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Völkerrecht und Moral gebieten nicht immer dasselbe

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Das Völkerrecht kennt heute allerdings mit Ausnahme der Selbstverteidigung eines angegriffenen Staates keinen legitimen Kriegsgrund mehr.13 Wer danach fragt, ob es einen gerechten Krieg gibt, muss deshalb auch auf den Einwand gefasst sein, er werfe eine Frage auf, die sich durch die völkerrechtliche Ächtung des Angriffskrieges glücklicherweise längst erledigt habe.

Der Einwand verkennt jedoch das Verhältnis von Moral und (positivem) Recht. Denn was für Recht und Moral generell gilt, trifft auch auf Völkerrecht und Moral zu: Beide gebieten nicht immer dasselbe. Auch wenn ein Angriffskrieg völkerrechtlich verboten ist, könnte er moralisch erlaubt oder sogar geboten sein. Denn auch für das Handeln von Kollektivpersonen gilt, dass sich weder von der Illegalität einer Handlung auf ihre Illegitimität noch umgekehrt von der Illegitimität eines Aktes auf dessen Illegalität schließen lässt. Die politische Philosophie darf sich deshalb bei der moralischen Beurteilung des Handelns von Staaten und anderen Kollektivpersonen nicht durch den jeweiligen Entwicklungsstand des Völkerrechts gebunden wähnen. Ihre Aufgabe, zur Weiterentwicklung (und nötigenfalls eben auch zu einer Revision) des Völkerrechts anzuregen und beizutragen, könnte sie sonst nämlich nicht erfüllen.

Auch wer dem heute geltenden Völkerrecht eine Konflikten vorbeugende und Konflikte befriedende Wirkung zuspricht, die nicht leichtfertig moralischen Erwägungen preisgegeben werden dürfe, sollte die prinzipielle Differenz von Legitimität und Legalität und die aus ihr resultierende Aufgabenteilung von politischer Philosophie und Völkerrechtswissenschaft anerkennen. Ohne den moralischen Stachel wäre es nämlich kaum zu jener völkerrechtlichen Ächtung des Angriffskrieges gekommen, die vielen heute bewahrenswert erscheint: Der Gründung des Völkerbunds gingen zahlreiche Initiativen privater Vereinigungen und einzelner Politiker voraus, die um der Friedenssicherung willen eine solche internationale Institution forderten.14 Und Hans Kelsen (1881–1973) hat zu Recht daran erinnert,

dass die Theorie des bellum iustum die Grundlage sehr wichtiger Dokumente des positiven Völkerrechts bildet, nämlich des Vertrags von Versailles, des Völkerbund-Schlusses und des [Briand-]Kellogg-Pakts.15

Erkennt man die prinzipielle Differenz von Legitimität und Legalität an, ist damit allerdings noch nicht darüber entschieden, ob der Moral oder dem (Völker-)Recht der Vorrang gebührt, wenn sie unterschiedliche Handlungen gebieten. Ich komme auf diese Frage im sechsten Kapitel noch einmal ausführlich zurück.

Gibt es einen gerechten Krieg?

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