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Kapitel 9

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Das Feuer war erloschen. Nur noch das Flackern der Glut spendete ein wenig Licht auf der kleinen Waldlichtung. Doch das brauchen Nachtalben nicht, um in der Dunkelheit zu sehen. Socke hatte die Schüssel auf den angewinkelten Beinen abgestellt. Er schöpfte etwas Suppe auf den Löffel, pustete, und schlürfte sie vorsichtig. Driftwood hatte seine Suppe direkt aus der kleinen Holzschüssel getrunken, die jetzt zu seinen Füßen lag. Er starrte abwesend in die Baumwipfel. Das Feuer beleuchtete nur einen Teil seines schwarzen Gesichtes. Die tanzenden Schatten verliehen ihm etwas Wehmütiges. Eine leichte Brise entfachte eine kleine Flamme in der Glut. Sie spiegelte sich in seinen Augen. Socke stellte seine karge Mahlzeit beiseite und legte seinem Gefährten die Pfote auf die Schulter. Driftwood schien es nicht zu bemerken. Doch dann klärte sich sein Blick. Er tätschelte Sockes Pfote und drehte sich um.

„Dackelkacke! Ich kann mich kein Stück erinnern.“

„Ach, Drift“, seufzte Socke. Seine Augen waren glasig. „Der verfluchte Rauch.“

Driftwood nickte.

„Meinst du, dass wirklich alle fort sind?“, fragte Socke. „Nun ja, um den einen oder anderen Trottel wäre es nicht so schade“, lachte Driftwood. Etwas leiser fuhr er fort, als er Sockes ernsten Blick bemerkte: „Sieh doch, wir waren wirklich lange weg. Und viel gesehen haben wir bisher auch nicht. Ich glaube, nein, ich bin mir sicher, dass es nicht alle erwischt hat. Wir waren viele, und viele waren schlau. Na gut, viele waren auch Idioten. Aber davon wiederum waren viele sehr kleine Idioten. Oder auch feige Idioten. Sie könnten sich versteckt haben. Na gut, dann sind sie bestimmt verhungert, aber immerhin.“ Driftwood schien seine Rede für sehr tröstlich zu halten. Er lächelte so freundlich, wie es ihm möglich war.

Socke schaute sehr betreten auf seine Füße.

„Wenn hier niemand mehr ist, dann nirgends“, murmelte er.

Driftwood schüttelte sich. „Alles nur wegen der Elben. Eine Schande ist das. Und eigentlich, ich meine, streng genommen hatten wir mit der ganzen Geschichte doch fast nichts zu tun. Leider etwas schwer zu erklären, wenn dich ein ganzes Dorf mit Mistgabeln verfolgt.“

Socke schauderte, als wäre ihm kalt. „Meinst du wirklich, sie sind alle tot? Auch die Halblinge? Und das ganze Nachtvolk?“

„Ich hab wirklich keine Ahnung. Aber die Halblangen waren ja auch ein Haufen von … .“

Sockes strenger Blick brachte Driftwood zum Schweigen. „Lass uns packen“, sagte er pikiert, nahm die Suppenschüssel vom Boden und verschwand im Unterholz in Richtung Fluss.

„Ach, Söckchen“, flüsterte Driftwood, als er allein war, „ich weiß doch auch nicht mehr als du.“ Er schaute in die dunklen Bäume hinauf, deren Laub sich wie schwarze Laken rauschend schüttelte. „Wir brauchen endlich mal ein paar Antworten!“ Mit einer Pfote griff er in den Pelz auf seiner Brust. Er zog einen eiförmigen Stein hervor. Was sagte der Meister noch? Dieser Stein ist voller Magusch. Zur rechten Zeit wird er euch den Weg weisen. Den Weg wohin? Was soll ich mit dem verfluchten …? Er holte weit aus, und wollte den Stein gerade ins Dickicht werfen, als plötzlich eine bekannte Stimme erklang.

„Driftwood.“

Driftwood ließ blitzschnell den Stein im Fell verschwinden.

„Meister? Seid Ihr das?“ Er schaute sich um.

„Ich bin hier unten.“

Driftwood sah, dass sich in der Glut des Lagerfeuers ein Gesicht andeutete. Die Augen waren glühende Holzkohlen.

