch immer – behauptete Legitimität eines bestimmten Krieges ein kritisches Urteil bilden. Und es gibt durchaus Belege dafür, dass die nachträgliche Analyse einer gewaltsamen Auseinandersetzung im Lichte der Theorie des gerechten Krieges die kritische Selbstreflexion und die Einsicht, ungerecht gehandelt zu haben, auf Seiten aller beteiligten Parteien zu befördern vermag. Ein gutes Beispiel dafür bietet die Bezugnahme der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission auf die just war theory.12