„Ach ja, hehe, da seid Ihr ja. Wieso denn da? Wo wart Ihr denn den ganzen Frühling? Socke hat sich wirklich gesorgt.“

„Ich habe geruht. Eure Erweckung hat mich viel Kraft gekostet.“

„Das kann ich mir gut vorstellen. Riesig, wie ich bin.“

„Ja, sicher. Wie ging es voran? Hast du was herausgefunden? Und wo ist Socke?“

„Äh, was meint Ihr?“

„Driftwood, meine Zeit ist knapp“, mahnte der Grüne, der jetzt gerade überhaupt nicht grün war.

„Ja, ja. Socke ist am Fluss.“

„Und?“

„Ich denke, er spült das Geschirr.“

„Driftwood!“

„Was denn? Ach so. Nein, bedauere, hab ich nicht.“

„Die Karten? Sie sollten dir helfen, dich zu erinnern.“

„Die Karten sind unnütz. Socke und ich haben das ganze Frühjahr die Berge und das Umland durchstreift. Ihr habt keine Ahnung, Meister – bei allem Respekt – wie es da draußen aussieht. Hier im Gebirge ist alles verlassen. Und jenseits der Berge ist nichts mehr, wie es war. Wo habt Ihr die Karten eigentlich die ganze Zeit versteckt?“

„Das geht dich nichts an. Dann beginnt die Suche hier. Was ist mit dem Stein?“

„Meister, wisst Ihr, ob noch mehr von uns da draußen sind? Oder die anderen? Alle fort? Socke fragt ständig“, fügte er flüstern hinzu.

„Ich weiß nicht mehr als du, mein Freund. Noch nicht! Aber ich spüre, dass wir nicht alleine bleiben. Ist der Fuchs zurück?“

Driftwood verschränkte die Arme vor der Brust. „Bei dem hatte ich gleich kein gutes Gefühl. Dieser komische Schleicher. Natürlich ist er nicht zurück!“

„Geduld, Driftwood, Geduld.“

„Geduld, Meister? Es lag noch Schnee, als er auszog. Und es wird wieder Schnee fallen, eher er zurückkommt. Hat sich vom Acker gemacht, da wette ich drauf. Ihr seid einfach zu gutgläubig.“

„Ich hoffe, ihm ist nichts zugestoßen. Sein Auftrag brachte ihn auf die Fährte des Nachtbringers.“

„Papperlapapp.“ Driftwood winkte ab.

Die glühenden Holzscheite begannen rauschend, in sich zusammenzufallen.

„Meine Zeit wird knapp. Hör mir zu! Beginnt hier. Sucht Verbündete. Lauft nicht ziellos durch die Wälder. Denkt nach. Betrachte den Stein. Erinnere dich! Es steckt alles in deinem Kopf! So war es gedacht. Seid umsichtig, wenn ihr nach Neunseen geht. Die Stadt wird bewacht. Nicht jede alte Feindschaft ist mit der Zeit verflogen. Höre auf Socke. Und hütet euch vor …“

Mit einem Zischen brach das letzte verkohlte Holzscheit entzwei. Driftwood blieb allein zurück. Nachdenklich kratzte er sich am Kopf. Und hütet euch vor Zisch? Was soll das denn schon wieder? Er setzte sich mit einem Schnauben auf den kargen Waldboden. Plötzlich stand Socke neben ihm. Nachtalben, und besonders Socke mit seinen Samtpfoten, können sich lautlos durch die Dunkelheit bewegen, wenn sie wollen.

„Mit wem hast du gesprochen?“ Er stapelte die ordentlich gesäuberten Suppenschüsseln in seiner Tasche. Gut hören können Nachtalben nämlich auch.

„Ich, oh, ach, mit niemand“, log Driftwood. „Hab nur laut gedacht. Ich dachte mir, wir sollten unsere Suche hier fortsetzen, im Nachtschattental. Wir sollten uns Verbündete suchen.“

„Haben wir das nicht bereits getan? Ohne Ergebnis?“, fragte Socke und schüttete Wasser aus dem Kochtopf auf die Glut, um jegliche Waldbrandgefahr zu bannen.

„Ja, das haben wir. Aber, mein messerscharfer Verstand sagt mir, dass wir gründlicher vorgehen müssen.“

„Hört, hört“, sagte Socke, pustete etwas trockenes Laub von seiner Tasche und schulterte sie. „Und der Mensch?“

„Welcher Mensch?“

Socke verdrehte die Augen. „Driftwood, wir wollten uns einen Menschen suchen, der uns führen kann.“ Er brachte sein Gesicht ganz nah an Driftwoods und sprach sehr langsam und betont deutlich. „Einen Ortskundigen.“

„Oha, gute Idee. Socke, du bist ein Ass!“

Socke wandte sich um, aber Driftwood sprach weiter.

„Ich meine, wir sind jetzt schon eine Weile wach. Meinst du nicht, es wäre an der Zeit, es zu versuchen?“

Socke wollte etwas erwidern, aber Driftwood kam ihm zuvor. „Ich weiß, ich weiß, es ist nicht leicht. Aber bedenke, dass auch der Grüne zurück ist. Und wir sind Nachtalben, Socke. Die Magusch liebt uns. Oder möchtest du lieber warten, bis wir dem Nachtbringer persönlich gegenüberstehen? Na?“

Socke schaute betreten drein.

„Komm schon“, hauchte Driftwood, „es ist Zeit für etwas - Magusch.“ Leichter Regen setzte ein. Driftwood schaute angewidert in den Himmel.

„Es ist so lange her“, gestand Socke. „Ich weiß überhaupt nicht mehr …“

„Natürlich weißt du noch. Das ist wie Suppe kochen oder Feuer sprechen – nur eben etwas anders obwohl fast genau so. Wenn wir vorankommen wollen, müssen wir uns auf das besinnen, was wir gut können.“

Driftwood wusste, dass Socke hier und da einen kleinen Schubs in die richtige Richtung brauchte. Oder in die Richtung, die er selbst für die Richtige hielt. Und heute Nacht war die Nacht. Er stand auf und begann, Socke zu umschleichen.

„Magusch“, hauchte er. „Das ist deine Bestimmung. Du bist ein Nachtalb, Freund Socke. Magusch ist ein Teil von dir. Wie deine Nase. Du hast doch auch keine Angst vor deiner Nase, oder?“

Socke schüttelte den Kopf.

„Na, siehst du. Es ist nur einfach so, als hättest du deine Nase sehr lange nicht zum Riechen benutzt. Was soll denn schon schiefgehen?“

Socke hob den Blick. „Du weißt sehr genau, was schiefgehen kann. Oft genug sind schlimme Dinge passiert. Dinge, von denen ich hier in finsterer Nacht lieber nicht spreche.“ Driftwood verdrehte die Augen. Socke war bestimmt der einzige Nachtalb, der die Finsternis fürchtete.

„Ich gebe ja zu, dass mein Umgang mit Magusch manchmal etwas sorglos war“, gestand Driftwood ein.

„Etwas sorglos?“, keuchte Socke. „Warum machst du es dann nicht? Du bist doch der selbst ernannte Meister der Magusch!“

Das kränkte Driftwood. „Ich habe dich geweckt. Zusammen mit dem Meister hab ich dich geweckt.“

„Das ist Wochen her“, erwiderte Socke schroff. „Das zählt nicht. Außerdem war der Meister dabei. Das ist ganz was anderes als es allein zu tun. Und ich? Ich habe gekocht, jeden Abend, das Holz gesammelt, das Geschirr abgewaschen, und, und, und. Und du sitzt nur rum. Natürlich, der feine Herr muss denken. Meinst du, ich hätte dich nicht schnarchen gehört?“

Driftwood funkelte ihn böse an. Socke blieb unbeeindruckt und schwenkte betont gelangweilt seine Tasche.

„Gut“, sagte Driftwood schließlich, „gut, ich mach’s.“

„Mir wäre wohler, wenn ich wüsste, wer oder was die Quelle speist“, klagte Socke. „Es könnte doch sein, das es der Nachtbringer ist.“ Er schaute sich ängstlich um.

„Unsinn!“, winkte Driftwood ab, „warum sollte er den Meister wecken? Die beiden sind sich spinnefeind.“

„Vielleicht“, überlegte Socke, „war das gar nicht sein Ziel. Vielleicht wollte er ganz was anderes. Vielleicht wollte er seine … oh nein, es ist zu schrecklich, um es zu sagen. Du weißt so gut wie ich, dass die Quelle nicht unterscheidet, für welche Zwecke sie benutzt wird. So funktioniert das nun Mal nicht. Sonst hätten wir doch den ganzen Schlamassel nie gehabt.“

„Mumpitz!“, entschied Driftwood. „Was soll ich machen? Womit fang ich an?“

„Mit was Kleinem“, beschwor Socke, „was Kleines. Versuch die Wollmaus.“

Driftwood stutzte. „Was, die Wollmaus? Hier draußen? Ein Windstoß und wir können den Rest der Nacht meinen Kopf suchen. Das ist Murks, Socke, großer Murks ist das.“

„Dann die dunkelste Nacht“, schlug Socke aufgeregt vor. Driftwood schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, aber es ist bereits ziemlich dunkel hier.“ „Aber ein paar Sterne leuchten hell am Himmel. Und das Mondlicht?“

„Pah, die paar kläglichen Funzeln. Das hätte doch gar keinen Effekt bei all den Wolken. Nein, wir brauchen etwas mit einem eindeutigen Ergebnis. Ich will wissen, wo wir stehen. Ich weiß was. Warte hier!“

Blitzschnell verschwand Driftwood zwischen den Bäumen. Nachtalben können sich sehr schnell bewegen, wenn sie wollen. Dass Driftwood dabei ein gewaltiges Getöse veranstaltete, kam daher, dass er sich einfach keine Mühe gab, leise zu sein. Socke blieb allein zurück. Er wippte unruhig von einem Bein auf das andere. Obwohl Nachtalben in der Dunkelheit sehen, war Socke nachts nicht gern alleine. Driftwood hingegen war sich sicher, dass er es war, vor dem man Angst haben sollte in der Dunkelheit. Er zertrat jeden morschen Ast und schlurfte durch jeden trockenen Laubhaufen. Dabei fluchte er so laut, dass Socke ganz rote Ohren bekam. Driftwoods Taktik war, sich wie eine Gruppe von riesig großen und völlig wahnsinnigen Trollen aufzuführen. Darum machte er stets beeindruckend viel Krach und hinterließ so auffällige Spuren, dass jeder mögliche Verfolger denken musste, dass hier etwas vorbei gekommen war, das es überhaupt nicht nötig hatte, leise zu sein. Wer wäre da nicht gewarnt gewesen. Als er kurz innehielt, um sich zu orientieren, stieg ihm ein fauliger Geruch in die Nase. Er hatte gefunden, was er suchte. Es war ein toter Hund. Zumindest glaubte Driftwood das. Das arme Tier lag schon so lange am Fuß eines Baumes, dass nicht mehr eindeutig zu erkennen war, worum es sich zu Lebzeiten gehandelt haben könnte. Selbst die Maden, die sich über den Kadaver hergemacht hatten, waren schon zu Fliegen herangewachsen und hatten eigene Familien gegründet.

„Genau, was ich suche“. Driftwood packte den Kadaver am Schwanz, oder an dem, was er für den Schwanz hielt, und schleifte ihn hinter sich her. Er betrat die Lichtung und ließ seine Beute stolz neben sich in den Staub fallen. Socke schaute angewidert drein.

„Oh, Driftwood, ich bitte dich.“

„Was denn? “, erwiderte Driftwood verständnislos.

„Was denn? Das ist schon viel zu lange tot.“

„Das kannst du nicht beweisen.“

„Aber es hat nur noch ein Auge. Und die Hinterläufe hast du da hinten verloren.“

„Die brauch ich nicht.“

„Und es hat keinen Unterkiefer. Und da zwischen seinen Rippen sitzt jemand und schaut mich an.“

„Na lass ihn doch gucken.“ Driftwood rieb sich die Pfoten. „Ich kann es schon fühlen. Das wird ein Spaß.“

Der wahnsinnige Unterton ließ Socke erschaudern. Die beiden kannten sich eine Ewigkeit, und Socke wusste nur allzu gut, dass der größtmögliche Ärger meist so begann.

„Drift“, beschwor Socke, „ich bitte dich. Du kannst doch nicht ernsthaft mit Nekromantie beginnen. Das ist gefährlich. Das arme Tier ist mausetot, und das schon sehr lange. So was verschmutzt die Quelle. Und die natürliche Ordnung allen Seins. Der Meister wird das nicht gutheißen.“

„Humbug. Wir müssen wissen, wo wir stehen, Freund Socke.“

Driftwood betrachtete das tote Tier zu seinen Füßen. Die Würmer, die es sich in dem faulen Fleisch gemütlich gemacht hatten, krochen eilig davon. Ihnen schwante Böses, und sie hatten recht. Denn schon riss Driftwood die Arme in die Luft. Sein Fell sträubte sich, und seine Füße versanken im Boden. Socke wusste, was jetzt kam. Diesen Teil mochte er überhaupt nicht. Kopfschüttelnd entfernte er sich, ohne Driftwood aus den Augen zu lassen.

„Der Meister wird das nicht mögen.“ Socke duckte sich hinter einem Baumstumpf, sodass nur noch seine Ohren zu sehen waren. „Nicht mögen wird er das!“

Das Braun in Driftwoods Augen geriet in Bewegung. Wie trübes Wasser floss es über seine Wangen. Seine Pupillen wuchsen und strahlten tiefschwarz. Doch dann keuchte er angestrengt. „Socke?“

Socke schaute über den Baumstumpf. „Ja?“

Rauch entwich Driftwoods Augen. Er bemühte sich um einen gelassenen Ton. „Ich weiß nicht weiter.“

Zögerlich kam Socke aus seinem Versteck hervor. „Das ist ein ganz schlechter Augenblick für eine Pause, Drift. Du hast bereits die Elemente angerufen. Und das, wie ich bemerken möchte, nicht besonders freundlich. Wenn du ihre Kraft zu lange in dir staust, wirst du explodieren.“ Für so einen Unsinn war Socke am Ende eines langen Tages nun wirklich nicht mehr zu haben.

„Socke, bitte“, jammerte Driftwood.

„Schon gut. Ruhig Blut. Konzentriere dich weiter auf dein Ziel. Und dann sagst du den Spruch und fertig.“ Socke klatschte in die Pfoten und ließ sich gequält lächelnd auf dem Baumstamm nieder. „Aber“, er sprang wieder auf, „warum qualmst du?“

„Ich habe den Spruch vergessen.“

„Ach, Drift. Du musst dir schon vorher überlegen, was du willst. Das weiß doch jeder Zauberlehrling. Ich kann dir den Spruch nicht einfach so vorsagen. Dann weiß die Magusch gar nicht mehr wohin. Ein ungeplanter Übersprung und wir explodieren beide. Du musst einfach mal lernen, dich zu konzentrieren. Da reden wir noch drüber.“ Socke konnte in Gefahrensituationen ein erstaunliches Sprechtempo entwickeln. Nachdenklich schaute er auf seine Füße, dann auf den qualmenden Driftwood, dann in den Nachthimmel.

„Ich weiß was.“ Er zog seine Umhängetasche über den Kopf und legte sie ordentlich ab. Seine Stimme war jetzt ganz ruhig. „Ich weiß, was zu tun ist, Drift. Hab keine Angst. Ich werde die Kraft für dich kanalisieren.“ Und bevor Driftwood protestieren konnte, umklammerte Socke ihn fest mit beiden Armen und rief:

„Der Elemente Kraft entfacht.

Die Macht die Welten heilt.

Dein Diener hat es falsch gemacht,

zu viel Magusch verweilt.

In seines Körper Fasern nun,

schwirrt, saust und will ihr Werk nun tun.

Drum ruf ich sie zu mir, zu mir,

das Gute zu vollenden.“

Und die Magusch verließ Driftwoods Körper. Sie rauschte unkontrolliert in alle vier Himmelsrichtungen davon. Wie Polarlicht schwebte sie über dem Wald. Socke ließ von Driftwood ab, streckte die Arme in die Luft und rief: „Komm zu mir!“ Die Magusch kreiselte wild und sauste auf ihn zu. Die Wucht des Aufpralls zwang Socke in die Knie. Ein nicht enden wollender Strom ungezähmter Magusch prasselte auf ihn nieder. Wie unter wuchtigen Schlägen zuckte sein schlanker Körper. Doch mit einer Stärke, die nur einem unbezähmbaren Willen entspringen kann, kämpfte er sich wieder auf die Füße.

„Ich bin jetzt dein Meister“, flüsterte er. Sofort hörte es auf. Driftwood fiel um. Sockes Fell sträubte sich und ein elektrisches Flirren lag in der Luft. Er hatte die Magusch aufgesaugt wie ein Schwamm. Er legte eine Pfote auf den toten Hund. „Agore.“

Der Kadaver geriet zuckend in Bewegung. Er hob ab und schwebte, wobei er rotierte wie ein grün leuchtender Ball aus rohem Fleisch. Socke entspannte sich mit einem Seufzer. Die Magusch hatte ihren Dienst getan.

Driftwood schlug die Augen auf. „Bist du noch zu retten?“ Er wischte sich den Schmutz vom Pelz. An seinen Füßen klebten noch große Klumpen feuchter Erde wie viel zu große Schuhe.

Socke betrachtete den Zauber mit besorgter Miene. „Ach je, Driftwood. Ich weiß nicht, ich weiß nicht.“

Der Fleischball machte schmatzende Geräusche. Dann ließ die Rotation nach, und er fiel zu Boden. Ein dampfender Kokon mit grauer Kruste.

Driftwood trat dagegen. Die Schale war hart wie Stein, klang aber hohl. „Fest steht, dass es reagiert hat“, sagte er zufrieden. „Sieht aus wie ein Ei. Ob ein Huhn drin ist?“

„Das ist alles nicht richtig. Ganz und gar nicht richtig ist das“, murmelt Socke.

Driftwood rieb sich aufgeregt die Pfoten. „Ich bin ja so gespannt! Hörst du?“

Aus dem Inneren des Kokons erklang das Geräusch mahlender Zähne.

„Vielleicht ist es ein Huhn mit Zähnen?“

Socke war sich ganz sicher, dass es kein Huhn war, aber er sagte nichts. Der Kokon bekam an der Oberseite einen Riss, aus dem pfeifend weißer Dampf entwich. Es knirschte, und er zerbrach in zwei Teile. Dazwischen, im Dunst, saß etwas. Socke trat vorsichtig einen Schritt zurück. Driftwood ging in die Hocke, verwedelte den Rauch mit den Pfoten und betrachtete ihr Werk. Sein linkes Auge zuckte.

„Na wenn haben wir denn da?“

Es war der Hund. Wenigstens so ungefähr. Er war platt wie eine Flunder und aschgrau. Sein Kopf, und eigentlich bestand er nur aus Kopf, war sehr breit. Zwei spitze Ohren saßen oben auf. Sie bewegten sich zuckend. Er hatte nur ein großes, gelbes Auge ohne Lid. Kleine spitze Zähne hingen ihm aus dem Mund, als würde er sich auf eine Unterlippe beißen, die nicht da war. Vier kurze Stummelbeine, alle in einer Reihe nebeneinander, wirbelten unruhig über den feuchten Boden. Er schien sich über irgendetwas unglaublich zu freuen. Wild wedelte er mit seinem kurzen Schwanz.

Driftwood sah zufrieden aus. „Na ja, nicht schlecht fürs Erste. Irgendwie niedlich. Aber irgendwie auch traurig. Wir sollten es töten.“ Als Driftwood sprach, bewegten sich die Ohren des Hundes wie kleine Antennen.

„Töten?“ Socke war empört. „Wir haben es erweckt. Wir sind jetzt verantwortlich für das da!“

Der Blick des Hundes wanderte unschlüssig zwischen den Nachtalben hin und her. Schließlich verharrte er bei Driftwood.

„Er will was sagen. Na, mein kleiner Freund. Was möchtest du uns mitteilen?“

Die vorstehenden Zähne des Hundes bewegten sich auf und ab. Dann hustete er Driftwood einen grünen Schleimbrocken auf den Pelz. Entsetzt schaute Driftwood an sich herab.

„Das ist widerlich. Unglaublich widerlich ist das!“ Er versuchte, den zähen Schleim abzustreichen, aber er zog nur lange Fäden zwischen seinen Pfoten. Der Hund hüpfte fröhlich auf der Stelle und machte laut „Brrr.“

Socke grinste. „Somit hast du dir gerade selbst einen Namen gegeben, mein kleiner Freund Kotze.“

Der Sommer der Vergessenen

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